Der versprochene Wandel zum grünen Kapitalismus ist ausgebremst. Die Krisen werden zunehmend autoritär und imperialistisch beantwortet.

 

Die Ampel-Koalition inszenierte sich von Tag eins an als eine »Fortschrittskoalition«. Tatsächlich gab es in weiten Teilen der Zivilgesellschaft, der Medien und selbst unter Linken die Erwartung, dass diese historisch neuartige Regierungskonstellation den »Stillstand« der Merkel-Ära beenden und eine umfassende Modernisierung vorantreiben könnte. Dieses Fortschrittsversprechen hatte verschiedene Dimensionen: erstens die Modernisierung des Exportmodells durch eine neue energetische Basis, Investitionen in »grüne Technologien« und Digitalisierung sowie eine Erneuerung der sozialen Infrastrukturen; zweitens das Versprechen, die Klimatransformation im Sinne eines modernisierten »grünen« Kapitalismus nun ernsthaft voranzutreiben; drittens das sozialdemokratische Versprechen von mehr »Respekt« und sozialer Absicherung durch Mindestlohn, Kindergrundsicherung und Stärkung der Tarifbindung; und viertens schließlich das Versprechen einer »offeneren Gesellschaft« durch die Erleichterung von Zuwanderung und Integration sowie ein Gesetz für geschlechtliche Selbstbestimmung. Die Ampel, insbesondere die Grünen, inszenierten sich als Gegenpol zur autoritären Rechten. All diese versprochenen Reformen hätten zusammengenommen durchaus ein neues Hegemonieprojekt der »grünen Transformation« begründen können – wenn sie mit einem Programm für massive öffentliche Investitionen verbunden gewesen wären.

Es kam bekanntlich anders: Das Jahr 2023 war geprägt von Krisen und einem Vertrauensverlust in der Bevölkerung, die Ampel wird von der Union, den bürgerlichen Medien und der AfD vor sich hergetrieben. Das wirft die Frage auf: Ist die neue Phase des »grünen Kapitalismus« (vgl. Candeias 2023a) schon vorbei, bevor sie richtig begonnen hat?

Meine Hypothese ist, dass sich im politisch äußerst relevanten »Exportblock« – einer Allianz aus exportorientiertem Industrie- und Finanzkapital, Verbänden von Unternehmen, Teilen von SPD, Union und Grünen, der Industrie-Gewerkschaften, Medien und zivilgesellschaftlichen Organisationen – kein Konsens für eine Transformation zum »grünen Kapitalismus« als post-neoliberales Modernisierungsprojekt herausgebildet hat. Zudem haben wir es mit einer deutlich veränderten politischen Konjunktur gegenüber den letzten Jahren der Merkel-Ära zu tun. Die nicht enden wollenden Krisen – die Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg, die Energiekrise und Inflation, die Erschöpfungskrise im Alltag und die Krise der Kommunen und sozialen Infrastrukturen– haben unterschiedlich gärende Widersprüche aufbrechen lassen und nähren Ängste um die Zukunft »unseres Wohlstands«. Es sind andere, nicht die Befürworter*innen einer grün-liberalen Modernisierung, die diese Widersprüche und Ängste erfolgreich politisch artikulieren. Varianten eines autoritären Populismus verschieben das politische Kräfteverhältnis nach rechts. Ich schlage vor, die Entwicklung hierzulande als eine umkämpfte Zwischenphase zu verstehen, in der Teile der Ampel-Regierung und des Machtblocks eine »halbierte grüne Transformation« des Kapitalismus vorantreiben. Diese bleibt aber nur ein untergeordnetes, heftig umkämpftes und teilweise blockiertes Element einer imperial-neoliberalen Modernisierung des deutschen Exportmodells – und wirkt zugleich als Konjunkturprogramm für die autoritäre Rechte.

Ist das Modernisierungsprojekt der Ampel gescheitert?

