Uns geht es aber nicht nur um mehr Personal, sondern darum, insgesamt prekäre Arbeitsverhältnisse im Krankenhaus zu überwinden. Darum haben wir ver.di Aktive bei Vivantes vor zwei Jahren die Kampagne „Zusammenstehen“ ins Leben gerufen. Wir kämpfen gegen das Outsourcing von Beschäftigtengruppen in Tochterunternehmen, etwa in der Reinigung oder Speise- und Wäscheversorgung, im Krankentransport oder der Sterilisation. Wir wollen, dass alle Beschäftigten im Haus zu gleichen Bedingungen entlohnt werden, nämlich nach dem TVöD (Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes), egal ob sie bei Vivantes angestellt sind oder bei einer Tochter. Und wir wollen das Übel bei der Wurzel packen: die Tochtergesellschaften zurück zu Vivantes holen.
Was ist das Problem am Outsourcing?
Es ist eine Strategie der Tarifflucht, um Arbeitsbedingungen zu verschlechtern und Löhne zu drücken: in den Tochtergesellschaften wird kein Tariflohn bezahlt. Insgesamt gibt es 12 Tochterunternehmen bei Vivantes, die aber zu 100 Prozent im Besitz des Mutterunternehmens sind. Das heißt, die Beschäftigten werden ausgegliedert, die Gewinne bleiben aber komplett im Unternehmen Im Endeffekt ist das eine Lohnsenkung und ein Angriff auf alle. Zugleich stellt es aber eine Spaltung und eine massive Ungleichbehandlung von Kolleg*innen dar, die im gleichen Haus oft die gleiche Arbeit machen. Gegen dieses Problem kämpfen auch die Kolleg*innen an der Charité, wo die Charité Facility Management (CFM) zu 51 % im Besitz des Unternehmens ist und zu 49 % privaten Anteilseignern gehört. Die Löhne in den Tochtergesellschaften sind hier wie dort erschreckend niedrig – darum kämpfen CFM und VSG (Vivantes Service GmbH) beide um einen Tarifvertrag. Auch die TherapeutInnen von Vivantes fordern die Auflösung ihrer Tochtergesellschaft und die Rückkehr in den Mutterkonzern.
Wie kam es zum Widerstand gegen das Outsourcing?
Tarifflucht durch Ausgliedern ist die herrschende Strategie bei Vivantes – was das heißt, haben wir sehr konkret zu spüren bekommen. Es regte sich allerdings kaum Widerstand dagegen. Auch, weil es nur die „Neuen“ traf, die ohne Tarif beschäftigt wurden. 2014 kam es dann zu einer speziellen Situation: Um eine Wiederangleichung der Beschäftigten an den TVöD zu finanzieren, sollten weitere Beschäftigtengruppen outgesourct und neue Tochtergesellschaft gegründet werden. Diesmal hätte es aber tarifgebundene KollegInnen betroffen. Die Absenkung für die „Alt“-Beschäftigten konnte am Ende verhindert werden, aber leider nicht die neue Tochtergründung. Das hat dann diejenigen mobilisiert, die seit Jahren die gleiche Arbeit für weniger Geld machen. Die KollegInnen der VSG sind jetzt seit zwei Jahren in Tarifverhandlungen und haben viele Aktionen und diverse Warnstreiks durchgeführt. – zum Teil gemeinsam mit den CFM-Beschäftigten, die mit dem gleichen Eigentümer verhandeln. Unter dem Schlagwort „Aufstand der Töchter“ haben sie das Problem des Outsourcing endlich in die Stadtöffentlichkeit und auch in den Betrieb getragen. Und der Aufstand ist noch lange nicht zu Ende. Solidarität mit diesem Kampf ist enorm wichtig, um insgesamt die Arbeits- und Versorgungsbedingungen zu verbessern. Und um zu verhindern, dass die Forderungen gegeneinander ausgespielt werden.
Nun war ja viel von tariflichen Forderungen die Rede: Aber was kann denn das Land Berlin tun?
Es ist klar: Die Hauptursachen für die Probleme liegen in der Ökonomisierung des Krankenhausbereichs. 2004 wurde die Finanzierung vom Kostendeckungsprinzip auf Fallpauschalen umgestellt. In einem zunehmend privatisierten Krankenhaussektor waren die Häuser dadurch angehalten, möglichst effizient zu wirtschaften. Der Kostendruck ist immens gestiegen, das führt zu Einsparungen beim Personal und - wie schon beschrieben – zu Tarifflucht und Lohndrückerei. Zugleich gingen die Fallzahlen in die Höhe und der Arbeitsdruck hat zugenommen. Der Kostendruck kommt aber auch aus der Landespolitik. Das Land Berlin kommt seinen Verpflichtungen in der Krankenhausfinanzierung seit Jahren nicht nach – der Investitionsstau ist enorm. Außerdem: Charité und Vivantes sind in Senatsbesitz. Als Eigentümer könnte der Senat entscheiden, dass die öffentlichen Häuser mit gutem Beispiel vorangehen: mit ausreichend Personal und nach Tarif bezahlten Beschäftigten. Mit diesen Forderungen sind wir aber gegenüber dem letzten, schwarz-roten Senat auf weitgehend taube Ohren gestoßen.
