Vor eineinhalb Jahren haben Sie uns gesagt, dass sowohl die ICV-EUiA (das katalanische Pendant der spanischen Izquierda Unida) als auch die CUP[1] Ihnen eine Kandidatur bei den Regionalwahlen angeboten hatten, aber dass Sie das Angebot nur annehmen wollten, wenn es sich um ein offenes Projekt handelt. Was hat sich seitdem geändert? Immer wenn man mir sagt, dass ich keine Politik mache, antworte ich, dass ich Politik mache. Denn Politik besteht letztlich darin, was heute außerhalb der Parteien geschieht: sich kollektiv organisieren und Lebensbedingungen im Sinne der Mehrheit verbessern. Zwangsräumungen stoppen, die Banken zur Verhandlung von Schulden zwingen, das öffentliche Gesundheitssystem verteidigen … Das ist Politik. Institutionelle Politik ist etwas Anderes. Ich habe immer gesagt, dass ich nicht für eine bestimmte Partei antreten will. Das habe ich vor eineinhalb Jahren gesagt, und das gilt auch jetzt. Eine parteipolitische Festlegung schließe ich aus, weil sie nichts zu der Veränderung beiträgt, die wir benötigen. Wie sähe diese Veränderung denn aus? Ich beobachte, dass die Menschen nichts mehr delegieren wollen. Jene Politik, die darin besteht, dass wir alle vier Jahre unsere Stimme an Repräsentanten abgeben, ist am Ende. Die Menschen wollen direkt beteiligt sein. Wir brauchen offene und kollektive Prozesse, die die Schranken der Repräsentation durchbrechen und andere, über die Wahlen hinausgehende Formen der Demokratie in Gang setzen. Guanyem Barcelona ist, wie viele andere, ein Versuch in diese Richtung. Wir sind nicht so arrogant zu glauben, dass wir die ersten oder besten sind. Warum engagieren Sie sich in der Lokalpolitik? Wenn wir die Demokratie erneuern wollen, wenn wir mehr und eine bessere Demokratie wollen, dann müssen wir auf dem Territorium beginnen, das uns am nächsten ist, wo wir uns täglich begegnen und uns kennen, und von diesem Raum aus versuchen, in die Institutionen einzubrechen. Aber das Projekt von Guanyem Barcelona – und darin unterscheidet es sich auch von einer politischen Partei – besteht nicht darin, dass wir einen Platz in den Institutionen erobern, sondern diese grundlegend verändern wollen. In diesen eineinhalb Jahren ist die Candidatura d'Unitat Popular ins katalanische Regionalparlament gewählt worden. War diese Liste mit ihren drei Abgeordneten eine wichtige Erfahrung? Es war sehr positiv, dass die CUP ins Parlament gekommen ist und damit den Wunsch, dass Politik grundlegend anders sein und die Dinge beim Namen genannt werden sollten, sichtbar gemacht hat. Aber das Projekt von Guanyem unterscheidet sich davon. Guanyem Barcelona geht von einer anderen Überlegung aus. Auch unsere Initiative beruht auf der Idee, dass Leute, die normalerweise außer- oder antiinstitutionell aktiv sind, die in Basisgewerkschaften, Nachbarschaftsorganisationen oder gesellschaftlichen Organisationen arbeiten, in die Institutionen gehen. Aber der Unterschied besteht darin, dass wir das mit der Absicht zu gewinnen machen. Wir streben keinen Sitz im Gemeinderat an, um da für ein bisschen Farbe zu sorgen. Wir wollen gewinnen, um die Dinge zu verändern und zu beweisen, dass Politik grundsätzlich anders sein kann. Ihr schlagt eine Plattform mit gemeinsamen Minimalzielen vor. Aber bei der Verwaltung einer Stadt gibt es Probleme, die über diese Minimalziele hinausgehen. Wir sagen, dass Minimalziele die Grundlage für eine gemeinsame Initiative sein sollten. Sicherlich gibt es später auch Verwaltungsfragen zu lösen, aber glücklicherweise gibt es in Barcelona eine sehr gut organisierte, über viele Fähigkeiten verfügende Zivilgesellschaft. Nehmen wir das Beispiel des Sozialen Zentrums Can Vies[2], das vor Kurzem von der Stadtverwaltung geräumt wurde. Wenn Sie die Wahlen gewinnt, wie würden Sie sich in diesem Konflikt verhalten? Can Vies ist nur wegen der Stadtregierung zu einem Problem geworden. Vorher war es das nicht.  