Während »Extremwetterereignisse« vielerorts zur »neuen Normalität« geworden sind, bleibt eine »Zeitenwende« aus, die ein Ende des modernen Industriekapitalismus auf fossiler Basis einleiten könnte. Seit Beginn des Holozäns vor circa 12 000 Jahren haben Menschen die nicht-menschliche Natur transformiert und zerstört, durch ihre Art und Weise, sich zu ernähren, sich zu bewegen und zu arbeiten. Zweifellos war ihr Verhältnis zum großen »Rest der Natur« nie von friedlicher Koexistenz gekennzeichnet. Karl Marx hat dies als einen parasitären Stoffwechsel zwischen menschlicher und außermenschlicher Natur bezeichnet. Doch erst mit der Entstehung des modernen Industriekapitalismus im 18. Jahrhundert, der sich erstmals fossile Rohstoffe zunutze machte, konnten die Stoff- und Energietransformationen durch menschliche Arbeit so gewaltig anwachsen, dass der »metabolische Riss« einen Umfang annimmt, der die Naturgeschichte zur »Menschengeschichte«, zum »Anthropozän« werden lässt.

 
Das Spezifikum dieser Entwicklung besteht darin, dass eine »soziale Formation« (so bezeichnet Marx den Kapitalismus) den gewaltigen, über Jahrmillionen entstandenen geologischen Formationen ihren Stempel aufdrückt. Es entfaltet sich ein auf grenzenloser Akkumulation basierendes System der Produktion für anonyme, weitgehend selbstregulierte Märkte. Geleitet durch eine ins Unendliche zielende Bewegung der Gewinnmacherei ist sein Wesensmerkmal die Maßlosigkeit – begründet im Geld als Kapital, das immer einen Überschuss erwirtschaften und vermehrt zu seinen Eigner*innen zurückkehren muss. Dieser trotz zyklischer Krisen im Prinzip grenzenlose Prozess der Akkumulation wird durch die Konkurrenz auf »freien« Märkten erzwungen. »Frei« aber wurden diese dadurch, dass sie sukzessive aus den Institutionen der politischen Gemeinwesen »entbettet« wurden (Karl Polanyi) und heute nahezu ausschließlich über das Wechselverhältnis von Angebot und Nachfrage gesteuert werden. So wurde eine historisch gänzlich anormale Wachstumsdynamik in Gang gesetzt, die auf einer ›Zauberformel‹ gründete: der exorbitanten Steigerung von Energieproduktion pro Hektar Land (für eine detaillierte Ausführung dazu siehe Moore in diesem Heft). Einzig der Rückgriff auf fossile Energieträger vermochte dabei zu verhindern, was in früheren historischen Perioden ökonomischen Wachstums über kurz oder lang immer zu einem Mangel an Nahrungsmitteln und anderen wichtigen Ressourcen geführt und daher ein erneutes Schrumpfen der Bevölkerungszahl bewirkt hatte.


Heute stößt diese Selbstverwertungsdynamik des Kapitals auf Grenzen. Auf der einen Seite machen sich diese als peaks – also als Höchstverfügbarkeitspunkte – bei nahezu allen essenziellen Stoffen und Energieträgern bemerkbar; auf der anderen Seite sind Grenzen der Absorptionsfähigkeit von Ökosystemen für die von uns nicht mehr benötigten und meist giftig wirkenden Stoffe – in den Meeren, in den Böden und in der Atmosphäre – evident geworden.


Die Menschheit als ganze wird folglich mit einer Metafrage konfrontiert: Welchen anderen als den industriekapitalistischen Entwicklungspfad können wir beschreiten, der nicht länger darauf basiert, dass die Energieproduktion pro (grundsätzlich nicht vermehrbarer) Fläche Land auf dem Planeten gesteigert wird? Denn auch wenn dieses ›Zauberprinzip‹ uns ein niemals zuvor in der Menschheitsgeschichte gekanntes Maß an wirtschaftlichem Wachstum (einschließlich seiner positiven Effekte für die Bildungs- und Gesundheitsversorgung) beschert hat, so bedroht dasselbe Prinzip heute alle Erdenbewohner*innen mit Chaos, Krisen, Konflikten, Kriegen und Vernichtung.

»Dekarbonisierung« von Wirtschaft und Gesellschaft durch einen »European Green Deal«?


