Das vorzeitige Aus für die Ampel-Koalition kam überraschungsfrei. Ihren politischen Kredit hatte sie seit Langem verspielt. Auch weil die Mehrheitsparteien aus dem Aufstieg der radikalen Rechten kaum gelernt haben. Die rechte Zeitenwende hat längst begonnen, wie die Wahlergebnisse der AfD in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im September zeigten. Dies lässt tief blicken.


Erstens: Erinnerungen an den faschistischen Zivilisationsbruch scheinen bei mittlerweile größeren Teilen der Bevölkerung so weit verblasst zu sein, dass sie einer antihumanen Entgrenzung im Denken und Handeln nicht mehr entgegenstehen. Nahezu allen, die der AfD ihre Stimme gaben, war es laut Infratest dimap (1.9.2024) »egal«, dass diese Partei »in Teilen als rechtsextrem gilt, solange sie die richtigen Themen anspricht«.


Zweitens: Die Topthemen der radikalen Rechten – Zuwanderung und Kriminalität – sind Motor dessen, was Zygmunt Baumann als »Versicherheitlichung der Politik« (Baumann 2016, 33) bezeichnet: Soziale Probleme des Lebensalltags werden nicht gelöst, sondern in solche der »inneren Ordnung« umgedeutet, die mit mehr polizeilicher, geheimdienstlicher und militärischer Präsenz (wieder)hergestellt werden soll.


Drittens: Aufs Engste damit verknüpft ist das, was Baumann »Adiaphorisierung« nennt: Migrant*innen werden zu Menschen zweiter oder dritter Ordnung erklärt, für die Schutz, Würde und Toleranz keine universelle Gültigkeit mehr haben. Menschen- und Grundrechte – wie das auf Asyl – werden durch Verfahrensrechte einer administrativen Zurückweisung an den nationalen Außengrenzen ausgehebelt.


Viertens: Entscheidend für die Stimmabgabe zugunsten der AfD sind auch wohlfahrtsstaatliche Handlungsfelder. Was zuerst im skandinavischen Rechtspopulismus und -extremismus prominent in Erscheinung trat, hat ausgestrahlt: Neben dem Sicherheits- wird auch der Wohlfahrtsstaat im Sinne einer autoritären Ordnung neu ausgerichtet und in die Schlachtordnung »wir gegen die anderen« eingeordnet.


Fünftens: Das »Wir« des rechtsradikalen Kollektivs und damit dessen innerer Zusammenhalt erschließt sich nicht aus sich heraus, sondern über Ausgrenzung der wie auch immer definierten »Anderen«. Hier schließt sich der Bogen: Von Migration über wirtschaftliche Überforderung bis zu kultureller »Enteignung« wird eine Verursachungskette konstruiert. Der entscheidende Punkt: Die radikale Rechte kommuniziert Themen, die sich zu einer »Erzählung« im Sinne einer neuen Wirklichkeitsdeutung zusammenfügen lassen.

Mehrheitspartei unter Arbeiter*innen

In den Nachwahlbefragungen von Infratest dimap gaben bei den jüngsten Landtagswahlen zwischen 45 und 49 Prozent derjenigen, die AfD gewählt haben, ihren beruflichen Status als »Arbeiter« an. Dass Arbeiter*innen im Vergleich zu allen anderen Teilen der ­Bevölkerung in Ost wie West in höherem Maße AfD wählen, ist seit Langem bekannt. Doch kaum jemand hatte erwartet, dass sie damit im politischen Ranking die führende Arbeiterpartei werden würde. Dies öffnet ihr ein wichtiges Tor zur Arbeitswelt. Das gilt auch, wenn man ihre deutlich geringere Verankerung unter Angestellten in Rechnung stellt (33 Prozent).Befragungen von AfD-Erstwähler*innen deuten darauf hin, dass die Wählbarkeit der radikalen Rechten unter Beschäftigten mit mittleren Bildungsabschlüssen ebenso wie unter Frauen leicht zugenommen hat (Hövermann 2023). Steffen Mau (2024, 102) hat für spezifische lokale Kontexte in den ostdeutschen Bundesländern bereits eine Tendenz zur »schleichenden Volksparteiisierung der AfD« ausgemacht. Für Teile der Arbeitswelt lässt sich das ebenfalls nachweisen.