Was sagt die rot-rot-grüne Regierung zu euren Forderungen? Wie habt ihr den Koalitionsvertrag bewertet?
Zunächst ist sehr erfreulich, dass unsere Forderungen gegen Outsourcing und Tarifflucht Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden haben. Dort steht, dass es keine tariffreien Segmente mehr geben soll. Nun erwarten wir, dass das auch umgesetzt wird – und zwar nicht erst in 5 Jahren. Die KollegInnen von Vivantes, der VSG und der CFM kämpfen mittlerweile auch auf politischer Ebene– sie sind gemeinsam mit Beschäftigten aus Musikschulen, Volkshochschulen, dem Botanischer Garten und dem Technikmuseum in einem „„Gewerkschaftlichen Aktionsausschuss gegen prekäre Beschäftigung im Verantwortungsbereich des Landes Berlin“ organisiert.
Im Koalitionsvertrag steht auch, dass die CFM wieder zur 100 % Tochter der Charité wird. Allerdings indem die Anteile von privaten Unternehmen (Dussmann etc.) vom Senat „zurückgekauft“ werden. Wir fragen uns, was mit den Gewinnen passiert ist, die diese Firmen in den letzten zehn Jahren gemacht haben? Wieso müssen Anteile „zurückgekauft“ werden – das stellt im Endeffekt einen Schutz der Investoren dar. Das erscheint uns besonders bizarr, weil für Tariflöhne in der CFM scheinbar nach wie vor kein Geld da ist
Wie viele der Forderungen sind umgesetzt worden?
Es gibt jetzt einen Beschluss des Aufsichtsrates der Charité, dass die Löhne in der CFM auf 11 Euro angehoben werden sollen. Unklar ist, wer das finanziert. Unklar ist auch, wie das in einen Tarifvertrag festgeschrieben werden kann, der dann noch weit entfernt vom TVöD wäre. Und es gibt Ankündigungen, dass Berlin seinen Investitionsverpflichtungen nachkommen will. Das ist gut, wird aber nicht reichen. Der milliardenschwere Investitionsrückstau beschränkt sich nicht auf die Krankenhäuser. Wir brauchen eine breitere politische Debatte: es muss mehr Geld in die öffentliche Daseinsvorsorge. Und wir erwarten für das Geld nicht nur bauliche Investitionen, sondern mehr Personal. Wir versuchen, dass durch unsere betrieblichen Kämpfe durchzusetzen - aber noch besser wären verpflichtende Personalvorgaben in einem Landeskrankenhausplan oder einem Landesgesetz. Außerdem müsste sich die Berliner Regierung auf der Bundesebene für eine angemessene gesetzliche Personalbemessung einsetzen. Hierfür macht inzwischen auch ver.di mit der Tarifbewegung Entlastung bundesweit Druck. An verschiedenen Orten werden Beschäftigte dazu in den Tarifkonflikt gehen. Vor der Bundestagswahl wird es in vielen Häusern Aktionen geben – auch bei der Charité und bei Vivantes.
[2]
Was ist jetzt eure Strategie gegenüber der Landesregierung?
Wir erinnern die Landesregierung an ihre eigenen Versprechen. Und wir üben weiter betrieblich Druck aus, um unsere Forderungen in Verhandlungen durchzusetzen. Charité und Vivantes stellen 50 % der Krankenhausbetten in einer wachsenden Stadt. Wir erwarten, dass eine rot-rot-grüne Regierung dazu steht, eine umfassende und gute Daseinsvorsorge durch die öffentliche Hand zu schaffen und ausreichend zu finanzieren. Darum werden wir während der nächsten Haushaltsverhandlungen mit allen anderen öffentlichen Betrieben mit Aktionen Druck auf die Landesregierung ausüben.
Das Gespräch führte Hannah Schurian.
Dieser Beitrag ist Teil der Reihe »…und die Stadt gehört euch? Statements aus stadtpolitischen Initiativen zu 100 Tagen Rot-Rot-Grün in Berlin«
Anmerkungen
[1] Auch die Charité will im Oktober dem Arbeitgeberverband beitreten. Darum stehen die Beschäftigten dort unter Druck, ihren Taifvertrag schnell nachzuverhandeln.
[2] (www.klinikpersonal-entlasten.verdi.de)