Dass der UN-Generalsekretär den neuesten IPCC-Bericht als »Alarmstufe Rot für die Menschheit« bezeichnete, ist eine eindringliche Warnung.
In der vergangenen Woche wurde der neueste Bericht des
Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) veröffentlicht. Die darin präsentierten Ergebnisse sprechen für sich: Hinter uns liegen die fünf wärmsten Jahre der jüngeren Geschichte, der Meeresspiegel könnte um ein Vielfaches dessen ansteigen, was bisher angenommen wurde, Gletscher und Meereis werden weltweit weiter schrumpfen.
All das ist nichts grundlegend Neues. Die Wissenschaft schlägt einen so deutlichen Ton an, weil sie seit Jahrzehnten die gleichen Warnungen ausspricht, aber ernsthafte Maßnahmen gegen die Erderhitzung weiterhin ausgeblieben sind.
Beispielsweise sagte der Ölgigant Exxon den Klimawandel bereits in den 1970er Jahren
voraus, bevor er ihn anschließend jahrzehntelang öffentlich leugnete. Die Klimakrise ist kein Zufallsprodukt des politischen und wirtschaftlichen Systems, in dem wir leben. Denn dieses ist so angelegt, dass es Umweltverschmutzung und Ressourcenraubbau mit hohen Profiten belohnt.
Das ist auch unser historisches Erbe. In Großbritannien wurde zur Zeit des Empire ein Vermögen mit Öl aus Gebieten wie dem Persischen Golf erwirtschaftet. Dort unterstützte Großbritannien in den 1950er Jahren einen antidemokratischen Putsch, um die Gewinne der Anglo-Iranian Oil Company zu sichern. AIOC wurde später zum Konzern BP, der auch heute noch Hunderte von Millionen Tonnen Kohlenstoff in die Atmosphäre pumpt – vom Golf von Mexiko bis zum
Kaspischen Meer. Und ein Großteil des fossilen Geldes der Welt wird von Finanzinstituten in der Londoner City verwaltet, die sich auf die Verwaltung von Gewinnen aus Geschäften mit Erdöl spezialisiert haben.
Weitere Katastrophen werden folgen
Auf der ganzen Welt behaupten die Regierungen zwar, Klimaschutzmaßnahmen ergreifen zu wollen, aber handeln weiterhin im Interesse der fossile Industrie. Boris Johnson hat sogar das Narrativ der
Green Industrial Revolution übernommen, das wir in der Labour Party entwickelt haben. Aber er hat eben nur unsere Worte kopiert, die notwendigen Taten lassen hingegen auf sich warten. Im Juni hat der britische Ausschuss zum Klimawandel dargelegt, dass die Regierung bei ihrem derzeitigen Kurs nicht einmal ihre eigenen, völlig unzureichenden
Klimaschutzziele erreichen wird.
Am 1. Mai 2019 habe ich als Oppositionsführer erwirkt, dass das britische Parlament als erstes Land der Welt
den Klimanotstand erklärte. Ich war und bin der festen Überzeugung, dass die Labour Party und unsere Bewegung die Klima- und Umweltkrise sehr ernst nehmen sollten.
Wenn dieses System unangetastet bleibt, müssen wir mit einer raschen Zunahme von Überschwemmungen, Dürren und Waldbränden rechnen, wie sie im letzten Jahr Australien, Sibirien, British Columbia, Ostafrika, Kalifornien und große Teile Europas heimgesucht haben. Starke Regenfälle haben in diesem Jahrhundert um zwei Fünftel zugenommen. Die stärksten sind um drei Viertel stärker als in den 1950er Jahren, und Jahrhundert-Wirbelstürme sind heute an der Tagesordnung.
Neben den physikalischen Folgen solcher Ereignisse müssen wir uns um ihre politischen Folgen sorgen. In Griechenland haben
Sparmaßnahmen, Deregulierung und der Verfall der Feuerwehren die Auswirkungen der schrecklichen Brände in Euböa noch verschlimmert. In Texas erlaubte der Staat Anfang des Jahres den Energieunternehmen, bei der Notstromversorgung überhöhte Preise zu verlangen, so dass die Menschen sich überschulden mussten.