Aus einer Bürgerperspektive, wie wir sie verteidigen, würde Can Vies als Aktivposten der Stadt gesehen werden. Ein Projekt, das die Gemeinschaft in der Nachbarschaft gestärkt, kulturelle Aktionen organisiert, die Solidarität fördert – all das, was eine demokratische Stadt braucht. Und das wurde mit Repression, Räumungstitel, Gewalt, Abriss zerstört. Man merkt, dass Bürgermeister Xavier Trias (von der liberalkonservativen CiU[3], Anm.d.Übs) das Terrain, die Viertel nicht kennt. Denn würde er sie kennen, hätte er gewusst, dass das die schlechteste Entscheidung war, die man im Fall Can Vies treffen konnte. Wenn der Bezirk Sants seine Angelegenheiten selbst hätte regeln können, wäre Can Vies nie zu einem Problem geworden. Im Gegenteil man hätte das Potenzial zu nutzen versucht. Aber es gab auch unzufriedene Anwohner. Etwa hundert von ihnen haben eine Vollversammlung gegen das Zentrum organisiert. Aber nur vor dem Hintergrund, dass die Stadtverwaltung eine bestimmte Debatte forciert und linientreue Medien diese aufgebauscht hatten. Ja, es gab diese Vollversammlung, aber es gab auch eine Demonstration mit Tausenden von Menschen, die das Gegenteil vertraten. Auf jeden Fall handelt es sich um ein Thema, das von einer Stadtregierung gelöst werden muss. Und da sind wir wieder bei Guanyem. Richtig. Dass unsere Initiative eine Mehrheit hinter sich hat, ist eine Intuition, aber wir können uns dessen natürlich nicht sicher sein. Genau deswegen geht der Vorschlag von Guanyem Barcelona von der Hypothese aus, dass wir das Projekt bestätigen lassen müssen. In unserem Umfeld merken wir, dass die Leute die Unterschiede zwischen uns für wichtig und für ein Potenzial halten. Aber diese Unterschiede dürfen kein Anlass sein, um uns zu fragmentieren. Wir müssen zusammenkommen, ohne die Unterschiede einfach zuzuschütten, uns auf Prioritäten verständigen und Dinge verändern. Denn das Leben der Menschen steht auf dem Spiel. Wir machen das nicht aus Spaß oder zum Zeitvertreib, sondern aus Notwendigkeit. Wir haben uns vorgenommen, bis September mindestens 30 000 Unterschriften zu sammeln und dann den nächsten Schritt zu machen. Wir werden nicht so überheblich sein, einem feststehenden Prozedere zu folgen. Das wäre typisch für ein traditionelles Politikverständnis. Diejenigen, die die Initiative angestoßen haben, arbeiten seit vielen Jahren in verschiedenen Bereichen zu stadtpolitischen Fragen. Ist die Situation heute schlechter als vor drei Jahren? Warum macht ihr diesen Schritt jetzt? Es stimmt, dass sich nichts Grundlegendes verändert hat. Die Krise hat sich verschärft, die Lebensbedingungen haben sich weiter verschlechtert. Die Ungleichheit wächst, auch die zwischen den Stadtteilen Barcelonas. Es gibt auch keine großen Veränderungen zwischen der Politik unter Bürgermeister Xavier Trias und der Linie seiner Vorgänger. Die Kommerzialisierung der Stadt hat unter den Bürgermeistern der Sozialistischen Partei angefangen. Wir kämpfen gegen dieses Modell, aber wir haben den Eindruck, dass uns die Stadt aus den Händen gleitet. Barcelona hat viele gute Seiten, wir mögen diese Stadt, und das Beste an ihr ist das, was in den Vierteln entstanden