Der griechische Staat wurde 2010 insolvent. Es standen zwei Optionen zur Verfügung, die beide mit der weiteren Mitgliedschaft in der Eurozone vereinbar waren. Die erste Option, die jeder anständige Banker empfehlen würde, war die einer Restrukturierung der Schulden und der Durchführung von Wirtschaftsreformen. Die zweite Option war die schädliche, nämlich weiterhin einer bankrotten Einheit Kredite gewähren und so tun als wäre sie nach wie vor zahlungsfähig. Das offizielle Europa wählte die zweite Option. Französische und deutsche Banken, die der griechischen öffentlichen Verschuldung ausgesetzt waren, wurden gerettet. Eine Restrukturierung der Schulden hingegen hätte für die Banker einen Verlust ihrer Anteile an den griechischen Schulden bedeutet. Die Funktionäre der EU gaben die Insolvenz des griechischen Staates als ein Problem der Zahlungsunfähigkeit aus und rechtfertigten die »Rettung« als einen Akt der »Solidarität« mit den Griechen. All das, weil sie darauf erpicht waren, ja nicht gegenüber den Parlamenten einzugestehen, dass die Steuerzahler schon wieder für die untragbaren Kredite der Banken würden bezahlen müssen. Das zynische Verlagern der unwiederbringlichen privaten Verluste auf die Schultern der Steuerzahler - als ein Akt von »liebevoller Strenge« ausgegeben - wurde in Gestalt von rekordverdächtigen Sparmaßnahmen, die Griechenland aufoktroyiert wurden, organisiert. Daraufhin brachen die griechischen Nationaleinnahmen - aus denen neue und alte Schulden zurückgezahlt werden mussten - um mehr als 25 Prozent ein. Es braucht nur die mathematischen Kenntnisse eines intelligenten Achtjährigen, um zu wissen, dass das nicht gut enden kann. Europa hatte, sobald diese elende Maßnahme durchgeführt war, einen neuen Grund, um Diskussionen über eine Restrukturierung der Schulden abzulehnen: Das würde die europäischen BürgerInnen finanziell belasten, hieß es! Und so wurde die Dosis der Sparmaßnahmen immer weiter erhöht, während gleichzeitig die Schuldenlast immer weiter anstieg, was wiederum die Gläubiger dazu zuwang, weitere Kredite zu gewähren - und zwar im Austausch für noch mehr Sparmaßnahmen. Unsere Regierung wurde mit dem Auftrag gewählt, diesem Teufelskreis ein Ende zu setzen, eine Schuldenrestrukturierung zu fordern und die lähmenden Sparmaßnahmen zu beenden. Die Verhandlungen sind nur aufgrund einer ganz einfachen Tatsache in eine Sackgasse geraten: Die Gläubiger fahren damit fort, jede konkrete Form der Schuldenrestrukturierung abzulehnen, während sie gleichzeitig fordern, dass unsere unbezahlbaren Schulden »parametrisch« von den Schwächsten in der griechischen Bevölkerung bezahlt werden sollen, von ihren Kindern und von ihren Enkelkindern. Während meiner ersten Woche als Finanzminister wurde ich von Jeroen Dijsselbloem besucht, dem Präsidenten der Eurogruppe (die Finanzminister der Eurozone). Dieser stellte mich vor eine krasse Wahl: Akzeptiert die »Logik« des Sanierungsprogramms und lasst alle Forderungen nach einer Restrukuturierung der Schulden fallen, oder eure Kreditvereinbarung wird einen Crash erleben. Die unausgesprochene Auswirkung wäre die, dass Griechenlands Banken geschlossen werden müssten. Es folgten dann fünf Monate lang Verhandlungen unter Verhältnissen, die monetärer Strangulierung gleichkamen und einem von der Europäischen Zentralbank induzierten, sowie von ihr beaufsichtigten und verwalteten Banken-Run. Die Warnung lautete: Wenn wir nicht kapitulieren, dann würden wir bald Kapitalverkehrskontrollen, nicht funktionierenden Bankautomaten, geschlossenen Banken und letzten Endes dem Grexit entgegensehen. Die Geschichte der Grexit-Bedrohnung gleicht einer kurzen Achterbahnfahrt. Im Jahre 2010 lehrte sie die GeldgeberInnen das Fürchten, weil ihre Banken voll von griechischen Schulden waren. Selbst noch im Jahre 2012, als der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble entschied, dass die Kosten eines Grexit doch eine lohnenswerte »Investition« wären, weil man dadurch Frankreich und andere Länder disziplinieren könnte, da sorgte diese Zukunftsaussicht bei jedem anderen nach wie vor für große Angst. Um die Zeit herum, als Syriza im Januar an die Macht kam, und ganz so als wenn man unserer Behauptung, dass die »Rettungsmaßnahmen« nichts mit der Rettung Griechenlands zu tun hatten (aber sehr viel mit dem Bestreben, Nordeuropa zu umzäunen), Recht geben