Erstens gibt es keinen neuen Modus der Kapitalakkumulation, der (wie damals der Fordismus) an den Rändern des herrschenden Modus entstanden ist und den Platz der ausgedienten, alten Ordnung einnehmen könnte. Die Rolle des New Deal in den USA war die Verallgemeinerung jenes Klassenkompromisses, der mithilfe staatlicher Intervention von Ford in Detroit paradigmatisch durchgesetzt worden war. Auch wenn es eines Zweiten Weltkriegs und zahlreicher Anpassungen bis in die 1950er Jahre hinein bedurfte (wie die McCarthysche Jagd auf Kommunisten, die zugleich die Gewerkschaften zähmte), so war das im Großen und Ganzen das Ergebnis. Heute interveniert der Staat wieder, aber nur um den neoliberalen Akkumulationsmodus zu unterstützen – ein neuer ist nicht in Sicht. Zweitens ist heute der Grad der Transnationalisierung des Kapitals (vor allem des produktiven, denn Handel und Finanzen waren immer relativ stark transnationalisiert) derart hoch entwickelt, dass nationale Lösungen nicht länger ins Auge gefasst werden können. Sogar der klassische New Deal musste mithilfe des Marshallplans nach Europa exportiert werden, damit der Fordismus in seinen verschiedenen Varianten in einem transatlantischen Kontext gegen den Sozialismus in Stellung gebracht werden konnte. Heute beginnen Produktlinien in Vietnam oder China oder Indonesien und werden durch eine Reihe von Vermittlungen verknüpft, bevor sie die OECD-Ökonomien erreichen, wo die Endkonsumenten sitzen. Gleichgültig ob innerbetriebliche Warenflüsse oder zwischenbetrieblicher Handel – diese produktiven Netzwerke können nicht im nationalen Rahmen organisiert werden. Wenn sich Revolten in Madagaskar gegen den Verkauf von Land an ausländische Investoren wenden, sich in Thailand an horrender Ungleichheit entzünden oder anomische Formen annehmen wie die somalische Piraterie oder den Diebstahl von Öl im Nigerdelta, dann stehen sie weit außerhalb der neuen Klassenkompromisse, die von denen kontrolliert werden, die die globale Ökonomie beherrschen. Auf dieselbe Weise können die USA weder China noch Japan noch irgendeinen Staatsfonds veranlassen, einem Westen, der in der Krise steckt, zu Hilfe zu kommen. Parallele Flüsse von Rohmaterialien erhöhen nur noch die globale Interdependenz. Mit anderen Worten: die globale politische Ökonomie ist so organisiert, dass die Politik in Staaten eingeschlossen bleibt. Klassenbeziehungen sind Teil einer globalen Struktur; sie sind durch Nationen vermittelt und schließen so jeden effektiven Zusammenschluss von Interessen aus – die Interessen des transnationalen Kapitals ausgenommen. Drittens geht es in der gegenwärtigen Krise keineswegs nur um einen geschichtlichen Modus der Kapitalakkumulation, sondern um die westliche Lebensweise selbst – um intensive Konsumption, die Überausbeutung von Gesellschaft und Natur nach dem Diktat der Gewinnmaximierung, um strukturelle Ungleichheit. Der Kapitalismus selbst ist jetzt mit seinen Grenzen konfrontiert und da sein geschichtliches Schicksal untrennbar mit dem transnationalen, Englisch sprechenden Westen verknüpft ist, in dem er entstand und von dem aus er sich ausbreitete, sind beide – der Westen und der Kapitalismus – aneinander gekettet, wenn es um ihren Niedergang geht. Es gibt keinen Trick, mit dem man den Kapitalismus in eine Schachtel stecken und ihn nach China oder anderswo mitnehmen kann, wo er sein Leben von neuem beginnt, ohne die Kultur von Liberalismus und Individualismus, die seinen Beginn überhaupt ermöglicht haben. Zusammengenommen zeichnen diese drei qualitativen Unterschiede zur Großen Depression ein düsteres Bild von der Zukunft des Kapitalismus und des Westens. Und dennoch – die herrschenden Klassen in diesem Teil der Welt sind nicht wirklich durcheinander gebracht worden. Bush wurde rechtzeitig von einem jugendlichen, redegewandten und diplomatischen Obama abgelöst, der englischsprachige Westen bekam eine Atempause. Verschwunden ist die Idee, dass der neoliberale Kapitalismus eine angloamerikanische Strategie gegen den fordistischen Kompromiss