Arbeitsweltlicher Nährboden

Was sind die Gründe dafür, dass die AfD in der Arbeiterschaft so gut ankommt? Wir sind dieser Frage 2017 nachgegangen, nachdem eine starke Fluchtbewegung zu einer Polarisierung der gesellschaftlich-politischen Auseinandersetzungen geführt hatte. Einige unserer damaligen Befunde lauteten (Sauer u. a. 2018):

In den Arbeitsstätten hatte eine »Klimaveränderung« stattgefunden. Rechtspopulistische Gesinnung wurde in Teilen der Belegschaften enttabuisiert nach dem Motto »Man wird ja wohl noch mal sagen dürfen«. Vor allem in ausgewählten Social Media verbreitet sich eine ressentimentgeladene, teilweise hassdurchtränkte Kommunikation.

Die Arbeitswelt bezeichneten wir als einen »Nährboden« der sich radikalisierenden Rechten. Gründe dafür waren nach der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008ff. sowie der Beschleunigung sozial-ökologischer Transformationsprozesse eine wieder erwachte Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, ein Regime der Unsicherheit aufgrund permanenter Reorganisation und Rationalisierung, fortschreitender Prekarisierung sowie weiter steigendem Leistungsdruck. Wir sahen hierin eine »Zuspitzung« arbeitsweltlicher Problemlagen.

Daraus ergaben sich subjektive Zuspitzungen: Abstiegs- und Zukunftsängste vor dem Hintergrund von Kontrollverlusten in der Gestaltung der eigenen Erwerbsbiografie.

Seither sehen wir den Befund der »Klimaveränderung« durch erste Ergebnisse einer neuen explorativen Studie nicht nur bestätigt; sie hat – soweit wir das anhand unserer qualitativen Befragungen beurteilen können – an Intensität und Breite gewonnen. Dabei geht es weiterhin um Enttabuisierung, aber in erheblichem Maße auch um die Übernahme von Deutungsmustern und Orientierungen, die man der radikalen Rechten zuschreiben kann oder die Affinitäten zu ihr aufweisen. Das gilt auch unter Gewerkschaftsmitgliedern, wie unsere Gruppendiskussionen zeigen: Die Diffusion rechter Orientierungen in den Mainstream von politischen Parteien und Medien – wie bei der Verschärfung von Asylregelungen oder in der Debatte über das Bürgergeld – hat die Grenze des »Vertretbaren« verschoben und rechte Meinungen salonfähig gemacht. Die »graue Zone« des Übergangs von einer demokratisch-toleranten Alltagsauffassung hin zu »gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit« ist in der Arbeitswelt zuletzt spürbarer und signifikanter geworden.

Die Problemlagen werden durch neuere Untersuchungen bestätigt. Im WSI-Erwerbs­personenpanel »lassen sich für Wählende der AfD […] überdurchschnittlich häufig als mangelhaft empfundene Arbeitsbedingungen aufzeigen. Alle befragten Aspekte guter Arbeitsbedingungen werden von Wählenden der AfD signifikant seltener angegeben als von Wählenden anderer Parteien. […] Sie bezeichnen ihren Arbeitsplatz fast doppelt so häufig […] als unsicher (18 vs. zehn Prozent) und empfinden fast doppelt so häufig keinen Stolz auf ihre Arbeit (18 vs. elf Prozent). Sie schätzen im Falle von Arbeitslosigkeit ihre Chancen am Arbeitsmarkt als schlechter ein und berichten seltener als Wählende anderer Parteien davon, dass ihre Arbeit abwechslungsreich ist, sie bei strategischen Fragen am Arbeitsplatz Mitsprachemöglichkeiten haben oder Unterstützung und Hilfe von Kollegen bekommen können.« (Hövermann 2023, 17) Neben drohendem Statusverlust sind es die fälschlicherweise als »soft« bezeichneten Themen, die an erster Stelle genannt werden: fehlende Anerkennung und Wertschätzung (»Mein Arbeitgeber sieht nicht, was ich für den Betrieb/die Dienststelle leiste«). Es sind subjektiv erfahrene Nichtbeachtung, Geringschätzung, Abwertung, die als arbeitsweltlicher Hintergrund rechte Orientierungen befördern und zu Wahlentscheidungen für die AfD führen können.

