Als 2011 am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg der Unmut gegen zu hohe Mieten hochkochte und eine kraftvolle, heterogene Nachbarschaft ihren Protest artikulierte, entstand unsere Initiative Kotti & Co. Viele der Wohnungen dort wurden im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus errichtet. Bei einem näheren Blick wurde deutlich, dass die hohen Mieten die Folgen eines Fördersystems sind, in das die Interessen von privaten Immobilieninvestoren und ihren kreditgebenden Banken eingeschrieben sind und das nur nachgeordnet der Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum für einkommensarme Haushalte dient (vgl. Holm in diesem Heft). Das führt dazu, dass Sozialmieter*innen, die Hartz IV beziehen, einen viel zu hohen Anteil ihres Einkommens für die Miete ausgeben müssen. Eine Reform des sozialen Wohnungsbaus zugunsten einer Mietsenkung wird momentan in der rot-rot-grünen Regierungskoalition blockiert.
Seit 2012 fordern wir daher als langfristige Lösung die (Re-)Kommunalisierung der Sozialwohnungen. Die ersten Ideen für die Selbstverwaltung ganzer Sozialwohnungsbestände haben wir in einer Konferenz 2012 entwickelt. (Hamann/Kaltenborn 2014) nachzulesen sind. Die Kämpfe der letzten Jahre um die Sozialwohnungen – nicht nur am Kottbusser Tor – haben eine andere Ausgangslage geschaffen. So wurde aufgrund der Forderung nach Rekommunalisierung und Selbstverwaltung im Koalitionsvertrag der Berliner rot-rot-grünen Landesregierung von 2016 eine Klausel aufgenommen, auf deren Grundlage diese Forderung zumindest am Kottbusser Tor Realität werden könnte, wenn der politische Wille dazu bestehen bleibt. Die Klausel lautet:
»Die Koalition will den Bestand der Sozialwohnungen zur Wohnraumversorgung bedürftiger Haushalte erhalten. Deshalb sollen sich die städtischen Wohnungsbaugesellschaften bei den geplanten Zukäufen verstärkt um den Erwerb von Sozialwohnungen bemühen, insbesondere in Stadtteilen mit einem Mangel an preiswertem Wohnraum. Die Koalition unterstützt stadtweit Modellprojekte, wie am Falkenhagener Feld und am Kottbusser Tor angedacht, für selbstverwaltete Mietergenossenschaften.«
Mittlerweile wurde das Neue Kreuzberger Zentrum (NKZ) nach massivem öffentlichem Druck insbesondere durch den Mieterrat des NKZ von der Landesregierung kommunalisiert. Auf dieser Grundlage und der im Koalitionsvertrag verankerten Klausel sind Fragen nach einer stärkeren Mieterselbstverwaltung und deren Umsetzung ganz praktische geworden. In diesem Zusammenhang haben wir die Bedarfe der Mieter*innen in einer Studie mit dem Titel »Rekommunalisierung Plus« erhoben. Dabei haben wir auch untersucht, was für Vorstellungen von Mitbestimmung existieren und welche Bereitschaft in einer so benachteiligten Nachbarschaft wie am Kottbusser Tor unter den Mieter*innen besteht, sich aktiv an einer Selbstverwaltung ihrer Wohnungen und Häuser zu beteiligen. Das Plus steht für die größtmögliche Mitbestimmung. Denn unmittelbar in Anschluss an eine Rekommunalisierung – ob über Rückkauf oder Vergesellschaftung mit Entschädigung – stellen sich weitere Fragen: Was ist gewonnen, wenn die Bestände in die öffentliche Hand überführt sind? Schließlich wissen wir, dass öffentliche Wohnungsbauunternehmen seit der Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit nach unternehmerischen Prinzipien funktionieren. Hinzu kommt, dass sie große bürokratische Apparate sind, denen die Auseinandersetzung mit lokalen Problemlagen zum Teil mit sehr viel Geduld und Durchhaltevermögen fast schon aufgezwungen werden muss. Ist die politische Mitsprache durch die Mieter*innen automatisch verbessert, wenn die Wohnungen kommunales Eigentum sind? In welchen Bereichen wollen Mieter*innen mitbestimmen? Was ist gemeint, wenn wir etwa die Forderung »kommunal und selbstverwaltet« für Häuser erheben, die von der sozialen Zusammensetzung der Bewohner*innen her nicht unbedingt klassischen Hausprojekten gleichen, sondern deren Bewohnerschaft viel heterogener ist und stärker durch Migrations- und Rassismuserfahrung, Armut und Ausgrenzung geprägt?
