Es gibt Besuchsreisen und gemeinsame Austausche, an denen nicht nur höhere Funktionäre, sondern auch BetriebsrätInnen und Vertrauensleute teilnehmen. Allerdings ist auch hier ein regelmäßiger Dialog eher die Ausnahme. Solidarität als wirkliche Kooperation und ›lebendige Arbeitsbeziehung unter Gleichen‹, um existierende Machtverhältnisse gemeinsam zu beeinflussen, ist selten, obwohl sie dringend gebraucht wird. Selbst Initiativen, deren AktivistInnen sich dieser Problematik bewusst sind, stoßen immer wieder an Grenzen bei dem Versuch, authentische Formen der Solidarität zu verwirklichen (vgl. Bernau in diesem Heft). Die Daimler-Koordination, ein Netzwerk von Beschäftigten des Daimler-Konzerns weltweit, ist ein solches Beispiel für AktivistInnen, die sich diesen Herausforderungen stellen. Seit Anfang der 1980er Jahre treffen sich regelmäßig kritische Vertrauensleute der IG Metall, VertreterInnen von Betriebsgruppen und Betriebsräten sowie interessierte KollegInnen aus dem Daimler-Konzern in Deutschland. An einigen Standorten geben die Gruppen zudem Betriebszeitungen und Flugblätter heraus. Im Netzwerk werden Informationen ausgetauscht, Management-Strategien kritisch beleuchtet und eigene Positionen erarbeitet. In der Selbstdarstellung heißt es: »Wir verstehen uns als undogmatisch, antikapitalistisch, an der Basis orientiert und von dem Interesse getragen, über den eigenen Tellerrand hinaus auch internationale Zusammenhänge begreifen zu wollen und entgegen engstirnigem ›Standortdenken‹ Solidarität in der BRD und darüber hinaus zu fördern.«1

Hilfe oder Solidarität?

Die Daimler-Koordination bemüht sich so um einen Internationalismus der Beschäftigten mit dem Ziel einer Zusammenarbeit betrieblicher GewerkschaftsaktivistInnen in Europa, Afrika, Nord- und Südamerika. Auf Konzernebene wurden im Rahmen von Besuchs- und Austauschprogrammen sowie Seminaren mit internationaler Beteiligung persönliche Kontakte zu aktiven KollegInnen im Ausland geknüpft. So bestehen Kontakte nach Spanien, in die Türkei, nach Frankreich sowie nach Brasilien, Südafrika und in die USA. Mehrfach fanden weltweit grenzüberschreitende Solidaritätsaktionen und Konferenzen statt. Insbesondere zwischen Beschäftigten aus Deutschland und Brasilien existiert seit fast dreißig Jahren ein kontinuierlicher Erfahrungsaustausch. Die internationale Arbeit der Mercedes-Kollegen begann schon sehr früh. Mit Unterstützung des Mannheimer Ökumenischen Arbeitskreises Internationale Solidarität waren Gewerkschafter der brasilianischen Gewerkschaftsbewegung CUT (Central Unica dos Trabalhadores) von VW, Mercedes und GM bereits 1984 zu einem Austauschprogramm nach Deutschland gereist. 1985 folgte ein Gegenbesuch deutscher BasisaktivistInnen nach Brasilien, womit schließlich die langjährige Zusammenarbeit begründet wurde. Die CUT war damals in Deutschland noch nicht als führende Gewerkschaftsbewegung Brasiliens anerkannt. Ähnlich wie in Südafrika war sie sehr politisch, spielte eine zentrale Rolle im Kampf gegen die Militärdiktatur und wurde von der offiziellen Gewerkschaftsbewegung deshalb argwöhnisch beäugt. Das Solidaritätsverständnis dieser ersten Jahre war noch recht einseitig, so z.B. Tom Adler, früheres Mitglied der Plakatgruppe2 und Betriebsrat, auf einer internationalen Daimler-Konferenz 2006: »Die Fragestellung hieß gewissermaßen: ›Was können wir in Deutschland oder den USA für Euch in Brasilien, in Südafrika tun?‹ Für uns waren die Diskussionen und Begegnungen mit den KollegInnen aus dem Süden einfach unglaublich belebende, anregende, Mut machende Erfahrungen, die unseren eigenen politischen Alltag beeinflusst haben. Für die internationalistischen Aktivisten im reichen Norden, so könnte man spöttisch sagen, hieß die Formel ›Tausche Unterstützung der armen Brüder und Schwestern im Süden gegen Bestätigung, dass Gewerkschaften als kämpferische Massenbewegungen möglich sind!« (Adler 2007, 10). Dabei hatte diese Unterstützungsarbeit wichtige Erfolge zu verzeichnen: In einer Zeit, in der an Internet noch nicht zu denken war und jedes Telefonat sehr teuer, gelang den AktivistInnen ein Informationsaustausch. Für die brasilianischen Gewerkschafter war dabei ungeheuer wichtig zu verstehen, was im Mutterland gemacht wurde. Bis in die 1990er Jahre waren (Massen-)Entlassungen bei Daimler als Reaktion des Unternehmens auf jeden Streik in Brasilien noch an der Tagesordnung, ständige Verstöße gegen Arbeitssicherheitsbestimmungen die Regel, und jeder noch so kleine Fortschritt für die Arbeiterrechte musste erbittert erkämpft werden. Durch die damalige kontinuierliche Maulwurfsarbeit der AktivistInnen in Deutschland wurden Verstöße immer wieder öffentlich und konnten durch den Druck auf die Konzernzentrale tatsächlich abgestellt werden. Während ihres Besuchs 1984 in Mannheim trafen die brasilianischen Gewerkschafter den damaligen Gesamtbetriebsratsvorsitzenden, der daraufhin die Forderung unterstützte, bei Daimler in Brasilien eine Fabrikkommission einzurichten. Durch eigene Aktion und Streik, aber eben auch durch die Unterstützung aus Deutschland gelang es den brasilianischen Kollegen tatsächlich, dies durchzusetzen. Die Fabrikkommission ist bis heute Modell und Vorbild für eine innerbetriebliche Organisierung in Brasilien. 1987 wurde Daimler gezwungen, die Entlassung von 2500 streikenden Beschäftigten in East London, Südafrika, zurückzunehmen. Das war »einer der ersten Fälle, wo die Interventionen von ›links unten‹ die große IG Metall bewegten, öffentlich massiven Druck auf den Mercedes-Vorstand zu machen. Bezeichnenderweise waren es im Mercedes-Werk Untertürkheim die aus der IG Metall ausgeschlossenen Kollegen der linken Plakatgruppe, die dann die Südafrika-Solidaritätsflugblätter der IG Metall vor den Toren verteilten.« (ebd.)

