Show me the way
To the next whiskey bar
Oh, don't ask why
Oh, don't ask why
For if we don't find
The next whiskey bar
I tell you we must die


Die seit 2007 existierende Partei DIE LINKE befindet sich nach allgemeiner und unstrittiger Diagnose in der tiefsten Krise ihrer Existenz. Es geht in den gegenwärtig laufenden Debatten schlicht ums Überleben. Die nackten Krisenfakten sprechen für sich: Die Mitgliedszahlen sinken in allen Landesverbänden. Es werden vielleicht noch gut 50 000 Mitglieder bundesweit sein. Der Aktivitätsgrad und die Parteibindung der Mitglieder sind außerhalb der engsten parlamentarischen und berufspolitisch eingebundenen Kreise fast auf dem Nullpunkt. Bei den demoskopischen Ermittlungen, so unernst, unwissenschaftlich und ideologisch sie sind, fällt die LINKE bundesweit notorisch auf fünf oder weniger Prozentpunkte. In den westlichen Bundesländern – außer in den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg – rutscht die LINKE in Bereiche, die mit einiger Anstrengung und dem materiellen Einsatz, den die LINKE heute noch ermöglicht, auch eine linksradikale, turbosozialistische Kleinkaderpartei ohne opportunistische Anwandlung erreichen könnte, oder auch eine satirische Protest- oder entschlossene Einpunktpartei. 

In den Ostlandesverbänden ist der Schrumpfungsprozess ähnlich, wenn auch von einem deutlich höheren Niveau ausgehend. Allein in Thüringen, wo die Partei die Landesregierung anführt, sind die Wahlumfragen noch im niedrigen 20 Prozent Bereich. Wichtiger ist noch: Die LINKE verliert überall ihre Wähler*innen weitgehend durch Wahlenthaltung. Die Anhänger*innen der LINKEN bleiben schlicht zuhause und jeder konkrete Mensch, der auf sein Wahlrecht verzichtet, fällt auch als Mulitplikator*in und lebende*r Werbeträger*in für die LINKE aus. 

In keiner gesellschaftlichen Debatte – bei den großen Problemen des Kapitalismus wie Krieg, Ausbeutung und soziale Ungerechtigkeit, gesellschaftliche Ungleichheit, Klimazerstörung, Energie- und Gesundheitsversorgung, Wohnen, Rente und Bildung – wie auch in den subtileren und scheinbar kleineren Themen – wie Zukunftsängste der Jugend, Identitätsfragen der Unterdrückten aller Art – ist die LINKE eine Meinungsführerin. Die LINKE wird als langweilig, spießig, uninspirierend und als schlechte Kopie diverser Originale wahrgenommen – und das ist sie wohl auch. Weder in den Gewerkschaften – obwohl (oder sogar, weil) die LINKE zum besseren Ankommen wie die SPD einen „Gewerkschaftsrat“ gegründet hat – noch in anderen sozialen Bewegungen wird sich auf die LINKE, ihre Vorschläge und ihre Aktiven Gruppen bezogen – letztere gibt es so gut wie gar nicht. Selbst die verbohrtesten Staatsanwaltschaften sehen in der LINKEN keine Staatsfeindin, sie kriminalisieren und verfolgen eher die nun wirklich unbedarfte „Letzte Generation“. 

Wichtige Kräfte aus der Gründergeneration der LINKEN – viele aus dem Osten, aber zu viele auch aus dem Westen – wollten mit ihrer Parteigründung „im Kapitalismus ankommen“, anerkannt werden. Dieses Ziel wurde erreicht: fast eine normale Systempartei. Was vor 16 Jahren als hoffnungsspendendes junges Pflänzchen einer „Neuen sozialen Idee“ begann, ist verdorrt. Es bedarf einer großen Anstrengung, die aus einer Mischung aus „back to the roots“, Beseitigung des „Muffs von 16, oder genauer noch viel mehr Jahren“ und programmatisch-strategischen Düngerzugaben bestehen muss, um diese Pflanze, diese „Neue soziale Idee“ wieder zum Wachsen zu bringen. Wie konnte es soweit kommen? 