der Klassen und Staaten ist. Wer erinnert sich noch daran, wie der Westen Pinochet erlaubte, die chilenische Demokratie zu strangulieren? Wie die brutalsten Mittel angewandt wurden, um progressive Regierungen und Bewegungen in Zentralamerika und im südlichen Afrika zu zerstören? Gegenwärtig kann kein global agierender politischer Führer mit Obama’s Charisma konkurrieren – und im aktuellen transnationalisierten Kontext spielt die Außenpolitik im Kampf der politischen Alternativen eine Schlüsselrolle. Das ermöglicht dem Westen, neue Wege zur Stabilisierung des allgemeinen Gleichgewichts der Klassen und international agierenden Kräfte einzuschlagen und zugleich mit den unmittelbaren Begleiterscheinungen der Krise, wie Massenarbeitslosigkeit und Bankrotten, umzugehen. Es wird Anpassungen in der Struktur der kapitalistischen Klasse geben. Jene Kapitalfraktionen, die von der Thatcher-Reagan-Konterrevolution am meisten begünstigt wurden (also das Finanzkapital und die unregulierten Kapitalmärkte in denen es agierte und die das Zentrum des aktuellen Krisensturms bilden) sind in der Defensive. Bekanntlich hat Marx im dritten Band des »Kapital« vermerkt, dass die meisten Finanziers, die mit geborgtem Geld arbeiten und daher Profite scheinbar aus dem Nichts schaffen, dazu neigen, philosophisch zu werden. So werden wir noch einiges von den aggressiven Finanzspekulanten wie George Soros hören, der in den 1980ern das britische Pfund in die Knie zwang, zum Ruin der Wirtschaft Großbritanniens beitrug und nun kapitalistische Exzesse »kritisiert«, nachdem er seinen Reichtum gesichert und begonnen hat, Land in Argentinien und andernorts zu kaufen. Auch der Bankensektor, der nach der abschließenden Beseitigung der Reste der New-Deal-Gesetzgebung (die die Trennung von Investmentbanking und Geschäftsbanken festgeschrieben hatte) weitaus stärker im Kapitalmarkt aktiv geworden war und sich seit den späten 1990ern im Milieu der Hedgefonds getummelt hatte, hat deutlich an Einfluss verloren. Auch wenn einige seiner exponiertesten Manager wegen krasser Unfähigkeit entlassen wurden, wird doch der Bankensektor insgesamt auf Kosten der Öffentlichkeit saniert. Viele haben bereits die Erwartung geäußert, dass ein stärker regulierter, gebändigter Bankensektor das Ergebnis der aktuellen Staatsinterventionen sein wird. Es gibt eine weitere zentrale Komponente der neoliberalen Konterrevolution der Thatcher-Reagan-Jahre, die unangetastet bleibt: der Militär-Industrie-Komplex des Westens. In diesem Licht muss die Entscheidung der Regierung Obama gesehen werden, den Krieg in Afghanistan zu intensivieren und Pa kistan stärker in ihn zu verwickeln. In dieser Entscheidung klingt noch der von der Wallstreet gestützte massive Umbau der US-Luftfahrtindustrie in der Zeit des sowjetischen Zusammenbruchs nach, der zur aggressiven Wende der US-Politik in der zweiten Amtszeit Clintons und unter Bush beitrug. Investmentbanker wie Richard Holbrooke sind damit befasst, diese Politik in die Praxis umzusetzen. Auch in Europa ist eine deutliche Militarisierung zu beobachten, wobei die USA bestrebt sind, die Autonomie Europas bei aller Unterstützung zu beschränken. Die Big-Brother-Regierungen in Frankreich und Italien sehen sich einer wachsenden Anzahl von Revolten gegenüber, die die europäische Politik in unvorhergesehene Richtungen drängen könnten. Griechenland und die Türkei sind gleichsam unbekannte Größen und im Laufe des letzten Jahrzehnts hat sich Lateinamerika ein Stück aus der Dominanz der Vereinigten Staaten freigemacht. Die Krisen der 1930er und 1970er Jahre haben gezeigt, dass die Manager-Eliten der kapitalistischen Gesellschaften nach vorne drängen, um die Übergänge zu organisieren. Zwar ist heute noch unklar, wohin diese Übergänge führen werden. Angesichts des Fehlens einer starken Linken und des Regiments von Marktdisziplin und intellektuellem Konformismus an den Hochschulen scheint es, dass die herrschenden Klassen des Westens dem Sturm standgehalten haben. Aus dem Englischen von Rainer Rilling