Soziale Bewegungen sind nicht per se fortschrittlich. Rechte politische Bewegungen, von Nazis bis zu religiösen Fanatikern, standen hinter etlichen der verheerendsten und ungeheuerlichsten politischen Entwicklungen des vergangenen Jahrhunderts. Und gegenwärtig sind Bewegungen der politischen Rechten, häufig im Schulterschluss mit rechten Regierungen, erneut im Aufwind.

Denken und Agieren rechter politischer Bewegungen sind in der Regel nicht konservativ, sondern reaktionär: Sie sind nicht darum bemüht, Existierendes zu bewahren oder zu schützen, sondern wollen eine frühere Ordnung, ein Ancien Régime, wiederherstellen. Jene, die in jüngerer Vergangenheit gesellschaftlichen Einfluss und Ansehen eingebüßt haben – wie etwa Weiße in den USA, die weißen Angehörigen der Arbeiterklasse in Europa oder Oligarchen in Lateinamerika –, bilden den Kern der rechtsgerichteten Massenmobilisierung. Zu wichtigen, Einheit stiftenden Elementen werden dabei sehr häufig ›Rasse‹, Religion oder nationale Identität. Oft genug jedoch ist das, was da wiederhergestellt werden soll, nicht einmal eine untergegangene alte Ordnung, sondern die Erfindung einer imaginären, fiktiven Vergangenheit (vgl. zur reaktionären Natur des rechten Denkens Robin 2011).

Rechte Bewegungen sind noch in einer anderen Hinsicht reaktionär, insofern sie nämlich auf linke Politik reagieren. Die Reaktion in diesem Sinn zielt nicht nur darauf ab, Ansätze gesellschaftlicher Befreiung zu vereiteln, sondern zeigt sich auch in Versuchen, Protestformen, Diskurse und sogar bestimmte Ziele zu übernehmen, wie selektiv und verzerrt auch immer. Rechte politische Bewegungen eignen sich Momente des Führungsstils, der Organisationsstrukturen und auch des Protestrepertoires progressiver Bewegungen der vergangenen Jahrzehnte an. Das Beispiel verweist auf unsere generelle These, dass Widerstand der Macht immer schon vorausgeht. Revolutionäre Bewegungen und Kämpfe um Befreiung sind der Ursprung politischer Innovation, rechte politische Bewegungen hingegen sind lediglich imstande, manche dieser Innovationen nachzuahmen, oft genug mit schrecklichen Folgen.

Die ›Einheit des Volkes‹ wiederherstellen

Durch das gesamte 20. Jahrhundert hindurch bestimmten vor allem zwei Merkmale rechte politische Bewegungen: Autorität und Identität, also zum einen die Überhöhung von Führung und zum anderen die Vorstellung, eine ›Einheit des Volkes‹ verteidigen oder wiederherstellen zu müssen. Während die Begeisterung für das Autoritätsprinzip in den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts ein wenig nachließ oder sich gewandelt hat, bildet das Gefühl, ›das Volk‹ sei von allen Seiten bedroht und müsse verteidigt werden, weiterhin den Glutkern rechter Bewegungen. Carl Schmitts Ausführungen zur Verfasstheit der national­sozialistischen Bewegung sind zweifellos ein extremer Fall, doch liefert er durch die Klarheit seiner Darstellung zugleich einen Maßstab für die Betrachtung gegenwärtiger rechter Bewegungen. 1 In seiner Schrift »Staat, Bewegung, Volk« feiert Schmitt die 1933 in Kraft getretene »vorläufige Verfassung […] des nationalsozialistischen Staates«, in dem er, wenig überraschend, dem Prinzip des ­Führertums den höchsten Stellenwert beimisst (Schmitt 1933, 5).2 »Die Stärke des nationalsozialistischen Staates liegt darin, daß er von oben bis unten und in jedem Atom seiner Existenz von dem Gedanken des Führertums beherrscht und durchdrungen ist« (ebd., 33).

