Die Auseinandersetzungen, die heute im und um den städtischen Raum ausgetragen werden, unterscheiden sich in wichtigen Dimensionen von früheren. Urbane Proteste und Bewegungen manifestieren sich spätestens seit der Französischen Revolution, als solche wahrgenommen wurden sie erst ab den 1960er und vor allem 1970er Jahren, als Sozialwissenschaftler wie Manuel Castells und Henri Lefebvre sie zu Forschungsgegenständen machten und als politische Subjekte analysierten. Konzepte und Theorien über städtische Bewegungen wurden vornehmlich an den – heute würden wir sagen: fordistisch geprägten – Kontexten und Konflikten dieser Zeit entwickelt. Der fordistische Urbanismus war allerdings ein sehr spezifischer historischer Moment. Er prägte das Aufbegehren der Bewegungen gegen die technokratische Zurichtung und die daraus resultierende »Unwirtlichkeit unserer Städte« (Mitscherlich 1965).

Die städtischen Bewegungen der 1960er und 1970er Jahre waren Teil eines Protestzyklus, der sich aus der Kritik am Fordismus und den ihm eigenen Produktions-, Regierungs- und Lebensweisen entwickelte. Die Funktion der Städte und die Bedingungen städtischen Lebens spielten dabei zentrale Rollen. Der Angelpunkt der Kämpfe hatte sich von der »produktiven« hin zur »reproduktiven Sphäre« mit ihren öffentlichen Infrastrukturen und Dienstleistungen verschoben, deren kulturelle Normen genauso hinterfragt wurden wie ihr Preis und ihre Qualität. Die Bewegungen forderten nicht nur eine Verbesserung dieser Einrichtungen des kollektiven Konsums, sondern auch eine stärkere Beteiligung an deren Gestaltung. Während sie so auf eine am Gebrauchswert orientierte Stadt drängten, entwickelten sie selbst autonome lokale Szenen und Projekte gegen die Standardisierung und einseitige Planung von Lebens-, Kultur- und Arbeitsweisen. In vielen Städten entstand eine dynamische Bewegungsinfrastruktur von Stadtteil- und Jugendzentren, Kinderläden, Gesundheitszentren und anderen selbstverwalteten Projekten. Die Bewegungen richteten sich also gegen die »keynesianische Stadt«, in der ein Großteil der sozialen Reproduktion vom (lokalen) Staat übernommen wird, weshalb zeitgenössische Autor*innen das Städtische explizit in Kategorien kollektiven Konsums definierten (vgl. Castells 1983). Heute, nach mehreren Runden neoliberaler Umstrukturierung, agieren die städtischen Bewegungen in einem völlig anderen Setting. Sie konfrontieren keine »keynesianische« Stadt mehr. Auf die Rollback-Phase der 1980er Jahre, in der der keynesianische Wohlfahrtsstaat geschliffen wurde, und die Rollout-Phase der 1990er Jahre, inder die Folgen dieser Sparpolitik durch flankierende Maßnahmen abgemildert werden sollten, folgte die durch die Finanz- und Wirtschaftskrise geprägte Phase der Austerität. Entscheidende Dimensionen der Stadtpolitik werden heute weniger von kommunalpolitischen Institutionen als von zunehmend globalen Wirtschafts-, Finanz- und Immobilieninteressen bestimmt. Statt zentral regulierter wohlfahrtsstaatlicher Politik sehen sich die Bewegungen multi-skalaren Aktivierungsstrategien – und machtvollen privaten Developern und Investoren gegenüber. Die Aufgabe von Stadtpolitik hat sich darauf verengt, das (ungezügelte) Wirken »des Markts« zu ermöglichen – was inzwischen aber auch Gegenwehr hervorruft. 

Vier Merkmale kennzeichnen die heutige Neoliberalisierung des Städtischen bzw. der Stadtpolitik 

  1. Nach wie vor ist der neoliberale Urbanismus bestimmt vom obersten Ziel, Wachstum zu befördern. Um sich in der verschärften interurbanen Konkurrenz gut zu platzieren, bemühen sich Lokalpolitiker*innen, Investitionsströme in ihre Stadt zu schleusen. In dieser Konkurrenz können nicht alle Städte gewinnen, doch sie hat überall Bodennutzungsentscheidungen hervorgebracht, die auf die größtmögliche Renditeerwartung setzen und somit für die Ausbreitung von Gentrifizierung, neuer privatisierter Enklaven für den Elitenkonsum und desinfizierter Räume sozialer Reproduktion sorgen. Diese Wachstumspolitik (häufig angeheizt durch internationale Boden- und Immobilienspekulation) hat nicht nur die gebaute Umwelt transformiert, sondern auch die Boden- und Immobilienpreise explodieren lassen, was Verdrängungsprozesse, vermehrte Räumungen und eine neue Wohnungs- und Obdachlosigkeitskrise zur Folge hat. 