Ich habe zu den Ursachen dieser Entwicklung in zahlreichen Beitragen meine Sichtweise dargelegt. Hier in aller Kürze eine Zusammenfassung der vier wichtigsten Faktoren: 


1. Die LINKE hat in allen großen gesellschaftlichen Herausforderungen seit 2007 nicht die politisch erforderliche klare und radikale Antwort geben können, die von einer sozialistischen Partei mit Parlamentsverankerung erwartet werden kann und erwartet wurde.[1] Die LINKE, so das Fazit, „kann nicht Krise“. Das betrifft die Konsequenzen aus der tiefen Finanzkrise des Weltkapitalismus gleich nach der Gründung der LINKEN in 2007; die regelmäßigen „Highlights“ der Klimakrise über das Fukushima-Atomreaktor-Unglück, die Extremwetterlagen und das Aufkommen einer neuen, radikalen Jugendumweltbewegung weltweit; die tiefe Krise des Euro und folgend der EU und ihrer Strukturen und Ausrichtung mit der Griechenlandkrise 2011 als vorläufigen Höhepunkt; die weltweiten Unruhen, Aufbrüche und Weltneuordnungskriege nach dem arabischen Frühling 2011; der massenhafte Zustrom von Geflüchteten nach Europa und speziell Deutschland mit einem ersten Höhepunkt 2015; die Gesundheitskrise in Folge der Corona-Pandemie ab 2019; schließlich der barbarische imperialistische Invasionskrieg Russlands in die Ukraine und die folgende Zäsur in Weltkriegspolitik, Aufrüstung und Kriegsvorbereitung. 


2. In ihrem sechzehnjährigen Leben hat die LINKE eine gravierende soziale und strukturelle Veränderung erfahren. Ein wachsender Teil der Mitgliedschaft gerät in eine materielle Abhängigkeit von der Partei. Beschäftigungsverhältnisse bei Partei und Rosa-Luxemburg-Stiftung, Mandatsträger:innen auf allen Ebenen des Parlamentarismus, deren Beschäftigte und die Beschäftigten der Parlamentsfraktionen – sie bilden ein gleichermaßen einflussreiches und aktives, wie auch ein immer wieder strukturkonservatives Element. Die in zahlreichen Studien über den Niedergang linker Parteien analysierte „Dialektik der partiellen Errungenschaften“ trifft auch voll auf die LINKE zu. Je mehr die Aktivitäten außerhalb dieses berufspolitisch eingebundenen Sektors der Mitgliedschaft, der einfachen Aktiven, abnehmen, desto mehr wächst das Gewicht dieser Schicht von Funktionär*innen relativ, selbst dann, wenn ausbleibende Wahlerfolge und Mitgliederverluste die absolute Zahl mindern. Krisenverschärfend kommt hinzu, dass sich die überwältigende Mehrheit der LINKEN beharrlich weigert, diese materiellen Veränderungen in Struktur und Interessen der LINKEN-Mitgliedschaft zur Kenntnis zu nehmen: Die Krise „des subjektiven Faktors“ wird kaum analysiert und ihr wird nur unzureichend begegnet. 


3. Die LINKE möchte gerne mitgestalten. Das ist nicht per se etwas Verwerfliches. Aus der Erbmasse der gescheiterten PDS wurde das legendäre „strategische Dreieck“ übernommen: „Für sozialistische Politik nach unserem Verständnis bilden Widerstand und Protest, der Anspruch auf Mit- und Umgestaltung sowie über den Kapitalismus hinausweisende Alternativen ein unauflösbares strategisches Dreieck.“ Dieses Dreieck wurde und wird in der LINKEN aber zu keinem Zeitpunkt als dialektische, sich gegenseitig beeinflussende Einheit aufgefasst, sondern nur als schnöde Addition unterschiedlicher Aktivitäten, nach dem Motto: „Die machen das, die anderen etwas anderes“. So bleibt es nicht lange bei einem abstrakten Nebeneinander, sondern das Gewicht des „Mitgestaltens“ nimmt immer mehr zu, erdrückt die beiden anderen Ansätze. Strukturell bedeutet dies eine Entwicklung, die auch aus der Geschichte vieler linker Parteien bekannt ist. Es entstehen zwei Kraftfelder in der Partei, die immer mehr miteinander ringen: Die Parteigremien, Mitgliedschaft, Parteitage und Vorstände auf der einen, die Parlamentsfraktionen und Regierungsbeteiligte auf der anderen. Der politische Rhythmus der Arbeit von Berufspolitiker*innen im Parlament oder gar einer Regierung ist radikal anders als der von überwiegend ehrenamtlicher Tätigkeit von Parteistrukturen. Wenn nicht stark reglementierend eingegriffen wird, dann überwiegt in kürzester Zeit das Gewicht der parlamentarischen Strukturen die der Partei. Und diese wiederum werden von dem Geflecht aus tagespolitischem Druck, Zwang zur Loyalität und Domestizierung durch Koalitionsverträge, das im Zuge von Regierungsbeteiligungen entsteht, in die Dauermangel genommen. Das wird noch verstärkt – wenn nicht auch hier regelnd eingegriffen wird – wenn die Mandatsträger*innen, deren Beschäftigte und Regierungsbeschäftigte in Doppelfunktion die Parteiämter selbst besetzen. 

