Corona war den meisten Menschen noch vor einem Jahr als Begriff völlig unbekannt. Inzwischen, ein knappes halbes Jahr nach offiziellem Beginn der Pandemie, ist es zu einer Art Kurzformel für die globale ökologisch-sozial-politische Vielfachkrise geworden. Diese Krise ist zwar alles andere als neu (Demirovic et al. 2011), sie zeigt sich aber unter den Bedingungen der Pandemie in voller Deutlichkeit. Im Zeichen von Corona entlarven sich die scheinbare Unverwundbarkeit und Alternativlosigkeit des flexiblen Kapitalismus und der konsumbasierten „imperialen Lebensweise“ des globalen Nordens (Brand/Wissen 2017) als gefährlicher Mythos: Das System funktioniert nur so lange, wie die von ihm systematisch produzierten ökologischen, ökonomischen und sozialen Vulnerabilitäten in andere Sphären und Regionen ausgelagert und der unmittelbaren Sichtbarkeit entzogen werden können. „Corona“ meint zugleich eine Zeit der sich endemisch ausbreitenden Verunsicherung und Angst, ob vor Krankheit und Tod oder vor Arbeitslosigkeit und Armut – oder schlicht davor, dass niemand weiß, wie die Zeit „nach Corona“ aussehen wird und wann sie anfängt. „Corona“ steht aber auch für eine Verbreitung politischen Irrsinns, für das Wuchern von Fake News, Verschwörungsideologien und Irrationalität. Demgegenüber gewinnen auf der anderen Seite diejenigen Politikstile Vertrauen, die das „Fahren auf Sicht“ ganz offen zum handlungsleitenden Prinzip erheben und gar nicht erst versuchen, eine Beherrschbarkeit der aktuellen Lage vorzutäuschen. Angesichts von Staatschefs, die den vorbeugenden Genuss von Desinfektionsmitteln empfehlen oder bis zur eigenen positiven Testung unverdrossen und medienwirksam Hände schütteln, obwohl andernorts bereits die Bestattungsplätze knapp werden, erscheint die vergleichsweise vorsichtige Rhetorik der für ihre angebliche Leidenschaftslosigkeit vielgescholtenen deutschen Kanzlerin auch manchen Linken als die bessere Alternative – nicht zuletzt weil sie offen einräumt, dass der Verlauf der Pandemie unkalkulierbar, ihr Ausgang ungewiss ist.

Wenn man so will, dann gehorcht das Merkelsche Erfolgsrezept – die Sicherung von Souveränität durch das Eingeständnis eines prinzipiellen Mangels an Souveränität – dem Grundprinzip der Resilienz. Dieses Konzept wurde nicht erst im Kontext der Corona-Pandemie erfunden, doch die gegenwärtigen Bedingungen öffnen ein neues Gelegenheitsfenster der Aufmerksamkeit. Im sich multiplizierenden Krisengeschehen steht Resilienz einerseits für Pragmatismus und Vernunft, andererseits für die verständliche Hoffnung auf ein gutes Durchkommen durch die Krise – vorausgesetzt, Mensch, Politik und Organisation sind bereit, sich der radikalen Bedrohungssituation tatsächlich zu stellen. „Are you prepared?“fragt etwa die Weltgesundheitsorganisation in einem Paper, das die „Coronavirus Resilience“ von Organisationen stärken soll. Die OECD wiederum diagnostiziert im globalen politischen Umgang mit der Pandemie einen gefährlichen Mangel an Resilienz, der letztlich aus einer unzureichenden „preparedness“ auf Katastrophen dieser Art resultiere. Parallel klären therapeutische Expert*innen seit Beginn der Pandemie das ratsuchende Publikum in Netz, Funk und Fernsehen darüber auf, wie sich die ganz persönliche Resilienz trotz Lockdown, Home-Schooling und Zukunftssorgen steigern lässt – etwa indem man sich auf „eigene Stärken und frühere Erfolgserlebnisse“ besinnt oder sich fragt, ob es eine*r „nicht noch vergleichsweise gut geht“.