    Im Gegensatz zu den führenden Global Cities sehen sich die meisten »normalen« Städte schrumpfenden Haushalten gegenüber. Sie können das Wachstum also kaum noch mithilfe der in den 1980er Jahren gängigen Standortpolitik beflügeln, die auf teure Groß-Events wie Gartenshows oder Bauausstellungen setzte. Stattdessen haben sie sich eher symbolischen, preisgünstigen Formen der Standortpolitik zugewandt, um ihr lokales Flair aufzumöbeln und »kreative Klassen« und in der Folge auch Investoren anzuziehen, darunter so simple Maßnahmen wie erleichterte Vorschriften für die Gründung von Internetcafés. Solche innovativen, zunehmend kulturellen Branding-Strategien kommen unter anderem alternativen und subkulturellen Bewegungen zugute. Stadtmanager*innen haben festgestellt, dass sich solche Bewegungen als nützlich für Vermarktungsstrategien erweisen und leicht in »Kreative-Stadt-Projekte« eingepasst werden können. 
  2. Städte haben in mehr und mehr Bereichen ihres Regierungshandelns unternehmerische Formen von Governance eingeführt. Sie nutzen dabei nicht nur angeblich effizientere betriebswirtschaftliche Modelle, sondern vergeben immer mehr Aufgaben an private Akteure (in Form von Sub- und Out-Contracting), etwa bei Ausschreibungen für (spekulative) Investitionsprojekte oder die Entwicklung bestimmter Stadtteile. Indem Bürgermeister*innen zusammen mit ihren Partnern aus der Wirtschaft für einzelne Projekte spezielle Träger beauftragen oder Public-Private-Partnerships einrichten, werden Stadträte zunehmend umgangen. Hegemonie wird hier, wenn überhaupt, nur über kleinteilige Einbindungen hergestellt. An die Stelle von langfristigen, tripartistisch angelegten Regulierungsmodi treten flexible, ständig wechselnde Zugeständnisse an verschiedene Gruppen. 

    Dieser Trend einer »Projektepolitik« hat die kommunale Planung deutlich verändert und informelle und kooperative Prozesse verankert. Die von der Kommune orchestrierten kooperativen Planungsverfahren beteiligen neben (globalen) Developern und allerlei Experten für technologische, logistische und algorithmische Lösungen vermehrt auch zivilgesellschaftliche Gruppen. Diese Praxis von »Adhocismus« und Informalisierung der Politik verschafft externen und internationalen Akteuren wie Developern und Investoren einen wachsenden Einfluss, eröffnet aber auch neue Zugänge für artikulationsstarke Bewegungsakteure. Die fehlende öffentliche Transparenz dieser Strategie ruft aber auch neue Proteste auf den Plan, weil unberücksichtigte Gruppen sich von der Gestaltung der Stadt ausgeschlossen sehen und gegen die Erosion repräsentativer Demokratie zur Wehr setzen. 
  3. Intensivierte Privatisierungsprozesse – sei es von kommunalem Vermögen oder öffentlichen Diensten – nehmen immer extremere Formen an und haben die traditionelle Beziehung und Abgrenzung von öffentlicher und privater Sphäre transformiert. Soziale Einrichtungen wurden abgebaut bzw. reorganisiert und kollektive Dienstleistungen und Infrastrukturen wie Versorgungsunternehmen dem Markt ausgesetzt. Zunehmend wird aus Privatisierung sogar Finanzialisierung, indem kommunale Verkehrssysteme oder Sozialwohnblöcke auf den Finanzmärkten verhökert werden. Bei dieser Plünderung öffentlicher Haushalte werden städtische Ressourcen und öffentliche Dienstleistungen zu Optionen für eine erweiterte Kapitalakkumulation durch Enteignung. 

