Mariana Mortágua: Die Anhebung des Mindestlohns um wenigstens fünf Prozent pro Jahr, eine Umsatzsteuerreform, die Umkehrung der vorherigen Reform der Rechtsregierung, der Stopp der Privatisierungen bzw. Einigung darauf, bereits erfolgte Privatisierungen rückgängig zu machen, sofern das aus rechtlicher Sicht möglich ist. Betrifft das auch die nationale Fluggesellschaft TAP? Der Deal mit der TAP kann nicht rückgängig gemacht werden, er war schon beschlossene Sache. Anders ist es bei der Privatisierung des öffentlichen Nahverkehrs. Um zu den mit der PS vereinbarten Maßnahmen zurückzukommen: Es sollten auch diejenigen erwähnt werden, mit denen prekäre Arbeitsverhältnisse zurückgedrängt werden sollen. Wie weit werden Letztere gehen? Bis zu einer konzertierten Verhandlung, in deren Rahmen sich Regierung, Gewerkschaften und Unternehmensverbände über Arbeitsgesetze verständigen? Und all das muss von den Sozialpartnern ratifiziert werden, nicht wahr? Nein, wir wollen neue Maßnahmen implementieren. Und darüber hinaus: Wir haben während des Jahres 2017 Gehaltsanpassungen im öffentlichen Sektor verhandelt und beschlossen, das Problem der für viele Menschen zu hohen Einkommenssteuer anzugehen und die entsprechenden Steuerklassen neu zu ordnen. Zu Letzterem steht in der ursprünglichen Tolerierungsvereinbarung nichts, nur die Wiedereinführung der Progressivität. Das bedeutet nicht unbedingt nur Rückkehr zum vorherigen Modell. Wir wollten hier Verbesserungen erzielen und konnten diese durchsetzen. Das Gleiche gilt für den Mehrwertsteuersatz für Restaurants. Natürlich gibt dabei immer wieder Hindernisse. Zunächst hatten wir angenommen, eine Neustrukturierung der Einkommenssteuerklassen sei bei relativer Steuerneutralität möglich, indem die Reduzierung der Besteuerung in den unteren Einkommensbereichen durch einen Anstieg bei den oberen Steuerklassen ausgeglichen wird. Doch die meisten in Portugal sind der zweiten und dritten Steuerklasse zugeordnet, das heißt, um die Mehrheit zu entlasten, müssten wir die oberen Einkommensgruppen erheblich stärker besteuern. Daher kann die Reform nur stufenweise erfolgen. Bisher mangelt es der Regierung an Durchsetzungskraft und Willen, auch die letzten Schritte zu vollziehen. Wie war die Entwicklung bei den Renten? Gab es hier nicht einige Fehler bei den Berechnungen? Wir als der Bloco haben die Berechnungen auf Basis der vorhandenen Statistiken und Prognosen vorgenommen. Die Herausforderung ist, Zugang zu den Informationen zu bekommen, die die Regierung hat. Ohne genaue Daten über die Zahl der Anspruchsberechtigten und die Höhe der an sie gezahlten Renten ist es schwierig für uns, exakt vorherzusagen, wie sich bestimmte Erhöhungen auf die Gesamtkosten auswirken würden. Hier gab es Rückschläge. Aber inhaltlich wurden bei der Erhöhung der Renten nicht nur die Tolerierungsvereinbarungen erfüllt. Wir sind erheblich weitergegangen. Gab es nicht ein Urteil des Verfassungsgerichts bezüglich der Einkommenssteuerklassen, das euch geholfen hat? Nein. Das Verfassungsgericht hat nur in Bezug auf die Gehaltserhöhungen im öffentlichen Sektor ein Urteil gesprochen, zur Neuordnung der Steuerklassen hat es sich nicht geäußert. Das Urteil war trotzdem hilfreich, denn die Rückkehr zu bestimmten Lohnstandards im öffentlichen Sektor ist von besonderer Bedeutung für uns. Aber in Sachen Einkommenssteuerlast haben wir als Bloco die bisherigen Urteile des Gerichts immer infrage gestellt. Kannst du uns etwas über den neuen Sozialtarif bei der Energieversorgung sagen? Die Einführung eines Sozialtarifs zur Bekämpfung von Energiearmut war ein großer Sieg für uns, weil damit gesellschaftlichen Gruppen geholfen wird, die sonst kaum von anderen sozialpolitischen