Führung in heutigen rechten politischen Bewegungen weist kaum Ähnlichkeiten zu dem von Schmitt Postulierten auf. Selbst das bekannte Führungspersonal der in Europa bei Wahlen antretenden Parteien der äußersten Rechten – ob Marine Le Pen vom Front National, Nigel Farage von der UK Independence Party, Jimmie Åkesson von den Sverigedemokraterna oder Nikolaos Michaloliakos von Chrysi Avgi – ist in seiner Funktion den von Schmitt verabscheuten liberal-demokratischen Prinzipien näher als einer uneingeschränkten Autorität. Und auch Donald Trump hat, ungeachtet seiner Launen und seiner autokratischen Anwandlungen, wenig von dem Führertum, wie es Schmitt bewunderte. Und in der Tea Party tritt das Fehlen charismatischer Führer sogar noch deutlicher hervor. Als Anwärter auf die Führungsrolle in der Tea Party gelten manchen politische Hinterbänkler wie Sarah Palin, Medienprominente wie Glenn Beck oder bekannte Geldgeber wie die Brüder Charles und David Koch, doch tatsächlich sind solche Personen als Autoritäten für die Bewegung selbst vergleichsweise irrelevant. In Milizorganisationen wie dem Daesch (IS) oder bei Al-Kaida im Irak treten Autoritäten – wie Abu Bakr al-Baghdadi, der sich selbst als Kalif bezeichnet – stärker hervor, und in vielen rechtsgerichteten politisch-religiösen Bewegungen behaupten sich religiös begründete charismatisch-autoritäre Führungsstrukturen, die sich auf Moscheen, Tempel und Kirchen als Orte stützen, von denen aus sich ihre politische Botschaft verbreiten lässt. Doch tatsächlich sind auch solche Führer von nachrangiger Bedeutung und letztlich austauschbar.

Im Unterschied zu Führung spielt Identität weiterhin eine zentrale Rolle. Tatsächlich ist das beständigste Merkmal rechter politischer Bewegungen das, was Carl Schmitt als die Verpflichtung beschreibt, die Identität des Volkes zu retten oder wiederherzustellen, eine Identität, die fortwährend von äußeren Kräften bedroht ist.3 Der Politik rechter Bewegungen liegt die Logik eines Kampfs der Kulturen zugrunde, wobei sie Kultur in erster Linie durch Religion oder ›Rasse‹ (oder beides) definieren. Die oberste politische Pflicht bestehe dementsprechend darin, die eigene Art gegen ›Fremde‹ zu verteidigen. Schmitt verleiht diesem ›Fremden‹ stereotyp jüdische Züge, doch bedarf es keiner großen Phantasie, die abstoßende Darstellung zu übertragen und darin in Südafrika den Nigerianer, in Europa oder in Indien die Muslime, in den USA People of Color, in Argentinien die Bolivianerin, in Saudi-Arabien die Schiiten oder irgendwo anders auf der Welt die ›Nichteinheimischen‹ zu erkennen. Ein entscheidender Punkt dabei ist, dass die ›Einheit des Volkes‹ immer als das Merkmal einer (realen oder imaginären, mitunter uranfänglich begriffenen) Vergangenheit und ihrer gesellschaftlichen Ordnung gilt, die rechte Bewegungen gegen ›Fremde‹ zu verteidigen, zu behaupten oder zu retten sich berufen fühlen. Solche Bewegungen sind daher populistisch im engen Sinn, denn im Mittelpunkt ihrer Politik stehen die Identität des Volkes und der Ausschluss anderer.

Die Tea Party haben wir als tendenziell ›führungslos‹ eingeordnet. Ausgehend von deren Reaktion auf Präsident Barack Obama jedoch zeigt sich noch ein besonderer Aspekt von Schmitts Argument: Legitimer Führer kann nur sein, wer dem ›Volk‹ angehört und daher imstande ist, dessen Identität und Souveränität zu verteidigen. Die Anhänger der Tea Party seien, so Christopher Parker und Matt Barreto (2013, 6), weniger als »konventionelle« denn als »reaktionäre Konservative« zu betrachten, da sie über den wirtschaftlichen Libertarismus hinaus bemüht sind, »die Uhren zurückzudrehen« und eine imaginäre – in erster Linie weiße, protestantische und heterosexuelle – nationale Identität wiederherzustellen. Entsprechend dämonisieren die Anhänger der Tea Party alle, die in ihren Augen für die ›Einheit des Volkes‹ eine Bedrohung darstellen – dazu gehören Arme, Migrantinnen, Sozialhilfeempfänger und Muslime. In Präsident Obama sehen sie deren Repräsentanten (und sogar Verkörperung). Auch wenn rechte politische Bewegungen heute nicht offen rassistisch auftreten, genügt es, den Deckel ein wenig anzuheben, und schon kommt das Kernanliegen zum Vorschein: die Verteidigung eines imaginären Volkes und seiner ethnischen, nationalen oder religiösen Identität gegen ›Fremde‹.

