Die Partei DIE LINKE befindet sich in einer schwierigen Situation. Die Abspaltung des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) und die damit verbundene Bildung einer neuen Partei bedeuten einen tiefen Einschnitt in der Entwicklung sowohl der Partei als auch der gesellschaftlichen Linken. Der Verlust des Fraktionsstatus im Bundestag schwächt die LINKE. Als Gruppe hat sie weniger Rechte und weniger Möglichkeiten, sich politisch zu präsentieren. Zugleich wird damit ein Streit beendet, der die Entwicklung der LINKEN lange Zeit gelähmt hat. Manche sprechen von einem Befreiungsschlag, der der Partei neue Chancen eröffne. Die vielen Eintritte, die die Zahl der Abgänge deutlich überschreiten, werden dafür als Beweis genommen. Wie immer man dies beurteilen mag: Es bietet sich die Chance für eine Erneuerung, deren Richtung noch nicht eindeutig bestimmt ist. Nicht nur aufgrund der neuen parteipolitischen Konstellation, sondern vor allem wegen der gesellschaftlichen Umbrüche ist es notwendig, die LINKE und ihre Politik neu zu bestimmen.

Notwendiger denn je 

Wir befinden uns in einer tiefen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Krise. 2023 war ein Jahr der Rezession, 2024 wird laut Prognosen nicht viel besser. Ein Investitionsstau, Einbrüche bei den Aufträgen in der Industrie und die Zinspolitik verschärfen die wirtschaftliche Lage in Deutschland. Hinzu kommen unbewältigte strukturelle Veränderungen, wie sie insbesondere durch die ökologischen Herausforderungen, aber auch durch die Digitalisierung verursacht werden. Zugleich ist eine enorme soziale Polarisierung zu beobachten. Die stark gestiegenen Preise für Lebensmittel, Energie und Wohnen können von vielen kaum noch bezahlt werden. Auf der anderen Seite machen zumindest Teile der Unternehmen Übergewinne, etwa im Energiesektor. Prekäre Arbeits- und Lebensformen nehmen zu. Politisch ist ein starker Rechtsruck mit erheblichen Gefahren für die demokratische Entwicklung festzustellen. Die Ampelregierung steht vor einem Scherbenhaufen. Sie erweist sich als völlig unfähig, auf die zentralen Herausforderungen unserer Zeit überzeugende Antworten zu geben. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das wesentliche Teile des Haushalts für verfassungswidrig erklärte und damit die Handlungsfähigkeit der Regierung einschränkt, war nur das Tüpfelchen auf dem I einer insgesamt verkorksten Politik. Dieses bietet Ansatzpunkte für eine andere Politik und damit auch für die LINKE. Wir befinden uns jedoch in der paradoxen Situation, in der die Partei eine Abspaltung erlebt und sich selbst marginalisiert, obwohl eine starke LINKE notwendiger ist denn je. Die Unzufriedenheit mit der herrschenden Politik geht derzeit trotz aller Massenproteste nach rechts – und zwar nach extrem rechts. 

Wie aufstellen gegenüber dem BSW?

Linke Politik hat ihren Ausgangspunkt in den Widersprüchen der realen Entwicklung, muss also materiell begründet werden. Wir haben es mit tiefgreifenden gesellschaftlichen Umbrüchen zu tun, angesichts derer eine Neubestimmung linker Politik zwingend ist. Dabei geht es insbesondere um die existenziellen ökologischen Herausforderungen, die die Art und Weise unseres Produzierens und Konsumierens grundsätzlich in Frage stellen. Die Wirtschaft und besonders die Industrie stehen vor großen Transformationsprozessen, infolgedessen auch die gesamte Infrastruktur. Die Pandemie, die Migrationsschübe, vor allem verursacht durch Krieg in vielen Teilen der Welt, in der Ukraine und jetzt auch in Nahost und der sich zuspitzende Kampf um die globale Hegemonie stellen uns vor zusätzliche Herausforderungen. Fragen nach Geschlechtergerechtigkeit, Bekämpfung von Rassismus und jeglicher Form von Diskriminierung haben einen hohen Stellenwert. Der Gründungskonsens der LINKEN, der im Wesentlichen in der Ablehnung und dem Widerstand der neoliberalen Wirtschafts-und Sozialpolitik bestand und auf soziale Gerechtigkeit fokussierte, hält angesichts der veränderten gesellschaftlichen und auch politischen Veränderungen nicht mehr. 

