Der Sieg des AfD-Kandidaten Robert Sesselmann bei den Landratswahlen im Thüringischen Landkreis Sonneberg im Juni 2023 veranschaulichte einen Trend der letzten Monate: Die Zustimmungswerte der Partei steigen kontinuierlich, die Reaktionen der politischen Konkurrenz schwanken zwischen Hilf- und Ratlosigkeit, die Regierung zerlegt sich auf offener Bühne und Teile der Springer-Presse erledigen das Geschäft der AfD.

Sonneberg zeigt, dass Allparteienkoalitionen gegen die AfD nicht ein Garant dafür sind, ihre Kandidaten von wichtigen Wahlposten fernzuhalten. Ganz im Gegenteil hatte man den Eindruck, dass politischer und öffentlicher Druck eher motivierend für die Anhänger*innen dieser Partei war. Dem Erfolg der AfD in Sonneberg werden weitere folgen, vermutlich auch auf einflussreicherer Ebene.

Inzwischen liegt die Partei in den Umfragen bundesweit zwischen 17 und 20 Prozent und rangiert seit Wochen hinter der CDU auf Platz zwei. Die Ankündigung der AfD, mit einem eigenen Kanzlerkandidaten zur nächsten Bundestagswahl anzutreten, erscheint als zwar aktuell nicht umsetzbare, aber realistische Option. Der Blick in europäische Nachbarländer (Italien, Schweden, Finnland, Ungarn, Polen) zeigt, was auch in Deutschland nicht kategorisch auszuschließen ist. Während allerdings zahlreiche der europäischen Schwesterparteien der AfD den Weg zur Regierungsbeteiligung mit einer Politik der Mäßigung erkauft haben, erleben wir in Deutschland aktuell eine gegenteilige Entwicklung: Die Rechtsradikalisierung der Partei wird von Wissenschaft und Behörden bestätigt und gleichzeitig steigt die Zustimmung zu ihr. Die gesellschaftliche Brandmauer zur extremen Rechten ist bei größer werdenden Teilen der Bevölkerung längst gefallen.

Aufwärtstrend seit mehr als einem Jahr

Trotz dieser erschreckenden Entwicklung ist ein nüchterner Blick auf die Entwicklung der AfD nötig. Sieht man auf die Umfragewerte im Verlauf der letzten Jahre, dann zeigt sich, dass die Partei gegenwärtig ein Potenzial erreicht, dass sie bereits 2018 erreicht hatte, danach jedoch massive Einbußen verzeichnen musste. Gründe dafür waren u.a. die Verdrängung des Themas Zuwanderung aus dem öffentlichen Fokus und der mit der Corona-Pandemie einsetzende Abwärtstrend der Partei, der auch durch ihre Positionierung in der Pandemie hervorgerufen wurde. 

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Erinnert sei daran, dass die AfD bei den Bundestagswahlen 2021 mit 10,3 Prozent bei einem Verlust von gut 2 Prozent in den Bundestag eingezogen ist. Der deutliche Anstieg der Partei in den Umfragen setzt im Frühjahr 2022 ein, hier gelingt ihr der Ausbruch aus dem 10-Prozent-Bereich und eine Stabilisierung bei 15 Prozent, die seit mehr als einem Jahr andauert. Die deutliche Ausweitung des Potenzials hat also zunächst vor allem mit der Entwicklung seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und der damit im Zusammenhang stehenden Inflations- und Energiekrise eingesetzt. Hinzu kommt aktuell eine Ausweitung des Wählerreservoirs der AfD, wobei abzuwarten bleibt, ob die aktuelle Zustimmung von der Partei auch in reale Wähler*innenstimmen umgesetzt werden kann.

Der andere Blick auf Russland und die Frage von Erdgas und Öl aus Russland dürften vor allem in Ostdeutschland eine wichtige Rolle für den neuen Aufschwung der Partei gespielt haben. Allerdings zeigen die Zahlen, dass es sich um kein ostdeutsches Problem handelt, denn vom aktuellen Hoch ist ebenso der Westen betroffen. So rangiert die AfD in den Umfragen gegenwärtig auch in großen Flächenländern im (Süd)Westen deutlich im zweistelligen Bereich.

