Arbeit machte früher fast drei Viertel des so genannten »Mehrwerts« aus; ihr Anteil ist heute auf 60 Prozent gesunken, mit einem entsprechenden Anstieg auf Seiten des Kapitals von einem Drittel auf 40 Prozent. Das bedeutet nicht nur, dass die Reichen immer reicher werden, sondern auch, dass die Nachfrage nach ökonomischen Gütern und Dienstleistungen unter Druck gerät, da weniger Reichtum in den kollektiven Geldbeuteln der Arbeit ist. Der unerbittliche Druck der Globalisierung auf die Gehälter der arbeitenden Bevölkerungsteile ist ein weltweites Phänomen und war ein zentraler Faktor in diesem Prozess. Er führte dazu, dass Ungleichheit überall – sowohl innerhalb der einzelnen Staaten als auch zwischen ärmeren und reicheren Ländern – rapide angestiegen ist und ein Bestandteil der durch den neoliberalen Kapitalismus hervorgerufenen systemischen Krise ist. Eine andere Achse auf dem Weg zum crash ist die Ernährungskrise. Diese ist durch die ansteigende Ungleichheit verstärkt worden und erreichte ihren Höhepunkt im Herbst 2008, als sie mehrere zehn Millionen Menschen in Hunger und Armut stürzte. Die zwei Hauptgründe der Ernährungskrise waren die massive Umstellung auf biologische Treibstoffe, Agrofuels, sowie Finanzspekulationen; wobei der Anstieg des Ölpreises hier noch die Spekulation beförderte. Agrofuels nehmen in den USA mittlerweile ein Drittel der landwirtschaftlichen Nutzfläche für die Nahrungsmittelproduktion ein. Die Entscheidung der EU-Kommission, sich ebenfalls in diesem Sektor bewegen zu wollen, wird ähnliche, aber weniger einschneidende Folgen haben. Das International Food Policy Research Institut, eigentlich eine konservative Organisation, stellt fest, dass die Nutzung von Agrofuels die Kosten für Grundnahrungsmittel um 30 Prozent erhöht hat. Zweitens waren Finanzspekulatoren nach dem Platzen der subprime-Blase auf der Suche nach Investitionsmöglichkeiten, aus denen sie einen schnellen Profit zielen konnten; sie flüchteten sich in die vollständig deregulierten Warenmärkte. Als Folge davon war das Volumen dieser Märkte 20 mal höher als noch fünf Jahre zuvor. So stieg der Preis von Weizen an einem einzigen Tag um 31 Prozent. Gleichzeitig verdoppelte oder verdreifachte sich weltweit der Preis für Grundnahrungsmittel, so dass arme Menschen, die bereits mindestens 80 Prozent ihrer geringen Einkommen für Essen ausgaben, dem nicht Stand halten konnten. Aufstände in mehr als 30 Ländern waren die Folge. Die Finanzkrise selbst ist die dritte Achse, die zur Schnittstelle der Krise führt, aber aus meiner Sicht ist die vierte Achse die gefährlichste: die ökologische Krise des Klimawandels und der Verlust an Biodiversität. Warum sollten wir diese am meisten fürchten? Weil wir uns hinsichtlich Finanzen, Ernährung und selbst bei sozialer Ungleichheit unter großen politischen Anstrengungen besinnen und noch mal von vorne anfangen, unsere Fehler korrigieren und eine erneut auftretende Krise verhindern können. Dies gilt nicht für die Umwelt: in dem Moment, in dem sich die Erderwärmung durchsetzt, ist das Spiel vorbei. Wir befinden uns an der Schwelle zu einem solchen extremen Moment, eventuell sind wir bereits darüber hinaus. Da wir es jedoch nicht genau wissen, sollten wir uns so verhalten, als hätten wir noch die Zeit, jetzt einen radikalen Versuch zu unternehmen, die Bürde zu reduzieren, die wir unserem unglückseligen Planeten auferlegen. Ich möchte im Folgenden dafür eintreten, dass der beste Weg, die Krisen der Ungleichheit, der Ernährung und der Finanzen zu überkommen, der ist, sich auf die ökologische Krise zu konzentrieren, weil uns diese die