Gegenseitige Unterstützung zur Durchsetzung gemeinsamer Interessen

Die internationale Basisarbeit insbesondere von KollegInnen aus Mannheim wurde gegen Ende der 1980er Jahre zunehmend von der gesamten Daimler-Koordination getragen. Auch das Verständnis dieser Arbeit veränderte sich: Zum einen unterstützte das Gewerkschaftsnetzwerk Transnationals Information Exchange (TIE)3 die Daimler-Koordination. So wurde die Kontinuität internationaler Zusammenarbeit und der Informationsfluss erleichtert. Zum anderen veränderte sich in den 1990er Jahren die politische und ökonomische Situation in Deutschland dramatisch. Internationale Arbeit wurde in einen völlig anderen Zusammenhang gestellt. Bei Daimler und anderen Automobilunternehmen hießen die Schlüsselwörter der Veränderung Outsourcing, Personalabbau und Standortsicherung sowie neue Produktionskonzepte der Schlanken Produktion. Bei Daimler sollte an allen Standorten die Fertigungstiefe um ein Viertel gesenkt werden. Es wurden sogenannte Kerngeschäfte definiert. Die Bereiche der Produktion und Dienstleistungen, die nicht die vorgegebenen Kapitalrenditen erzielten, wurden zur Ausgliederung freigegeben. Belegschaft und Betriebsräte machten schließlich erste Erfahrungen mit tatsächlichem Personalabbau. Ca. 25 Prozent der Arbeitsplätze waren bald abgebaut. Innerbetrieblich kam zudem eine neue Produktionsorganisation um Teamarbeit, Kontinuierliche Verbesserungsprozesse (KVP) und veränderte Abläufe zum Zuge, welche die bisherigen Arbeitsbeziehungen, Kontroll- und Widerstandsformen völlig verändern sollte. Seitdem gibt es immer wieder heftige Auseinandersetzungen um eine angemessene Antwort auf die veränderte Unternehmenspolitik. Während betriebliche Basisgruppen gegen diese Veränderungen opponierten und eine offensive gewerkschaftliche Diskussion gegen die Standortlogik forderten, setzten die meisten Betriebsratsgremien darauf, bei Entscheidungen und Veränderungen ›mitzugestalten‹. Den Betriebsräten wurde dabei ›das Recht zugestanden‹, eigene Kostensenkungsvorschläge zu machen, um die unternehmerischen Vorgaben zu erreichen. War diese Politik ›Mitgestaltung der Arbeitsbedingungen‹ für die einen, griffen die anderen sie als Standortlogik, Betriebsegoismus, Konzessionspolitik und Erpressung an (vgl. Knirsch in diesem Heft). Während die einen die Veränderungen (Teamarbeit etc.) als Chancen für eine Humanisierung der Arbeitswelt begrüßten, begriffen die anderen sie als Maßnahmen zur Arbeitsverdichtung, Rationalisierung und Arbeitshetze. Das Netzwerk der Daimler-Koordination vertrat in diesen Auseinandersetzungen nachdrücklich eine Position gegen Konzessions- und Standortpolitik, da diese – so die Einschätzung – nur den Erpressungsdruck auf die Belegschaften erhöhte. Weitere Diskussionen dreh(t)en sich um (flexible) Lohnsysteme, um Einführung von standardisierter Gruppenarbeit und des Mercedes-Produktionssystems (MPS) sowie um prekäre Beschäftigung. Das Netzwerk führten dazu u.a. gemeinsame Aktionen während der Hauptversammlungen des Konzerns in Berlin durch und veröffentlicht bis heute eine gemeinsame »Zeitung von und für Kollegen und Kolleginnen bei Daimler«, die Daimler Workers News. Dieser veränderte Kontext änderte auch die internationale Arbeit der Koordination. Ziel wurde nunmehr ein Austausch unter Gleichen, der darauf abzielte, voneinander zu lernen und effektivere Praxis- und Widerstandsformen weiter zu entwickeln. Mit Unterstützung von TIE konnten immer wieder Austausche zwischen brasilianischen, türkischen, deutschen und auch nordamerikanischen KollegInnen ermöglicht werden:
  • In den 1990er Jahren reisten VertreterInnen der Daimler-Koordination mehrfach in die USA und Kanada, um aus Erfahrungen mit gewerkschaftlicher Gegenwehr gegen Konzepte der Schlanken Produktion in den japanischen Transplants (den Modellgebern der Schlanken Produktion in Europa) zu lernen.
  • Es wurden gemeinsame Seminare organisiert, um zu Themen wie Gruppenarbeit oder KVP eine Debatte zu führen, wie gleiche Standards und Arbeiterrechte weltweit durchgesetzt werden können. Eckpunkte für eine internationale kollektive Regelung zur Gruppenarbeit wurden entwickelt und vorgeschlagen.
  • Als im Frühjahr 1998 die Mega-Hochzeit von Daimler-Benz und Chrysler bekannt gegeben wurde, bemühte sich die Koordination, die Kontakte in die USA und Kanada zu vertiefen. Im November 1998 nahmen GewerkschafterInnen aus Chrysler-Betrieben in Detroit und Mitglieder der Fabrikkommission von Mercedes-Benz in Sao Bernardo an einem Seminar der Koordination teil.
  • Seit dem Jahr 2000 nahmen VertreterInnen des holländischen Nedcar-Werkes am Austausch teil, welches 2004 von Mitsubishi an Daimler überging.
Ähnliche Austausche finden weiter statt. Die Diskussionen widmen sich jeweils sehr konkreten Problemen: Angeregt von Strategien und Erfahrungen der brasilianischen GewerkschafterInnen wurden beispielsweise Strategien zur Einflussnahme auf die Personalbemessung auf andere Standorte übertragen und weiter entwickelt. Auch Gesundheitsschutz ist ein wichtiges Thema. Hier wurden Instrumente wie ein Gesundheitsmapping diskutiert, eingesetzt und deren Umsetzung innerhalb des Netzwerks verbreitet. Ein Betriebsrat aus Untertürkheim berichtet: »Bei den Verhandlungen über die Lösungsvorschläge sind viele Vorschläge zunächst vom Unternehmen abgelehnt worden. Das Mapping bewirkt jedoch eine solche Dynamik, dass die Kollegen daraufhin einfach immer weitere Lösungsvorschläge vorbrachten, bis sie schließlich akzeptiert wurden. Der Druck von unten wurde immer größer.« (Köhnen 2007, 25) Schließlich wurde die Methode eines arbeiterorientierten Benchmarks entwickelt und in einem internationalen Projekt umgesetzt. Es ging darum, Arbeitsplätze aus Sicht von Beschäftigten (international) miteinander zu vergleichen, um Ideen für Veränderungen zugunsten der Beschäftigten zu entwickeln. 2007 und 2008 fanden nationale und internationale Treffen mit deutschen und brasilianischen Beschäftigten statt, durch die u.a. Arbeitsbedingungen der Schweißarbeitsplätze im brasilianischen Werk Sao Bernardo verbessert werden konnten. Seit 2012 ist die Daimler-Koordination außerdem Teil eines Projekts mit indischen Gewerkschaften, in dem es in Austauschseminaren und durch Bildungsarbeit darum gehen wird, Erfahrungen mit Auswirkungen von und Gegenwehr gegen neue Produktionskonzepte zu vermitteln. VertreterInnen der Koordination erarbeiten dabei Texte und Bildungsmaterial zu Rationalisierung, Gruppenarbeit, KVP und Outsourcing. Zusammen mit anderen AktivistInnen der Autoindustrie führen sie Interviews und produzieren Kurzfilme für die Bildungsarbeit.