Gäbe es tatsächlich einen ›ökologischen Imperativ‹, an dem sich alle politischen Entscheidungen ausrichten würden, so ließen sich dessen Leitmargen wie folgt bestimmen: Es bräuchte einerseits eine drastische Reduktion des globalen Pro-Kopf-Energieverbrauchs sowie eine etwa gleichgroße rapide Reduktion des Verbrauchs aller nicht-energetischen Ressourcen und klimaschädlichen Emissionen. Die Umsetzung einer solchen Maxime würde insbesondere in den reichen Industrieländern des globalen Nordens überproportionale Reduktionen erzwingen. Auf Basis der heute vorhandenen technischen, infrastrukturellen und intellektuellen Ressourcen müsste eine solche Entwicklung dabei keineswegs, wie oft befürchtet, mit zivilisatorischen Rückschritten verbunden sein, wohl aber mit einem radikalen Wandel aller Lebens-, Arbeits-, Wohn-, Mobilitäts- und Kommunikationsformen. Das ist letztlich auch die zentrale Botschaft der jahrzehntealten Aufforderung, unseren gigantischen »ökologischen Fußabdruck« zu minimieren.

 
Weil der menschliche Einfluss auf den Planeten in den letzten 50 Jahren aber immer größer und nicht kleiner geworden ist, hat sich das Zeitfenster für diesen Schrumpfungsprozess bis auf einen winzigen Zeitraum von acht bis zehn Jahren verengt. So plädiert selbst die International Energy Agency IEA (das Sprachrohr der Importeure fossiler Energieträger) dafür, 80 Prozent aller noch vorhandenen fossilen Energieträger im Boden zu lassen und möglichst 50 Prozent der Erde als globales Sicherheitsnetz unter Schutz zu stellen, um den weiteren Verlust von Biodiversität zu stoppen und damit die Möglichkeiten zukünftiger Evolutionsprozesse auf dem Planeten zu erhalten. Denn tatsächlich wird die Zerstörung der Biodiversität, auch wenn dies in den aktuellen Debatten eine untergeordnete Rolle spielt, für die Zukunft des Planeten von größerer Wichtigkeit sein als die absehbar katastrophale Erwärmung, die unsere ›Klimadebatte‹ beherrscht.


Die Versprechen eines »European Green Deal« (EGD) im Rahmen der »Fit-for-55-Agenda« bleiben allerdings weit hinter dem zurück, was die IEA fordert. Denn dieser pragmatische Politikansatz der EU-Kommission beabsichtigt vor allem eines: einen sanften Übergang zur »Klimaneutralität« von Wirtschaft und Gesellschaft und die Förderung von »grünem Wachstum« durch eine flächendeckende »Dekarbonisierung«. Dies Wörtchen geht unseren Regierungsvertreter*innen ebenso leicht von der Zunge wie Vertreter*innen aus Industrie, Wissenschaft, Medien und Gewerkschaften. Doch was verspricht der EGD eigentlich – und konnten bzw. können seine Ankündigungen ernst genommen werden?


Auf den ersten Blick geht es beim EGD um business as usual: Es sollen Märkte geschaffen, gestützt und ausgeweitet werden. Geschehen soll dies vor allem dadurch, dass die Märkte von Konkurrenten geschrumpft, blockiert oder ganz zunichtegemacht werden, beispielsweise durch die Macht, globale Standards (für technische Normen und rechtliche Regeln und vor allem für die Preise) zu setzen. Auch eine »Dekarbonisierung« von Wirtschaft und Gesellschaft soll vornehmlich so wie bisher über die Preise für neue Technologien, Produkte und Dienstleistungen gesteuert werden. Eine Mengensteuerung oder Ge- und Verbote gelten hingegen als abzulehnende Eingriffe in private Freiheits- und Verfügungsrechte. Daneben wird wie lange schon auf das Allheilmittel »Effizienzsteigerung« gesetzt und selbstverständlich sollen Konsumpraktiken allein durch freiwillige Verhaltensänderungen korrigiert werden.

 
Die Zielsetzungen des EGD decken sich zwar weitgehend mit der EU-2020-Strategie von 2009, neu ist hingegen die Betonung von »Energiesicherheit durch weniger Energieimporte« und die Zielsetzung, alle gesellschaftlichen Bereiche digitalisieren zu wollen. Weitere Ziele umfassen eine Ausweitung des Handels mit Verschmutzungsrechten und den beschleunigten Ausbau sogenannter emissionsfreier Energie, außerdem die Elektrifizierung von Industrie, Verkehr und Wohnen und damit eine bombastische Ausweitung des Energiebedarfs.