Die Politik der Ampel ist seit den ersten Tagen krisengetrieben: Der Schock des Ukraine-Kriegs wurde als »Zeitenwende« für ein historisches Niveau an Rüstungsausgaben genutzt und brachte die transatlantisch orientierten Kräfte in die Offensive. Auf den Energiepreisschock folgte der »Doppelwumms«, der die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Inflationskrise zumindest abmilderte. Zwar kam es zu einer stärkeren staatlichen Förderung der erneuerbaren Energien, was vor allem die Grünen als Einstieg in die versprochene Transformation inszenierten. Zugleich aber wurden in hohem Tempo neue Gas-Lieferanten, darunter auch autoritäre Regime wie Katar, gesucht und die Infrastruktur für LNG massiv ausgebaut. Die »Energiewende« droht durch neue fossile Weichenstellungen ausgehebelt zu werden. In der Klimapolitik fällt die Ampel etwa mit der Aufweichung des Klimaschutzgesetzes nicht nur hinter die Erwartungen von Umweltverbänden, sondern auch hinter die Programmatik der Grünen zurück.

Gleichzeitig ist der Zauber des Modernisierungsversprechens verflogen. Eine Politik des Respekts vor harter Arbeit und Leistung fiel bis auf die Erhöhung des Mindestlohns weitgehend aus. Die untere Hälfte der Bevölkerung kämpft mit den steigenden Lebenshaltungskosten. Von der Kindergrundsicherung ist nach Lindners Blockade nicht mehr viel übrig, die Kanzlerpartei hat sich an die Seite der FDP gestellt. Die Krise der sozialen Infrastruktur in den Kommunen hat sich verschärft und die Rückkehr zur Schuldenbremse würde die Lage absehbar verschärfen (vgl. Völpel 2023). Die verfehlte Klima- und Sozialpolitik der Ampel inmitten einer Krise der Lebenshaltungskosten hat zum Glaubwürdigkeitsverlust der Koalition beigetragen.

Das Modernisierungsversprechen eines »grünen Kapitalismus« hatte schon vor der Bundestagswahl 2021 eine geringe Ausstrahlungskraft, die auf Teile der Mittelschichten und der organisierten Zivilgesellschaft beschränkt war. Weder die Ampel, Schwarz-Grün oder Jamaika hatten einen starken Machtblock und ein in der Zivilgesellschaft verankertes neues »Hegemonieprojekt« hinter sich. Das gilt sowohl für ein grün-liberales Transformationsvorhaben wie auch für einen post-neoliberalen, moderat umverteilenden »Green New Deal light«, der weder in der ­Sozialdemokratie noch bei den Grünen großen Rückhalt hatte.

Grüner Kapitalismus: kein Konsens im Machtblock

Unterdessen haben sich die Bedingungen für die deutsche Exportindustrie durch die Folgen des Ukraine-Kriegs und der Pandemie sowie durch die handels- und geopolitische Konfrontation zwischen den USA und China deutlich verschlechtert. Angesichts der sich abzeichnenden Rezession oder Stagnation malen Teile der Medien, Union und Wirtschaftsverbände das Schreckgespenst einer Deindustrialisierung an die Wand. Das ist politisch motiviert, auch wenn strukturelle Krisentendenzen des Exportmodells offensichtlich sind (vgl. Sablowski in diesem Heft; Candeias 2023b; Solty 2023; Hickel 2023). Weitgehend einig ist man sich im »Exportblock«, dass die Konzerne noch stärker direkt staatlich subventioniert werden sollen. Dabei steht eine Senkung der Energiepreise für die Industrie ganz oben auf der Agenda. Das Ringen um die Ausgestaltung eines »Indus­triestrompreises« offenbart Widersprüche innerhalb des Machtblocks. Wirtschaftsminister Habeck hatte bereits im Frühjahr ein Konzept für einen Brückenstrompreis vorgelegt, das den Forderungen von Industrieverbänden und -gewerkschaften entgegenkam und Energieeinsparungen belohnen sollte. Es sah vor, direkte Subventionen für energieintensive Unternehmen an (noch relativ vage) Auflagen für eine klimaneutrale Produktion bis 2045, Standortgarantien und Tariftreue zu binden (vgl. dazu und zu einem linken Konzept Witt/Berlepsch 2023). Die Ausgestaltung war und bleibt jedoch umkämpft. Die Koalition hat sich nun vorerst auf eine Senkung der Stromsteuer für alle (!) produzierenden Unternehmen geeinigt, sowie auf milliardenschwere Entlastungen für 350 energieintensive Unternehmen, ohne Vorgaben für klimaneutrale Produktion und gute Arbeit. Damit haben sich die FDP und jene Teile der Industrieverbände weitgehend durchgesetzt, die eine drastische Senkung oder Abschaffung der Stromsteuer gefordert hatten (vgl. zur genaueren Einschätzung die Online-Fassung dieses Textes).