Maßnahmen profitieren. Insgesamt haben wir es geschafft, unterschiedliche Teile der Bevölkerung zu erreichen, insbesondere jene, die Zugang zu etwas sozialer Unterstützung haben. Und in diesem Fall macht eine Erhöhung von 20 oder 30 oder 40 Millionen Euro einen großen Unterschied – das betrifft das Mindesteinkommen, Renten oder Kindergeld. Mit ein paar Dutzend Millionen Euro kann man hier entweder die Unterstützung erhöhen oder aber zumindest den Kreis der Anspruchsberechtigten erweitern. Beim Arbeitslosengeld ist das zum Beispiel schwieriger, weil es eine Frage des Berechtigtenumfangs und der Anspruchsklassen ist. Anders ausgedrückt: Wenn ich 30 oder sogar 100 Millionen Euro zur Verfügung habe, ist es viel effektiver, sie zur Erhöhung des Mindesteinkommens einzusetzen, als die Mittel für das Arbeitslosengeld zu erhöhen. Da in Portugal die Zahl der Erwerbslosen weiterhin hoch ist, würden die Anspruchsberechtigten von etwas mehr Geld, das auf alle verteilt werden muss, so gut wie nichts merken. Das ist überhaupt der Teil der Bevölkerung, der mit am schwersten zu erreichen ist: die Erwerbslosen, ob nun mit oder ohne Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung. Mit dem Tarif zur Bekämpfung von Energiearmut wird diesen Leuten aber merklich geholfen. Er vergrößert die Gruppe derjenigen, die Zugang zu sozialer Unterstützung haben. Offiziell gab es schon vorher einen solchen Tarif, der angeblich von den Energieunternehmen finanziert worden ist. Allerdings mangelte es hierzu an Informationen, die Leute wussten nichts davon, und die Energieunternehmen gestalteten die Zugangsbedinungen eher kompliziert. Wir haben das geändert: Liegt das Haushaltseinkommen unterhalb einer bestimmten Schwelle, gilt nun automatisch der günstige Tarif. Damit stieg die Zahl der Nutzer*innen von um die 100.000 auf 800.000. Und die Energieunternehmen zahlen dafür! Dieser Umstand macht den Tarif zu einem wichtigen Instrument der Umverteilung. Welches sind aus deiner Sicht die wichtigsten Posten im Staatshaushalt der Jahre 2016 und 2017? Die Erhöhung des Mindestlohns ist die entscheidende Maßnahme. Er wird bis zum Ende der laufenden Amtszeit auf 600 Euro pro Monat ansteigen. Wir haben die Zusicherung der Regierung, dass er jedes Jahr um mindestens 5 Prozent pro Jahr angehoben wird, bis dieses Ziel erreicht ist. Und wir haben immer betont, dass dies das Minimum ist, was bedeutet, es gibt immer die Möglichkeit, den Mindestlohn noch schneller zu erhöhen oder über die vereinbarten 600 Euro hinauszugehen. Der linke Gewerkschaftsdachverband CGTP wollte den Mindestlohn in einem Schritt auf 600 Euro erhöht sehen – eine Forderung, die auch der Bloco unterstützt. Das war nicht durchsetzbar. Die Vereinbarung, die wir mit der Regierung getroffen haben, ist allerdings eine Garantie dafür, dass die Erhöhung noch in dieser Legislaturperiode kommen wird. Man muss wissen, dass der Mindestlohn vor der Regierungsübernahme der PS noch bei 505 Euro im Monat lag. Das bedeutet für jede Person, die den Mindestlohn bezieht, monatlich fast 100 Euro mehr. Dies betrifft mehr als 500.000 Menschen. Diese Verbesserung der niedrigen Einkommen ist für uns von besonderer Bedeutung und dies ist auch der Grund für die anhaltenden Spannungen mit der Regierung. Im ersten Jahr fand der Anstieg ohne größeren Widerstand statt, im zweiten Jahr protestierten die Unternehmensverbände. Die Regierung erhielt sowohl Druck vonseiten der Unternehmen, die den Mindestlohn als zu hoch bekämpfen, als auch von den linken Parteien Bloco und PCP, denen die Erhöhung zu langsam geht. Der Konflikt mit den Ersteren konnte erst gelöst werden, als man ihnen eine Senkung der sogenannten einheitlichen Sozialsteuer