 
Viele dieser Maßnahmen sollen erst ab 2023 umgesetzt werden, also nachdem sie in diversen EU-Gremien und in den einzelnen Mitgliedsstaaten unter dem Einfluss von Lobbygruppen noch weiter ›heruntergehandelt‹ worden sind. Doch bereits jetzt sind skandalöse Blindstellen des EGD offensichtlich: Es findet keine »Ökologisierung« der gemeinsamen Landwirtschaftspolitik der EU statt. Es soll zwar die staatliche Subventionierung fossiler Energie beendet werden, nicht aber die Subventionierung der Exporte von Fördertechnologien für den Abbau fossiler Energien im Ausland (was insbesondere deutschen und französischen Unternehmen zugutekommt). Hinsichtlich der häufig beschworenen Kreislaufwirtschaft findet sich in den EGD-Plänen außer der geplanten Einführung von fakultativen Nachhaltigkeitslabels nichts Konkretes.


Ein Rückblick zur Einordnung: Im Rahmen der EU-2020-Strategie, also zwischen 1990 und 2020, kam es in der EU zu einer Reduktion der CO2-Emissionen um gerade einmal 24 Prozent. Dies geschah vor dem Hintergrund des wohl größten und historisch bislang einmaligen Deindustrialisierungsprozesses in Ost- und Mitteleuropa. Auf eine Wiederholung dieser Entwicklung aber wird wohl niemand setzen wollen. Zudem wurden technische Innovationen zur Erzeugung erneuerbarer Energie in dieser Zeit vornehmlich dazu genutzt, den gestiegenen Energieverbrauch in der EU abzudecken. Nichts spricht dafür, dass dies in Zukunft anders sein wird. Wenn der Anteil der erneuerbaren Energien am Primärenergieverbrauch in der EU seit 1989, also in mehr als 30 Jahren, auf gerade einmal 19,7 Prozent erhöht werden konnte, dann muss schon an Wunder glauben, wer behauptet, dass in den nächsten acht Jahren nun EU-weit gleich 40 Prozent der CO2-Emissionen eingespart werden können und der Anteil der erneuerbaren Energieträger in 25 Jahren auf 77 Prozent steigen wird.

 
Der bisherige Entwicklungspfad moderner Industriegesellschaften, also die Steigerung der Energieproduktion pro Hektar Land, wird weiter verfolgt. Nun aber soll dies durch eine im doppelten Wortsinn ›fantastische‹ Ausweitung der Produktion von erneuerbarer Energie geschehen. Obwohl doch Energie aus erneuerbaren Quellen wie Wind und Sonne eine viel geringere Energiedichte aufweist als Kohle, Öl und Gas, also weit mehr von diesen Energieträgern benötigt werden als von den fossilen, um die gleiche ›Arbeitsleistung‹ zu erbringen. Zudem braucht es für den Ausbau von Solar- und Windkraftanlagen große Mengen an teuren und rohstoffintensiven Technologien, was mit anderen Ausbauplänen des EGD – wie etwa der Förderung der E-Mobilität oder der Digitalisierung vieler gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und vor allem militärischer Einrichtungen – kollidieren könnte.


Der wohl wichtigste Effekt eines wie geplant umgesetzten EDG dürfte also darin bestehen, dass die ökologische Krise ein wenig von der ›Output-Seite‹ der klimaschädlichen Emissionen zur ›Input-Seite‹, also der gesteigerten Rohstoffextraktion hin, verlagert wird. Wobei der durch das EGD-Programm enorm gesteigerte Bedarf an nicht-energetischen Ressourcen vornehmlich als ein geopolitisches Problem des Zugangs zu »kritischen Metallen« verstanden wird, während die damit verbundenen ökologischen und sozialen Probleme nur selten Erwähnung finden. Zudem sind mit dem Fokus auf das (unrealistische) »Null-Emissionsziel« gravierende geopolitische Konflikte verbunden. Denn die weltweit größte Menge an »kritischen Rohstoffen« wird in China gefördert und/oder produziert. Dabei handelt es sich um einen Staat, der heute nicht nur in der Lage ist, Rohstoffe in Vorprodukte zu verwandeln. Seine Unternehmen können inzwischen auch viele höherwertige Endprodukte selbst herstellen. Das setzt Unternehmen aus den reichen Industrieländern Europas und aus den USA, die bislang genau darin ihre Wettbewerbsvorteile sahen, erheblich unter Druck.