größte Hoffnung bietet, der gegenwärtigen Situation durch ein ökologisches Transformationsprogramm zu entkommen. Mein Traum wäre, die Welt einen von reichen Ländern angeführten Wandel zu einer fossil- und treibstoffarmen Ökonomie durchlaufen zu sehen, der vergleichbar ist mit der Transformation, die die USA in den frühen 1940er Jahren durchlaufen hat, als sie sich verändert hat, um den zweiten Weltkrieg zu gewinnen. Bei einem solchen crash-Programm könnte es hilfreich sein, die Banken zu zwingen, diese Aufgabe zu finanzieren, aber selbst wenn das erfolgreich wäre, wäre es nicht genug. Wir benötigen zusätzlich massive öffentliche Ausgaben und wissen bereits im Vorhinein, dass unsere gegenwärtigen Regierungen sofort antworten werden, dass sie nicht über ausreichend Geld verfügen, um solch ein Vorhaben anzugehen. Die Linken haben hierzu einige Antworten gegeben. Über Jahre hinweg haben wir diese immer wieder vorgestellt und rein technisch gesehen könnten sie umgesetzt werden. Ohne in die Details gehen zu können, aber unstrittig ist, dass es keinerlei technischen Probleme gibt – hinsichtlich umweltfreundlicher Lösungen oder finanzieller Modelle –, die nicht bezahlt werden könnten. Wir befinden uns nicht in einer Utopie sondern in einem gut vermessenen Terrain. Sicherlich, manche ökologische Lösungsmodelle sind ein wenig kostenintensiver als fossile Treibstoffe – insbesondere bei dem heutigen niedrigen Ölpreis – aber die Preise für gesellschaftliche Alternativen können deutlich gesenkt werden, wenn diese massenhaft produziert würden und die Forschung in den relevanten Wissenschafts- und Technologiezweigen angemessen unterstützt würde. In der Zwischenzeit sollten öffentliche Subventionen die Differenzen ausgleichen, so dass alternative Modelle auch ökonomisch attraktive Optionen werden. Auf diese Weise können viele neue Arbeitsplätze geschaffen, der Wohlstand erhöht und Umweltverschmutzung reduziert werden. Diese finanziellen Krisenlösungsmodelle bedürfen ebenfalls keiner neuen Überlegungen, sondern lediglich einiger Softwarecodes und eines großen politischen Willens. Was sollte jenseits einer Kontrolle der Banken auf der öffentlichen Agenda stehen? Einige Anregungen: Besteuert die höheren Einkommen. Die meisten Regierungen, die dem neoliberalen Credo folgen, haben kontinuierlich die Besteuerung ihrer vermögendsten Bevölkerungsteile reduziert, unter dem Vorwand, dass diese Menschen die primären Erzeuger von Wohlstand und Wachstumsmotoren seien. Dies ist eine Lüge – die Reichsten haben bereits fast alles, was sie brauchen, so dass sie ihr Geld in verschiedene Märkte einlegen oder es mit der Hoffnung auf große Rückflüsse Leuten wie Bernard Madoff geben können. Es ist an der Zeit, die abgestufte Einkommenssteuer wieder aufzugreifen und die Erbschaftssteuer wieder einzuführen. Dies ist eine Maßnahme auf nationalstaatlicher Ebene, deren Wiedereinführung einfacher umzusetzen ist als die internationalen Maßnahmen, die nun folgen. Besteuert internationale finanzielle Transaktionen inklusive Währungstransaktionen. Besonders ATTAC hat seit der Gründung vor zehn Jahren immer wieder internationale Besteuerungssysteme eingefordert. Die von 14 Staaten übernommene Steuer auf Flugtickets ist hier zwar nur ein Tropfen auf den heißen Stein, aber sie zeigt, dass internationale Besteuerungen grundsätzlich möglich sind. Eine Steuer von einem Basispunkt oder von einem Tausendstels würde niemandem wehtun. Abhängig vom Umfang der Transaktionen – im Währungshandel betrugen diese vor der Krise mehr als drei Milliarden Dollar pro Tag – könnten sie mehrere zehn Milliarden