Populismus und rassisiertes Eigentum

Rechte populistische Bewegungen, insbesondere solche in den dominanten Ländern des globalen Nordens, stellen die Analyse häufig vor Rätsel, weil sie widersprüchlich agieren. So richten sie sich in der politischen Auseinandersetzung rhetorisch gegen Eliten, während sie zugleich an gesellschaftlichen Hierarchien festhalten. Ein Weg, diese Verwirrung aufzulösen, besteht darin, der Idee des Eigentums nachzugehen, wie sie für den rechten Populismus grundlegend ist, einer Idee, die vollkommen durchdrungen ist von Vorstellungen einer ›Rassenidentität‹. Tatsächlich gründet der Populismus nicht einfach nur auf der Liebe zur Identität (eine fürchterliche, zerstörerische Form politischer Liebe, wie wir meinen), sondern hinter der Identität lauert das Eigentum. Souveränität und rassisiertes Eigentum sind die Male am Körper des rechten Populismus.

Rechte politische Bewegungen sind, wie bereits festgestellt, in einem doppelten Sinn reaktionär: insofern sie die Wiederherstellung einer gesellschaftlichen Ordnung anstreben, die der Vergangenheit angehört, und insofern sie (in häufig verzerrter Form) auf das Protestrepertoire, das Vokabular und bisweilen sogar auf manifeste Ziele linker Widerstands- und Befreiungsbewegungen zurückgreifen. »Der rechte Populismus«, so beschreibt Corey Robin (2011, 55) die Strategie, »macht es sich zur Aufgabe, an die Massen zu appellieren, ohne die Macht von Eliten wirklich infrage zu stellen: Er nutzt dabei die Energie der Massen, um die Macht von Eliten zu festigen oder wiederherzustellen. Dies ist beileibe keine neue Erfindung der christlich-fundamentalistischen Rechten oder der Tea-Party-Bewegung, vielmehr zieht sich der reaktionäre Populismus von Anfang an wie ein roter Faden durch konservative Diskurse.«

Zum einen sind es die vermeintliche Missachtung und Herabsetzung durch bürgerlich-liberale Eliten, die rechte populistische Bewegungen antreiben – und tatsächlich lassen sich unschwer Belege dafür finden, dass Eliten die Belange der Armen und der arbeitenden Klassen ignorieren und instrumentalisieren. Wir wollen vielen rechten Protesten gegen die Eliten im Finanzsektor, gegen globale Institutionen und nationale Regierungen ihre Ernsthaftigkeit und ihren Scharfblick gar nicht in Abrede stellen. (Tatsächlich sollten sich intelligente linke Bewegungen manche der populistischen Elemente zurückholen.) Die populistische Wendung gegen Eliten drückt sich häufig als Empörung gegen die Herrschaft des Eigentums aus, das als ein mobiles, körper- und identitätsloses Eigentum identifiziert wird. Die populistische Kritik richtete sich so zum einen insbesondere gegen die Macht des Geldes, des Weltmarktes und auch nationaler Notenbanken, denen vorgeworfen wird, als »Währungshüter« zu versagen. Zum anderen affirmieren populistische Bewegungen in ihrem Bemühen um das – in der Regel ethnisch, religiös oder kulturell bestimmte – Volk durchaus das Eigentum: namentlich als Immobilien- und anderes gegenständliche Eigentum sowie letztlich in allen seinen mit Identität verknüpften Formen. Grund und Boden sind dementsprechend ein wiederkehrendes Thema, aber auch die Geldwertstabilität (gemessen etwa am Goldpreis).