Weil dieser Gründungskonsens lange Zeit die tiefen Spaltungen in der inhaltlichen und strategischen Ausrichtung überdeckte, kam es erst vergleichsweise spät zur tatsächlichen Abspaltung des BSW von der LINKEN. Mit der Gründung dieser neuen Partei, die sich zu einem großen Teil aus inzwischen ausgetretenen Mitgliedern der LINKEN rekrutiert, hat es letztere mit einer neuen Konkurrentin auf der politischen Bühne zu tun. BSW genießt hohe mediale Aufmerksamkeit und weist gute Umfragewerte aus, deren Aussagekraft allerdings noch sehr unsicher ist. Es wird von vielen als eine zweite linke Partei gesehen. Sahra Wagenknecht selbst hat sich klar dagegen ausgesprochen, BSW als eine „Linke 2.0“ zu charakterisieren. Und in der Tat kann sie kaum als linke Partei bezeichnet werden, wenn man sich ihre bisherigen programmatischen Konzepte ansieht. Ihr Gründungsmanifest weist vier politische Orientierungen auf: Wirtschaftliche Vernunft, Soziale Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit. Die Wirtschaftspolitik ist ordoliberal und auf die Stärkung des Mittelstands ausgerichtet, weist allerding mit der Betonung öffentlicher Investitionen auch keynesianische Elemente auf. Man will einen verbesserten Kapitalismus, stellt aber nicht die Systemfrage. Soziale Gerechtigkeit und Frieden sind die starken Punkte des Programms. Sie sind zugleich die politischen Themen, die mit zur Abspaltung beigetragen haben. Denn in dieser Hinsicht gab es erhebliche Kritik an der Partei DIE LINKE. Die ist im Hinblick auf die soziale Frage wenig berechtigt, in der Friedensfrage greift sie eher. Mit Freiheit wird in der BSW der Einsatz für Demokratie und der Kampf gegen rechts verbunden. Dies ist nicht so recht überzeugend, zumal in der Migrationsfrage eine restriktive Politik und eher rechte Positionen vertreten werden. Hier gibt es klare Unterschiede zur LINKEN. Insgesamt ist festzustellen, dass BSW keine wirklich linke, jedoch eine politische Konkurrenz darstellt. Umso wichtiger ist es, dass sich DIE LINKE als überzeugende politische Alternative zu ihr aufbaut. Um allerdings eine wirkliche politische Alternative zu sein, bedarf es mehr als eines neuen Designs oder anderer kosmetischer Änderungen, sondern einer ernsthaften Diskussion zur strategischen Ausrichtung der Partei, die bislang weitgehend unterblieben ist. Aus unserer Sicht sind es drei zentrale Bereiche, die für die Entwicklung der Linken entscheidend sind: Die Positionierung im Hinblick auf die tiefgreifenden Transformationsprozesse, die Friedens- und die Demokratiefrage. 

Sozial-ökologische Transformation

Von der Notwendigkeit einer sozial-ökologischen Transformation sprechen eigentlich alle. Dabei gibt es aber sehr verschiedene Positionen mit unterschiedlicher Gewichtung im Hinblick auf die ökologische und soziale Dimension. Auch die Frage des Wachstums ist innerhalb der Linken äußerst umstritten: Ob es überhaupt noch möglich oder wünschenswert ist und wenn ja, in welchen Bereichen, ist Gegenstand einer theoretischen Debatte. Die Frage stellt sich aber ganz praktisch jeden Tag im Umbau der Wirtschaft. Klar ist: Die ökologischen wie sozialen Herausforderungen lassen sich im Rahmen der kapitalistischen Entwicklung nicht bewältigen. Die LINKE muss sich daher als Protagonistin einer umfassenden und tiefgreifenden Transformation mit sozialistischer Perspektive profilieren. Dafür müssen die Debatten intensiviert und die vorhandenen Konzepte gerade im Hinblick auf Wirtschafts- und Industriepolitik weiterentwickelt werden. Dabei spielt die Demokratisierung der Wirtschaft und die Beteiligung der Beschäftigten eine zentrale Rolle. Freilich reichen gute Konzepte allein nicht aus. DIE LINKE muss sich in die gesellschaftliche Auseinandersetzung um die Veränderung unserer Produktions-und Lebensweise einbringen und dabei die Sorgen und Ängste der Bevölkerung politisch aufgreifen. Es geht um konkrete Projekte, in denen die notwendige ökologische Umstellung mit der Verteidigung der Interessen der Lohnabhängigen verbunden wird. Eine engere Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften ist dafür zwingend.

Klare Position für Frieden

Große politische Unterschiede gibt es nach wie vor in der für die Partei existenziellen Friedensfrage. Zwar sind die Beschlüsse des Parteivorstandes im Hinblick auf das Nein zu Waffenlieferungen und für Abrüstung eindeutig, doch eine wirklich gemeinsame Position zum Krieg in der Ukraine gibt es nicht. Vor allem geht es um die Verständigung zur Einordnung des Ukraine-Krieges in die hegemonialen Auseinandersetzungen. Wir erleben gegenwärtig einen Kampf um die globale Hegemonie, in dem die NATO und der Ukraine-Krieg im Interesse der USA instrumentalisiert werden. Dabei geht es vor allem gegen China, wie die NATO-Beschlüsse der letzten Jahre zeigen. 