    Besonders gern haben Städte die Privatisierung öffentlicher Räume vorangetrieben. Je mehr private Räume dem Elitenkonsum gewidmet werden, umso besser kann eine maximale Bodenrente realisiert werden. Dies hat spürbare Effekte auf die Stadtlandschaft: Die Privatisierung von Plätzen, Bahnhöfen und quasi-öffentlichen Einkaufszentren hat den Zugang zu kollektiven Infrastrukturen beschränkt oder verteuert. Längst sind ganze Stadtzentren, von Paris, New York und London bis Hongkong oder Singapur, zu exklusiven »Zitadellen der Eliten« geworden. Gegen diese Einhegungen regt sich vielfältiger Protest, etwa gegen die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen oder für Rekommunalisierungen. 
  4. Ein weiteres wichtiges Merkmal ist eine neue Doppelstrategie im Umgang mit der wachsenden sozialräumlichen Polarisierung. In den frühen Phasen der Neoliberalisierung in den 1980er und 1990er Jahren bestanden die einschlägigen Instrumente vor allem aus quartiersbezogenen Revitalisierungs- und Aktivierungsprogrammen, die eine unterstellte Abwärtsspirale in sogenannten Problembezirken aufhalten sollten. Solche Programme sind inzwischen zurückgefahren worden oder werden ersetzt durch eine neue zweigleisige Politik: Sie koppelt einerseits unverblümte Verdrängungsstrategien mit repressiven Maßnahmen und zielt andererseits darauf, mit scheinbar wohlmeinenden Programmen bestimmte ausgewählte verarmte Gebiete und soziale Gruppen in Aufwertungsprozesse einzubeziehen. 

    Die repressiven Instrumente beinhalten Strategien, die unerwünschtes Verhalten sowie unerwünschte Gruppen (wie Obdachlose oder Bettelnde) bestrafen, ebenso wie die Verdrängung unterer Einkommensgruppen in immer entferntere Peripherien oder versteckte Elendsnischen innerhalb der Stadt. Diese punitive Seite der neoliberalen Stadt – mit ihren verschärften Gesetzen, härteren Polizeimaßnahmen, zunehmender Entrechtung – trifft insbesondere Obdachlose, papierlose Migrant*innen, informelle Arbeiter*innen, aber zunehmend auch neue Opfer von Austeritätspolitiken.Die »gutartigen« Instrumente dagegen kommen in Gebieten zum Einsatz, wo sich ein neues Entwicklungspotenzial abzeichnet: alte Industriegebiete oder verfallende Sozialwohnungsbezirke, also eigentlich stigmatisierte Gegenden. Wenn sie günstig gelegen sind, werden sie zu Standorten von Entwicklungsprojekten, die laut Versprechen des Stadtmanagements auch den Anwohner*innen zugutekommen sollen. Diese Strategien greifen nur dort, wo erfolgreiche Verwertungsprozesse, also ein Ansteigen von Immobilienpreisen und Investitionen, winken. Sobald es gelingt, die erwünschte hochpreisige Klientel anzuziehen – häufig durch Vermarktung des vorgefundenen »wilden Urbanismus«, des authentischen Arbeiterklassenmilieus oder der hippen »kulturellen Authentizität« – werden die ärmeren Bewohner*innen verdrängt. Häufig sind begleitende partizipatorische Verfahren vorgesehen, um die antizipierten Konflikte um die gegensätzlichen Interessen kleinzuarbeiten.