Vor dem Hintergrund einer neuen imperialen Konstellation der verschärften Konkurrenz zwischen den USA, China und der EU werden im »Exportblock« unterschiedliche Transformationsstrategien verfolgt. ›Grüne‹ Energie und Technologien sind darin wichtige, aber untergeordnete Elemente. Die Strategien unterscheiden sich in wesentlichen Punkten von einer post-neoliberalen grünen Transformationsperspektive. Statt Subventio­nen und sinkende Energiepreise an strikte regulative Vorgaben für CO2-freie oder deutlich ressourceneffizientere Produktionsprozesse zu binden, setzen die meisten Unternehmensverbände weiter auf »Technologieoffenheit«. Eine Beschleunigung der Energiewende ist umstritten, Priorität haben dauerhaft sinkende Energiepreise für die Unternehmen und die Vermeidung »einseitiger« Abhängigkeiten bei der Energie- und Rohstoffversorgung. Ziel ist ein vom Markt gesteuerter Energiemix, der neben Erneuerbaren Energien auch Wasserstoff-, LNG- und Gasimporte sowie Atomkraft umfassen kann. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) warnt etwa unter der Überschrift »de-risking« vor einer zu starken Abhängigkeit von China beim Ausbau der Erneuerbaren, etwa bei Solarzellen und Rohstoffen (vgl. BDA 2022). Umkämpft sind auch die Höhe des Co2-Preises, die Ausgestaltung weiterer Industriesubventionen und staatliche Eingriffe zur De-Karbonisierung im Verkehrs- und Gebäudebereich.

Ein zentraler Konflikt ist der Umfang und die Finanzierung staatlicher Investitionen. Der SPD nahestehende Wirtschaftswissen­schaftler*innen haben jüngst deutlich mehr staatliche Investitionen in den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft und Infrastruktur und eine Lockerung der Schuldenbremse gefordert (vgl. Bofinger u. a. 2023). Wirtschaftsminister Habeck hat sich zwar wiederholt für eine andere, kreditfinanzierte Investitionspolitik bestimmter Vorhaben – explizit Aufrüstung(!) und Modernisierung der Industrie und Digi­talisierung– ausgesprochen. Bisher bleibt der Umfang zusätzlicher staatlicher Investitionen in die grüne Transformation aber deutlich hinter den Investitionsprogrammen der Biden-Regierung und Chinas zurück. Der Grund dafür ist nicht nur in einer politischen Blockade durch die FDP, sondern in Widersprüchen innerhalb des Machtblocks zu suchen. Während der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und zahlreiche Wirtschaftsinstitute eine Kombination von deutlich höheren staatlichen Investitionen mit fortgesetzten Sparzwängen für den Sozialstaat wollen, halten andere Teile an einer rigiden Schuldenbremse fest.

Relevante Teile des Machtblocks setzen auf eine neue neoliberale Agenda-Politik: Arbeitsmarktreformen, Deckelung der Sozialversicherungsbeiträge bei 40 Prozent, Verlängerung der Arbeitszeiten und der Lebensarbeitszeit. Das Kalkül: Die Ampel soll Kernelemente davon umsetzen und gleichzeitig die Grundlage für eine unionsgeführte, offensiv neoliberale Nachfolgeregierung legen. Union, FDP und neoliberale Wirtschaftsinstitute und Medien fahren bereits eine Kampagne für eine neue neoliberale Offensive.