ist. Das, was soziale und organisierte Netzwerke aufgebaut haben, sind große Errungenschaften. Aber da ist auf der anderen Seite die Kommerzialisierung der Stadt und die Privatisierung öffentlicher Räume. Dabei handelt es sich nicht um ein lokales, sondern um ein globales Phänomen. Die Stadt wird zu einem international vermarkteten Label. Worin zeigt sich dieser Ausverkauf? Die Gegend um die Avenida Paral·lel soll gegen den Willen der AnwohnerInnen in einen Themenpark für Kreuzfahrttouristen verwandelt werden, die an den Drassanes-Werften anlegen. Der Hafen von Barcelona wird privatisiert, um ihn zu einem Luxusareal für die mit ihren Yachten anlegenden Mafiosi zu machen. Auf diese Weise geht die Stadt zusehends verloren. Ist der Tourismus ein Problem? Wir sind nicht gegen Tourismus, sondern gegen die Tourismusindustrie, bei der große Hotelketten und multinationale Konzerne ihre Gewinne mit prekären Arbeitsbedingungen erwirtschaften und die Anwohnerinnen und Anwohner indirekt verdrängt werden. Der Massentourismus und dieses Schaufenster-Barcelona ziehen einen Anstieg der Mieten und Lebenshaltungskosten nach sich. Am Anfang hat die Verdrängung nur Ciutat Vella betroffen, aber mittlerweile ist sie auch in Paral·lel, Sants und anderen Vierteln zu spüren. Und ich glaube, dass immer mehr Menschen den Eindruck haben, die Stadt weggenommen zu bekommen und – wenn wir uns nicht wehren – ganz verlieren zu können. Guanyem Barcelona richtet sich gegen dieses Modell. Eine Frage, auf die Sie mit Ja oder Nein antworten können: Wird Ada Colau als Bürgermeisterkandidatin von Guanyem antreten? Das hängt davon ... [lacht]. Wovon? Zunächst einmal davon, ob wir die Unterstützung von 30 000 Leuten mit ihren Unterschriften bekommen und es positive Reaktionen gibt. Der nächste Schritt wäre dann, dass sich genug Gruppen an der Initiative beteiligen. Erst dann wird Guanyem Barcelona mit all denjenigen, die sich zu diesem Zeitpunkt beteiligen – und das müssen viel mehr sein als heute –, entscheiden, wie die Kandidaten ausgewählt werden sollen. Und in diesem Fall wären Sie bereit anzutreten? Ich habe keine politischen Ambitionen und habe das auch mehrfach unter Beweis gestellt. Ich hätte einfacher eine politische Karriere machen und Abgeordnete werden können. Es geht also wirklich nicht um mich. Aber wenn ich als Gesicht oder Konsensfigur dazu beitragen kann, dass ein lohnenswertes Projekt wie Guanyem Barcelona Erfolg hat, dann bin ich bereit, eine mögliche Kandidatin zu sein. Sie haben Ihre Kandidatur davon abhängig gemacht, dass verschiedene Gruppen zusammenkommen. Angenommen eine oder mehrere politische Organisationen entscheiden sich, nicht mitzumachen – würde Guanyem dann allein antreten? Guanyem Barcelona hängt nicht davon ab, was eine bestimmte Partei beschließt. Die Initiative ist breiter angelegt. Sie richtet sich zunächst an die nicht-organisierte gesellschaftliche Mehrheit, an jene Leute, die weder in Bewegungen noch in Parteien aktiv sind. Danach will sie die organisierten Viertel, die Bewegungen und schließlich auch die politischen Organisationen ansprechen, wie ICV[4] (Iniciativa per Catalunya – Verds; früher katalanische Schwesterorganisation von Izquierda Unida), EUiA (Esquerra Unida i Alternativa; heutige Schwesterorganisation von Izquierda Unida), die CUP oder Procés Constituent (»konstituierender Prozess«, politische Bewegung für einen Bruch mit der postfrankistischen Verfassung; alles Anm.d.