Kurz: In Zeiten von Corona schlägt die Stunde der Resilienz, also eine Zeit, in der die Krisenfestigkeit von Mensch und Gesellschaft diskutiert, bemessen, beschworen und bezweifelt wird. Die Einschätzungen sind dabei einerseits recht skeptisch, sie reichen von der nüchternen Feststellung, dass Resilienz gerade in dem Moment versagt, wenn sie am dringendsten gebraucht wird bis zu einem unverdrossenem Optimismus, der die Pandemie nicht nur als willkommene Gelegenheit zum Ausbau der individuellen wie kollektiven Resilienz feiert, sondern sogar als Ausweis für die Überlegenheit der Demokratie als Regierungsmodell. Demokratien als „lernende Systeme, die ihr Verhalten anpassen, korrigieren und dadurch verbessern können“ scheinen, diesem Argument zufolge, gewissermaßen von Natur aus resilient zu sein und ihre Resilienz unter Coronabedingungen sogar noch erweitern und stärken zu können. Demnach stellt Corona also eine Art Bootcamp der Demokratie dar und Resilienz ist ein Synonym für die Fitness des Gesellschaftskörpers. Skeptischen wie optimistischen Deutungen gemeinsam ist die Annahme, dass Resilienz eine ebenso vernünftige wie unvermeidliche Handlungsorientierung in Krisenzeiten bietet. Und eben diese auf den ersten Blick einsichtige Annahme muss einem zweiten, kritischen Blick unterzogen werden.

Resilienz - Genealogie eines Krisenkonzepts

Um zu verstehen, warum das im Vergleich zu Irrationalismus und Verschwörungstheorien so offenkundig Vernünftige der Resilienz zugleich ein Problem darstellt, muss der Blick zunächst jenseits von Corona auf das Konzept selbst gerichtet werden. Mit Resilienz ist üblicherweise eine flexible Widerstandsfähigkeit gemeint, die Menschen, aber auch Ökosysteme, Finanzmärkte oder Küstenstädte in die Lage versetzt, mit chronischem Stress, Krisen und Schocks so umzugehen, dass es zu keiner nachhaltigen Beeinträchtigung kommt. Wer resilient ist, so der Tenor der auch schon lange vor Corona wuchernden Forschungs- und Ratgeberliteratur zu diesem Thema, der*die ist zwar keineswegs unverletzlich, kann aber mit seiner*ihrer Verletzlichkeit so umgehen, dass Krisen, Schocks und Katastrophen weitgehend unbeschadet überstanden werden. Resilienz ist ein Krisenkonzept, genauer gesagt: eine Handlungsanleitung für das (Über-)Leben in der sich zuspitzenden ökologisch-politisch-sozial-ökonomischen Vielfachkrise. Es wird deshalb nicht zufällig als „Schlüsselkonzept des 21. Jahrhunderts“ (Bröckling 2020) gehandelt. Wo von Resilienz die Rede ist, liegt zugleich immer die Verheißung in der Luft, dass sich auch in radikal unsicheren Arbeits- und Lebensverhältnissen ein günstigenfalls „gutes“ und „erfolgreiches“, mindestens aber halbwegs handhabbares Leben führen lässt. Inmitten der Pandemie gewinnt ein solches Versprechen aus nachvollziehbaren Gründen erheblich an Attraktivität.

Das Konzept der Resilienz wurde bereits im 19. Jahrhundert entwickelt, wird aber erst um die Mitte des 20. Jahrhunderts einem größeren Publikum bekannt. Und dies in zwei parallelen und radikal unterschiedlichen Zuschnitten: einerseits als psychologisches Konzept, das versucht zu ergründen, warum manche Menschen besser mit schwierigen Lebensumständen klarkommen als andere, und andererseits als revolutionäres Paradigma der Ökosystemtheorie, das den Abschied von dem bis dahin dominierenden Gleichgewichtsmodell einleitet. Resilienz verweist in diesem Zusammenhang auf die intrinsische Fähigkeit von Wäldern, Flüssen und schließlich auch Sozialsystemen, selbst radikale Disruptionen langfristig gut zu überstehen, wenn Interventionen von außen weitgehend vermieden werden. Die Schnittstelle beider Perspektiven, der psychologischen wie der ökologischen, liegt im Begriff der Adaption: Resilient ist, egal ob Regenwald, Finanzmarkt oder Burnoutbetroffener, wer sich auf unvorhergesehene, belastende oder sogar existenzbedrohende Umstände so einstellen kann, dass es zu keiner nachhaltigen Beeinträchtigung kommt: Wo von Resilienz die Rede ist, geht es immer um die flexible Anpassung an sich rasch wandelnde und deshalb potenziell krisenförmige Umweltbedingungen (Graefe 2019).