Dollar einbringen. Diese könnten in öffentliche Vermögensfonds zu Unterstützung ökologischen Transformation eingelegt werden. Erlasst die Schulden des Südens. Die G7 beraten über diese Angelegenheit seit über zehn Jahren, sind aber nie über einen 20-prozentigen Schuldenerlass für die ärmsten Länder hinausgegangen. Es ist nun an der Zeit zu handeln; wobei darauf hingewirkt werden sollte, dass sich die Länder, die einen Schuldenerlass erhalten, im Umweltschutz engagieren, an den Maßnahmen zur Wiederaufforstung, zum Schutz der Biodiversität sowie anderen Umweltprogrammen beteiligen. Die afrikanischen Eliten der Länder der Subsahara haben sich zwischen Mitte der 1970er Jahre und 2004 über 420 Milliarden Dollar angeeignet und diese in Steueroasen des Nordens angelegt. Daher sollte der Schuldenerlass von externen, unabhängigen Prüfern begleitet werden. Wünschenswert wäre auch, dass die Regierungen verpflichtet werden, Wahlen abzuhalten, so dass sich die Bevölkerungen an einem nationalen Rat beteiligen können, dessen Ziel es wäre, Geldströme nachzuverfolgen und dabei sicher zu stellen, dass das Geld in einem angemessenen Sinne verwendet wird. Schließt Steueroasen. Viele namhafte Menschen haben das bereits empfohlen, während sich der Vatikan stark dagegen ausgesprochen hat. Meine britischen Freunde sagen, dass Gordon Brown eventuell sogar akzeptieren würde, dass einige Offshore-Oasen geschlossen werden, sicherlich betrifft dies aber nicht die vielen britischen Oasen wie Jersey. Doch der Druck hat sich erhöht. Mindestens die Hälfte des Welthandels läuft über eine oder mehrere Steueroasen; wir wissen, dass reiche Einzelpersonen und transnationale Unternehmen Steuerzahlungen von mindestens 250 Milliarden Dollar umgangen haben. Das wird so bleiben, solange sie von nationalstaatlichem Recht unangetastet bleiben. Kontrolliert transnationale Unternehmen. Neben ihren Anstrengungen, Steueroasen maximal auszunutzen, sind transnationale Unternehmen aktiv in der Transferpreissetzung, um die von ihnen bezahlten Steuern auf einem absoluten Minimum zu halten. Die Herstellung eines Handys schließt – ob in Wirklichkeit oder nur fiktiv – mehr als zwei Dutzend Länder ein. Jede Transaktion, sei sie materiell (wie der Ankauf der einzelnen Komponenten) oder immateriell (wie Kauf der Werbung oder Bankdienstleistungen), eröffnet die Möglichkeit, Preise und dadurch auch Steuerzahlungen zu manipulieren. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst and Young, die darauf zielt, bei diesen Manipulationen zu helfen, schreibt: »Die Transferpreissetzung betrifft fast jeden Aspekt eines transnationalen Unternehmens und kann seine weltweiten Steuerpflichten grundlegend beeinflussen. Unsere […] Angestellten unterstützen transnationale Unternehmen dabei, Transferpreisstrategien, Lösungen für effektive Steuersätze und kontroverse Managementansätze zu entwickeln, die am besten zu ihren Unternehmenszielen passen.« Wir sollten eine Debatte darüber eröffnen, wie diese Unternehmen betrügen, und beleuchten, wie Ernst and Young und ihre Kunden ihre Managementmethoden anwenden, um uns zu begegnen. Diesbezüglich ist es wichtig zu wissen, dass in der linken Ökonomiediskussion eine »einheitliche Profitsteuer« für transnationale Unternehmen vorgeschlagen wird, die diesem Missbrauch ein Ende setzen könnte. Diese Steuer erfordert, dass transnationale Unternehmen ihre Verkaufszahlen, Profite, Angestelltenzahlen und in jeder Verwaltungseinheit bezahlten Steuern veröffentlichen. Sie würde auf einen Blick zeigen, wenn die Unternehmen betrügen. Emission von europäischen Staatsanleihen für öffentliche