Übs.). Es ist sogar mit einigen Personen aus dem Umfeld von ERC (Esquerra Republicana Catalana, katalanistische Sozialdemokratie) gesprochen worden, weil sie – zumindest, was die Prinzipien angeht – eine Beteiligung nicht einfach ausschließen können. Wir wissen zwar, dass die ERC im Moment der liberalkonservativen CiU viel näher steht. Doch wir schließen niemanden aus – abgesehen von den Parteien des Regimes. Bei den Europawahlen gab es getrennte Kandidaturen, die alle mehr oder weniger gut abgeschnitten haben. Es scheint sogar so zu sein, dass man getrennt erfolgreicher ist als gemeinsam. Die Frage wäre, ob das Ergebnis der Europawahlen gut war. Das kommt darauf an. Im Vergleich zu früheren Wahlen war es ein gutes Resultat, aber es war immer noch weit von einem Sieg entfernt. Wir wollen gewinnen, das ist der große Unterschied. Und um zu gewinnen, musst du Anstrengungen bündeln. Jeder, der allein antritt, übt sich in Überheblichkeit. Wie waren die Beziehungen bisher zu den Parteien? Es gibt eine Kommission, die mit ihnen Kontakt aufgenommen hat, um sie über unsere Initiative zu informieren. Wir sind gegen Verhandlungen in Hinterzimmern und Parteizentralen. Was getan wird, sollte transparent und aufrichtig getan werden. Bisher haben wir nur über das Projekt informiert, damit sich alle eingeladen fühlen, sich an der Debatte zu beteiligen. Diese Kommission wird den Kontakt mit den politischen Organisationen – und nicht nur mit ihnen – halten. Danach werden wir weitersehen. Es gibt kein festgelegtes Prozedere. Wir müssen herausfinden, was jeder als Voraussetzung und Priorität definiert und ob das etwas Gemeinsames ermöglicht oder nicht. Es ist zu erwarten, dass sich keine Partei auf dieses Abenteuer einlassen wird, wenn sie nicht mindestens so viele Sitze gewinnt, wie sie allein erzielen könnte. Davon wird eine gemeinsame Liste abhängig sein. Das wäre eine Form, die Angelegenheit auf klassische, aber auch kurzsichtige Weise zu betrachten. Ja, es ist die Perspektive klassischer politischer Verhandlungen. Aber auch das wird eine Rolle spielen, oder? Ich habe die Hoffnung, dass Guanyem Barcelona tausende Menschen mobilisiert, die den Parteien dann sagen werden, was sie wollen. Und dann sollen die Parteien die Verantwortung übernehmen, sich den Leuten zu verweigern. Ich bin nicht diejenige, die der ICV oder CUP sagt, was sie zu tun haben. Tausende Menschen müssen das tun. Und dann muss jede und jeder Stellung beziehen und die Konsequenzen tragen. Wäre es kohärent, mit Parteien oder Politikern zusammenzuarbeiten, die für jenes politische Modell mitverantwortlich sind, gegen das Guanyem entstanden ist? Sprechen wir von ICV? Ja, aber nicht nur. Sie haben ja gesagt, dass es z.B. auch mit der ERC Kontakte gab. Was müsste man von diesen Organisationen fordern? Guanyem schließt erst mal nur die Parteien des Regimes aus, die eine direkte Verantwortung nicht nur für das Modell der Stadt, sondern auch für diesen Staat tragen. Das heißt, PP, PSOE und CiU. Es stimmt, dass sich beispielsweise ICV und ERC an städtischen und Autonomieregierungen beteiligt haben, und wir stellen sie für die Politik, die sie dort gemacht haben, auch zur Rede. Wir haben das gemacht, ich habe mich an Protesten gegen diese Regierungen beteiligt. Aber es gibt schon Unterschiede. Es gibt Parteien, die direkt verantwortlich sind, und andere, die man eher wegen Feigheit oder der Unterstützung anderer kritisieren könnte, die Juniorpartner in Koalitionen waren und an wichtigen Entscheidungen nur am Rande beteiligt. Außerdem existieren auch Unterschiede im Ausmaß der Korruption: Es gibt Parteien, bei