zusicherte. Die Regierung hat zwar versprochen, sie wird bei der Anhebung des Mindestlohns nicht wanken. Allerdings ist heutzutage der Druck vonseiten europäischer und internationaler Institutionen, den Arbeitsmarkt zu flexibilisieren, fast noch größer als der Druck, der ausgeübt wird, um die Fiskal- oder Haushaltspolitik von Ländern auf die neoliberale Linie zu bringen. Von daher tut sich die PS-Regierung hier recht schwer, alle Anforderungen in Einklang zu bringen, das heißt, die Forderungen der linken Parteien zu erfüllen als auch Signale ans Ausland und an die europäischen Institutionen zu senden, dass sie nach wie vor die Interessen des Kapitals und der Finanzwelt berücksichtigt. Brüssel legt besonderen Wert auf konzertiertes Handeln und enge Abstimmung mit der Wirtschaft. Die Senkung der Sozialsteuer war nicht Teil der ursprünglichen Vereinbarung? Nein. Wir haben darauf gedrängt, nicht nur den Anteil der Sozialabgaben für die Arbeitgeber zu senken, sondern auch den Anteil der Arbeitnehmer. Der Bloco wird sich im Parlament der einseitigen Entlastung der Unternehmerseite widersetzen, denn dieses Vorhaben war nicht Teil unserer Tolerierungsvereinbarung. Wir werden uns an diesem Punkt gegen die Regierung stellen und versuchen, diese Änderung aufzuhalten. Gibt es bereits Schätzungen in Bezug auf die Folgekosten, die mit der von der PS geplanten Reduzierung der Sozialabgaben der Arbeitgeber verbunden wären? Diese müssten ja zumindest in Teilen die Sozialversicherungskassen tragen. Ich habe jetzt keine exakten Zahlen zur Verfügung, aber ich schätze, es würden um die 30 Millionen Euro fehlen. Das System der sozialen Sicherung wird aber nicht belastet werden, da die Regierung die Einnahmeausfälle mithilfe von Steuermitteln kompensieren will. Das heißt, die Steuerzahler*innen sollen dafür aufkommen, und das eben ist der Grund, weshalb wir gegen die Senkung der einheitlichen Sozialsteuer für Unternehmen sind. Mit der Anhebung des Mindestlohns verfolgen wir noch ein weiteres Ziel: Und das ist der Anstieg des Durchschnittslohns. Davon ist bisher noch nichts spürbar. Bisher orientierten sich die Lohntabellen der Unternehmen in der Regel am Mindestlohn als unterster Stufe. Darauf aufbauend werden die Beschäftigten verschiedenen Lohngruppen zugeordnet. Jetzt ist der Mindestlohn zwar angehoben worden, aber die sonstige Lohnentwicklung stagniert, weil kaum mehr Tarifverhandlungen stattfinden. Deshalb haben wir unsere Anstrengungen auf den Kampf gegen prekäre Arbeitsbedingungen konzentriert, denn das ist der Bereich, in dem wir am wirkungsvollsten die Gehälter erhöhen können. Demnächst wird ein Bericht über Prekarität im öffentlichen Dienst erscheinen. Was ist davon zu erwarten? Auch dieser Bericht über Prekarität geht auf unsere Tolerierungsvereinbarung zurück. Die Regierung bewirbt ihn und tut so, als sei das ihre eigene Idee gewesen, Teil ihres Kampfes gegen prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Vielmehr ist es jedoch so, dass wir in den parlamentarischen Beratungen über den Haushalt von 2016 die Regierung zu diesem Schritt, eine Untersuchung zu prekären Arbeitsbedingungen im staatlichen Sektor durchführen zu lassen, fast nötigen mussten. Damit wird eine alte Forderung der Linken erfüllt. Die Vorgängerregierungen haben sich immer geweigert, Daten zu diesem Thema zu veröffentlichen. Der Abschluss des Berichts wurde schon mehrfach verschoben. Er sollte im letzten Oktober veröffentlicht werden, und wir wissen immer noch nicht genau, wann er herauskommen wird. Dabei ist es wichtig, dass er bald erscheint, denn in den jüngsten Haushaltsverhandlungen ist es uns gelungen, eine weitere Maßnahme durchzubringen: Die Regierung hat sich dazu verpflichtet, auf