Identität und Eigentum werden hauptsächlich auf zwei Arten miteinander verknüpft: Erstens soll Identität ein privilegiertes Recht auf Eigentum und entsprechenden Zugang gewähren. Ein wesentlicher Anspruch populistischer Bewegungen ist die Wiederherstellung angeblich eingebüßter ökonomischer Macht (wie gering diese auch sein mag) und verlorenen gesellschaftlichen Ansehens. Begründet wird ein solcher Anspruch durch den expliziten oder impliziten Bezug auf ethnische Identität. Sowohl bei offen faschistischen Bewegungen wie Chrysi Avgi in Griechenland oder Casa Pound in Italien, die Migrantinnen und Migranten unmittelbar und brutal angreifen, als auch bei ihren ›respektableren‹ Entsprechungen wie dem Front National oder den Sverigedemokraterna ist die rassistische, migrantenfeindliche Rhetorik von dem Versprechen begleitet, den vermeintlich verloren gegangenen gesellschaftlichen Status ihrer Anhänger wiederherzustellen, insbesondere den auf ›Rasse‹ basierenden Vorrang einer weißen Arbeiterklasse und ihre »Löhne des Weißseins«, um einen durch W.E.B. Du Bois (1935) und David Roediger (1991) geprägten Ausdruck zu übernehmen.

Zweitens ist Identität selbst eine Form des Eigentums, und zwar eine, in der Ökonomie, Kultur und ›Rasse‹ eine unentwirrbare Verbindung eingehen. Identität impliziert den Besitz eines exklusiv Eigenen, um es in der Sprache der Eigentumstheorie zu formulieren. Und dabei sollten wir uns nicht daran stören, dass Identität im Wesentlichen immateriell ist, zumal auch Eigentum in materieller wie immaterieller Form vorliegt. Das Rechtssystem garantiert den »Eigentümern des Weißseins«, wie Cheryl Harris (1993, 1758) feststellt, auf die gleiche Art Vorrechte und Vorteile wie Eigentümern anderer Art: »Der Ausschluss der subalternen ‹Anderen› war und bleibt ein wesentlicher Aspekt der Verrechtlichung von Weißsein als Eigentum und ist tatsächlich Teil des Schutzes, den der [Oberste] Gerichtshof Weißen und ihrer begründeten Erwartung ständiger Bevorzugung gewährt.« Weißsein gehört einem, es ist Eigentum – ein Eigentum, das andere auszuschließen erlaubt und eigene Souveränität verspricht. In der Tat sind Eigentum und Souveränität eng miteinander verwoben, insbesondere in der Funktionsweise von Besitz und Ausschluss.

Ein solches Konzept des rassisierten Eigentums bietet ein brauchbares Gerüst, um zu verstehen, was Teile der weißen Armen und der weißen Arbeiterklasse dazu bringt, politische Gruppen am rechten Rand zu unterstützen, selbst wenn diese gegen ihre ökonomischen Interessen agieren. Die verspürte Notwendigkeit, Identität und Vorrechte zu verteidigen – und das vermeintlich verlorene rassisierte Eigentum wiederherzustellen – drängt mitunter alle anderen Ziele in den Hintergrund. Identität und Eigentum sind somit im rechten Populismus auf doppelte Art miteinander verknüpft: Identität dient als Privileg und Mittel des Zugangs zu Eigentum, zugleich ist Identität selbst eine Form des Eigentums, die verspricht, die Hierarchien der gesellschaftlichen Ordnung aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen.4

Die Gewalt religiöser Identitäten

Einen Ausgangspunkt zum Verständnis vieler gegenwärtiger religiöser Bewegungen bietet die Frage, wie sich die Verteidigung einer religiösen Identität mit dem Ressentiment gegen fremde Mächte verbindet. Entscheidend ist, einerseits die realen Ursachen der Empörung wie auch deren reaktionäre Zurichtung in der Mobilisierung solcher Bewegungen zu verstehen, andererseits und getrennt davon über den destruktiven Charakter religiöser Identitäten nachzudenken.