Die LINKE hat in all den Jahren keinen Umgang mit diesem Problem gefunden oder vorgeschlagene Maßnahmen wurden zurückgedrängt. So bleibt das schon häufig zitierte Ergebnis: Die LINKE ist eine Partei, in der die Mitglieder gar nichts, die Vorstände wenig und die Fraktionen alles zu sagen haben.


4. Die Gründung der LINKEN im Jahr 2007 konnte nur mit einer besonderen Konstruktionsmethode funktionieren. Es wurden auf dem historischen Trümmerhaufen der Staatspartei SED, die ihren Staat verloren hatte, und auf dem nicht minder historischen Niedergang der Hartz-IV-SPD, die die Hälfte ihrer Mitglieder und Wähler*innen und so gut wie alles an politischem Vertrauen als Reformpartei eingebüßt hatte sowie mit Resten der nicht GRÜN gewordenen Westlinken sehr unterschiedliche strategische und programmatische Positionen miteinander vereinigt. Das konnte nur in dieser konkreten historischen Situation gelingen. Wichtige inhaltliche Streitpunkte wurden ausdrücklich ausgeklammert und auf eine spätere Einigung vertagt. Es entstand das, was in der inner-LINKEN Debatte gern positiv gewendet und etwas nebulös „plurale Partei“ bezeichnet wird. 

Eine solche „Mehrfachpartei in einer“ kann nur zeitlich begrenzt funktionieren. Das war allen Beteiligten klar und zum Teil wurden ja auch Regeln vereinbart, wie und wann bestimmte Differenzen ausgetragen und aufgehoben werden konnten. Was allerdings nicht ausreichend vereinbart wurde, waren Diskursmechanismen, die eine solche plurale Partei notwendigerweise benötigt. Die alten Vorstellungen von SPD, PDS und sehr ähnliche politische Kulturen aus den DGB-Gewerkschaften hatten nur eine überwiegend vertikal funktionierende Partei im Blick. Von oben wird etwas vorgegeben und unten, an der Parteibasis, wird daran mit einzelnen kleinen Änderungsanträgen gearbeitet und nach oben zurückgegeben. Politische Strömungen, die sich auch horizontal über die Grundeinheiten hinweg organisieren, wurden zwar erlaubt, aber ihre Rechte leider nicht konsequent zu Ende gedacht und in die Parteiverfassung integriert, insbesondere bei parteiinternen Wahlen. So hat die Partei nie gelernt, mit inhaltlichen Widersprüchen konstruktiv umzugehen. 

Spätestens in dem Moment, wo die politischen Verhältnisse außerhalb der Partei eine klare Positionierung der Partei erfordern, wird diese Unfähigkeit, mit Widersprüchen umzugehen, zu einer Lähmung der Praxis der Partei oder – schlimmer noch – zu einem intriganten Kampf der Meinungslager gegen die jeweils anderen führen, mit allen inner- und außerparteilichen Tricksereien. Spätestens die massive, alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringende Klimakrise, das 2015 eskalierende Problem des Umgangs mit Geflüchteten (was sich 2023/24 sicher noch einmal wiederholen wird) und die existenzielle Krise von Euro und EU führten auf diese Weise zu einer handlungsunfähigen und zerstrittenen LINKEN. Noch einmal verstärkt wurde der massive Handlungsdruck auf die LINKE durch den neuen Weltordnungskrieg in der Ukraine. 

