Als Mitglieder der LINKEN haben wir die Wahl zur Bremer Bürgerschaft vom 14. Mai mit Spannung verfolgt: Würde sich der Bundestrend fortsetzen und die Partei deutlich an Stimmen verlieren? Würde sich die LINKE in Regierungsverantwortung, als kleinster Teil der Rot-rot-grünen Koalition, behaupten können? Die Freude und Erleichterung nach der Wahl sind groß: Mit 10,9 Prozent ist die LINKE stabil geblieben und hat damit ein Signal des Aufbruchs gesendet. Was können wir als Gesamtpartei daraus lernen? Ein paar erste Gedanken.   

1. Geschlossenheit überzeugt

Entscheidend für den Erfolg war eine klare, einheitliche Haltung und Fokussierung nach außen, trotz Unterschiede innerhalb der Partei. Das war auch eine oftmalige Rückmeldung an den Infoständen: In Bremen wissen die Menschen genau, wofür DIE LINKE steht und unterscheiden das von der Bundespartei. Vielfältige Positionen sind in einer pluralen sozialistischen Partei nicht das Problem. Statt Streit ständig in die Öffentlichkeit zu zerren und mit unlauteren Mitteln auszutragen, müssen Differenzen intern diskutiert und nach Außen die Mehrheitspositionen vertreten werden – bei gleichzeitigem internen Respekt für Minderheitspositionen. So weit, so selbstverständlich eigentlich.

2. Der Nutzen der LINKEN? Spürbare Verbesserungen für die Bürger*innen! 

Sowohl Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard als auch Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt und ihre Ressorts standen in der Energiekrise und der Corona-Pandemie im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Sie haben unter Beweis gestellt, dass DIE LINKE auch in Regierungsposten Krise kann und sich den Respekt der Bürger*innen erarbeitet. Vogt ist nach Bovenschulte die zweitbeliebteste Politikerin in Bremen. Das bestätigt meine Haltung, dass wir als jene in der Partei, die Regierungsbeteiligungen kritischer sehen, eine ernsthafte und zielgerichtete Debatte dazu führen müssen, wie wir die Machtfrage beantworten. Wie kann real etwas durchgesetzt werden und wie kann das den Menschen populär vermittelt werden? (Spoiler: Die Weltrevolution wäre die Lösung, ist für die meisten aber eher unüberzeugend).

3. Inhalte mit überzeugenden Gesichtern verknüpfen

Politik wird medial vermittelt und auch Personen sind Medien. Sie sind nicht nur Trägerinnen, sondern Teil der Botschaft. In den Augen der Leute stehen sie nicht nur für die LINKE, sie sind DIE LINKE. Im Idealfall verkörpert die Person unverwechselbar den Inhalt und beides steht im positiven Sinne für DIE LINKE. An den Infoständen in Bremen wurde oft auf beide Senatorinnen positiv Bezug genommen und den Wahlkampf der Bremer LINKEN kann man durchaus als personenzentriert werten. Das widerlegt die oft wiederholte These, wir könnten nur mit unseren in der Bundespolitik altbekannten Gesichtern erfolgreich sein. Neue Personen können gezielt als Gesichter aufgebaut werden –  wenn ihnen nicht permanent in den Rücken gefallen und ihre Arbeit schlechtgemacht wird (Siehe Punkt 1: Geschlossenheit).

4. „Das neue Rot" –Frisch und zeitgemäss auftreten

Mit ihrem Design setzte sich DIE LINKE Bremen vom Auftritt der Bundespartei ab. Dieser wird oftmals als altbacken, konservativ und ausgelutscht wahrgenommen – so jedenfalls die Rückmeldungen, die ich bekomme. Darüber kann man schimpfen oder man kann daraus lernen, dass eine Erneuerung der Form auch dabei hilft, den Inhalt gewinnender zu übermitteln. In diesem Sinne bin ich gespannt auf die Neugestaltung des Corporate Designs der Bundespartei, die diesen Herbst vorgestellt wird. 