Grundlage des Berichts einen Plan zur Festanstellung von prekär Beschäftigten im öffentlichen Dienst zu entwickeln. Wir gehen nicht davon aus, dass der Staat alle Leute mit befristeten Verträgen dauerhaft in den öffentlichen Dienst integrieren wird, aber der Regierung eine solche Verpflichtungserklärung abgerungen zu haben, weckt Ansprüche und Erwartungen der Beschäftigten und bietet eine gute Grundlage für Arbeitskämpfe. Dazu möchten wir die Menschen ermutigen und sie dabei unterstützen. Die Regierung hat die Publikation des Berichts verschoben, und wir schätzen, er wird möglichst viele Bereiche prekärer Beschäftigung im öffentlichen Sektor aussparen, um den Umfang des Problems herunterzuspielen. Wir stehen bereits in Kontakt mit Angestellten, die für den öffentlichen Dienst arbeiten und sich eine Festanstellung wünschen. Wie immer auch der Bericht im Detail ausfallen wird: Zum ersten Mal hat eine Regierung das Problem anerkannt. Noch vor vier Jahren wurde es gänzlich bestritten. Dies verbessert die Ausgangslage für soziale Kämpfe. Wir verbessern die Bedingungen des Kampfes. Wie sind seit der Tolerierungsvereinbarung die Auseinandersetzungen um die Krise des Finanzsystems verlaufen? MM: Wo anfangen? Da wären die Rettung der BANIF-Bank, die Rekapitalisierung der staatseigenen Caixa Geral de Depósitos, und nun geht es aktuell um die Novo Banco, die aus dem Crash der größten portugiesischen Bank, der Banco Espírito Santo, hervorgegangen ist, dann verstaatlicht und mit viel Geld saniert wurde. Nun soll die Novo Banco erneut verkauft werden, für einen Bruchteil dessen, was der Staat in sie hineingesteckt hat. Gibt es eine Einschätzung, wie sich die Bankenrettung auf den portugiesischen Staatshaushalt ausgewirkt hat? Wir schätzen, dass die Rettung der BANIF-Rettung ungefähr 2 bis 3 Milliarden Euro gekostet hat. Grundsätzlich zieht sich das Problem schon sehr lange Zeit hin, und die letzte Regierung hat es nicht geschafft, dieses zu lösen. Dies belegt nicht nur ihre Inkompetenz und ihren Mangel an politischem Willen, sondern auch die Parteilichkeit der europäischen Institutionen. Eine linke Regierung wäre ganz anders unter Druck geraten. Was aus unserer Sicht geschehen müsste, ist Folgendes: Wir brauchen ein Gesetz, das für solche Fälle klare Vorgaben macht. Das heißt: Wenn öffentliche Gelder für eine Bankenrettung eingesetzt werden, dann sollten die betreffenden Banken verstaatlicht und langfristig in öffentliches Eigentum überführt und/oder geordnet abgewickelt werden. Aktionäre wären gezwungen, gegen sehr geringe Zahlungen ihre Anteile zu überschreiben (wobei Pensionsfonds ein gewisses Problem darstellen, weil sie auch die Einlagen von weniger Vermögenden verwalten). Zudem müssten die Gläubiger an den Verlusten beteiligt werden sowie die Eigentümer von Obligationen und schließlich sogar die Einleger (bei Schutz der Kleinanlagen). Alternativ sind bankrotte Banken zu liquidieren. Das ist der Prozess, für den wir uns einsetzen. Die letzte Regierung hat vier Jahre lang erfolglos versucht, Brüssel von ihrem Umstrukturierungsplan für die BANIF zu überzeugen. Sie wollte die Bank nicht dichtmachen und eine weitreichende Gläubigerhaftung verhindern. Der 2016 neu ins Amt gekommenen Regierung blieb nur wenig Zeit, um das Problem zu lösen, da die europäischen Institutionen nun einen schärferen Ton anschlugen: Sie forderten eine Beteiligung der Einleger oder einen Verkauf der Bank. Das Letztere war es, was sie eigentlich wollten. Doch eine Bank in ganz kurzer Frist zu verkaufen, ist keine gute Idee: Die Käufer wissen, dass man zu einem schnellen Verkauf genötigt ist. Dies drückt unvermeidlich den Preis – wie es bei der spanischen Großbank Santander der