Diese Form der Normalisierung zeigt sich auch bei den Antworten auf die direkte Frage, ob es sich bei der AfD um eine „ganz normale“ Partei handelt. Wurde das 2016 nur von 17 Prozent der Befragten bejaht, so sind es heute 27 Prozent. Zu berücksichtigen ist, dass diese Akzeptanzzunahme um 10 Prozent in einem Zeitraum stattfand, der von einer deutlichen Rechtsradikalisierung der Partei gekennzeichnet war, in dem die Partei vom Verfassungsschutz zum rechtsextremen Verdachtsfall und in zahlreichen Bundesländern zur „erwiesen“ rechtsextremen Partei erklärt wurde.
Lässt sich erwarten, dass die hohen Umfragewerte für die AfD ähnlich wie nach ihrem ersten Höhepunkt 2018 bald wieder fallen? 2020 war es vor allem die Corona-Pandemie und die damit einhergehende aktive Rolle von Staat und Regierung, die die AfD nach unten gedrückt haben. Allerdings sind nicht alle gesellschaftlichen Krisensituationen „Stunden der Exekutive“. Ganz im Gegenteil kann der Staat in solchen Situationen als handlungsschwach und wenig schützend erfahren werden, was autoritäre Politikangebote attraktiver macht. Die aktuellen Ergebnisse einer Studie des Else Frenkel-Brunswik Instituts lassen befürchten, dass die Umfrageerfolge der AfD genau auf solche Effekte zurückzuführen sind. Autoritäre Wünsche und die Sehnsucht nach starker Führung sind weit verbreitet. Sie korrespondieren mit einer Wahrnehmung der Demokratie als schwach. Die Ampel-Koalition wird in der Öffentlichkeit zumeist als zerstritten und zunehmend handlungsunfähig wahrgenommen. Ihr Ansehen ist aktuell auf einem Tiefpunkt. Auch das spielt der AfD in die Hände, zumal weder CDU/CSU noch DIE LINKE gegenwärtig als attraktive Alternativen erscheinen.
Gründe für die aktuelle Stärke der AfD
Die Gründe für die aktuelle Stärke der AfD sind vielfältig. Sie liegen tiefer als es die Verweise auf die schlechte Performance der Ampel-Koalition andeuten. Hier spielt der Normalisierungs-Effekt nach zehn Jahren AfD eine Rolle. Auch die nach außen vermittelte stärkere Geschlossenheit der Partei und vor allem ihre Inszenierung als „Friedenspartei“ haben zum aktuellen Schub beigetragen. Darüber hinaus profitiert die AfD von der Vielfachkrise und den mit ihr einhergehenden Legitimationsproblemen der Demokratie, wie sie sich seit der Finanzmarktkrise, der Eurokrise, Corona und dem Klimawandel bis zum russischen Angriffskrieg und der damit einhergehenden Inflations- und Energiekrise zeigen. Die extreme Rechte gibt mit ihrer massiven Abschottungspolitik („Festung Europa“), dem Festhalten an tradierten Rollen- und Geschlechtermustern, der Leugnung des menschengemachten Klimawandels und einer auf die Finanzeliten zielenden Kritik an der Globalisierung nationalistische und reaktionäre Antworten auf einen Veränderungsdruck, der vielen Menschen Angst macht.
Von einem Rückschlag des Pendels gegen einen „linksliberalen Zeitgeist“ der sich erschöpft habe spricht Nikolas Busse in der FAZ. Vielleicht wäre es präziser von der Erschöpfung eines progressiven Neoliberalismus zu sprechen, denn die Rechte profitiert nicht nur in Deutschland eindeutig von der Schwäche neoliberaler Hegemonie, an deren Stelle noch kein neues überzeugendes ideologisches Projekt getreten ist.
Mit Blick auf die Stärke der AfD in Ostdeutschland darf die materielle Basis der AfD-Erfolge nicht vergessen werden. Mehr als dreißig Jahre nach der Einheit wird mit den zahlreichen Hinweise auf die wirtschaftlichen Leuchttürme im Osten dessen insgesamt deutlich schlechtere soziale und ökonomische Grundstruktur verdrängt. Klaus Dörre wies im Interview mit dem Spiegel darauf hin, dass die Realität abhängig Beschäftigter in Ostdeutschland sich im Schnitt deutlich von der im Westen unterscheidet. Während nach der Wahl des AfD-Kandidaten in Sonneberg in der Presse häufig auf die wirtschaftlich positive Entwicklung der Region verwiesen wurde, bemerkt Dörre, dass dort 44 Prozent der Beschäftigten nur den Mindestlohn bekämen und dass in der Autozuliefererbranche das Lohnniveau noch immer 33 Prozent unter dem Bundesschnitt liege. Die Erfolge der AfD in den Umfragen lassen sich sicherlich nicht eindimensional auf sozio-ökonomische Entwicklungen zurückführen, aber ohne diese Faktoren lässt sich der längerfristige Erfolg der Rechten nicht erklären.
Die AfD vor der Europawahl
Ende Juni 2023 hat die AfD den Entwurf ihres Europawahlprogramms veröffentlicht, das sie Ende Juli und Anfang August bei Parteitagen in Magdeburg verabschieden will. Inhaltlich fordert die Partei einen Austritt Deutschlands aus der EU, ein „Europa der Vaterländer“ und vor allem die Durchsetzung der „Festung Europa“. Die EU sei nicht reformierbar und der Austritt Deutschlands die logische Schlussfolgerung. Auf die ökonomischen Vorteile des Binnenmarktes für die deutsche Wirtschaft will die Partei zugleich nicht verzichten und schlägt die Neugründung einer Wirtschafts- und Interessengemeinschaft vor, die jedoch keinerlei eigenständige Kompetenzen haben soll. Die zentrale und quasi einzige Gemeinschaftsaufgabe ist nach Vorstellungen der AfD die Sicherung der Außengrenzen im Sinne einer „Festung Europa“. Aber auch militärpolitisch will man Europa für deutsche Interessen im Rahmen einer gemeinsamen Militärpolitik nutzbar machen.
Mit Blick auf die politische Landkarte der EU muss mit einer weiteren Stärkung der extremen Rechten im nächsten EU-Parlament gerechnet werden. Ob sich eine solche Stärkung jedoch auch in eine schlagkräftige gemeinsame Fraktion umsetzen lässt, ist fraglich. So veröffentlichte DIE WELT Ende Juni einen Beitrag, in dem sie die relative Isolation der AfD auf EU-Ebene zum Thema machte. Während zahlreiche Parteien dieses Typs ihren Weg in Regierungsverantwortung durch zumindest verbale Deradikalisierung erreicht haben, geht die AfD aktuell den gegenteiligen Weg. Laut Welt kommt es deshalb bei potenziellen Partnern immer häufiger zu Vorbehalten gegen die AfD, die als zu radikal wahrgenommen werde.