Jetzt wird überall über den Streit und die Zerstrittenheit gejammert. Aber es ist nicht der Streit, der zerstörerisch wirkt. Es ist die Beliebigkeit, die sich eine auf Veränderung, Eingreifen in gesellschaftliche Verhältnisse und Sozialismus orientierte und orientierende Partei nicht leisten kann, wenn die Zustände nach politischer Praxis verlangen. 


Diese vier Ursachenkomplexe für den Niedergang der LINKEN wirken gemeinsam und verstärken sich gegenseitig. 

Vorschläge für einen Weg aus der Krise 

Jetzt tobt die große Krisendebatte. Alle Wortführer*innen der LINKEN fühlen sich berufen, mit mehr oder weniger langen Papieren die Krise zu besprechen. Dazu kommen einzelne neue Zusammenschlüsse, die schon einmal proben, wie es ohne die jeweils anderen Flügel gehen kann: Progressive Linke, Populäre Linke, „Was-Tun-Forum“, der engere Wagenknecht-Fanclub und andere. Eine Reihe der Beiträge stammt von Leuten, die bereits individuell aus der LINKEN ausgetreten sind. Sie vermischen Krisenanalyse mit teilweise grotesker Trauerarbeit über ihren Verlust der Partei. Ein weiterer Teil der kritischen und gleichzeitig Rat gebenden Beiträge kommt von Leuten, die nie in der LINKEN waren, aber umso intensiver Seelenmassage betreiben wollen, oder die unverhohlen ihrer Freude Ausdruck geben, dass diese LINKE ja sowieso nicht funktionieren konnte. Daneben gibt es natürlich auch ernsthafte Beiträge. Diese bunte Palette teilweise untereinander heftig polemisierender Beiträge (besser: was in diesen Kreisen so als „Polemik“ verstanden wird) hat eine verblüffende Gemeinsamkeit: Sie betreiben alle eine Krisenanalyse, die vom Ende her, oder in anderer Perspektive, vom Neubeginn in jeweils gewünschten neuen und alternativen linken Projekten bestimmt wird. 

Am kuriosesten ist dies sicherlich bei Sahra Wagenknecht und ihrem Umfeld ausgeprägt. Sie schreibt ein dickes, selbst genanntes „Gegenprogramm“, stellt die Arbeit in der real existierenden LINKEN ein und hofft mit großer Unterstützung der – in der Regel nicht LINKEN-freundlichen – Medien, dass sich alle irgendwie und irgendwann diesem Gegenprogramm zuwenden. Zu dem Inhalt dieses „Gegenprogramms“ habe ich an anderer Stelle genügend gesagt. Hier die Zusammenfassung: Es ist ein sozialdemokratisches (genauer: 1950er-Jahre SPD), sich selbst „linkskonservativ“ nennendes Programm, das weit weg von den realen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, den Prozessen zur Herausbildung eines neuen, radikalen Bewusstseins der Arbeiter*innenklasse ist, Ressentiments bedient und das mehr Ausstrahlung zu „normal-konservativen“ Menschen hat als zu linken. 

Aber auch so gut wie alle anderen Stellungnahmen – von der Bewegungslinken (Thomas Goes u.a.), der Progressiven Linken (Horst Kahrs u.a.), von der Sozialistischen Linken und WasTun-Forum (Andreas Grünwald, Ralf Krämer u.a.), den unverwüstlichen Stamokap-Linken um die Zeitschrift „Sozialismus“, aber auch – zu meinem Bedauern aus den Reihen der Antikapitalistischen Linken (Edith Bartelmus-Scholich u.a.) gehen in ihren Analysen mehr oder weniger davon aus, die LINKE könne nur als Formation überleben oder einen Neubeginn schaffen, wenn sie sich zuvor von bestimmten Kräften „befreit“ hat. Die Spaltung nicht als Ergebnis, sondern als Voraussetzung der Krisenlösung – das eint all diese kritischen Stimmen und natürlich noch mehr die diversen Kommentare und Einschätzungen von Autor*innen, die noch nie in der LINKEN waren und trotzdem von guten Ratschlägen überquellen. Mit seinem neuesten Beitrag hat Mario Candeias das freundlich klingende Fachwort für diese unfreundliche und falsche Taktik beigesteuert: „Disruptive Neugründung“. 