Eine Politik der Schuldenbremse mit gleichzeitig höheren Subventionen und Investitionen (etwa für Aufrüstung) und einem parallelen Verzicht auf höhere Steuern für Konzerne und Vermögende bedeutet perspektivisch, dass an anderer Stelle gekürzt werden muss. Die Ampel-Regierung hat bereits starke Einschnitte bei der sozialen Infrastruktur angekündigt. Wohlfahrtsverbände und andere Organisationen interpretieren dies zu Recht als weiteren Angriff auf die sozialen Grundlagen der Demokratie und warnen, dass es der extremen Rechten in die Hände spielen wird (vgl. auch Völpel 2023).

Neoliberal-imperialer Staatsinterventionismus

Zweifelsohne  übernimmt der Staat im Vergleich zur neoliberalen Offensive der 1990er- Jahre eine deutlich stärkere regulatorische und direkte wirtschaftliche Funktion. In den bisherigen Bilanzen der Biden-Regierung, der deutschen Ampel-Regierung und des Green Deal der EU (vgl. Mahnkopf 2023) zeichnet sich jedoch ab: Die »neue Staatsintervention«[1] setzt anders als der klassische Keynesianismus nicht primär auf die Stärkung der Binnennachfrage durch Lohnsteigerungen und sozialpolitische Maßnahmen. Er zielt vielmehr auf eine direkte staatliche Subventionierung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Exportindustrie in einer neuen Phase der imperialistischen Konkurrenz und Konfrontation.

Die Agenda einer grünen Transformation hat angesichts der verschärften globalen Konkurrenz – um die Vormachtstellung auf den Hochtechnologie- und Absatzmärkten der Industrie, um Energie und Rohstoffe, um die Verteilung der Kosten von Klimafolgen und um die Sicherung günstiger Lebensmittel und Konsumgüter – eine starke imperialistische Dimension (vgl. Solty 2023; Brand/Wissen in diesem Heft). Die EU stellt sich mit dem European Green Deal und dem 750 Milliarden Euro schweren Next-Generation-Plan in diesem Wettbewerb gegen China auf. Die USA wollen besonders in den Bereichen Energiewende, Wasserstoff, Rüstung und Chip-Produktion strategische Investitionen anstoßen. Ingar Solty (2023, 32) spricht in Bezug auf die USA und die EU deshalb von einem »grünen Beggar-thy-neighbour-Kapitalismus mit Staatshilfe«, also von der Fortsetzung der neoliberalen Politik »innerer Abwertung«, das heißt einer Politik der Austerität mit niedrigen Sozialausgaben und Löhnen, auf veränderter, grün-modernisierter Grundlage.

Ein großes keynesianisches Umbauprogramm, das mit einem höheren CO2-Preis und Transformationsvorgaben für die Industrie verbunden wäre, ist in Deutschland derzeit nicht in Sicht. Der kleinste gemeinsame Nenner unterschiedlicher Kräfte scheint eine imperiale Modernisierung des Exportmodells durch einen neuen Staatsinterventionismus zu sein: Angesichts sich verschärfender Wettbewerbsbedingungen soll der Staat die Profite aus der Exportindustrie massiv subventionieren, und zwar direkt aus Steuergeldern. Es wird keine Abkoppelung von China angestrebt, aber mit dem Gewicht des europäischen Binnenmarkts sollen von der chinesischen Regierung Marktöffnungen und neue bi- und multilaterale Handelsabkommen erzwungen werden. Auch die Stärkung der militärischen Allianz mit den USA und eine eigenständige Geopolitik sollen Chinas Aufstieg einhegen. Zudem werden präventiv und aktiv globale Risiken in den Blick genommen. Die dominanten Kräfte im Machtblock setzen auf eine Militarisierung der EU-Außengrenzen und auf eine verstärkte, aber selektive Migration von Arbeitskräften sowie auf Aufrüstung und die militärische Absicherung von Markt-, Energie- und Rohstoffzugängen. Seit Beginn des Ukraine-Kriegs mobilisieren relevante Teile der Medien sowie FDP-, Unions- und Grünen-Politiker*innen für eine Militarisierung und eine offen imperiale Politik. Zuletzt erklärte SPD-Verteidigungsminister Pistorius, ohne großen Widerspruch dafür zu ernten: »Wir müssen kriegstüchtig werden.«