Fall war. Also zahlte Santander 150 Millionen Euro für eine Bank, in die der Staat schon annähernd zwei Milliarden hineingepumpt hatte. Der Staat blieb auf 'faulen Krediten' und 'toxischen Wertpapieren' sitzen, der Rest ging an Santander. Das war kein gutes Geschäft für Spanien. Der Fall der Novo Banco liegt etwas anders. Zum einen, weil es sich um die größte Bank des Landes handelt. Ihre Vorläuferin war pleite gegangen – wobei die Aktionäre und einige Gläubiger alles verloren. Anlässlich dieses Bankrotts schuf die letzte Regierung einen Abwicklungsfonds. Die Banken wurden dazu verpflichtet, mit der Zahlung von Gebühren diesen zu kapitalisieren. Wenn eine Bank nun zahlungsunfähig ist, verlieren die Anteilseigner und andere Nutznießer ihr Geld und über den von den Banken getragenen Fonds wird die Abwicklung finanziert. In der Theorie klingt das vernünftig, aber in der Praxis war es so, dass eine Reihe von Banken in Konkurs ging, als im neu gegründeten Abwicklungsfonds noch gar kein Geld steckte. Als die Banco Espírito Santo bankrottging, wurden ungefähr 4,9 Milliarden Euro benötigt. Der Abwicklungsfonds lieh der Bank das Geld, obwohl er noch gar keine Einzahlungen von den Banken hatte. Faktisch war es der Staat, der dem Fonds Geld lieh, sodass dieser die Abwicklung der Bank finanzieren konnte. Sollte der Staat jemals auf die Idee kommen, diese Schulden von den Banken einzufordern, würde das portugiesische Bankensystem zusammenbrechen. Aber da das Fälligkeitsdatum der Zinsen gestreckt wurde, wäre es nicht möglich, Maßnahmen zur Kontrolle des Bankensystems zu implementieren? Nun ja, die Novo Banco ist in öffentlichem Besitz. Für den gesamten Bankensektor gilt: Statt das Band zwischen Banken und Staat zu kappen, wurde die Verbindung zwischen beiden immer noch weiter vertieft. Kein Land kann eine seiner großen Banken einfach bankrottgehen lassen und dabei zusehen, wie die ganze Wirtschaft mit in den Abgrund gezogen wird. Doch dadurch, dass die Abwicklung der Bank von staatlicher Seite schlecht gemanagt wurde, wie wir jetzt wissen, wurde die Situation der Novo Banco nur noch schlimmer. Man versuchte, die Vorgängerregierung zu schützen, indem man die Verluste zu begrenzen trachtete. So blieben viele toxische Papiere in den Büchern. Nun braucht die Bank Kapital, doch in diesem Zustand will niemand Geld in sie stecken oder sie kaufen. Zum Glück ist die Regierung nicht willens, mit der Novo Banco so zu verfahren wie damals mit der BANIF. Sie wird nicht verkaufen, wenn damit noch weitere Verluste verbunden sind. Also bleibt die Bank vorerst unter staatlicher Kontrolle. Die radikale Linke und die Sozialisten haben aber wohl unterschiedliche Vorstellungen, wozu eine Verstaatlichung dienen soll. MM: Ja, es gibt die Position, die Bank so lange zu halten, bis es bessere Bedingungen für den Verkauf gibt. Andere befürchten, dass die Bank in die Hände einer "Heuschrecke" geraten könnte, die alle Sicherheiten veräußern und so eine Reihe großer portugiesischer Unternehmen in den Bankrott treiben würde. Denn diese Firmen sind (wie die gescheiterte BES) Teil der Grupo Espírito Santo. Wir treten aus zwei Gründen für eine Bank im öffentlichen Eigentum ein: erstens, weil sie nur so zukünftig einem Gemeinwohlweck dienen kann, und zweitens weil nur so sichergestellt werden kann, dass das Kapital im eigenen Land verbleibt. Falls die Novo Banco an internationale Investoren verkauft würde, lägen drei Viertel des portugiesischen Bankensystems in ausländischer Hand. Damit wäre ein erheblicher Autonomieverlust Portugals in Bezug auf die Lenkung der eigenen Wirtschaft verbunden, was besonders fatal wäre, sollte es zu einer weiteren Krise kommen. Ist es unter geltendem europäischen