Die autoritär-rechte Konstellation
Rechte Akteur*innen führen einen Kampf um kulturelle Hegemonie, um die Staatsmacht zu »erobern« und autoritäre Lösungen neoliberaler Transformationskrisen durchzusetzen. Dazu setzen sie auf weiße männliche Su-prematie und Maskulinismus, auf die Naturalisierung von Ungleichheit und Herrschaft sowie auf die Konstruktion von auszuschließenden oder tötbaren Körpern. Diskurse um Geschlecht und Sexualität eignen sich für diesen rechten Kulturkampf besonders gut, da sich damit moralische Paniken vor der Auflösung des Gewohnten und vor Kontrollverlust erzeugen lassen. Rechtsautoritäre Akteur*innen verknüpfen in diesen moral panics diskursiv Bedrohung und Verunsicherung, etwa erschütterte heteronormative Familienverhältnisse und eine vermeintliche Krise der weißen Männlichkeit, mit dem Versprechen von Sicherheit durch Führung, Unterordnung und Disziplin z.B. in der Familie. Die Gender- und Sexualitätspaniken deuten nicht nur die materielle Entrechtung der neoliberalen Ära um, sondern sie sind auch eine Strategie, um für den autoritären Umbau einen gesellschaftlichen Konsens herzustellen, also autoritäre Diskurse und Praktiken zum Common Sense zu machen. Und sie gehen mit Gewalt einher – vor allem gegen Migrant*innen, PoC und trans* Personen.
Geschlechter- und Sexualitätsfragen müssen deshalb zum Ausgangspunkt für eine emanzipatorische Gegenmobilisierung werden. Ein queer-feministischer Kulturkampf gegen die autoritäre Rechte muss zum einen die befreiende Perspektive des Ausstiegs aus patriarcho-kapitalistischen Geschlechter-, Sexualitäts- und Familienverhältnissen vor Augen führen. Zum anderen muss er den neoliberalen Exzess von Affekten, wie ihn die autoritäre Rechte in den moral panics inszeniert, aufgreifen und als affektive Demokratie re-artikulieren. Affektive Demokratie nimmt ein materialistisch-feministisches Demokratiekonzept zum Ausgangspunkt, das Arbeit und Arbeitsteilung, Sorgetätigkeiten und Selbstsorge als demokratisches Handeln, das heißt als Partizipation am Ringen um die Organisation des Lebens, begreift.
Kapitalismus, Geschlecht und Affekte. Intersektionen von Herrschaft
Kapitalistisch-patriarchale Unterdrückung basiert schon immer auf heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit, Trennungen von produktiver und reproduktiver Arbeit oder von staatlichem Innen und Außen. Zweigeschlechtlichkeit institutionalisierte historisch die permanente Produktion multipler kapitalistischer Ausbeutung und Ungleichheiten wie die Unterwerfung von Frauen*, Gewalt gegen Homosexuelle und trans* Personen, aber auch Sexualisierung und Ausschluss von »Anderen«, von nicht zur Nation Gehörenden, zum Beispiel rassialisierten Menschen. Die heterosexuelle Familie ist die sichtbare Institutionalisierungsform dieser Grausamkeiten. Die kapitalistische Akkumulation hat die Konzentration von Sorge – als Arbeit, als Liebe, als Zugehörigkeit und Affektivität – in einer vermeintlichen Privatsphäre, die von der öffentlichen, staatlichen Sphäre getrennt sei, zur Voraussetzung.
Erwerbsarbeiter müssen privat und kostenlos reproduziert, sollen umsorgt werden und die öffentliche Sphäre deshalb rational und emotionsfrei organisiert sein, damit das Liebes- und Reproduktionsversprechen der Privatheit umso deutlicher und umso gewaltsamer als Verfügungsanspruch durchgesetzt werden kann. Für die patriarcho-kapitalistische Moderne ist ein Dispositiv affektiver Trennungen charakteristisch, das emotionalisierte Menschen ausschließt und abwertet.