Aktuelle Konflikte und Kämpfe um die neoliberale Stadt

Die vielfältigen und vielschichtigen, mit der neoliberalen Stadtentwicklung einhergehenden Ausgrenzungs-, Verdrängungs-, Enteignungs- und Entrechtungsprozesse haben der Bewegungslandschaft neue unkonventionelle Akteure zugeführt und sie zugleich heterogenisiert und fragmentiert. Während die Folgen der intensivierten Wachstumspolitik Proteste von Anwohner*innen und unterschiedlichsten Betroffenen hervorbrachten – gegen Aufwertung und Verdrängung, gegen Touristifizierung oder Zweckentfremdung –, haben die neuen Wachstumsstrategien der »Kreative-Stadt-Politik« neue Spaltungslinien innerhalb der Bewegungslandschaft produziert. Prekäre, aber in diesem Kontext über »symbolisches Kapital« verfügende Kulturschaffende und Künstler*innen konnten hier zumindest temporär zu potenziellen »Profiteuren« der neoliberalen Stadtpolitik werden. Auch besetzte Häuser oder selbstverwaltete soziale Zentren konnten mancherorts über Jahre überleben, weil sie als Attraktivitätsmarker fungierten in einem Prozess, der über kurz oder lang von Investoren in lukratives Development überführt wird – womit meist eine neue Runde (nun defensiver) Kämpfe beginnt. Bewegungen, die sich nicht so zweckdienlich in lokale Standortpolitik und Vermarktungsstrategien einbinden lassen, haben weniger Entgegenkommen von staatlicher Seite zu erwarten. Dennoch erstarken neben Protesten gegen Aufwertung und Verdrängung auch unter ressourcenarmen Gruppen diejenigen, die sich gegen Austeritätspolitik und Sozialkürzungen sowie gegen Privatisierung und überhaupt gegen das Vordringen globaler (Finanz-)Markt-Akteure in die Stadtentwicklung und die damit verbundene Erosion lokaler Demokratie richten. So hat sich vielerorts eine öffentlichkeitswirksame Bewegungsszene herausgebildet, welche die politischen Eliten massiv unter Druck setzt. Viele dieser – seit Kurzem und seit Langem – Bewegten kommen unter dem Dach des Protests gegen »Mietenwahnsinn« zusammen. [ref]Vgl. die Pressemitteilung von Bundesweites Bündnis #Mietenwahnsinn vom 22.3.2019 unter https://mietenwahnsinn.info/demo-april-2019/wp-content/uploads/sites/4/2019/03/pm3-bundes-weites-buendnis-mietenwahnsinn.pdf. [/ref] Die großen Demonstrationen im April 2019 in Berlin, München, Leipzig, Stuttgart, Frankfurt am Main und weiteren Städten markierten einen vorläufigen Höhepunkt. Dahinter stehen rasante Selbstorganisationsprozesse unterschiedlichster Mietergruppen, die sich mit kreativen Aktionen gegen exorbitante Mietsteigerungen zur Wehr setzen und zunehmend mit anderen Protestgruppen verbünden – etwa jenen gegen Gentrifizierung, Zwangsräumungen und Zweckentfremdung; für Rekommunalisierung, gemeinwirtschaftlichen Wohnungsbau und Enteignung großer Wohnungsunternehmen. Allein in Berlin hatten 280 Initiativen zu dem bundesweiten Protesttag am 6. April aufgerufen. Dahinter stehen auch lokale Aktivistengruppen, die sich seit Jahren unter dem Banner »Recht auf Stadt«[ref]Siehe z. B. http://www.realize-ruhrgebiet.de/2018/05/14/recht-auf-stadt-zwischen-abwehr-kaempfen-radikaler-realpolitik-und-alternativen/. [/ref] über Landesgrenzen hinweg vernetzen, um ihren Kampf um bezahlbaren Wohnraum oder gegen Zwangsräumungen[ref]Siehe z. B. European Action Coalition for the Right to Housing and to the City aus Anti-Zwangsräumungsinitiativen aus 13 europäischen Ländern: http://www.rosalux.eu/publications/resisting-evictions-across-europe/. [/ref] multi-skalar zu führen. Den derart erstarkten Bewegungen neuer und alter urban outcasts gelingt es zunehmend, ihre Themen auf die mediale und politische Agenda zu setzen, gewisse Konzessionen zu erstreiten und mancherorts auch bewegungsnahe Politiker*innen in kommunale Ämter zu hieven. Da die eigentlichen Adressaten der Proteste, die global agierenden Investmentfirmen und Developer, schwer greifbar sind und die Kommune oft nicht mehr als Feind der Bewegungen wahrgenommen wird, kommt es zu Annäherung und Kooperationen »zwischen Zivilgesellschaft und Politik«, vor allem dort, wo Letztere zugänglich erscheint. Unter dem Label des »neuen Munizipalismus« finden Bewegungsforderungen Fürsprache bei Stadträten und/oder Bürgermeister*innen – von Barcelona über Zagreb, Warschau, Bologna und Berlin bis nach Jackson (Mississippi) und jüngst auch in Chicago. Die Versuche, nicht nur Forderungen, sondern auch Akteure der Bewegung in lokale Institutionen und Regierungen hineinzuheben, rufen erheblichen Widerstand der etablierten Parteien und vor allem des Immobilien- und Finanzkapitals hervor. Gleichzeitig generieren sie Friktionen aufseiten von Bewegungsgruppen, deren Erwartungen über