Recht und entsprechenden Vorgaben überhaupt möglich, die Bank im öffentlichen Eigentum zu halten und gar ein neues Geschäftsmodell zu entwickeln? Die EU- und andere Regularien sind nicht dazu da, um Gemeinwohlinteressen zu schützen, sondern sie schüren Zerstörung und Konkurrenz. Es ist also schwierig. Wir treten für ein Bankenwesen im Dienst der Öffentlichkeit ein, für ein demokratischeres und transparenteres Management. Auf diese Weise soll auch mehr Kapital für die Förderung einer produktiven Entwicklung zur Verfügung stehen. Und wir wollen uns die Möglichkeit vorbehalten, wieder eine eigene Währung einzuführen, wenn dies notwendig werden sollte. Aber selbst bei einem Szenario, bei dem es nur um eine temporäre Verstaatlichung ginge, um die Verluste zu begrenzen, gibt es keine Garantie, dass die Europäische Zentralbank (EZB) dem zustimmen wird. Die EZB hat enorme Macht, weil sie Banklizenzen erteilen und wieder einziehen kann. Es ist schockierend, wie extrem undurchsichtig sie agiert. Wir haben keinen Zugang zu dem ganzen Entscheidungsprozess, zu den wichtigen Konferenzprotokollen und anderen Dokumenten. Der Vorstand der EZB muss seine Beschlüsse nicht vor irgendwelchen nationalen Politiker*innen, selbst wenn sie wichtige Funktionen innehaben, rechtfertigen. Aber denkst du, die derzeitige Regierung könnte sich für den Weg der Verstaatlichung entscheiden? Meinst du, eine dauerhafte Verstaatlichung? Es ist zu früh, das zu beurteilen. Teils hängt es von den europäischen Institutionen ab, teils von den aktuellen Bilanzen der Bank. Es gibt zudem schlechte Erinnerungen an die Art und Weise, wie im Jahr 2008 die vor allem im Investmentsektor tätige Banco Português de Negócios (BPN) verstaatlicht wurde. Dies hat das Gleichgewicht unserer Staatsfinanzen dauerhaft ruiniert und wirkt bis heute nach. Die damalige Verstaatlichung kostet die Steuerzahler*innen noch immer Geld, bisher über 5 Milliarden Euro. Und dann wurde diese Bank 2012 für nur 40 Millionen Euro weiterverkauft. Stattdessen hätte sie liquidiert werden müssen. Wie steht es um die Caixa Geral de Depósitos, die portugiesische Sparkasse? Die Caixa Geral de Depósitos ist die größte Bank Portugals und eine klassische Publikumsbank. Doch auch sie wurde den Anforderungen fragwürdiger Geschäftsmodelle unterworfen. Es gibt vier Faktoren, die die Stabilität des Bankensystems in Portugal untergruben: Erstens beruht das vorherrschende Geschäftsmodell in Portugal auf leicht zugänglichen Krediten für schnell wachsende Firmen, zum Beispiel im Bausektor, was häufig mit Korruption einhergeht und auf Patronage- und spezifischen Machtbeziehungen beruht, auf nationaler, aber auch lokaler Ebene. So funktioniert unser heimischer Mini-Kapitalismus. Und dieses Modell hat bestimmte Wirtschaftszweige seit den 1990er Jahren künstlich aufgebläht, insbesondere den Bausektor, der schon ab 2001 nicht mehr im selben Tempo weiterwachsen konnte wie zuvor und dann im Zuge der Finanzkrise 2008 kollabierte. Zweitens gibt es zahlreiche Fälle von Betrug, einer davon betrifft die Banco Espírito Santo. Drittens kommt die Krise hinzu. In einem Land, das in nur drei Jahren 7 Prozent seines Vermögens verloren und eine Rekordzahl an Firmen- und Privatinsolvenzen erlebt hat, kann der Bankensektor nicht verschont bleiben. Die Austeritätspolitik hat die früheren Sicherheiten der Banken wertlos gemacht, weil Unmengen von Familien und ganze Geschäftszweige in den Bankrott getrieben wurden. Und die Caixa ist von dem Problem der ungedeckten Hypothekenkrediten noch stärker betroffen als von platzenden Geschäftskrediten. Ein vierter Faktor war, dass mitten in der Finanzkrise die Auflagen für die Banken verschärft wurden. Als die Banken