Antikapitalistische Kämpfe gegen rechts müssen also auch deshalb Geschlechter- und Sexualitätsverhältnisse sowie Affektivität ins Zentrum stellen, weil diese Konstellationen kapitalistische Ausbeutungsverhältnisse im Alltagsverstand der Menschen verankert haben. Einen queer-feministischen Kampf um kulturelle Hegemonie zu führen bedeutet daher auch, diese Grundfesten des Kapitalismus in den Denk- und Fühlweisen, in der Arbeit, im Alltag und in den Sorgeverhältnissen zu erschüttern.[1]
Die Illusion demokratischer Rationalität
Die Verführung auch linker Politik war es lange, daran zu glauben, dass der Kampf um Emanzipation »rational« geführt werden müsse, um legitim zu sein. Solidarität, der Anspruch der internationalen Arbeiterbewegung, konnte dann nicht als Emotionalität, als Form der Sorge umeinander begriffen werden, sondern als eine rationale Entscheidung für den gemeinsamen Kampf. Dies führt aber in eine politische und emotionale Sackgasse, ist doch die affektive Zusammengehörigkeit bei allen Freiheitskämpfen zentral. Auch Geschlechter- und Sexualitätskämpfe waren historisch schon immer emotional. Die Verunglimpfung queerer und feministischer Perspektiven als »bloße Identitätspolitiken« trug wesentlich zur Krise linker Gegenmacht bei. Heute sind wir, wie auch schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, an einem Punkt, wo Affektivität und Emotionalität das exklusive Terrain der autoritären Rechten zu sein scheinen.
Die Trennungsverhältnisse der liberalen Demokratie, zu denen auch die Trennung von Rationalität und Emotionalität gehört, dienten schon immer der Herrschaftssicherung der bürgerlichen Klasse. Die an die liberale Demokratie geknüpften Vorstellungen von politischem Subjektsein (der weiße, männliche, produktive und »vernünftige« Bürger), die Trennung von öffentlich und privat und die Idee der Repräsentation sind Formen der bürgerlich-kapitalistischen Herrschaft. Diese Vorstellungen sind an ihr Ende gekommen. Daher gilt es, Demokratie radikal neu zu erfinden, um kapitalistisch-patriarchale Herrschaft zu überwinden.
Die Zeit ist günstig: Demokratie neu denken
Nicht weniger als das ist der Einsatz für einen neuen Anlauf im Kampf um Befreiung. Die Zeit ist günstig für einen feministischen Kulturkampf, denn in der Krise der sozialen Reproduktion, der damit verbundenen Krise von Sorgeverhältnissen und der Verunsicherung von Geschlechterverhältnissen liegt eine Chance. Diese Krisen bieten Ansatzpunkte für die sukzessive Auflösung von geschlechtlich verfestigten kapitalistischen Ausbeutungsverhältnissen. Der Kampf für Emanzipation muss aber auch Affekte und Emotionen als notwendige Elemente des Politischen ernst nehmen. Nicht nur das Private ist politisch, auch das Politische ist privat, weil Politik (private) Interessen aushandelt und Subjektivitäten entstehen lässt. Linke, queer-feministische und intersektionale Kämpfe um eine neue Demokratie müssen Kämpfe um Emotionen und Affekte sein, sie müssen anstecken, affizieren, um intersektionale Herrschaftsformen gemeinsam aufzulösen in Praxen der Sorge, Relationalität und Solidarität. Und sie können zeigen, dass das Affektdispositiv, wie es in Zweigeschlechtlichkeit und in heterosexuellen Familien entsteht, einengt.
Emanzipation und »affektive Demokratie«
Ein emanzipatorisches Projekt gegen die autoritäre Rechte muss ohne Zweifel die immense soziale Ungleichheit beseitigen, es muss Programme ökonomischer Umverteilung auflegen und eine soziale Infrastruktur etablieren. Demokratische Selbstbestimmung kann nur durch eine fundamentale Transformation der Eigentumsverhältnisse sowie der darin eingelagerten geschlechtsspezifischen affektiven Arbeitsteilung verwirklicht werden. Umverteilung und ein neuer Arbeitsbegriff sind notwendige, aber keine hinreichenden Voraussetzungen dafür, der autoritären Rechten den Boden zu entziehen oder gar emanzipatorische Verhältnisse zu schaffen. Dazu bedarf es einer radikalen Neuimagination des Demokratischen, des Alltags und von Subjektvorstellungen, also eines emanzipatorischen queer-feministischen Kulturkampfes.
Grundlage dafür ist ein Perspektivenwechsel, um Demokratie vom Abgespaltenen der patriarcho-kapitalistischen Herrschaftsform aus zu konzipieren – von der Privatsphäre, den Geschlechter- und Sexualitätsverhältnissen, dem Subjektsein, der Sorge und der
Affektivität. So schreibt etwa Gundula Ludwig (2021, 661), dass politisches Handeln immer auch ein Handeln zwischen Menschen und damit »ein Handeln zwischen Körpern« ist, situiert in affektiven Konstellationen. Auch Isabell Loreys Vorschlag einer »präsentischen Demokratie« stützt sich »nicht auf autonome Individuen«, sondern auf »Verbindungen und Affizierungen« (Lorey 2020, 161).