Und auch die Haltung zum militärischen Konflikt im Nahen Osten ist kontrovers. Die LINKE verurteilt das brutale Massaker der Hamas eindeutig. Doch Israels Vorgehen wird unterschiedlich beurteilt. Die Bandbreite liegt zwischen einer vorbehaltlosen Rechtfertigung von Israels Vorgehen im Gaza-Streifen auf der einen bis zur bedingungslosen Unterstützung der Palästinenser auf der anderen Seite. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung, die in ihrer Arbeit in Nahost direkt von den Auswirkungen der Eskalation betroffen ist, hat sich um eine ausgewogene Stellungnahme bemüht, indem das Massaker der Hamas verurteilt, aber auch die Abriegelung und die Bombardierung des Gaza-Streifens mit den vielen zivilen Opfern kritisiert wird. Die Eskalation wird als Ausdruck des internationalen politischen Versagens gewertet, eine dauerhafte und gerechte Friedenslösung zu suchen. 

Trotz einiger Bemühungen ist es insgesamt nicht gelungen, die Partei als Friedenspartei zu profilieren. Daran muss dringend gearbeitet werden. Sie muss sich entschieden für eine neue Initiative in der Entspannungspolitik einsetzen und konkrete diplomatische Lösungen mit internationalen Verbündeten vorschlagen. Es gilt, die Friedensbewegung zu stärken und dabei auch das Bündnis mit den Gewerkschaften zu suchen. Gleiches gilt für das Verhältnis von Friedens- und Klimabewegung, besteht doch ein enger Zusammenhang zwischen dem Kampf gegen die Klimakrise und dem Einsatz für den Frieden.

Der Unmut geht politisch nach rechts

Die Widersprüche in der gesellschaftlichen Entwicklung, die ungelösten strukturellen Fragen und die Verschlechterung der Lebenslage führen zu großem Unmut, ja zur Wut und Hoffnungslosigkeit in weiten Teilen der Bevölkerung. Schlagender Ausdruck davon sind die Bauernproteste. Politisch geht die Unzufriedenheit und Empörung mit der herrschenden Regierungspolitik und der Zunahme sozialer Unsicherheit in hohem Maße nach rechts, sodass extrem rechte und zumindest in Teilen faschistische Parteien und Organisationen sich im Aufwind befinden. Diese Entwicklung bedroht in hohem Maße die Demokratie. Die Verteidigung und Ausweitung der Demokratie muss daher ein Schwerpunkt linker Politik sein. Wesentlich ist dabei der Widerstand gegen rechte Entwicklungen. Die gegenwärtigen für Deutschland ungewöhnlich großen Proteste gegen rechts sind dabei ein ermutigendes Zeichen. Allerdings beteiligen sich daran gerade auch diejenigen, die als Teil der Regierung für diese Entwicklung durch ihre verheerende Politik mitverantwortlich sind. Dies muss umso mehr kritisiert werden, da die Rechte letztlich nur durch eine andere Politik, wie sie die LINKE vertritt, erfolgreich bekämpft werden kann. Das beste Mittel im Kampf gegen rechts ist eine starke Linke mit einer überzeugenden Politik. Zugleich muss es der LINKEN gelingen, ihre Kritik an der unsozialen Ampelregierung auszuweiten und eine größere demokratischere Erzählung rund um wirtschaftliche aber auch politische und demokratische Rechte zu entfalten.

Chancen der Linken

Die LINKE hat eine Chance, wenn sie sich auf Kernelemente verständigt. Diese sind neben der sozial-ökologischen Transformation, dem Frieden und der Verteidigung und Ausweitung der Demokratie der Einsatz für soziale Gerechtigkeit, der Kampf gegen die steigenden Lebenshaltungskosten und für die Verbesserung der Arbeits-und Lebensbedingungen sowie der Einsatz für eine humane und integrierende Migrationspolitik und der Kampf gegen jede Form von Diskriminierung. Alle diese Ziele gilt es aus dem Standpunkt der Arbeit heraus und damit aus dem Blickwinkel der Lohnabhängigen anzugehen.

Diese Zielsetzungen lassen sich allerdings nur realisieren, wenn die Partei als solche gestärkt wird. Ein wesentlicher Punkt betrifft die Schaffung eines strategischen Zentrums in der Partei, dessen Fehlen von Vielen beklagt wird. So auch bereits in den „10 Herausforderungen“, mit denen die Rosa-Luxemburg-Stiftung schon vor zwei Jahren Stellung zur Situation der Linken bezogen hat und an die anzuknüpfen wäre. Gestärkt werden müssen auch die regionalen und lokalen Gliederungen der Partei. Die Partei muss vor Ort sichtbar sein. Es bedarf eines konstruktiven Miteinanders und einer auf die politischen Inhalte konzentrierte Debatte und Auseinandersetzung, die die Neumitglieder mit den bestehenden Strukturen verbindet. Nicht eine neue Organisation, sondern eine veränderte Organisation muss das Ziel sein. Der Europaparteitag war in dieser Hinsicht ein ermutigendes Zeichen und stellt durchaus einen Ausgangspunkt für eine konstruktive Erneuerung der Partei dar. Der Rücktritt des Bundesgeschäftsführers kurz nach dem Parteitag war jedoch ein Rückschlag. Es bedarf des kritisch-konstruktiven Dialogs zur Aufarbeitung und für eine programmatische und strategische Erneuerung der Partei.