Selbstverständlich sind nicht alle religiösen Bewegungen reaktionär, und geschichtlich betrachtet existiert ein breites Spektrum unterschiedlicher politischer Ausrichtungen. So kam es in der Epoche der Kreuzzüge der römischen Kirche gegen den Islam nicht nur zu einer Militarisierung des Glaubens, sondern es entwickelte sich auch eine bedeutende pazifistische und karitative Praxis von Gemeinschaften, etwa die des Franziskanerordens. Vergleichbares zeigt sich in der Geschichte des Islam. Und auch im Judentum traten prophetische, messianische und revolutionäre Praktiken neben die aus der Schrift begründeten politischen Vorstöße, den Tempel des auserwählten Volkes wiederaufzubauen. Auch in späteren Zeiten lässt sich all dies finden, so in der Phase der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals, in der religiöse Bewegungen zu einem wichtigen Faktor der Entwicklung des Kapitalismus wurden, während sie zugleich wesentliche Kräfte des Widerstands gegen das Kapital waren.

Die beiden zentralen Merkmale heutiger rechter religiöser Bewegungen sind also der Versuch, eine Identität zu konstruieren und ihre Reinheit zu verteidigen, sowie eine Verbitterung über diffuses Unrecht, das Kräften außerhalb der eigenen Gemeinschaft politisch angelastet wird. Die Ausrichtung auf eine reine und unverrückbare Identität ist der Grund, warum religiöse Bewegungen häufig zu dogmatischen Schließungen neigen, die sich gleichermaßen theologisch wie politisch artikulieren, und warum diese Bewegungen zugleich so offen und anschlussfähig für andere rechte Bewegungen sind, die Identität kulturell oder ethnisch begründen.

Die vom Daesch und von Fraktionen Al-Kaidas verantworteten militärischen Vorstöße in Syrien und im Irak in den Jahren 2014 und 2015 bieten ein extremes Beispiel eines explosiven Gemischs aus Widerstand und Herrschaft im Namen der Religion. Religiöse Sektiererei überschneidet sich hier mit einem populären Unmut über die Gegebenheiten, darunter die territoriale Gliederung des Nahen Ostens im 20. Jahrhundert, wie sie von den Kolonialmächten einseitig (und mit langfristigen Auswirkungen) festgelegt wurde, sowie die ausländischen Interventionen zu Beginn des 21. Jahrhunderts, insbesondere der von den USA geführte Krieg gegen den Terror, samt der Eroberung und Besetzung Afghanistans und des Irak. Dieses Amalgam aus religiösem Extremismus und antikolonialen Stimmungen macht im Grunde die politische Einordnung dieser Kräfte auf einer Links-rechts-Skala bedeutungslos – gleichwohl wenden sie selbst sich mit Nachdruck gegen starke sozialistische oder säkulare Strömungen, die sich, wie etwa der Nasserismus, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der Region herausgebildet hatten.

Ein auffallendes Moment vieler reaktionärer religiöser Bewegungen der Gegenwart und insbesondere des Islamismus ist eine Überhöhung des Märtyrertums als der extremen Form, in der Verbitterung, Identität und Fanatismus zusammenkommen. Zu bedenken ist dabei, dass zwei originär unterschiedliche Traditionen von Märtyrertum existieren, die beide in allen großen Religionen anzutreffen sind. In der einen sind Märtyrer entschlossen, ihren Glauben zu verteidigen und für Gerechtigkeit einzutreten, sogar bis in den Tod. Der von rechten Todesschwadronen während einer Messe in San Salvador ermordete Erzbischof Óscar Romero beispielsweise hatte Todesdrohungen erhalten und wusste, dass sein öffentliches politisches Eintreten für die Armen sein Leben gefährdete. In der zweiten Traditionslinie des Märtyrertums hingegen, die heute vorherrscht, greifen Märtyrer ihre Feinde an und vernichten diese samt ihrer selbst. In einer solchen extremen Form des Terrors ist das Märtyrertum nicht länger ein Zeugnis des Glaubens, sondern eine religiöse Art des Ausdrucks politischer Identität. Religiöse Bewegungen verbinden sich so mit fatalen politischen Projekten: Geheiligt werden jene, die hassen und vernichten.