5. Konkret und nahbar statt abgehoben und bevormundend

Der Absturz der Grünen in Bremen ist nicht nur auf die Bundespartei zurückzuführen, sondern auch auf eine sehr unpopuläre Verkehrspolitik in Bremen, wie man im in den Gesprächen im Straßenwahlkampf immer wieder hören konnte. Viele vormalige Grünen-Wähler*innen haben diesmal für DIE LINKE gestimmt. Das zeigen sowohl Statistiken zur Wählerwanderung, wie auch die subjektiven Rückmeldungen an den Infoständen. Gewiss, die Anliegen der Menschen ernst zu nehmen bedeutet, die Verkehrswende für Klimaschutz und bessere Lebensqualität voranzutreiben. Das kann aber nicht bedeuten, morgen das Auto verbieten zu wollen, wenn es noch keine hinreichenden Alternativen gibt, und somit Angst und Ablehnung zu schüren. So gewinnt man eben weder Klimaschutz noch die Bürger*innen. Kristina Vogt trifft da in meiner Wahrnehmung den richtigen Ton, der unsere Herangehensweise als Partei bestimmen sollte. Wirtschaft muss ökologisch sein und ökologisch geht nur sozial.

6. Aussen- und weltpolitische Inhalte spielen wenig bis keine Rolle

Die These, man könne nur gewinnen, wenn man in der aktuellen Situation den Krieg ins Zentrum der Politik rücke, wird immer wieder widerlegt. Kleinstparteien, die sich entsprechend aufstellen, kommen nicht über die Wahrnehmungsschwelle, sondern werden eher als sektiererisch abgetan. Die Bürger*innen wissen relativ genau, was Kommunal-, Landes-, Bundes- oder Europapolitik ist und richten ihre Entscheidung am ehesten daran aus, wo der Schuh am stärksten drückt und wo das reale Veränderungspotenzial für sie am größten ist (siehe Punkt 2: Spürbare Verbesserungen). Im Bund sind unsere außenpolitischen Positionen für potentielle Wähler*innen der größte Hinderungsgrund. Das mag mir nicht gefallen und muss auch nicht heißen, dass sie prinzipiell falsch sind, aber es kann mindestens ein immenses Kommunikationsproblem konstatiert werden. Hier müssen wir ran und spätestens bis zum Europawahlprogramm überzeugende Antworten haben, die die Menschen da abholen, wo sie stehen (siehe auch Punkt 5) und die wir geschlossen vertreten können (siehe Punkt 1).

7. Bremen als Modellcharakter für die Städte - Auf das Land schwer übertragbar

DIE LINKE Bremen hat circa so viele Mitglieder wie die Partei in Hannover. Während Hannover seit Jahren ein dysfunktionaler Kreisverband ist, zeigen die Bremer Genoss*innen, wie es trotz Unterschieden innerhalb der Partei anders gehen kann. Erfolge in Städten können auch auf das Land ausstrahlen – die Menschen, die auf dem Land leben, sind schließlich nicht von der Welt abgeschnitten. Angesichts unseres Ressourcen- und Mitgliederschwundes ist eine Stadtstrategie vonnöten, mit der wir real gewinnen können. Gleichzeitig müssen wir im Landesverband organisierten Support für diejenigen leisten, die in den in ländlichen Regionen und in der Fläche aktiv sind.