gerade dabei waren, sich zu erholen, wurden die Mindestanforderungen in Bezug auf das Eigenkapital drastisch angehoben. Und was taten sie, um diesen Anforderungen nachzukommen? Zum großen Teil kehrten sie ihre Verluste unter den Teppich. Das war das Überlebenskonzept der Banken während der Finanzkrise. Dies war auch bei der Caixa der Fall. Das Ausmaß des Problems kennen wir noch immer nicht. Fast alle Banken benötigen während einer Krise sogenannte Kapitalspritzen. Es sollte ebenfalls als normal betrachtet werden, dass ein Staat Geld in seine eigenen Banken steckt. Es kann nicht sein, dass man Staaten zwar zugesteht, Unternehmen zu besitzen und zu kontrollieren, aber von ihnen erwartet, nicht in diese zu investieren. Kein Wunder, dass dann irgendwann welche kommen und sagen: „Seht, der Staat kann keine Unternehmen führen, sie müssten privatisiert werden.“ So war es auch mit der portugiesischen Fluggesellschaft TAP. 20 Jahre lang erhielt die TAP keine öffentlichen Gelder, trotz der verschärften internationalen Konkurrenz und des Preisdumpings durch neue Fluggesellschaften wie Ryanair. Irgendwann lag die TAP am Boden. Sie zahlte zwar ihre Steuern und Dividenden, bekam aber nie ausreichend Geld für Investitionen. Dass die Caixa rekapitalisiert werden muss, ist normal. Die vorherige Regierung hat versucht, die Angelegenheit mit sogenannten Wandelanleihen zu beheben, was für die Caixa eine sehr teure Lösung war. Der Prozess war nie richtig transparent, weil wir nie genau wussten, wie groß die zu schließende Lücke war. Die letzte Regierung meldete kurz vor ihrem Ende noch einmal höhere Wertverluste und bezifferte die Bilanzlücke auf etwa 3 Milliarden Euro. Ob dies der Wahrheit entspricht, wissen wir nicht. Entscheidend ist jedoch, dass die Caixa rekapitalisiert wird, damit sie überleben kann – denn es war zu einem großen Teil die verlässliche Caixa Geral de Depósitos, die während der Krise das portugiesische Bankensystem gerettet hat. Und wie wirkt sich der Anstieg der Zinsen auf die portugiesische Staatsverschuldung aus, die im Zuge der Bankerrettung deutlich größer geworden ist? Die Zinsen steigen, weil das Wachstum in Deutschland und den Vereinigten Staaten vergleichsweise gut ist. Es entsteht der Eindruck einer wirtschaftlichen Erholung. Dies gilt auch für Portugal, da unsere Maßnahmen zur Erleichterung der Steuerlast für untere und mittlere Einkommensgruppen und unsere sozialen Reformen den Konsum stimuliert haben. Dadurch konnte sich die Konjunktur erholen. Aktuell werden in der Finanzwelt und in den Medien immer zwei Risiken hervorgehoben: das italienische Bankensystem und das portugiesische, hier vor allem die Novo Banco. Die Zweifel an der Stabilität einiger Banken lässt auch Zweifel an der Schuldentragfähigkeit des Staates aufkommen und führt zu Bonitätsaufschlägen für portugiesische Staatsanleihen. Es scheint also so, als gäbe es einen Aufschwung, als käme wieder Leben in die Bude, auch wenn dies manchmal nicht den Realitäten entspricht, sondern der starken Sehnsucht geschuldet ist, dass sich die Lage ändern möge. Und doch gibt es tatsächlich Verbesserungen. Diese sind allerdings eher prekär. Der Ausbruch einer neuen Finanzkrise ist keinesfalls auszuschließen. Während sich die EZB auf ihre Politik der quantitative easing zurückzieht, steigen die Zinsen, die die peripheren Länder für ihre Schulden zu zahlen haben. Die Peripherie lebt in gewisser Weise vom quantitative easing, darunter der Ankauf von Staatspapieren durch die EZB. Anderenfalls würde der Abstand zwischen den Zinsen in Deutschland und Portugal weiter anwachsen und die Tragfähigkeit der Schulden der peripheren Länder wäre endgültig dahin. Ein Schuldenaudit wäre nötig, um die