Einige Punkte sind dagegen stark umkämpft: Soll man den USA in eine neue dauerhafte Blockkonfrontation gegen China und Russland folgen oder auf flexiblere Allianzen in einer multipolaren Weltordnung setzen? Wie kann eine Balance von Konfrontation und Kooperation, Sanktionen und protektionistischen Maßnahmen aussehen, die Deutschlands Wettbewerbsposition verbessert und künftige Risiken verringert? Das Gewicht neuer, grüner Technologien (und staatlicher Subventionen und regulatorischer Rahmensetzungen) ist ebenso umstritten wie das Ausmaß einer neoliberalen Offensive, die durch deregulierte Arbeitsmärkte, Austerität und Privatisierung den Wert der Arbeitskraft senken soll.

Wichtig erscheint mir, den widersprüchlichen und krisengetriebenen Charakter des neuen Staatsinterventionismus stärker zu betonen: Die Krisen erfordern dauerhaft ein stärkeres Eingreifen des Staates mit unterschiedlichen finanziellen, regulatorischen, repressiven und militärischen Mitteln. Das bedeutet aber nicht, dass die neoliberale Wettbewerbspolitik in Bezug auf Arbeitsmärkte und Sozialpolitik, soziale Infrastruktur, Rohstoff- und Handelspolitik passé ist oder gar die jahrzehntelange neoliberale Transformation der Staatsapparate umgekehrt würde.

Die »Moving Right Show«

Die neue politische Konjunktur ist durch verstärkte politisch-ideologisch-kulturelle Auseinandersetzungen um Hegemonie geprägt (vgl. zum hegemonietheoretischen Konzept »politische Konjunktur« Clarke in diesem Heft). Im Laufe dieses Jahres ließ sich beobachten, wie sich die politischen Kräfteverhältnisse von Woche zu Woche weiter nach rechts verschoben. Dieser Umbruch wurde maßgeblich durch konzertierte Kampagnen eines neuen politischen Typs angestoßen, die der Strategie des autoritären Populismus folgen. Der Effekt ist eine »Moving Right Show«, um einen Begriff Stuart Halls zu verwenden, der den autoritären Populismus als zentrale Krisenstrategie in den 1970er-Jahren in Großbritannien analysierte (vgl. Hall 1979).

Der Auftakt hierfür war in Deutschland die rassistische Kampagne rund um die ­»Silvester-Krawalle« in Berlin und der folgende Sieg der Union bei der Abgeordnetenhauswahl im Februar 2023. Die im Zeichen des autoritären Populismus neu ausgerichtete Unions-führung mit Merz und Linnemann spielt die Hauptgeige, angetrieben wird die Konjunktur aber auch durch AfD, FDP und relevante Teile der bürgerlichen Medien. Die Liste ist lang: die Kampagne gegen das Heizungsgesetz und gegen das Verbrenner-Aus als Einstieg in die »Klimadiktatur«, sozial-rassistische und wohlstandschauvinistische Mobilisierungen gegen die Aufnahme von Geflüchteten, die Entgegensetzung von »hart arbeitenden Leistungsträgern« gegen Bürgergeldempfänger*innen und eine arbeitsscheue Generation Z, die aggressiven Kulturkämpfe gegen »Wokeness«, »Cancel Culture« und »Gender-Ideologie« sowie die trans*feindliche Mobilisierung gegen ein Selbstbestimmungsgesetz.