das »realpolitisch Durchsetzbare« oft hinausgehen. Oder sie verstärken vorhandene Spaltungslinien, weil die bereitgestellten Partizipationsformate eher von »Bewegungseliten« genutzt werden (Balcerowiak 2018). Meist sind es langwierige und mühsame Kämpfe, in denen Initiativen wie »Stadt von unten« darauf drängen, gerade NICHT »ein paar Projektorchideen für ein paar Glückliche zu schaffen« (Stadt von unten 2018). »Stadt von unten« wurde 2014 in Berlin gegründet, um ein Modellprojekt in kommunalem Eigentum am Dragoner-Areal, einem größeren, von der Bundesanstalt für Immobilien (BIMA) zum Verkauf bestimmten bebauten Gebiet in Berlin-Kreuzberg durchzusetzen. Gemeinsam mit anderen Initiativen gelang es ihnen 2016, eine Privatisierung des Areals zu verhindern und es zum Sanierungsgebiet erklären zu lassen. [ref]Das Areal ist seither im Besitz des Landes Berlin. Die BIMA regelte, dass 90 Prozent der Fläche kommunal (also von einer Berliner Wohnungsbaugesellschaft) bewirtschaftet werden müssen, das heißt, maximal zehn Prozent könnten selbstverwaltet bzw. in Erbbaurecht gemanagt werden.[/ref] Mit der Kommunalisierung verknüpfen sie als Hauptziel die Demokratisierung der Wohnungsunternehmen und substanzielle Mitbestimmungsrechte der Mieter*innen, die eine langfristige soziale Ausrichtung und bezahlbare Mieten gewährleisten sollen. 2018 gelang es ihnen, einen paritätisch besetzten »Gründungsrat« zu etablieren und dort gemeinsam mit allen Projektbeteiligten Leitlinien für eine Kooperation zu entwerfen. Es zeichnete sich aber ab, dass Senat und Bezirk sich nicht auf inhaltliche Vorgaben einlassen wollten, die über die üblichen Auflagen für Sanierungsgebiete hinausgehen, wie zum Beispiel das Erbbaurecht. Noch bevor die Kooperationsvereinbarung unterzeichnet war, berief die Kreuzberger Bezirksverwaltung eine eher exklusive (da tagsüber im Rathaus tagende) »Beteiligungswerkstatt« ein, um Bau- und Nutzungsanforderungen zu klären – worauf die Initiativen mit Boykott reagierten (Stadt von unten 2019). Während die Initiativen beim Tauziehen mit politischen Entscheidungsträger*innen in Gremien wie dem Gründungsrat kaum Zugeständnisse bei inhaltlichen Vorgaben und Leitlinien der Kooperationsvereinbarung erreichen können, konzediert die Politik auf Bezirkswie übergeordneter Ebene neue, informelle wie formelle Arbeits- und Koordinierungsstellen, die es ermöglichen, bislang ehrenamtliche und deshalb oft prekäre aktivistische Arbeit auf solidere Beine zu stellen. Dadurch werden Teile der Initiativen professionalisiert und in eine »gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung« eingebunden. Derartige Stellen steigern allerdings, genauso wie die oft umkämpften Kooperationsverfahren (vgl. Ziehl 2018), ohne aufmerksame Begleitung das Risiko von Intransparenz und Demokratiemangel in den Planungs- und Entscheidungsprozessen (vgl. Mayer 2019). Wo es also um die Umsetzung von Bewegungszielen geht, bewirken sowohl die unter »neuen munizipalistischen« Vorzeichen eröffneten Verhandlungs- und Kooperationsrunden als auch die Projektplanungen im Rahmen einer unternehmerischen Governance ein Auseinanderdividieren von Bewegungsakteuren: ein Teil entscheidet sich für eine Mitwirkung in diesen Gremien, ein anderer kritisiert deren fehlende öffentliche Transparenz. Erfolg oder Scheitern heutiger städtischer Bewegungen lässt sich nicht bestimmen, indem man sie mit früheren fordistischen Bewegungen vergleicht. Aber so wie die damaligen Bewegungen die fordistische Stadt widerspiegelten und schließlich zu ihrer Krise beitrugen, so lassen sich auch die heutigen erst in ihrer Relation zum neoliberalen Urbanismus begreifen. Ihr Erfolg wird nur an dessen Demontage zu messen sein. Daraus folgt, dass Linke bei der Wahl ihrer stadtpolitischen Aktionen und Kampagnen die Dynamik der neoliberalen Stadtpolitik und deren Auswirkungen auf die Bewegungslandschaft beachten sollten. Die Wohnraumfrage etwa bietet Mobilisierungs- und Politisierungschancen, allerdings nur, wenn es gelingt, auf die große Masse der Betroffenen und auf Solidarität zwischen ressourcenarmen und mehr oder weniger privilegierten Gruppen hin zu orientieren und so den inhärenten Spaltungstendenzen entgegenzuwirken. Eine Vereinnahmung und Kooptierung von Akteuren, die über Artikulationsstärke, kulturelles Kapital oder sonstige für die »kreative Stadt« nützliche Kompetenzen verfügen, torpediert das cross-movement building, das so nötig ist. Nur wenn viele verschiedene Bewegungen sich hinter eine Forderung wie etwa die von »Deutsche Wohnen & Co. enteignen!« stellen, besteht die Chance, über kosmetische Veränderungen hinauszukommen.