denen Korruption die Regel ist, und andere, bei denen es sich um Einzelfälle handelt. Das Wichtigste aber ist, dass sowohl bei der ICV als auch bei der ERC ein Bewusstsein über die Notwendigkeit der Erneuerung besteht. Sie haben erklärt, dass sich die Politik ändern muss, dass sie die Botschaft der BürgerInnen verstanden haben, dass sie Prozesse in Angriff genommen haben, um die interne Demokratie zu erweitern. Das alles bedeutet umgekehrt aber nicht, dass wir schweigen, wenn etwas zu kritisieren ist. Kann man mit Parteien, die mit der Sozialistischen Partei in den Regierungsbezirken (diputaciones) koalieren, Pakte schließen? Und was den Regierungsbezirk Barcelona angeht: Haben Sie überlegt, wie man hier die VertreterInnen bestimmen könnte? Wir haben noch nicht überlegt, wie wir uns gegenüber den Regierungsbezirken verhalten sollen. Wir haben klar gesagt, dass der Regierungsbezirk (diputación) und die Kreisversammlungen (consejos comarcales) einer grundlegenden Prüfung unterzogen werden müssen. Der Regierungsbezirk ist eine noch trübere Einrichtung als die Stadtverwaltung, eine Dunkelkammer der Demokratie, die wir öffnen und transformieren müssen. Aber wenn Guanyem die Wahlen in Barcelona gewinnt, dann werden es die Bürgerinnen und Bürger sein, die entscheiden, was mit den Einrichtungen des Bezirks geschieht. Eine von vielen gestellte Frage lautet, warum überhaupt eine neue Initiative gestartet werden musste, anstatt sich an bestehenden Projekten zu beteiligen. Wie zum Beispiel? Die Trobades Populars Municipalistes (populare Kommunalversammlungen) zum Beispiel. Die Trobades Municipalistes sind für uns eine gute Nachricht und ein Raum, an dem wir uns beteiligen und von dem wir lernen wollen. Aber es ist eine Initiative, die von einem konkreten, mit der CUP verbundenen Sektor ausgeht. Viele Leute, die dort mitmachen, beteiligen sich auch an Guanyem, aber wir denken, dass das nicht reicht, um Barcelona zu gewinnen. Die bisherigen Reaktionen legen nahe, dass die Unabhängigkeitslinke eine gewisse Skepsis gegenüber dem Projekt von Guanyem hegt. Es gibt überall Skepsis. Vor allem unter den organisiertesten und politisiertesten Leuten. Auch bei ICV ist das so, wo es offenere und weniger offene Reaktionen gibt. Leute, die ihre Macht nicht verlieren wollen, die den Vorschlag als Bedrohung empfinden ... Aber wir setzen darauf, den Wunsch der politisch nicht-repräsentierten gesellschaftlichen Mehrheit sichtbar zu machen, um diese Organisationen zum Nachdenken zu bewegen – über die Notwendigkeit, das Gemeininteresse in den Vordergrund zu stellen. Die ICV hat die Initiative von Guanyem sehr enthusiastisch begrüßt. Ich bekomme sehr unterschiedliche Reaktionen. Für uns ist nicht klar, ob dieser Enthusiasmus ernst gemeint ist oder es sich um eine Botschaft an die eigene Wählerschaft handelt ... Ich bin mir sicher, dass die WählerInnen von ICV ein breites Bündnis wollen. Und deswegen muss ICV eine positive Antwort geben. Aber wichtig wird dann sein, die Zusammenarbeit auf der Grundlage von gemeinsamen Zielen und Praktiken zu entwickeln, und da werden sich ICV und alle anderen festlegen müssen. Werden sie bereit sein, die Politikergehälter zu kürzen, wie wir es fordern? Sind sie bereit, die Amtszeiten zu begrenzen? Werden sie dem Verbot der Ämterhäufung zustimmen? Ihre Einkommen offenlegen und der Absetzbarkeit (revocación) von RepräsentantInnen zustimmen? Darüber werden wir mit ICV reden müssen – jenseits der Presseerklärungen. Wenn wir von diesen Voraussetzungen sprechen, dann reden