Resilienz ist in diesem Sinne trotz aller Betonung der Notwendigkeit von Wandel, Transformation und Flexibilität ein grundsätzlich konservatives Konzept: es zielt auf die radikale Akzeptanz von unsicheren Umweltbedingungen. Dabei werden als „Umwelt“ durchaus auch gesellschaftliche Rahmenbedingungen gefasst; auch Machtverhältnisse, Interessengegensätze, Ausbeutung und Ungleichheit erscheinen wie Naturphänomene, die sich ebenso wenig willentlich ändern lassen wie der Ablauf der Jahreszeiten. Ändern oder verbessern lässt sich aber der Umgang mit und in diesen Verhältnissen – nämlich qua flexibler Anpassung bzw. Adaption. Längst hat sich Resilienz einen festen Platz im Vokabular internationaler Großorganisationen erobert. In der EU beispielsweise ist Resilienz zu einer „konzeptionellen Allzweckwaffe für jegliche Form der Problembewältigung“ (Syrovatka 2019, 602) geworden; hier werden unter der Überschrift Resilienz Lohnsenkungen, der Abbau von Arbeitnehmer*innenrechten, und die Kürzung von Staatsausgaben legitimiert.

Resilienz als psychologisches und politisches Programm zielt, kurz gesagt, nicht auf Gleichheit, Freiheit oder Emanzipation, sondern auf die Akzeptanz des Unvermeidlichen. Oder anders gesagt: Wo von Resilienz die Rede ist, wird der alte 68er-Slogan „Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt“ auf den Kopf gestellt: Statt Widerstand und Kritik empfiehlt Resilienz die pragmatische Einpassung in die jeweils vorherrschende Normalität, wobei diese allerdings nicht als eingerostet und verkrustet, sondern als grundlegend brüchig, unsicher und unkalkulierbar aufgefasst wird. Die damit verbundene Denkfigur ist zudem auf den Begriff der Resilienz nicht angewiesen, sondern taucht auch dort auf, wo von Arbeitnehmer*innen mehr „Agilität“ eingefordert oder unbezahltes bürgerschaftliches „Engagement“ zur Reparatur der Folgen von Austeritätspolitiken mobilisiert wird (van Dyk/Haubner 2019). Es gilt schließlich auch dort, wo Corona-Risikogruppen dazu aufgefordert werden, sich freiwillig selbst zu isolieren (van Dyk et al. 2020). Die Logik der Resilienz regiert, wo strukturell produzierte Krisenerscheinungen durch Verhaltensmodifikationen so aufgefangen oder zumindest abgemildert werden sollen, dass eine grundlegende Systemtransformation vermieden werden kann. Resilienz zielt somit nicht auf sozialen Fortschritt, sondern auf den Systemerhalt, genauer gesagt: auf das Überleben des Systems – und nicht auf seine Überwindung.

Anpassen statt ändern - warum Resilienz Systemkritik untergräbt

Auch der schöne Begriff der „Systemrelevanz“ fügt sich geschmeidig in das Denken der Resilienz ein – nicht so sehr, weil er mehr oder weniger „relevante“ Bereiche unterscheidet, sondern weil er „das System“ selbst unhinterfragt lässt. Resilienz kann in diesem Zusammenhang zum Beispiel bedeuten, Care-Berufe wie Pflegearbeit symbolisch und materiell genau so weit aufzuwerten, wie es notwendig ist, um die Care-Arbeiter*innen noch einigermaßen bei Laune und damit funktional zu halten, Stichwort Balkonklatschen und Bonuszahlung. Zugleich bleibt völlig unklar, welches „System“ eigentlich durch die Zuschreibung von Relevanz geschützt werden soll: das Gesundheits- und Pflegesystem, das psychische System der Beteiligten und der Bevölkerung – oder nicht doch eher das flexibel-kapitalistische Reproduktionssystem? Dass es weniger um Ersteres und vor allem um Letzteres geht, dafür spricht, dass derzeit – allen Warnungen vor einer zweiten Pandemie-Welle zum Trotz – Wirtschaft und Konsum wieder hochgefahren werden und damit auch der mögliche Kollaps des Gesundheitssystems in Kauf genommen wird. Und wo Luftfahrtkonzerne mit Milliarden von Steuergeldern gerettet werden, da dürften sich auch die von vielen Linken zu Beginn der Pandemie geäußerte Hoffnung zerschlagen, dass Corona eine echte sozialökologische Transformation wahrscheinlicher werden lässt. Kurz: Die ständige Beschwörung der „Systemrelevanz“ scheint es zugleich zu erschweren, tatsächlich die „Systemfrage“ zu stellen.