Aufgaben, besonders öffentlichen Transport. Erstaunlicherweise weigert sich die europäische Zentralbank (EZB) im Unterschied zu allen anderen Zentralbanken, Staatsanleihen für die Verbesserung der europäischen Infrastruktur auszugeben. Solche Eurobonds würden mit höchster Bonität (AAA-Investments) gehandelt werden und uns in die Lage versetzen, umweltfreundliche Schienen- und Wassertransportnetzwerke sowie europaweite Programme zur Begünstigung alternativer Energien zu entwickeln. Die Unabhängigkeit der EZB ist daher ein zentrales Hindernis für die ökologische Transformation in Europa. Und was ist mit den Bretton-WoodsInstitutionen und der WTO, deren glorreiche Zeiten die G20 Staaten wieder hergestellt sehen möchten? Die Welt braucht internationale Institutionen, aber nicht die, die wir jetzt haben. Hier schlage ich vor, zu Keynes zurückzugehen. Sein Vorschlag einer internationalen Handelsorganisation – die nach seinem Tod in die Havana Charta von 1947 eingegangen ist – wäre ein sehr viel besserer Ansatzpunkt für das internationale Handelsrecht gewesen als es die WTO war, in der nicht ein Wort über Arbeitsrechte oder die Umwelt verloren wird. Die von Keynes entwickelte internationale Währung Bancor hätte die abgrundtiefen Schulden und astronomisch hohen Handelsüberschüsse verhindern können, die wir heute erleben. Diese Währung hätte auch die Schuldenkrise der Dritten Welt vermeiden können, so dass der internationale Weltwährungsfonds (IMF) und die Weltbank kein Einfallstor für ihre tödlichen Politiken gehabt hätten. Nach 65 Jahre müssen aber auch Keynes’ Ideen entstaubt und für die gegenwärtige Lage aktualisiert werden. Wir brauchen dringend ein neues internationales System, das die Vereinten Nationen leider nicht bereitstellen können. Jetzt, kurz vor dem Schluss, ahne ich den Einwand: »Sie hat uns noch nicht gesagt, wie wir den Kapitalismus überwinden sollen, und der Kapitalismus ist doch das eigentliche Problem.« Sie haben auf beiden Ebene Recht – er ist das eigentliche Problem und ich weiß keinen Königsweg, um ihn zu überwinden. Ich glaube, dass die Zukunft an verschiedenen Orten unterschiedlich sein wird und sein soll, und wenn nur auf Grund von geographischen, kulturellen und einer Reihe anderer Faktoren, die jeder Gesellschaft eigen sind. Der zentrale Punkt ist für mich jedoch, dass der Prozess dahin – unabhängig vom Ergebnis – ein demokratischer sein muss. In anderen Worten: Demokratie sollte sowohl das Mittel als auch das Ziel sein. Zum jetzigen Zeitpunkt würde ich mich mit ein bisschen weniger Selbstgefälligkeit und ein bisschen mehr Mut zufrieden geben. Der Großteil der gegenwärtigen Politik wirkt auf mich gleichzeitig betäubt und betäubend, ist viel zu technisch, zu unverständlich und daher für viele unattraktiv, manchmal sogar Angst machend, selbst bei Obama. Wir brauchen einen neuen »Mythos«, eine neue große Erzählung, einen weltweiten Aufschrei, in dem mitschwingt »Yes, we can« – »Ja, die Menschheit kann das schaffen«, alle brauchen diesen Planeten. Ja, wir können und wollen an diesem Punkt der Geschichte handeln, auch wenn uns die Geschichte das schwierigste Blatt in der langen Entwicklung der Menschheit in die Hand gegeben hat. Wir haben keine andere Wahl, als dieses Blatt zu spielen. Der Beitrag beruht auf der Auftaktrede, die anlässlich der internationalen Konferenz »Linke Auswege aus der Krise – ökonomische und soziale Perspektiven«, ausgerichtet von der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Fraktion Die Linke im Bundestag, am 20. März 2008 in Berlin gehalten wurde. Aus dem Englischen von Lars Bretthauer