»Roll-back« des EGD im Zeichen einer militärischen »Zeitenwende«


Die Versprechungen des EGD waren zwar schon 2021 kaum mehr als eine »Nebelkerze« (Mahnkopf 2021), wenn nicht ein großer (Selbst-)Betrug (Mahnkopf 2022). Doch der Finanz- und Wirtschaftskrieg, mit dem die NATO-Staaten Russland in die Knie zwingen wollen, machen den EGD nun zu einem regelrechten ›Fake-Programm‹. Nicht einmal zwei Wochen nach Beginn des Ukrainekriegs hat die Europäische Kommission ihr »REPower-Programm« verabschiedet. Darin ist festgehalten, dass für die Dauer von  fünf bis zehn Jahren fünf Prozent mehr Kohle in der EU verbrannt werden dürfen, was pro Jahr in etwa dem Stromverbrauch Belgiens entspräche. Zugleich werden viele EU-Staaten ihre Atomenergieerzeugung ausbauen, unter anderem mit dem Effekt, dass im Jahr 2030 – wenn es denn tatsächlich zu einem größeren Zubau von Wind- und Solarenergie gekommen sein sollte – bei einem Überangebot an Strom im Sommer nicht die Atommeiler abgeschaltet werden, sondern die »flexiblen« Anlagen, die erneuerbare Energie erzeugen. Dabei scheint es auch unwichtig, dass Frankeich seine Atombrennstäbe nach wie vor per Flugzeug aus Russland bezieht. Was aber keinesfalls erstaunlich ist, denn der Markt für zivile Atomenergie wird faktisch von einem Duopol von russischen und chinesischen Unternehmen beherrscht. Hinsichtlich des Öls – nach wie vor das ›Lebensblut des Kapitalismus‹ – bleibt alles beim Alten:  Dessen Beschaffung wird um (fast) jeden Preis sichergestellt, eine Beschränkung des Verbrauchs steht nicht auf der Tagesordnung, nicht einmal in Form ›harmloser‹ Verbote von Sonntagsfahrten oder Inlandsflügen oder einer Einführung von City-Mauts in europäischen Großstädten. Solange Öl von irgendwoher beschafft werden kann, steht eine in die unternehmerischen Marktrechte eingreifende Rationierung nicht zur Debatte; ganz im Gegenteil: Aus wahltaktischen Überlegungen wird das Benzin in vielen Ländern staatlich subventioniert.


Die beim Ausbruch der COVID-19-Krise im Jahr 2020 beschworene »Zeitenwende« hat seit Februar 2022 also ein neues Vorzeichen bekommen. Sie wird aber nicht, wie damals erwartet wurde, eine ökologische sein, sondern eine durch und durch militärische. Das politisch moderierte Schrumpfen der »braunen Industriezweige« – der Autobranche, ihrer Zulieferer oder gar der Luftfahrt-, Stahl- und petrochemischen Industrie – ist nach wie vor undenkbar. Und für die Rüstungsindustrie gilt dies seit Beginn des Ukraine-Kriegs noch weniger als früher. Auch ein Schrumpfen der wasser- und schadstoffintensiven industriellen Landwirtschaft darf in Zeiten steigender Energie- und Lebensmittelpreise nicht erwartet werden. An das spätestens seit der großen Finanzkrise der Jahre nach 2008 überfällige Schrumpfen des Finanzsektors und seine Rückführung in eine der Realwirtschaft dienende Funktion ist ohnehin nicht mehr zu denken – obwohl die Folgen der Klimakatastrophe und längerfristig hohe Energiepreise bei den Stresstests, die Banken der Eurozone durchlaufen müssen, keineswegs angemessen berücksichtigt werden.


Mit Blick auf die Ölversorgung ist es also nicht verwunderlich, dass als Antwort auf die neue Volatilität 195 neue große Öl- und Gasprojekte vorangetrieben werden, »Carbon Bombs«, die den 35,5 Milliarden Tonnen CO2, die im Jahr 2021 emittiert wurden, noch einmal  eine Milliarde hinzufügen werden. Denn nahezu alle EU-Staaten, allen voran der auf fossile Energieträger besonders angewiesene »Industriestandort Deutschland«, setzen fest auf die Substitution relativ billiger, weil über langfristige, mit einem Souverän (dem russischen Staat) abgesicherte Verträge durch eine Ölbeschaffung über »Spotmärkte«. Auf diesen aber sind Rohstoffe deutlich teurer, denn sie werden tages- und sogar stundenaktuell von privaten Akteuren an den Meistbietenden verhökert. Europäische und vor allem deutsche Käufer zahlen zurzeit nahezu jeden Preis auf diesen Märkten – zum Leidwesen etwa von Nachfragern aus Indien, die nun wieder mehr Kohle verfeuern und selbstverständlich das preisgünstige russische Öl kaufen. 