Disruptive Neugründung oder Mitgliedermobilisierung?

Die praktische Umsetzung dieser Taktik wird von den verschiedenen Teilen und mit jeweils unterschiedlichen Disruptionsopfern schon praktiziert. Aber mehr als sich gegenseitig das Leben schwer machen ist bisher nicht herausgekommen. Kein Gremium, keine Einzelperson, keine Strömung in der LINKEN hat heute die Autorität, die jeweilige Position administrativ durchzusetzen. Das gilt für die verheerende Initiative „Aufstehen“ von 2017, für das konspirativ-bürokratische Durchsetzen von Sahra Wagenknecht als Nr. 1 Kandidatin in NRW 2021, für die ultimative Aufforderung an Wagenknecht durch den Parteivorstand, ihr Mandat aufzugeben, für die aktuelle undemokratische Nominierung der Spitzenkandidierenden für die Europawahl 2024 sowie für die diversen Projekte, alternative Parteien in Form von Foren, Zusammenschlüssen, Krisenkonferenzen usw. schon parallel vorweg zu nehmen. Es bedarf nicht viel Kunst der Prophetie, um vorherzusagen, dass alle diese Versuche scheitern und die gesamte Linke und die LINKE in Deutschland massiv zurückwerfen, wenn nicht ganz erledigen werden.

Im Mittelpunkt einer Krisenbewältigung, die etwas erfolgversprechender sein kann, muss die Mobilisierung der breiten Mehrheit der real existierenden Mitglieder der LINKEN stehen, nicht virtuelle Mitglieder, die „gewonnen“, „zurückgeholt“ oder was auch immer werden, nicht die Wähler*innen, schon gar nicht die „Medien“, sondern die wirklichen Mitglieder. Das, was die LINKE bei ihrer Gründung schlicht vernachlässigt hat, die Erfassung der Mitgliedschaft in stabilen, bleibenden und nicht nur Wahlkampf betreibenden Strukturen und ihre demokratische Kommunikation, muss heute umso stärker und dringender nachgeholt werden. Das erfordert mindestens zweierlei: 

Erstens eine breite Debatte darüber, wie es weiter gehen soll – nicht in Talkshows und Presseinterviews, nicht in akademischen oder publizistischen Kreisen, nicht nur unter den Funktionär*innen, sondern in allen Kreisverbänden, Arbeitsgemeinschaften und Gremien. Dabei muss Richtschnur das sein, was etliche LINKE-Mitglieder in diversen Organizing-Seminaren schon mal gelernt haben: Die Beteiligung möglichst aller, auf jeden Fall einer breiten Mehrheit, ist unerlässliche Voraussetzung. Der jetzt diskutierte „Parteikonvent“ könnte bei richtiger, basisorientierter Durchführung ein Mittel dafür sein. 

Zweitens eine viel stärkere Orientierung auf Politik in der ersten Person. Es sind die konkreten Bedürfnisse und Forderungen der Mitglieder, die zu Leitlinien werden müssen. Darin muss bewiesen werden, ob die LINKE noch eine linke Partei ist oder nur noch Beutegemeinschaft und Selbstbedienungsladen von Funktionär*innen, oder gar eine Interessensvertretung von gesellschaftlichen Schichten ist, die zu den Gewinner*innen und nicht zu den Opfern der kapitalistischen Realpolitik zählen. Diese Politik in der ersten Person muss das Maß an Radikalität und inhaltlicher Rücksichtslosigkeit entfalten, das die Mitglieder wollen. 

Das bedeutet im Klartext: Die LINKE muss zu einer Spaß machenden Identitätspolitik als Partei der Sozialistinnen und Sozialisten finden. Endlich mit sich selbst beschäftigen, aber richtig – das sollte die Richtschnur der nächsten Zeit sein. Nicht disruptiv, sondern aufrüttelnd und mobilisierend. 

Eine „plurale Partei“ ist weiterhin möglich, sogar erforderlich 

Die Partei, die aus einem solchen Neuaufbruch entsteht, kann und wird wieder eine „plurale Partei“ sein. Dabei ist wahrscheinlich, dass nicht alle heutigen Kräfte in der LINKEN weiterhin mitmachen werden. Aber die Trennung voneinander darf nicht als bürokratischer Akt von oben, möglicherweise noch mit Hilfe der Schiedskommissionen, sondern als freier Willen aller daran Beteiligten erfolgen.