8. Offenes Problem: Rechte Erfolge in abgehängten Vierteln

In Bremerhaven liegen durch den Nichtantritt der AfD die „Bürger in Wut“ bei 22%. Da dürften einige Protestwähler*innen dabei sein, denen egal ist, was gesagt wird, aber auch viele, die einfach rechte Positionen vertreten. Dass DIE LINKE bei diesen rechts Eingestellten ein großes Potenzial hat, ist die letzten Jahre mehrfach widerlegt worden. Dass es eine offensive linke Gegenstrategie für abgehängte Stadtteile und Regionen mit hohem Nichtwähleranteil braucht, ist in der Partei breiter Konsens. Eine höhere Wahlbeteiligung in solchen Stadtteilen und ein höherer Stimmenanteil für DIE LINKE würden auch radikal rechte Kräfte schwächen. Die Frage ist, wie eine solche Strategie konkret aussehen und geleistet werden kann – das sollte unsere Leitfrage sein, statt das Fehlen einer Strategie zum gegenseitigen Vorwurf zu machen. Vermutlich muss eine solche Strategie die kontinuierliche Präsenz und Sichtbarkeit der LINKEN in diesen Stadtteilen, Bemühungen um mehr Dialog, wie auch Pläne für spürbare Verbesserungen vor Ort einschließen (siehe Punkt 2).

9. Bemerkenswertes oder: Da geht noch was!

Oft wird gesagt, wenn die SPD verliert, würde auch DIE LINKE verlieren, da wir mit der sozialen Gerechtigkeit einen ähnlichen Themenkern beackern, der im öffentlichen Diskurs immer wieder an den Rand gerät. In Bremen ist es auf lange Sicht umgekehrt. Während die SPD im Vergleich zu ihren Hochzeiten von 1950 bis 1980 und einem nur leichten Abfall in den 90ern aktuell eher ein niedriges Ergebnis vorzuweisen hat und die Grünen schwanken, mit starken Verlusten bei dieser Wahl, hat sich DIE LINKE im Kleinen nach oben entwickelt. „Wir haben Jahre gebraucht, um überhaupt über die Wahrnehmungsschwelle zu kommen“, sagte Claudia Bernhard im Gespräch zu mir. Die Arbeit der Verankerung ist mühselig, doch es ist offenbar möglich, eigene Stärke aufzubauen, ohne von anderen Parteien – oder der eigenen Bundespartei – abhängig zu sein. Traditionell lag DIE LINKE in Bremen bei vergangenen Wahlen etwa vier Prozentpunkte über den Ergebnissen der Bundesebene. Jetzt wurde das Ergebnis bei einem schlechten Bundestrend gehalten. Wo sie in Bremen stehen könnte, wenn die Partei im Bund einen klaren Kurs ohne Blockaden verfolgen und wieder nach oben klettern würde, kann man jetzt ermessen.

10. Praktische Solidarität zum Erfolg und Zusammenhalt der Partei organisieren

Viele Genoss*innen sind bereit und haben Spaß daran, vor Ort gezielt bei Wahlkämpfen oder Kampagnen zu unterstützen. Der Bremer Landessprecher Christoph Spehr berichtet, die Unterstützung von Freiwilligen aus anderen Landesverbänden sei bei dieser Wahl enorm gewesen.

Die Genoss*innen aus anderen Landesverbänden müssen für diese praktische Unterstützungsarbeit angesprochen, untergebracht und eingesetzt werden. Dafür muss konkrete innerparteiliche Solidarität organisiert werden. Kreis- und Landesverbände sollten hierfür noch besser zusammenarbeiten und Wahlen als Kollektivaufgabe der Partei begreifen. Wahlgewinne stärken uns alle – und Niederlagen ziehen uns alle runter.

11. Nach vorne gehen!

Nach einem jahrelangen abstrakten Grundsatzstreit über das Für und Wider des Mitregierens, werden die real existierenden Erfahrungen der Regierungsbeteilig heute in der Partei weithin kaum wahrgenommen oder systematisch ausgewertet. Wer von denen, die nicht vor Ort sind, weiß eigentlich, was in Bremen, Thüringen oder Mecklenburg-Vorpommern erreicht oder nicht durchgesetzt wurde und warum? Weil solches Wissen fehlt, wird die Chance verpasst, durch Erfolge und Misserfolge voneinander zu lernen und gute Inhalte, gute Kommunikationsformen und gute politische Strategien kollektiv auszuwerten. Wir haben die Verhältnisse und unsere Partei zu oft nur verschieden kritisiert. Es kommt drauf an, beide zu verändern.