wir immer von Barcelona, richtig? Sicher, die Initiative ist in Barcelona entstanden. Sie kann an anderen Orten Prozesse in Gang setzen. Tatsächlich ist das bereits passiert. Kurz nachdem die Initiative vorgestellt wurde, sind in anderen Städten ähnliche Projekte entstanden. Wie schätzen Sie andere Guanyem-Projekte in Katalonien ein? Sie sind ein Zeichen der Zeit. Guanyem Barcelona ist keine verrückte Idee, die Initiative drückt den Wunsch einer gesellschaftlichen Mehrheit aus. Als dieser Prozess in Barcelona einen Namen bekam, ist er fast automatisch an anderen Orten aufgegriffen worden. Aber das ist auch mit der Initiative Procés Constituent (konstituierender Prozess) oder mit Podemos und den CUP so gewesen. Es liegt auf der Hand, dass sich die Analyse von Guanyem nicht auf Barcelona beschränkt. Sie stellt das Regime allgemein in Frage und in diesem Sinne freuen wir uns, uns mit anderen, vielleicht noch entstehenden Initiativen organisieren zu können. Kann man vor dem Hintergrund der beschränkten kommunalpolitischen Spielräume wirklich von einer Stadtregierung aus die Verhältnisse in Frage stellen? Die Stadtregierung von Barcelona hat ausreichend Kompetenzen, um viel mehr in Wohnungsbau- und Mietfragen, bei der Gestaltung von öffentlichen Räumen oder im Gesundheitssystem zu unternehmen. Sie kann dafür sorgen, dass niemand aus dem Gesundheitssystem herausfällt oder die Wartelisten verkürzen, indem man mehr Mittel zur Verfügung stellt. Ein anderes Thema sind die Kindergärten, wo Barcelona mit seiner Verwaltung der Kindergärten durch Nachbarschaftsorganisationen einen Modellcharakter besitzt. Diese Einrichtungen sollen jetzt privatisiert und das, was kollektiv aufgebaut wurde, enteignet werden. Außerdem kann man auch dort handeln, wo es keine Kompetenzen gibt. Sie meinen, man könnte einfach als Verwaltung handeln? Ja. Wir müssen uns den Zuständigkeitsdiskursen widersetzen. Dort, wo es um Grundrechte geht, sollte jede Verwaltung Verantwortung übernehmen. Für mich ist inakzeptabel, dass sich eine Stadtregierung einfach auf die Position zurückzieht, in Migrationsfragen nicht zuständig zu sein. Wenn es in deiner Gemeinde Menschen gibt, die in einem Lager untergebracht sind (Centro de Internamiento de Extranjeros), das an ein Konzentrationslager erinnert, wo Menschen misshandelt und sogar getötet werden, dann ist das deine Zuständigkeit. Mir ist egal, was die Gesetze in diesem Fall sagen. Und das ist Teil der institutionellen Transformation, die wir durchsetzen wollen. Nehmen wir einmal an, Guanyem Barcelona geht aus den Wahlen als zweitstärkste Kraft hervor und es müssen Bündnisse geschlossen werden. Wie würde im Fall solcher Verhandlungen entschieden werden? Wären Vollversammlungen dann der richtige Ort für Entscheidungen? Das müssen wir noch festlegen. Fest steht, dass Guanyem für horizontale Entscheidungsmechanismen eintreten würde, bei denen alle ihre Meinung äußern können. Man darf horizontale Politik nicht auf Versammlungen beschränken. Die Versammlung ist ein Mittel, aber es kann auch Kommissionen und Arbeitsgruppen geben, man kann das Vertrauen für bestimmte Entscheidungen delegieren. Wichtig ist, dass man Rechenschaft einfordern kann und Entscheidungen auch widerrufen werden können. Das ist horizontale Politik. Sie haben gesagt, dass Sie beim Unabhängigkeitsreferendum am 9. November zweimal mit Ja stimmen werden – also für Katalonien als Staat und für die Unabhängigkeit dieses Staates von Spanien. Im Prinzip ja. Das hängt von der Debatte ab. Ich bin weder Nationalistin