Bei der Klimafrage ist die Gesellschaft mittlerweile polarisiert. Zugleich scheint eine deutliche Mehrheit inzwischen dafür zu sein, die Aufnahme geflüchteter Menschen zu beschränken. SPD und Grüne bemühen sich um Schadensbegrenzung und beanspruchen ihrerseits, hart gegen »irreguläre Migration« vorzugehen, erklären Abschiebungen zur Chefsache und setzen auf Law and Order und mehr Polizei. Die Ampel-Regierung will sich offenbar durch eine repressive Migrations- und Asylpolitik als erfolgreicher Manager derjenigen Krisen inszenieren, die sie selbst mitverursacht hat (durch überlastete Kommunen und Infrastrukturen) – mit dem Plan, so den Drift nach rechts oder zumindest die Erosion der eigenen Basis zu stoppen. Die Merz-Union klettert in Umfragen derzeit auf rund 30 Prozent und die AfD erlebt einen Höhenflug.

Die blockierte Transformation verschärft die Krisen

Einiges spricht dafür, dass wir in diesem Jahr­zehnt nicht post-neoliberale, grüne »Varieties of Capitalism« erleben werden, sondern neue Varianten eines imperial-neoliberalen Staatsinterventionismus. Wir haben es mit spezifischen Konstellationen in den USA und der EU zu tun, die zu einem Ringen und immer wieder instabilen Austarieren von grün-liberal-imperialer Modernisierung, autoritär-neoliberaler Modernisierung und rechts-autoritär-fossilistischer Reaktion führen. In Deutschland werden die wachsenden Ausgaben für Aufrüstung und die gigantischen Kosten des Ukraine-Kriegs innerhalb des Machtblocks bislang kaum infrage gestellt. Sie stehen de facto gegen massive Investitionen in einen sozial-ökologischen Umbau oder auch nur eine grüne Modernisierung. Die Kosten für die Bewältigung der absehbaren Wirtschafts- und Klimakrisen werden in den nächsten Jahren noch erheblich zunehmen und die Auseinandersetzungen um die Austeritätspolitik verschärfen. Diese Dynamik verstärkt gesellschaftliche Krisen und Spaltungslinien, ist aber durchaus im Interesse der dominanten Kapitalfraktionen. Noch ist auch ein unmittelbar krisengetriebener und dann auch politisch artikulierter Druck, massiv in Maßnahmen zum Schutz des Klimas zu investieren, nicht gegeben. Die reflexive Einsicht, dass die Verschärfung der Klimakrise »die liberalen Demokratien mit ziemlicher Sicherheit zerbrechen lassen wird« (Schaible 2023), hat im Machtblock noch keine erschütternde Wirkung hinterlassen. Die Sozialdemokratie könnte eine treibende Rolle spielen, bleibt in vielen Ländern aber in der Krise. Antagonistische Bewegungen und Parteien, die eine passive Revolution erzwingen könnten, sind (noch) zu schwach. So bleibt es bei einer »halbierten Transformation«.

Kommt es hierzulande zu einer zugespitzten Krise des Exportmodells – mit dem Einbruch von Profiten, steigender Arbeitslosigkeit und schwindenden Steuereinnahmen–, könnte ein offener Richtungskampf ausbrechen. Dabei könnte sich eine neue offensiv neoliberale Regierung durchsetzen, die mittelfristig einer autoritär-rechten Reaktion den Weg ebnen könnte. Die Linke ist herausgefordert, sich auf diese Konstellation vorzubereiten. Entscheidend wird sein, ob ihr eine Neuorientierung gelingt und sie in der Lage sein wird, sich entschlossen und erfolgreich dem imperialen Krisenliberalismus und der autoritären Rechten entgegenzustellen. Dafür ist es notwendig, ein konkretes Projekt und eine Perspektive, wie die Verbesserung der Lebensverhältnisse und eine sozial-ökologische Transformation durch Bündnisbildung und Kampagnen gelingen kann, überhaupt wieder sichtbar zu machen.