Systemerhalt – und damit Resilienz – heißt unter Coronabedingungen ganz offensichtlich: Sicherung (und gerade nicht: Transformation) der imperialen Lebensweise und des Überlebens der Großkonzerne. Hier könnte man freilich einwenden, dass eine derartige Kurzsichtigkeit des politischen Handelns eigentlich genau das Gegenteil von Resilienz ist. Aber auch das hängt von der Systemdefinition ab: Wenn es darum geht, das derzeitige gesellschaftliche und ökonomische System so lange wie möglich unter den Bedingungen des fortschreitenden Klimawandels zu erhalten und radikalere Veränderungen erst dann vorzunehmen, wenn sie tatsächlich überlebensnotwendig werden, dann haben gerade die Gesellschaften des globalen Nordens noch ein gewisses Zeitfenster, in dem das „Weiter-so“ plausibler erscheint als eine radikale Transformation gesellschaftlicher Verhältnisse (Blühdorn et al. 2020).

Und auch das hat seinen Grund. Zur Denkfigur der Resilienz gehört, dass „Systemrelevanzen“ zwar thematisiert werden, zugleich aber nicht nach den eigentlichen Ursachen für systemische Krisenerscheinungen gefragt wird. Diese erscheinen vielmehr als unvermeidliche Nebenfolgen von Wachstum und Entwicklung. So bleibt die Frage nach den Ursachen der Pandemie – Stichwort Agrobusiness, Finanzmarktkapitalismus, Verstädterung  – in öffentlichen Debatten meist radikal ausgeblendet; die Pandemie erscheint in noch radikalerer Weise wie eine Naturkatastrophe als klimawandelbedingte Hurrikans oder Überschwemmungen. Auf diese Weise wird mittel- und langfristig eine Zukunft wahrscheinlicher, in der der pandemische Ausnahmezustand auf Dauer gestellt und die Bevölkerung darin trainiert wird, resilient zu bleiben und zu werden, das heißt: sich flexibel den wechselnden Befundlagen anzupassen – etwa dem flexiblen zeiträumlichen Wechsel von Shutdown und Wieder-Hochfahren des wirtschaftlichen und sozialen Lebens.

Könnte es aber nicht trotzdem auch so etwas wie eine linke und emanzipatorische Fassung von Resilienz geben? Das wäre auf jeden Fall originell, weil es bedeuten würde, sich einen Begriff anzueignen, der von Anfang an konservativ war. Damit würde das Muster, dass emanzipatorische Begriffe üblicherweise „von oben“ aufgesogen und ins System integriert werden, auf interessante Weise umgekehrt. Jedoch stehen die Chancen auf eine emanzipatorische Aneignung des Konzeptes der Resilienz alles in allem schlecht. Resilienz ist mit Kernkategorien emanzipatorischer Bewegungen wie Autonomie, Kritik und letztlich auch Demokratie unvereinbar. Resilienz empfiehlt das Sich-fügen in das (kurzfristig) Notwendige und deklariert die Vorstellung einer willentlich und kollektiv herbeigeführten gesellschaftlichen Transformation nicht nur als naiv, sondern als gefährlich, weil Voluntarismus die Fähigkeit zur flexiblen Anpassung an unkalkulierbare Ereignisse untergräbt.

So gesehen erscheint schließlich auch die Feier „der“ Demokratie als besonders (Corona-)resilientes System fragwürdig. Schließlich ist nicht gesagt, dass sich parlamentarische Demokratien auch in längerer Frist gegenüber autokratischen Systemen tatsächlich als bessere Krisen- und Pandemiemanager erweisen. Wird Demokratie jedoch auf ihre Funktionalitätin Sachen Krisenbewältigung reduziert (und nicht auch als Selbstzweck verstanden), dann gerät sie in Gefahr, durch prozedural weniger aufwändige und weniger konfliktive Entscheidungssysteme ersetzt zu werden.

Das Problem der Resilienz liegt, zusammengefasst, also nicht in der Behauptung, dass es wünschenswert(er) ist, Krisen und Katastrophen gut zu überstehen, anstatt in ihnen unterzugehen. Niemand möchte schlecht durch eine Krise kommen, niemand will krank, arm oder traumatisiert werden. Das ist so selbstverständlich wie banal. Das Problem der Resilienz liegt woanders: in der Hochrechnung dieser alltagsweltlichen Selbstverständlichkeit in eine gesellschaftliche und politische Handlungsnorm – und in der damit verbundenen Botschaft, dass gesellschaftliche Bedingungen, also „das System“ selbst grundsätzlich nicht (mehr) verhandelbar und veränderbar sind. Wo von Resilienz die Rede ist, sollten wir deshalb wachsam bleiben. Es könnte sein, dass man uns damit eine Form der Anpassung abverlangt, die die Formen der Disziplinierung, gegen die sich die Kämpfe von 1968 richteten, irgendwann blass und harmlos erscheinen lässt.