noch eine Anhängerin der Unabhängigkeitsbewegung, ich war es auch nie. Tatsächlich habe ich viele Verbindungen zu Leuten im spanischen Staat. Ich habe Angehörige und Freunde dort und hasse jede Form von identitärem Nationalismus, der das Referendum zu einer Konfrontation zwischen dem katalanischen und dem spanischen Volk macht. Das erzeugt Widerwillen in mir. Außerdem war ich bis vor kurzem Sprecherin einer im ganzen Staat aktiven Bewegung, in der ich Seite an Seite mit Freundinnen und Freunden aus dem ganzen Land gegen den Missbrauch durch die Banken und die Komplizenschaft sowohl der katalanischen als auch der spanischen Politik gekämpft habe. Und was ist dann Ihr Motiv, für die Unabhängigkeit zu stimmen? In Katalonien gibt es einen Prozess, für das »Recht zu entscheiden« (derecho a decidir)[5], ein demokratisches Grundrecht, an das ich glaube. Wenn das Referendum nicht als identitäres Vorhaben verstanden wird, um Grenzen zu ziehen, sondern als demokratisches Projekt, dann stellt es eine Möglichkeit dar, mit dem Regime zu brechen. Ich denke, dass das doppelte Ja die beste Option für einen konstituierenden Prozess[6] ist – nicht nur für Katalonien, sondern auch für die anderen Völker in Spanien. Andererseits beobachte ich die politische Instrumentalisierung der Bürgerbewegung mit Skepsis und Misstrauen. Solange der demokratische Prozess von den Bürgerinnen und Bürgern angeführt wird, ist er erfolgversprechend und sollte unterstützt werden. Aber wenn er sich in ein Mittel der Parteien verwandelt, um sich auf Kosten der Bevölkerung zu profilieren, dann müssen wir uns distanzieren. Aber Sie meinen, dass es noch nicht so weit ist – die Bewegung für ein Unabhängigkeitsreferendum wird immer noch von der Bevölkerung selbst vorangetrieben? Mehrheitlich ist es eine Basisbewegung. Die CiU hätte nie von sich das »Recht zu entscheiden« oder die Unabhängigkeit verteidigt. Das war ein Bruch, der sich nur mit der Mobilisierung der Bevölkerung erklären lässt. Die Basisbewegung hat die Parteien vor sich hergetrieben. Die nationale Frage scheint in der katalanischen Politik heute eine zentrale Rolle zu spielen. Das finde ich nicht weiter schlimm, solange diese Frage nicht dazu dient, andere Debatten zu überdecken. Das wäre das Inakzeptable. Dass die Frage ein zentrales Element demokratischer Radikalität ist, erscheint mir positiv. Wollen wir über diese Frage entscheiden? Lasst uns das tun, und üben wir zivilen Ungehorsam, wenn es nötig ist. Nicht in Ordnung ist, dass einige Parteien versuchen, die Debatte in die Länge zu ziehen und die Durchführung des Plebiszits zu verhindern. Es wird immer Argumente gegen das Plebiszit geben. Diese Auseinandersetzung dient dazu, dass wir nicht über illegitime Hypothekenschulden, Privatisierungen und Sozialkürzungen reden. Ihre Argumente erinnern an die Parole der CUP: »Unabhängigkeit, um alles zu ändern«. Eher »Wirkliche Unabhängigkeit Jetzt«. Aber Unabhängigkeit von allem: von der Caixa-Bank, der Santander-Bank, dem politischen Regime. Das Interview erschien zuerst in der Online-Zeitung Diario/Catalunya Plural. Aus dem Spanischen von Raul Zelik

[1] Bei der Candidatura d’Unitat Popular handelt es sich um eine Wahlplattform der antiinstitutionellen und in sozialen Bewegungen katalanistischen Linken. Sie tritt für die Unabhängigkeit der Region ein, ist gleichzeitig aber entschieden antikapitalistisch und antirassistisch. Ihr Name lehnt sich nicht zufällig an die 2002 verbotene baskische Unabhängigkeitspartei Herri Batasuna (Unidad Popular) an.