Der Aufbau einer linken Massenpartei, das ist das Schicksal all der Spätgeborenen, muss sich heute gleichermaßen mit einem überzeugenden Programm, einer begeisterungsfähigen „neuen sozialen Idee“, organisieren, wie glaubwürdig Bilanzen und Lehren all der vielen linken Fehler der Vergangenheit ziehen. Nicht ideologische Reinheit und Lehrbuchtreue schaffen heute eine neue linke Partei (das wird nur in Glaubensgemeinschaften und Sekten enden) und auch nicht Kopien irgendeiner der in der Geschichte mindestens einmal gescheiterten strategischen Parteiversuche. Pluralität der Meinungen und Strategien ist aber nicht grenzen- und zeitlos. Das ist die zentrale Erfahrung der LINKEN in den sechzehn Jahren ihres Lebens. 

Es gibt regelmäßig gesellschaftliche Entwicklungen, die zum raschen Handeln und zur programmatischen Festlegung zwingen. Wir haben die großen Themen aus den letzten Jahren gesehen: Die Bedeutung des Jahrtausendthemas Klimazerstörung; Charakter und Zukunft der Europäischen Union als das zentrale Projekt der herrschenden Klasse Europas; die wachsende Bedeutung der Migration auf alle Gesellschaften auf der Welt; die permanente Kriegsgefahr als Teil der kapitalistischen Produktionsverhältnisse. Mindestens in diesen Fragen muss eine linke Partei heute klare, handlungsfähige und glaubwürdige Antworten präsentieren. Falsche Antworten auf diese Fragen werden in der Realität gnadenlos und schnell bestraft. 

Damit eine linke Partei nicht jedes Mal zerstört oder in ihrer Existenz gefährdet wird, muss sie andere, demokratische Diskursmechanismen und Organisationsstrukturen entwickeln als es die LINKE seit ihrer Gründung gemacht hat. Im Gegensatz zum heute beliebten Gestöhne, die „Strömungen“ seien schlecht und würden alles kaputt machen, ist das Gegenteil richtig: Die LINKE benötigt heute mehr und nicht weniger „horizontale Debatte“ neben den bekannten „vertikalen Entscheidungsprozessen“. Die LINKE muss lernen, wie es die meisten anderen gesellschaftlich-politischen Organismen schon lange praktizieren, in Alternativen zu denken. 

Statt der hanebüchenen Schlachten um Halbsätze, um politische Beschlüsse irgendwie zu verbessern, die aber nur in faulen Kompromissen, begrifflicher und sprachlicher Unschärfe und grausamen Stilblüten enden, sollte entlang ausgearbeiteter politischer Alternativen diskutiert und abgestimmt werden. Das muss zwangsläufig mit gleichen Rechten für alle an der Diskussion Beteiligten, in der Debatte und bei der Präsentation auf Kongressen, und mit einer verbindlichen Abstimmung verbunden sein. Mehrheiten und Minderheiten sind in einer linken Partei kein Makel, sondern Normalzustand. Harmonie und Einmütigkeit sind die Ausnahme. 

Minderheiten müssen in einer solchen Situation vorab gesicherte Rechte haben, beim öffentlichen Vertreten ihrer Minderheitsmeinung, bei der Repräsentation in Leitungsorganen und Delegiertenwahlen. 

Parlamentarisches Spielbein und außerparlamentarisches Standbein 

Erinnert sich noch wer an dieses schöne Ziel der Grünen in den ersten Jahren ihrer Existenz? Daran sollte heute auch die LINKE arbeiten und wenn es ein Gebiet gibt, wo sie „grüner als die Grünen“ sein muss, dann hier. Es gibt für die großen Krisen des Kapitalismus keine parlamentarische Lösung. Im Parlament wird nur das verhandelt und modifiziert, was in wirklich entscheidenden gesellschaftlichen Arenen, im Klassenkampf, in der Mobilisierung der Millionen gegen die Millionäre ausgefochten wird. Je mehr die LINKE ihre echte Verankerung in der Gesellschaft verliert und zu einem rein parlamentarischen Club wird, desto manipulierbarer ist sie durch mediale, repressive, politische Angriffe der gesellschaftlichen Gegenseite, desto mehr gehen die großen politischen Zielsetzungen flöten. 