wollte, da machte sich eine große Mehrheit innerhalb der Eurogruppe die Position zu eigen, dass der Grexit entweder ihr Wunschresultat war oder die Waffe ihrer Wahl gegen unsere Regierung. Zurecht erschauern die Griechen bei dem Gedanken eines Ausscheidens aus der Währungsunion. Ein gemeinsames Währungssystem verlassen, wie es Großbritannien 1992 getan hatte, […] funktioniert im Fall von Griechenland nicht. Es hat den Euro – eine fremde Währung, die von einem Gläubiger verwaltet wird, der gegen die Restrukturierung der Schulden unserer Nation ist. Um rauszugehen, müssten wir von Grund auf eine neue Währung erschaffen. Im besetzten Irak hat die Einführung des neuen Papiergeldes fast ein Jahr gedauert; es brauchte dafür um die 20 Boeing-74-Maschinen, die Mobilisierung der US-Militärmacht, drei Druckfirmen und Hunderte von Lastwagen. Ohne eine solche Unterstützung wäre der Grexit so etwas wie das Äquivalent zu einer bereits 18 Monate im Voraus angekündigten großen Entwertung: Eine Art Rezept zur Auflösung des gesamten griechischen Kapitalstocks und seiner Überführung ins Ausland mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Während der Grexit den von der EZB induzierten Banken-Run nur noch weiter verstärkte, stießen unsere Bemühungen, die Schuldenrestrukturierung wieder zum Gegenstand der Verhandlungen zu machen, auf taube Ohren. Immer wieder wurde uns gesagt, dass das eher eine Angelegenheit für eine noch unbestimmte Zukunft sei und dass vorher jedenfalls »das Programm erfolgreich umgesetzt« werden müsse; ein erstaunlicher Teufelskreis, da das »Programm« nicht ohne eine Schuldenrestrukturierung gelingen kann. Nun erfolgt der Höhepunkt der Verhandlungen. Mein Nachfolger, Euclid Tsakalotos, ist bestrebt, das Pferd von vorne aufzuzäumen – mal wieder. Er versucht die feindselige Eurogruppe davon zu überzeugen, dass die Restrukturierung der Schulden nicht so etwas wie eine nachträgliche Belohnung sein kann, sondern jetzt erforderlich ist, damit die Reformen in Griechenland überhaupt gelingen. Warum ist es so schwer, das zu vermitteln? Ich sehe dafür drei Gründe.

 »Europa wusste nicht, wie es auf die Finanzkrise reagieren sollte. Sollte es einen Ausschluss vorbereiten (Grexit) oder eine Föderation?«

Erstens ist die institutionelle Trägheit nur schwer zu besiegen. Zweitens verleihen untragbare Schulden den Gläubigern enorme Macht über die Schuldner – und wie wir alle wissen, werden selbst die Besten von der Macht korrumpiert. Meiner Ansicht nach ist aber der dritte Grund der relevanteste und interessanteste. Der Euro ist ein Hybrid aus einem festen Wechselkursmechanismus-System – wie der Wechselkursmechanismus in den 1980er Jahren, oder wie der Goldstandard in den 1930er Jahren – und einer Landeswährung. Ersteres beruht, um zu funktionieren, auf der Angst vor dem Ausschluss, während Staatsgeld verschiedene Mechanismen beinhaltet, um Überschüsse zwischen Mitgliedsstaaten wiederzuverwerten (z.B. ein Bundeshaushalt oder gemeinsame Anleihen). Die Eurozone befindet sich zwischen diesen Stühlen. Es ist mehr als ein Wechselkurssystem und weniger als ein Staat. Und genau da gibt es Reibung. Nach der Krise von 2008/2009 wusste Europa nicht, wie es reagiern sollte. Hätte es die Vorbereitungen für wenigstens einen Ausschluss (etwa Grexit) treffen sollen, um die Disziplin zu erhöhen? Oder eine Föderation werden? Bisher hat es weder das eine, noch das andere getan und die existenzielle Angst steigt immer weiter. Schäuble ist, so wie die Dinge stehen, davon überzeugt, dass er, um reinen Tisch zu machen, einen Grexit braucht; auf die eine oder andere Weise. Für Schäuble haben auf einmal die dauerhaften untragbaren öffentlichen Schulden Griechenlands – ohne die das Risiko eines Grexit abnehmen würde – eine neue Nützlichkeit erlangt. Was meine ich damit? In den Verhandlungen bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass der deutsche Finanzminister Griechenland aus der Einheitswährung herausdrängen will, um die Franzosen das Fürchten zu lehren, sodass diese sein Modell einer disziplinarischen Eurozone akzeptieren. Dieser Artikel erschien zuerst online im © Guardian News & Media Ltd. Aus dem Englischen von Andrei Draghici  Siehe auch: Christian Salmon: »Wir haben ihre Macht unterschätzt«: Ein Insider der griechischen Regierung legt Details aus fünf Monaten »Erniedrigung« und »Erpressung« offen