[2]  Das »Soziale Zentrum« Can Vies bestand seit 1997 als selbstverwaltetes Nachbarschaftszentrum. Nach der Räumung und dem Teilabriss durch die rechte Stadtregierung kam es im Mai 2014 zu schweren Auseinandersetzungen. Der Abriss wurde daraufhin gestoppt, mehrere Hundert Freiwillige begannen mit dem Wiederaufbau des Gebäudes.
[3]  Die Regionalpartei CiU ist ein Bündnis von liberaler Convergència und christdemokratischer Unió und hat Katalonien seit Einführung des Autonomiestatus fast ununterbrochen regiert. Die Partei, die als Sprachrohr des regionalen Unternehmertums gilt, hat sich der (eher von Linken und Republikanern verteidigten) Unabhängigkeitsforderung aus ökonomischen Gründen immer widersetzt, gleichzeitig aber die »katalanische Identität« als Distinktionsmerkmal gegenüber Madrid gepflegt. Seit sich Millionen KatalanInnen völlig überraschend seit 2011 an einer Bürgerbewegung für ein Referendum beteiligen, ist die CiU umgeschwenkt. Sie befürwortet jetzt das Plebiszit und versucht die Bewegung parteipolitisch zu vereinnahmen. Bei den letzten Wahlen ist die CiU dennoch massiv eingebrochen und ist in Katalonien hinter der Republikanischen Linken nur noch zweitstärkste Partei.
[4]  Bei den Europawahlen im Mai 2014 kam die Koalition ICV-EUiA in Barcelona auf 11,3 Prozent. Die neue Linkspartei Podemos erhielt 5,2 Prozent. Stärkste Partei wurde in der Stadt die katalanistisch-sozialdemokratische ERC mit 21,9 Prozent, die bürgerliche CiU erzielte 19,8 Prozent und die spanischen Parteien PSOE und PP nur noch 15,2 Prozent bzw. 10,1 Prozent. Die linksradikale CUP, die nach Umfragen mit 5–8 Prozent rechnen könnte, hatte zu einem Boykott der EU-Wahlen aufgerufen.
[5]   Die Unabhängigkeitsbewegungen Kataloniens und des Baskenlandes sind in den letzten Jahren vom völkerrechtlich definierten »Selbstbestimmungsrecht der Völker« (derecho de autodeterminación de los pueblos) abgerückt und beziehen sich heute auf das eher radikaldemokratische »Recht zu entscheiden«. Es geht also weniger um die Frage, ob Katalonien oder das Baskenland eine Nation sind, als darum, dass die in den Regionen lebende Bevölkerung selbst entscheiden können muss, ob sie sich als solche betrachtet und Teil des spanischen Staates bleiben möchte oder nicht. Damit ist die Unabhängigkeitsfrage entethnisiert worden.
[6]   In Spanien wird zuletzt verstärkt über einen »konstituierenden Prozess« diskutiert, mit dem der Rahmen der postfrankistischen Verfassung von 1978 durchbrochen werden könnte. Ein derartiger Prozess wäre, so das Konzept, nicht auf die Einberufung einer Verfassunggebenden Versammlung beschränkt, sondern wird – ähnlich wie in einigen südamerikanischen Ländern seit 1999 – als breit geführte Debatte über die politische und sozioökonomische Form der Gesellschaft verstanden.