Affekte sind Teil des Alltags der Menschen, der Erwerbsarbeit, der prekären Tätigkeit oder der Erwerbslosigkeit, der Sorge um sich und um andere, sie sind aber auch ein notwendiges Element von Staatlichkeit und politisch-demokratischem Handeln. Affektivität als soziales Verhältnis und Teil der staatlichen Arena ist aber immer widersprüchlich. Darin liegt ihr emanzipatorisches Potenzial. Für eine feministisch-intersektionale Idee von Demokratie geht es einerseits darum, die abgespaltene und ausgeschlossene Affektivität als notwendigen Teil von Politik anzuerkennen, andererseits aber auch darum, die Affektivität der Ausgeschlossenen wahrzunehmen. Alison Jaggar (1989) spricht von »outlaw emotions« meist marginalisierter Menschen, die dominanten Gefühlslagen widerständig widersprechen. Ganz ähnlich hebt Sara Ahmed (2004) die emanzipatorische Kraft von »affect aliens«, von aufgrund ihrer Affektivität Ausgeschlossenen hervor – des Pöbels, Homosexueller, von trans* Personen oder Frauen*.
Demokratie entsteht in Arbeits- und Sorgekämpfen, kollektiven wie individuellen Auseinandersetzungen um Leben, um Emotionen und Affekte. In diesem widersprüchlichen Feld kann sich Demokratie als ermöglichende, sorgende, affektive und affizierende Praxis ausbilden. Affekte erlauben das anerkennende Miteinander mit anderen, bieten sie doch die Chance, die eigene Verletzbarkeit wie auch jene der anderen wahrzunehmen und sie zum Ausgangspunkt politischen Handelns zu machen. So kann gemeinsames Handeln als Bezogenheit und Beziehung, als Nähe, aber auch Distanz und als konflikthaftes, widersprüchliches Ringen darum gefasst werden. Sorge ist eine Lebensbedingung, die aufgrund der Angewiesenheit auf andere Menschen entsteht. Sie kann daher für diese Abhängigkeit sensibilisieren. Das Wissen um gemeinsame Abhängigkeit und das Angewiesensein aufeinander können wiederum zur Grundlage gemeinsamen demokratischen Handelns als »fürsorgliche Praxis« werden (Tronto 2013). Die Idee affektiver Demokratie kann an diese Vorstellungen von Sorge anschließen, will aber die politisch-demokratische Dimension menschlicher Relationaliät und Beziehung stärker betonen.
Der Raum des Politischen entsteht aus affektiver politischer Subjektivierung – und umgekehrt: Er produziert affektive politische Subjekte. Das Gemeinsame des politischen Handelns beruht zwar auf Affizierung, auf Beziehung und Relation, auf Zugewandtheit und Empathie, doch in einem stets umkämpften und widersprüchlichen politischen Raum. In einem Konzept »affektiver Demokratie« können daher Affekte nicht schlicht zelebriert werden. Vielmehr müssen Affekte stets in ihrer Eingebundenheit in patriarcho-kapitalistische Verhältnisse betrachtet
und auf ihre Widersprüchlichkeit hin befragt werden. Affekte können herrschaftliche Verhältnisse kreieren und reproduzieren, gerade heute, da Gefühle eine neue Form der Regierung von Menschen, eine »neoliberale affektive Gouvernementalität«, also eine Form von Herrschaft geworden sind (Penz/Sauer 2016, 95ff).
Affektive Subjektivierungsweisen eröffnen aber auch Chancen für die Auflösung von hierarchischer Zweigeschlechtlichkeit und intersektionaler Herrschaft sowie für Möglichkeiten emanzipativer Politikformen der Affizierung gegen kapitalistische Entfremdung. Es gibt keine per se demokratiefeindlichen Emotionen und Affekte, wie dies Eva Illouz (2023) oder Martha Nussbaum (2016) annehmen. Auch »negative« Gefühle wie Hass, Ressentiment oder Abscheu, die darauf zielen, Menschen herabzuwürdigen und auszuschließen, können Ausgangspunkte für emanzipatorische Politiken sein. Dies hat Audre Lorde (1984) in einem frühen Text am Beispiel des Kampfs gegen rassistische Erfahrungen gezeigt.