Politisierung nach rechts

Rechte Meinungsbilder haben zugenommen und deren Themenspektrum hat sich erweitert. Als Triggerpunkte werden in Gruppengesprächen mit Beschäftigten aus Industrie- und Dienstleistungsbetrieben unter anderem das »Bürgergeld«, das »Gendersternchen« sowie das »Heizungsgesetz« stellvertretend für eine fehlgeleitete Politik der Ampelregierung genannt. Das Bild der »Warteschlange« (Hochschild 2017; Dörre 2020) hat sich als wichtiger Erklärungsansatz erwiesen: Wer sich unverschuldet zurückgesetzt wähnt, während andere Unterstützung erfahren und dies in eine »Wir gegen die anderen«-Konfliktlage einordnet, ist geneigt, rechtsextremen Narrativen zu folgen. Vermeintlich einflussreiche Minderheiten würden hofiert, Sorgen und Nöte der »Normalbürger*innen« hingegen missachtet. Dass vor allem die Grünen ›ihr Fett abbekommen‹, hat die zusätzliche Dimension, sich politisch und kulturell bevormundet, in Freiheitsrechten eingeschränkt zu fühlen (sei es beim Dieselmotor oder der alten Heizung). Insoweit ist die radikale Rechte in den Diskursen der Arbeitswelt heute präsenter, als dies noch ein Jahrzehnt zuvor der Fall war. Empörungsspiralen drehen schneller, die Enttabuisierung rechter Ressentiments schreitet voran.

Das bleibt nicht ohne Folgen. Gewerk­schaftssekretär*innen werden in manchen Fällen aufgefordert, auf Betriebsversammlungen das Thema »der Rechten« eher auszusparen, sich auf Kernfelder der Tarif- und Betriebspolitik zu beschränken, das politische Mandat der Gewerkschaften ruhen zu lassen. Man rät ihnen, weitere Unruhe im Betrieb zu vermeiden, Provokationen von rechts aus dem Weg zu gehen. Gleichzeitig wächst die Angst vor Mitgliederverlusten, bei Betriebsräten die Angst vor dem Verlust von Wähler*innenstimmen. Das hat nicht selten zum ängstlichen Umgang mit rechten Themen im Betrieb geführt. Auch wenn sich Gewerkschaften als Ganze klar gegen die AfD positionieren, ist auf der betrieblichen Ebene mancherorts ein Wegducken zu beobachten.

Grenzen rechter Organisierung

Gleichwohl stellt der Betrieb keine leicht zu bespielende Bühne für die radikale Rechte dar. Es gibt einen markanten Befund: Sie ist in Meinungsbildern präsent, aber nicht als organisierende Kraft. Der Aufstieg der AfD im politischen Feld scheint im betrieblichen Organisationsgefüge nicht recht Tritt gefasst zu haben. Es gibt Versuche, mithilfe von eigenen Betriebsratslisten mit gewerkschaftlichen Interessenvertretungen zu konkurrieren, doch sind sie weit davon entfernt »durchzumarschieren«. An mehreren Orten blieben sie stecken oder mussten einen »Rückmarsch« antreten. Dort, wo es AfD-nahe Betriebsräte gibt, spielen sie für die Betriebspolitik keine maßgebliche Rolle. Teilweise haben sie – wie bei VW in Zwickau – bei den Betriebsratswahlen 2022 wieder an Einfluss verloren. Unser Befund für 2024: In der Betriebsöffentlichkeit treten rechte Akteur*innen oder Listen wenig offensiv in Erscheinung. Sie verharren meist »unter der Decke«, sind, wo sie als »Kümmerer« auftreten, eher im direkten Kontakt am shop floor, in Pausengesprächen und über soziale Medien wirksam; auf Betriebsversammlungen oder in den Gremien der betrieblichen Interessenvertretung nimmt man sie hingegen kaum wahr.

Damit haben sich Befürchtungen in Gewerkschaften, dass ihnen mit dem Erstarken der AfD auch in den Betrieben eine rechte Konkurrenz erwächst, zunächst einmal nicht bestätigt. Doch das soll – etwa vor dem Hintergrund der Krisen in der Automobilindustrie – keine Entwarnung sein, zumal eine weitere Gefahr virulenter geworden ist: die der Infiltration von Interessenvertretungen durch rechte Aktivist*innen, die zunächst einmal verdeckt statt offen agieren. Eine organisierte Rechte kann man offen bekämpfen, mit rechten Aktivist*innen, die zunächst unerkannt im Betrieb oder auch in gewerkschaftlichen Organen wirken, ist viel schwerer umzugehen.

Gegenstrategien

Der AfD als »Arbeiterpartei« fehlt die organisatorische Basis in den Betrieben, aber ihr Einfluss auf die Meinungsbildung der Beschäftigten ist gestiegen. Manche der von uns befragten Gewerkschaftssekretär*innen sehen in den gescheiterten Organisationsversuchen der AfD vor allem Strategielosigkeit. Die »Rechte in der Republik habe keine Antworten auf betriebs- oder tarifpolitische Fragen« (Detje/Sauer 2023). Dennoch sind die Menschen in den Betrieben im Bewusstsein und in den Wahlentscheidungen weiter nach rechts gerückt.