»Tatsächlich wird die Zerstörung der Biodiversität für die Zukunft des Planeten von größerer Wichtigkeit sein als die absehbar katastrophale Erwärmung, die unsere ›Klimadebatte‹ beherrscht.«

Doch auch die »neue Gaspolitik« der EU entpuppt sich bei näherer Betrachtung als ein monströser Wechselbalk: Es werden längerfristig bindende Verträge über die Lieferung von Flüssiggas abgeschlossen, das insbesondere aus den USA beschafft werden soll. Dieses Gas muss aber genauso wie das Öl zu hohen Preisen geordert werden, um in Zukunft verfügbar zu sein. Vor allem aber werden Investitionen in die Erschließung von Lagerstätten notwendig, in denen Gas (und Öl) sich nicht in größeren Mengen angesammelt hat, sondern in Gesteinsporen eingeschlossen ist und nur mit aufwendiger Technik zugänglich gemacht werden kann. Das ist ein sehr kostenträchtiges Unterfangen und daher werden entsprechende Investitionen nur dann getätigt, wenn gute Chancen bestehen, dass sich mit dem so geförderten »unkonventionellen Gas« (oder dem Öl aus Teersanden) auch längerfristig ein hoher Preis erzielen lässt. Zudem ist das durch »horizontales Fracking« gewonnene »Liquid Natural Gas« (LNG) fast doppelt so schädlich wie das Pipeline-Gas aus Russland. Denn Fracking-Gas kann nur durch das Aufbrechen von Gestein zugänglich werden und dies erfordert das Einpressen von Wasser, Sand und chemischen Begleitstoffen unter hohem Druck und das nachträgliche Wiederabtrennen, Lagern und Abtransportieren aller Schadstoffe.


Mit Blick auf die fossilen Energieträger lässt sich also festhalten: Es fließt auf beiden Seiten des Atlantiks, im Golf von Mexiko und an Europas Küsten sehr viel Geld, darunter viele Milliarden an staatlichen Subventionen, die in den Bau von neuer Infrastruktur gehen, insbesondere für Terminals und Pipeline-Anbindungen an das bestehende Gasnetz. Voraussehbar ist jedoch, dass viele dieser Terminals bereits bei ihrer Fertigstellung oder kurz darauf als Investmentruinen abgeschrieben werden müssen. Wenn sie jedoch weitergenutzt würden, so geschähe dies vermutlich unter Missachtung eines ökonomischen Kalküls – weil ihre Kapazitäten schlichtweg überdimensioniert wären –, mit Sicherheit aber gegen jede »ökologische Vernunft«. Denn eines darf als gesichert gelten: Wenn in der EU weiter massiv in die Infrastruktur für Flüssiggas investiert wird, verstärken sich institutionelle und technologische Log-in-Effekte, die das fossile kapitalistische Regime zulasten allen Lebens auf der Erde ›lebendig‹ erhalten.

Nüchternes Resümee


Ohne einen regime change bei der Energie- und Rohstoffnutzung durch die reichen Industrieländer kann die ökologische Krise nicht abgeschwächt werden und wird daher in eine planetare Katastrophe münden. Mit dieser werden aber zugleich die modernen kapitalistischen Industriegesellschaften an ihre ökonomischen, sozialen und politischen Kipppunkte getrieben. Die Befolgung des ökologisch, aber ebenso auch sozial Notwendigen würde zweifellos in eine veritable Krise des Kapitalismus münden. Eine solche können sich aber die meisten Menschen noch weitaus weniger vorstellen, als dass die ganze vertraute Welt zugrunde geht. Daher bleiben sie auf Gedeih und Verderb fixiert auf eine Ökonomie, die die Transformation von Stoffen und Energieträgern nur innerhalb der eng definierten Marktmechanismen betreibt.


Aus heutiger Sicht gebietet es eine realistische Weltsicht – die nicht per se als eine pessimistische verunglimpft werden sollte –, dass die kurz- und mittelfristigen Konsequenzen, die das ›Kippen‹ eines nicht-nachhaltigen weltökonomischen und weltökologischen Kapitalismus mit sich bringt, von vielen Menschen geleugnet und mit ungeeigneten Mitteln bekämpft werden. Das wird unabänderlich in schwere Konflikte, Aufstände, Revolten und gewaltsame Auseinandersetzungen münden. Dennoch ist daran festzuhalten, dass immer etwas Neues entstehen kann, selbst wenn niemand heute sagen könnte, wie und was dies sein wird. Wir sollten daher eine Ethik des »Trotz alledem« (Karl Liebknecht) entwickeln und befolgen. Denn: »Die Zukunft ist dunkel, was – im Ganzen gesehen – wohl das Beste ist, was die Zukunft sein kann«, so Virginia Woolfs Tagebucheintrag vom 18. Januar 1915.


Dies ist die gekürzte Fassung eines Beitrags, der im Jahrbuch 2022 der Erich-Fromm-Gesellschaft im November in voller Länge erscheinen wird.

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