Zu guter Letzt: Wenn rechte Bewegungen sich häufig in ihren Strukturen und Handlungsweisen an Befreiungsbewegungen anlehnen, so sind daraus Lehren zu ziehen. Angesichts des Bildes in diesem schwarzen Spiegel sollten Befreiungsbewegungen verstehen, dass sie, erstens, eine antagonistische Politik verfolgen müssen. Emanzipatorischen Bewegungen darf keineswegs die Rolle zufallen, herrschende Kräfte oder überkommene gesellschaftliche Hierarchien zu stützen. Ihre Aufgabe ist es vielmehr, selbstständige, die Ordnung störende und die Auseinandersetzung suchende Akteure zu sein. Die Bewegungen müssen zweitens demokratisch sein und sich eine kritische Haltung gegenüber zentralisierten Führungsstrukturen bewahren, ohne sich gegen die Notwendigkeit von Organisationen und Institutionen zu sträuben. Drittens schließlich müssen Bewegungen nicht-identitär sein. Auf ›Rasse‹ oder Ethnizität, Religion, Sexualität oder irgendeinem anderen gesellschaftlichen Aspekt beruhende Identitäten beenden die Pluralität von Bewegungen. Vielmehr müssen diese auch in ihrer inneren Zusammensetzung möglichst vielgestaltig sein, eine Multitude. Befreiungsbewegungen, die vor diesen Lehren die Augen verschließen, laufen Gefahr, (früher oder später) nach rechts abzudriften.5

Aus dem Englischen von Thomas Atzert

1 Ausgehend von Schmitts Schrift formuliert Giorgio Agamben (2005) eine Kritik am Konzept der Bewegung in der Politik, übergeht dabei aber in unseren Augen die wesentlichen Charakteristika, die progressive Bewegungen und Kämpfe um Befreiung von rechten Bewegungen unterscheiden.

2 In Schmitts Darstellung nimmt der faschistische »Führergedanke« verschiedene Züge von Führerschaft auf, die sich auch in revolutionären oder Befreiungsbewegungen finden, allerdings tilgt er die den zuletzt genannten inhärente Spannung zwischen Hierarchie und Demokratie. Es sollte daher auch nicht überraschen, dass Schmitt die politische Führerschaft Lenins und der Bolschewiki ebenso bewunderte wie später Mao Zedong (vgl. hierzu Schmitt 1963, 58 ff).

3 Die Bewegung ist für Schmitt das ausschlaggebende Element in jedwedem politischen Vorhaben zur Herstellung einer Einheit von Staat (begriffen als politisch, doch zugleich statisch, insofern er nicht das Volk einbeziehen und dessen Bedürfnisse deuten kann) und Volk (begriffen als dynamisch, doch dabei grundlegend apolitisch, insofern es weder seine Bedürfnisse auszudrücken, noch eine diesen förderliche gesellschaftliche Ordnung herauszubilden, noch überhaupt Entscheidungen zu treffen imstande ist). Die Bewegung »durchdringt« sowohl Staat als auch Volk, sie stellt zwischen ihnen Verbindungen und Verknüpfungen her. »Die Bewegung«, schreibt Schmitt (1933, 12), »ist sowohl Staat wie Volk, und weder der heutige Staat (im Sinne von politischer Einheit), noch das heutige deutsche Volk (als das Subjekt der politischen Einheit ›Deutsches Reich‹) wären ohne die Bewegung auch nur vorstellbar.« Nun sind rechte politische Bewegungen allerdings nur dann imstande, eine solche Vermittlungsfunktion zu übernehmen, wenn das Volk als Einheit besteht, die durch nationale, religiöse oder ethnische Identität bestimmt ist. Das Volk als das Objekt rechter Bewegungen muss eins sein.

4 Darüber hinaus ist Eigentum nicht nur rassisiert, sondern auch gegendert, wie feministische Studien seit Langem belegen. Familienideologien, Recht und religiöse Diskurse überschneiden sich; Reproduktionsrechte, das Recht auf Schwangerschaftsabbruch und LGBTQ-Rechte, um nur ein paar Beispiele zu nennen, stoßen im komplexen Geflecht des Rechtssystems etwa auf Verteidigungslinien des Eigentums- und Erbrechts oder auch auf generelle identitäre Ansprüche.

5 Vgl. zu den Wegen des progressiven Populismus von links nach rechts Zeev Sternhell 2012 u. 2010.

Weitere Beiträge

Alt-text is missing.

Der rote Faden

Ein Gespräch zum 70. Geburtstag 

 

Gespräch mit Alex Demirović