Jenseits der aktuellen Aufregung über die Umfragezahlen der AfD ist eine Entwicklung besorgniserregend, die etwas über die längerfristigen Akzeptanzgewinne der Partei aussagt. Bisher ging die Wahlforschung davon aus, dass die AfD ihr Potenzial, das bei maximal 20 Prozent eingeschätzt wurde, nahezu vollständig ausgeschöpft hat. In der Regel antworteten mehr als 70 Prozent der Wähler*innen, dass die AfD für sie unter keinen Umständen eine Option ist. Diese Zahlen ändern sich gegenwärtig. In einer INSA-Umfrage aus dem Juni 2023 geben nur noch 56 Prozent der Befragten an, dass die AfD keinesfalls eine Wahloption für sie ist und auch im Zeitverlauf dieser „negativen Sonntagsfrage“ sieht man, dass die grundsätzliche Ablehnung der Partei kontinuierlich bröckelt. Hier dürfte es sich um den häufig erwähnten „Normalisierungseffekt“ handeln.

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Die negative Sonntagsfrage im Zeitverlauf: Anteil der Befragte, für die die AfD keine Option ist

Diese Form der Normalisierung zeigt sich auch bei den Antworten auf die direkte Frage, ob es sich bei der AfD um eine „ganz normale“ Partei handelt. Wurde das 2016 nur von 17 Prozent der Befragten bejaht, so sind es heute 27 Prozent. Zu berücksichtigen ist, dass diese Akzeptanzzunahme um 10 Prozent in einem Zeitraum stattfand, der von einer deutlichen Rechtsradikalisierung der Partei gekennzeichnet war, in dem die Partei vom Verfassungsschutz zum rechtsextremen Verdachtsfall und in zahlreichen Bundesländern zur „erwiesen“ rechtsextremen Partei erklärt wurde.

Lässt sich erwarten, dass die hohen Umfragewerte für die AfD ähnlich wie nach ihrem ersten Höhepunkt 2018 bald wieder fallen? 2020 war es vor allem die Corona-Pandemie und die damit einhergehende aktive Rolle von Staat und Regierung, die die AfD nach unten gedrückt haben. Allerdings sind nicht alle gesellschaftlichen Krisensituationen „Stunden der Exekutive“. Ganz im Gegenteil kann der Staat in solchen Situationen als handlungsschwach und wenig schützend erfahren werden, was autoritäre Politikangebote attraktiver macht. Die aktuellen Ergebnisse einer Studie des Else Frenkel-Brunswik Instituts lassen befürchten, dass die Umfrageerfolge der AfD genau auf solche Effekte zurückzuführen sind. Autoritäre Wünsche und die Sehnsucht nach starker Führung sind weit verbreitet. Sie korrespondieren mit einer Wahrnehmung der Demokratie als schwach. Die Ampel-Koalition wird in der Öffentlichkeit zumeist als zerstritten und zunehmend handlungsunfähig wahrgenommen. Ihr Ansehen ist aktuell auf einem Tiefpunkt. Auch das spielt der AfD in die Hände, zumal weder CDU/CSU noch DIE LINKE gegenwärtig als attraktive Alternativen erscheinen.

Gründe für die aktuelle Stärke der AfD

Die Gründe für die aktuelle Stärke der AfD sind vielfältig. Sie liegen tiefer als es die Verweise auf die schlechte Performance der Ampel-Koalition andeuten. Hier spielt der Normalisierungs-Effekt nach zehn Jahren AfD eine Rolle. Auch die nach außen vermittelte stärkere Geschlossenheit der Partei und vor allem ihre Inszenierung als „Friedenspartei“ haben zum aktuellen Schub beigetragen. Darüber hinaus profitiert die AfD von der Vielfachkrise und den mit ihr einhergehenden Legitimationsproblemen der Demokratie, wie sie sich seit der Finanzmarktkrise, der Eurokrise, Corona und dem Klimawandel bis zum russischen Angriffskrieg und der damit einhergehenden Inflations- und Energiekrise zeigen. Die extreme Rechte gibt mit ihrer massiven Abschottungspolitik („Festung Europa“), dem Festhalten an tradierten Rollen- und Geschlechtermustern, der Leugnung des menschengemachten Klimawandels und einer auf die Finanzeliten zielenden Kritik an der Globalisierung nationalistische und reaktionäre Antworten auf einen Veränderungsdruck, der vielen Menschen Angst macht.