Die wesentlichen Instrumente, die sich eine linke Partei schaffen muss, um nicht restlos in dem parlamentarischen Sumpf zu versinken, sind oft genug genannt worden: 

  • Befristung der Mandate auf allen parlamentarischen Ebenen auf maximal zwei Wahlperioden;
  • Trennung von parlamentarischen und Regierungsämtern – einschließlich der hauptberuflichen Mitarbeiter*innen bei diesen Ämtern – und Parteiämtern; 
  • Strenge Begrenzung von Ämterhäufungen; 
  • Transparenz und Begrenzung aller materiellen Privilegien und bezahlten politischen Tätigkeiten; 
  • Egalitäre Strukturen in den Fraktionen und im Funktionärskörper der Partei, ohne den Firlefanz von Hierarchien, Vorsitzenden und all dem Machtgetue, was die anderen Parteien und die Geschäftsordnungen uns angeblich vormachen und vorschreiben; 
  • Rechenschaftspflicht aller Amtsträger*innen gegenüber der Partei und Sicherstellung des Primats der Partei bei der Politikumsetzung;
  • Ausführliche Bilanz über jede Art der Regierungsbeteiligung in der gesamten Partei und vor dem Eintritt in neue solche Projekte. 


Was auf der einen Seite zu viel ist, ist auf der anderen Seite viel zu wenig. Die Partei muss sich als Hauptstrang ihrer Aktivität in der realen Gesellschaft verankern. Eine Partei, die zu 80-90 Prozent aus „Karteileichen“ besteht, ist zwangsläufig undemokratisch, manipulierbar und handlungsunfähig. Es gibt keine Abkürzung bei der gesellschaftlichen Umwälzung der Verhältnisse ohne die Verankerung in Betrieben, im Stadtteil, an Schulen und Universitäten und mit solidarisch arbeitenden Strukturen in den Gewerkschaften und allen anderen sozialen Bewegungen. 

Viel Strukturreform, wo bleiben die Inhalte? 

Die LINKE könnte mit ihren Gründungsdokumenten, den zahlreichen Wahlprogrammen und Kampagnen-Flyern heute sehr gute, die Menschen in die richtige, antikapitalistische Richtung mobilisierende Politik machen. Eine grundlegend neue programmatische Aufstellung der Partei, wie es von einigen Seiten gefordert wird, ist unnötig. Ich habe oben die programmatischen Punkte erwähnt, wo eine Schärfung der Position wichtig wäre, um handlungsfähig und glaubwürdig zu bleiben. Mehr wäre nicht erforderlich, der Rest ist ernsthafte Umsetzung in einer aktivistischen Partei. Ohne eine solche Partei sind alle diese programmatischen Grundlagen nutzlos. 

Was die LINKE allerdings benötigt und woran die kommenden Parteivorstände arbeiten sollten, ist ein übersichtliches, aber alle wichtigen Themen aufgreifendes sozialistisches Aktionsprogramm. Das ist ausdrücklich kein Wahlprogramm, sondern ein Programm aus der und für die Mitgliedschaft, wo jedes Mitglied, jeder Kreisverband und jede Arbeitsgemeinschaft Handlungslinien findet, mit denen aufgeklärt, mobilisiert und neue Mitglieder gewonnen werden können. Es ist nicht schwer vorauszusagen, dass in einem solchen Aktionsprogramm die antimilitaristische und Antikriegsarbeit, der Kampf um weltweite Klimagerechtigkeit, eine sozialistisch-internationalistische Arbeit mit und für die Geflüchteten, die sozialistisch-antikapitalistische Haltung zur EU sowie die tägliche Rebellion gegen die kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung im Mittelpunkt stehen werden. Das wäre es. 

Ach ja, wenn alles andere erledigt ist, sollte sich die LINKE auch von diesem anmaßenden Namen trennen. Sozialistische Partei ist doch viel bescheidener, schöner, umfänglicher, politischer.


… For if we don't find  – The next whisky bar – I tell you we must die.