Für das Konzept einer affektiven Demokratie ist der materialistisch-feministische Anspruch der Herrschaftskritik allerdings zentral, wie ihn auch die frühe Frauenbewegung erhob: Frauenbewegtem Aktivismus ging es um die Politisierung und Kritik herrschaftsförmiger Geschlechterverhältnisse, versteinert auch in einer restriktiven Politik der Gefühle. Die Vorstellung einer affektiven Demokratie muss somit die Spannung zwischen Affekten als kreativ-emanzipatorischem Aspekt von Handeln und Affekten als herrschaftlich überformten politischen Instrumenten fassen. Affektive Demokratie benötigt Institutionen und Mechanismen, die dieses Spannungsverhältnis zumindest zeitweise auf Dauer stellen, um es dann auch wieder auflösen zu können. Affektive Demokratie bräuchte beispielsweise neuartige kommunikative Foren, Räume im Alltag, Zeiten und institutionelle Formen, um den je individuellen bzw. kollektiven Gefühlen gemeinsam nachzuspüren, aber auch, um über sie nachzudenken, um also herauszufinden, woher sie kommen, was sie ausgelöst hat und welche Bedeutung sie für das je eigene Leben, aber auch für das Leben anderer Menschen haben. Affektive Demokratie benötigt also Verfahren, um Affekten in der Politik zu ihrem Recht zu verhelfen, aber auch um ihr zerstörerisches Potenzial in Schach zu halten. Dazu bedarf es der »Gefühlskritik« (von Maur 2023). In Ansätzen des feministischen Community Organizing und bei Haustürgesprächen wird diese teilweise schon erprobt (vgl. Fries/Gennburg in diesem Heft).
Dies heißt auch, die unmittelbare Verknüpfung von Affekten, materiellen Verhältnissen, von Produktions- und Reproduktionsverhältnissen sowie Geschlechter-, Sexualitäts- und Ethnizitätsverhältnissen gemeinsam zu erkennen, zu hinterfragen, immer wieder in ihrer Herrschaftsförmigkeit zu kritisieren, um demokratisierende Veränderung anzustoßen. Gemeinsame Praxen der Sorge sind bereits gegenwärtige Ausgangspunkte, wie sie zugleich tragende Grundlage für solche neuen Institutionen werden müssen.
Affektive Demokratie gegen eine maskulinistisch-rechte Konjunktur
Eine Transformation der aktuellen maskulinistischen Konjunktur hin zu einer sorgenden, egalitären Konstellation muss die hegemoniale Affektstruktur transformieren und als das anerkennen, was sie ist: ein notwendiges Element des Politischen. Der von der autoritären Rechten künstlich produzierten Unsicherheit und ihrer autoritären Versicherheitlichung können wir mit einer Idee begegnen, die Sicherheit »entlang von Sorge, Relationalität und Interdependenz« denkt (Laufenberg/Thompson 2021, 32). Anders als autoritäre Sicherheitsversprechen der politischen Rechten kann Sicherheit in und aus konkreten Sorgepraxen von Menschen entstehen, insbesondere in marginalisierten Praxen. Kian Kaiser (2025, 29) formuliert dies folgendermaßen:
»Wenn wir anfangen, das Leben von trans Menschen als Provokation zu begreifen, und anfangen, ihre Erfahrungen als Teil unserer Realität anzuerkennen, eröffnen sich neue Perspektiven. Neue Perspektiven auf Familie, auf Arbeit, auf Pflege, auf Zugehörigkeit. Es entstehen Räume, in denen Fürsorge nicht an Ausbeutung und Anerkennung, nicht an Anpassung geknüpft ist. Diese Räume sind selten […] Aber sie sind da. In selbstorganisierten Kollektiven, in queeren Care-Netzwerken, in migrantischen Freund:innenschaften, in solidarischen Praxen.«
Solche Praxen werden bereits gelebt und erprobt, in kommunalen Ansätzen »sorgender Städte«, in Caring Communities von trans* Personen, aber auch in den Anfängen der Covid-Pandemie, als spontane Praxen einer nachbarschaftlichen solidarischen Infrastruktur entstanden, ebenso wie in Zeiten des Ukraine-Krieges, um Geflüchtete zu unterstützen. Auch wenn solche solidarischen Infrastrukturen zerbrechlich und fragil sind, können sie sich als Erfahrung in den Alltag, in den Common Sense der Menschen einschreiben. Was in noch begrenzten Räumen praktiziert wird, beinhaltet ein Potenzial für populare Ausweitung, ja für Praxen des queer-feministischen Universalisierens.