Ergebnisse der Studie
An der Erstellung der Studie waren überwiegend Menschen beteiligt, die selbst Sozialmieter*innen am Kottbusser Tor sind. Die Studie soll auch ausloten, wie sich die gegenseitige nachbarschaftliche Unterstützung ausweiten lässt und welche unterschiedlichen Perspektiven auf ein solches Engagement dabei zu berücksichtigen sind. Methodisch haben wir verschiedene Ansätze miteinander verknüpft. Die Palette reichte von Recherchen und einem Community Mapping über Interviews mit wichtigen Akteuren im Kiez, eine quantitative Erhebung, bei der an die 1 255 betroffenen Haushalte des Untersuchungsgebiets Fragebögen verteilt wurden (Antwortquote von 12,9 Prozent, 162 ausgewertete Fragebögen), bis hin zu einer Qualifizierung des Beteiligungspotenzials. Diese Qualifizierung geht von der Forderung von Kotti & Co. und des Mieterrats im NKZ aus, dass die zu entwickelnde Mitbestimmungsformen in Bezug auf das Wohnen und die Nachbarschaft an den realen Ressourcen und Interessen der Nachbarschaft auszurichten sind. Kernziel der Studie war also die Ermittlung handlungsorientierter Mietertypen, die hinsichtlich ihrer Ansprechbarkeit sowie ihrer Einsatz- und Mitwirkungsbereitschaft unterschiedlich sind.
Ein Ergebnis der Studie ist, dass es bei der Bewertung der Wohnzufriedenheit im Vergleich zwischen staatlichen und privaten Vermietern in einem Punkt zu deutlich unterschiedlichen Einschätzungen kommt: nämlich in der Miethöhe. Dass diese bei staatlichen Vermietern besser bewertet wird als bei privaten, ist wenig überraschend. So liegt die Warmmietbelastung bei letzteren durchschnittlich bei 41 Prozent, im Kreuzberger Zentrum hingegen, wo die landeseigene Gewobag die Vermieterin ist, lediglich bei 30 Prozent.
Auch in Bezug auf »klassische Themen« der Mitverwaltung zeigt sich, dass die Unzufriedenheit bei Mieter*innen der Deutschen Wohnen – mit Ausnahme des Themas Sicherheit – höher ist als bei Mieter*innen der Gewobag1. Dabei lassen sich zwei wichtige Anliegen der Mieter*innen als Ergebnisder Studie feststellen, die zukünftig berücksichtigt werden sollten: Zum einen wurdedie Ansprechbarkeit bei Reparaturen bzw. Hausverwaltungsthemen kritisiert und zum anderen Probleme bei der Müllentsorgung. Überraschenderweise gaben 59 Prozent der befragten Mieter*innen in Gewobag-Häusern an, dass sich seit der Kommunalisierung des NKZ im Januar 2016 die Ansprechbarkeitbei Reparaturen verschlechtert habe. Bei Mieter*innen der Deutschen Wohnen (DW) waren es nur 19 Prozent der Befragten, diein diesem Zeitraum eine Verschlechterung beklagten. Das schlechte Abschneiden der kommunalen Wohnungsunternehmen in diesem Punkt gegenüber dem für seine schlechte Ansprechbarkeit stadtweit bekannten Immobilienaktienunternehmen Deutsche Wohnen, ist unter anderem damit zu erklären, dass sich die Frage nach einer Verschlechterung nur auf die letzten zwei Jahre bezog. Dazu muss man wissen, dass die Privatisierung der GSW (jetzt Deutsche Wohnen) zum Zeitpunkt der Befragung schon 15 Jahre zurücklag und die Mieter*innen seit langer Zeit mit einem schlechten Service der Hausverwaltung konfrontiert waren. Das kürzlich kommunalisierte Gebäude des NKZ mit 300 Wohnungen hatte jedoch bis zum Kauf durch die Gewobag eine private lokale Hausverwaltung, die sehr gut ansprechbar war und einen engen Kontakt zu den Mieter*innen pflegte.