Legitimität der Schulden zu überprüfen, die im Zuge einer Spirale finanzmarktgetriebener Spekulation, einer überteuerten Bankenrettung und fragwürdigen Austeritätsrezepten dramatisch angestiegen sind. Wie hoch ist denn die gegenwärtige Staatsverschuldung? Sie hat einen absoluten Höchststand erreicht. Das Defizit wächst immer weiter, obwohl das Primärdefizit nicht mehr existiert und der portugiesische Staatshaushalt seit Kurzem Überschüsse vorzuweisen hat. Aber die derzeitigen Zinssätze sind eine Strafe für die Schuldner. Wir verschulden uns gegenwärtig, nur um die Zinsen begleichen zu können. Zugleich haben wir kaum Wachstum und keine Inflation, um die Schuldenlast anzupassen, egal wie viele Swaps wir machen, um teure Schulden in billigere umzuwandeln. Also wachsen die Schulden weiter und werden in nächster Zeit auch nicht aufhören zu wachsen. Dies gilt zum Beispiel auch für Frankreich und Italien, die eine steigende Staatsverschuldung hinnehmen müssen. Es braucht eine Streichung illegitimer Schulden nicht nur für Portugal oder Griechenland. Kann man sagen, dass es zumindest bei der Einkommensverteilung im Land eine Wende gab? Verglichen mit dem, was zuvor passierte, ja. Maßnahmen wie die Anhebung des Mindestlohns hatten einen erheblichen Effekt, die Einführung des Sozialtarifs im Bereich der Energieversorgung war ebenfalls sehr erfolgreich. Im öffentlichen Dienst Beschäftigte konnten einen klaren Einkommensanstieg verzeichnen, weil Lohnsenkungen rückgängig gemacht wurden und es bei der drastisch gestiegenen Einkommenssteuer zu erheblichen Entlastungen kam. Zudem wurde die 35-Stunden-Woche zum Teil wieder eingeführt und wurden die Urlaubsansprüche erhöht, das heißt die Beschäftigten arbeiten inzwischen weniger für mehr Lohn. Auch für diejenigen, die das Mindesteinkommen erhalten oder deren kleine Renten von staatlicher Seite aufgestockt werden, gibt es eine spürbare Einkommensverbesserung. Zudem wurde die Mehrwertsteuer für Restaurants und Cafés herabgesetzt, eine Maßnahme, die sowohl von den Betreiber*innen als auch den Kund*innen sehr begrüßt wurde – das Café oder die Bar an der Ecke sind schließlich wichtige soziale Treffpunkte. Das ist alles nicht revolutionär, aber für Einzelne und bestimmte Bevölkerungsgruppen von enormer Bedeutung. Bei der Besteuerung von Tabak und Alkohol oder bei der Aushandlung von neuen Konditionen für Konsumentenkredite wurde überlegt gehandelt. Zwar hat man auch die Benzinsteuer angehoben, aber die Benzinpreise war zuvor tatsächlich sehr niedrig. Insofern gibt es keine neuen Steuern, die das Leben der einfachen Leute in Portugal direkt belasten würden. Schließlich wurde noch eine Steuer auf Luxusgüter erlassen, die allerdings viel niedriger ausfiel, als ursprünglich geplant war. Dennoch war dies ein wichtiger Schritt, weil man damit eine wichtige gesellschaftliche Auseinandersetzung angestoßen hat. Generell sollten wir auf das Thema der zunehmenden privaten Reichtumsakkumulation und auf die extrem ungerechte Vermögensverteilung stärker mit Forderungen reagieren, die sich gegen die mangelnde Beteiligung der großen Banken und vermögender Privatpersonen an Aufgaben des Gemeinwesens richten und dies zu einem Politikum machen. So muss auch die Steuerpolitik der gegenwärtigen Regierung kritisiert werden, da sie zu sehr auf eine Haushaltskonsolidierung und zu wenig auf Investitionen setzt. Angesichts der Schuldenentwicklung in Portugal wären wesentlich radikalere Umverteilungsmaßnahmen notwendig. Das Gespräch führte von Catarina Príncipe. Aus dem Portugiesischen von Corinna Trogisch und Mario Candeias

Anmerkung

[i] Vgl. http://elelectoral.com/2017/04/portugal-los-socialistas-aumentan-17-puntos-ventaja-centroderechista-psd/