Von einem Rückschlag des Pendels gegen einen „linksliberalen Zeitgeist“ der sich erschöpft habe spricht Nikolas Busse in der FAZ. Vielleicht wäre es präziser von der Erschöpfung eines progressiven Neoliberalismus zu sprechen, denn die Rechte profitiert nicht nur in Deutschland eindeutig von der Schwäche neoliberaler Hegemonie, an deren Stelle noch kein neues überzeugendes ideologisches Projekt getreten ist.

Mit Blick auf die Stärke der AfD in Ostdeutschland darf die materielle Basis der AfD-Erfolge nicht vergessen werden. Mehr als dreißig Jahre nach der Einheit wird mit den zahlreichen Hinweise auf die wirtschaftlichen Leuchttürme im Osten dessen insgesamt deutlich schlechtere soziale und ökonomische Grundstruktur verdrängt. Klaus Dörre wies im Interview mit dem Spiegel darauf hin, dass die Realität abhängig Beschäftigter in Ostdeutschland sich im Schnitt deutlich von der im Westen unterscheidet. Während nach der Wahl des AfD-Kandidaten in Sonneberg in der Presse häufig auf die wirtschaftlich positive Entwicklung der Region verwiesen wurde, bemerkt Dörre, dass dort 44 Prozent der Beschäftigten nur den Mindestlohn bekämen und dass in der Autozuliefererbranche das Lohnniveau noch immer 33 Prozent unter dem Bundesschnitt liege. Die Erfolge der AfD in den Umfragen lassen sich sicherlich nicht eindimensional auf sozio-ökonomische Entwicklungen zurückführen, aber ohne diese Faktoren lässt sich der längerfristige Erfolg der Rechten nicht erklären.

Die AfD vor der Europawahl

Ende Juni 2023 hat die AfD den Entwurf ihres Europawahlprogramms veröffentlicht, das sie Ende Juli und Anfang August bei Parteitagen in Magdeburg verabschieden will. Inhaltlich fordert die Partei einen Austritt Deutschlands aus der EU, ein „Europa der Vaterländer“ und vor allem die Durchsetzung der „Festung Europa“. Die EU sei nicht reformierbar und der Austritt Deutschlands die logische Schlussfolgerung. Auf die ökonomischen Vorteile des Binnenmarktes für die deutsche Wirtschaft will die Partei zugleich nicht verzichten und schlägt die Neugründung einer Wirtschafts- und Interessengemeinschaft vor, die jedoch keinerlei eigenständige Kompetenzen haben soll. Die zentrale und quasi einzige Gemeinschaftsaufgabe ist nach Vorstellungen der AfD die Sicherung der Außengrenzen im Sinne einer „Festung Europa“. Aber auch militärpolitisch will man Europa für deutsche Interessen im Rahmen einer gemeinsamen Militärpolitik nutzbar machen.

Mit Blick auf die politische Landkarte der EU muss mit einer weiteren Stärkung der extremen Rechten im nächsten EU-Parlament gerechnet werden. Ob sich eine solche Stärkung jedoch auch in eine schlagkräftige gemeinsame Fraktion umsetzen lässt, ist fraglich. So veröffentlichte DIE WELT Ende Juni einen Beitrag, in dem sie die relative Isolation der AfD auf EU-Ebene zum Thema machte. Während zahlreiche Parteien dieses Typs ihren Weg in Regierungsverantwortung durch zumindest verbale Deradikalisierung erreicht haben, geht die AfD aktuell den gegenteiligen Weg. Laut Welt kommt es deshalb bei potenziellen Partnern immer häufiger zu Vorbehalten gegen die AfD, die als zu radikal wahrgenommen werde.

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