Der AfD könnte das »fürs Erste« reichen. Zum einen, wenn ihre »Eroberungszüge« in Politik und Gesellschaft vorankommen und in die betrieblichen Kommunikationsräume – vom Pausen- oder Kantinengespräch bis in die sozialen Medien – weiter ausstrahlen. Zum anderen, wenn sie gleichsam indirekte Organisationsmacht demonstrieren kann, indem gewerkschaftlicher oder betriebsrätlicher Widerstand gegen rechte Infiltration nachlässt, um »Unruhe« in der Belegschaft gar nicht erst entstehen zu lassen. Was dann als politische »Ruhe« erscheint, wäre möglicherweise nichts anderes als schleichender Terraingewinn des rechtsextremen Lagers.

Bei den Gewerkschaften hat sich in den letzten Jahren einiges getan im Kampf gegen die radikale Rechte: von Kampagnen und speziellen Bildungsangeboten bis hin zu aktiver Mobilisierung gegen rechts. Vieles davon erfolgt unter dem Label »Demokratie stärken«. Konfliktorientierte Anläufe zur Demokratisierung der Betriebe stehen allerdings nicht auf den oberen Plätzen der gewerkschaftlichen Agenda. In unseren Befragungen sind wir jedoch auf regionale Gewerkschaftsgliederungen gestoßen, die mit dieser Strategie Erfolge erzielen. Nicht nur in der Durchsetzung tariflicher Forderungen, sondern auch in der Beteiligung an den Kämpfen, mit breit aufgestellten Tarifkommissionen und zahlreichen Warnstreiks. Diese Strategie ist offensiv, weil sie eine beteiligungs- und konfliktorientierte Tarif- und Betriebspolitik mit einer offenen und konsequenten Haltung gegenüber dem Rechtsextremismus verbindet. Damit verändern sich Stimmungslagen in den Betrieben. Gefördert werden kann dies maßgeblich durch betriebliche Aktivenkreise und – wo es sie gibt – gewerkschaftliche Vertrauensleute in Verbindung mit einer betriebsnahen Bildungsarbeit, die einen Schwerpunkt darin sieht, diese Aktivengruppen widerstands- und sprechfähig zu machen.

Ihre Mobilisierung schafft Erfahrungen der Selbstwirksamkeit in kollektiven Zusammenhängen. Damit diese als Gegengifte gegen rechten Autoritarismus Wirkung zeigen, müssen sie noch mehr als in anderen politischen Feldern mit Machtressourcen unterlegt sein. Machtgewinn muss in den betrieblichen Kontexten als konkrete Praxis erfahrbar sein, als Ergebnis von Solidarisierungsprozessen (Detje/Sauer 2023). Eine Basis dafür liegt in den kollegialen Beziehungen von Beschäftigten mit unterschiedlicher nationaler Herkunft. Hier tritt der kollegiale Zusammenhalt neben ausländerfeindliche Orientierung. Und dabei erweist sich der »betriebliche Universalismus« – gleiche Rechte und Pflichten für alle, Deutsche oder Nichtdeutsche (Schmidt 2007) – als die dominante Orientierung. Darin unterscheidet sich der betriebliche Arbeitszusammenhang (gerade im »Arbeiterbereich«) von anderen gesellschaftlichen Feldern. Und das macht ihn zu einem Ort, an dem Aufklärung gegenüber den menschenfeindlichen Meinungsbildern der Rechten ansetzen müsste. Betriebsnahe gewerkschaftliche Bildungsarbeit ist eine alte und heute hochaktuelle Aufgabe. Ihr Ziel ist es, dass die Rechten weder organisatorisch noch in den Köpfen der hier Arbeitenden eine Basis finden. Dann wären die Betriebe wirklich eine Brandmauer gegen rechts.

»Demokratisierung« ist dann ein Gegengewicht gegen die extreme Rechte, wenn sie nicht in gewerkschaftlichen Sonntagsreden steckenbleibt. »Wirtschaftsdemokratie« war meist reine Utopie, Mitbestimmung à la Volkswagen das Höchstmaß des Erreichbaren. So begnügte sich Interessenvertretung mit einem Klein-Klein, das selbst in kurzen Zeitfenstern reformpolitischer Öffnung nicht bearbeitet wurde. Eine größere Aufgabe steht heute an: ein handlungsunterlegtes Narrativ von demokratischem, selbstermächtigendem Fortschritt zu schaffen.


Wir danken der Rosa-Luxemburg-Stiftung für die Förderung unserer Untersuchungen.