Regierungen von den USA bis zur Europäischen Union investieren in Überwachungstechnologie und militärische Ausrüstung, um gegen die Menschen vorzugehen, die unter anderem aufgrund von Umweltkatastrophen aus ihren Heimatländern fliehen müssen. Die
Milliarden, die für mehr Grenzschutz und Drohnen im Mittelmeer ausgegeben werden, fließen nicht in einen grünen Wandel, sondern in die Gewinne der Grenz-, Überwachungs- und
Militärindustrie, die eng mit der fossilen Wirtschaft verbunden ist. Das britische Parlament debattiert derzeit sogar über einen
Gesetzesentwurf zum Umgang mit Asylsuchenden, der die Rettung von Geflüchteten auf See illegal machen soll – wodurch Großbritannien in Konflikt mit dem internationalen Seerecht geräte.
Die Militärbudgets auf der ganzen Welt schnellen in die Höhe. Denn im Umgang mit der Klimakrise bereiten sich die mächtigen Länder nicht etwa auf eine stärkere Zusammenarbeit vor, sondern auf militärische Konflikte. Solche Scheinlösungen werden unser aller Leid verschlimmern. Und wie immer werden sie wenige Reiche bevorteilen, während die Vielen ihre Folgen tragen – seien es die Menschen, die in England bei Hochwasser ihre Häuser verlieren, oder andere, die vor der Dürre in Nordafrika fliehen müssen.
Wir können etwas tun
Aber so muss es nicht kommen. Unsere Haltung sollte eher von Hoffnung als von Angst geprägt sein. Die Klimawissenschaft kann uns mit forensischer Genauigkeit sagen, wie sich ein Temperaturanstieg von 1,5, 3 oder 5 Grad auf den Meeresspiegel, die Wasserknappheit oder die Artenvielfalt auswirken wird. Die Wissenschaftlerinnen können aber nicht vorhersagen, wie hoch der Temperaturanstieg ausfallen wird. Denn das ist abhängig von den Entscheidungen, die wir jetzt treffen. Diese liegen, wie der IPCC-Bericht zeigt, immer noch in unserer Hand.
Wenn wir es mit den Mächtigen aufnehmen und die systemischen Anreize beseitigen, den Planeten für schnellen Profit zu verbrennen, können wir echte Veränderungen bewirken. Das bedeutet, Arbeiterinnen überall auf der Welt zum diesjährigen
COP26 für einen globalen Green New Deal zu mobilisieren, der Kohlenstoff aus der Atmosphäre entfernt, Reichtum umverteilt und Ungerechtigkeit im globalen Süden bekämpft. Es gibt keine Stadt auf der Welt, die nicht von umweltfreundlichen öffentlichen Verkehrsmitteln, Wiederaufforstung, lokal erzeugter, erneuerbarer Energie oder von Arbeitsplätzen in zukunftsfähigen Industrien profitieren würde.
Vom Klimawandel über Armut und Ungleichheit bis hin zu unserem gefährlichen
kollektiven Versagen, den ärmeren Ländern genügend Impfstoffe gegen das Coronavirus zur Verfügung zu stellen: Wir erleben die Folgen eines Systems, in welchem Milliardäre zuerst und der Rest von uns zuletzt kommt. Die Klima- und Umweltkrise ist eine Klassenfrage. Es sind die ärmsten Menschen der arbeitenden Klasse, die in den verschmutzten Städten und auf niedrig gelegenen Inseln leben, die als erste und am stärksten unter dieser Krise leiden.
Noch haben wir die Möglichkeit, das zu ändern. Im Jahr 2019 haben Schülerinnen, die für den Klimaschutz demonstrieren, über Nacht die Vorstellungskraft und Aufmerksamkeit von Menschen auf der ganzen Welt geweckt. Wenn sie es können, können wir es auch. Unsere Antwort auf die »Alarmstufe Rot« beim Klima muss darin bestehen, in unseren Gemeinden, in der Politik, in Schulen und Universitäten, an unseren Arbeitsplätzen und mit unseren Gewerkschaften für einen lebenswerten Planeten zu kämpfen - und für ein System, in dem das Leben und das Wohlergehen der Menschen an erster Stelle stehen.
Dieser Text erschien bei Jacobin. Übersetzung von Franziska Heinisch