Internationalismus als Austausch unter gleichen

Sicherlich sind Schritte zum gemeinsamen Handeln bisher immer nur punktuell gelungen. Stärker noch als Erfahrungen internationalistischer Arbeit im Rahmen offizieller Gewerkschaftsstrukturen ist die internationalistische Arbeit eines solchen Netzwerks den Schwankungen und Kräften von Einzelpersonen unterworfen. Um die Kontinuität einer solchen Arbeit muss immer gerungen werden. Anders als noch in den 1980er Jahren existiert heute auch innerhalb der Gewerkschaften eine internationale Netzwerkarbeit, die Beschäftigte und Betriebsgruppen darin unterstützt, gegenseitig Informationen auszutauschen. Dazu kommt, dass Internet und E-Mails den reinen Informations- und Kommunikationsaustausch wesentlich erleichtern. Die Notwendigkeit, an Information zu gelangen, wird es immer geben, insbesondere dann, wenn Regionen neu hinzukommen oder abgekoppelt werden. Die Zentralität des Informationsaustauschs über internationale Werke durch die Daimler-Koordination in den 1980er Jahren muss heute jedoch sicherlich relativiert werden. Allerdings verdeutlichen die Erfahrungen der Daimler-Koordination, dass Internationalismus von unten möglich ist. Das Netzwerk zeigt sich als lernfähig. Der eigene Begriff von internationaler Arbeit wurde verändert. Allen Widrigkeiten zum Trotz geht es heute darum, internationale Solidarität als Austausch und Weiterentwicklung konkreter Praxis- und Widerstandsformen zu entwickeln; darum, gegenseitige Erfahrungen dazu zu nutzen, eigene Strategien zu überdenken, weiter- oder sogar neu zu entwickeln, um sie effektiver zu gestalten. Dies ist ein Prozess unter Gleichen. In dieser Hinsicht ist die Arbeit der DaimlerKoordination weiterhin etwas Besonderes. Sie hat konkrete Projekt- und Handlungsformen entwickelt. Bemühungen um eine kontinuierliche Arbeitsbeziehung zwischen Gleichen bleibt weiterhin in der internationalen Gewerkschaftsarbeit eher die Ausnahme. Eine so verstandene Solidarität ist jedoch dringend notwendig, um existierende Machtverhältnisse gemeinsam zu beeinflussen.  

Literatur

Adler, Tom, 2007: Solidarität ist ›gegenseitige Unterstützung im Kampf um gemeinsame Interessen‹, in: DaimlerChrysler-Koordination (Hg.), Solidarität statt Konkurrenz. Eine Dokumentation der internationalen Konferenz von Beschäftigten des Daimler-Chrysler Konzerns vom 9.–12. April 2006 in Berlin, Mannheim Köhnen, Heiner, 2007: Internationale Solidarität als Entwicklung neuer Widerstandsstrategien, in: Solidarität statt Konkurrenz (s.o.)

Anmerkungen

1 Vgl. http://labournet.de/branchen/auto/dc/dckoord.html. 2 Die Plakatgruppe war in den 1970er Jahren in der Metallindustrie eine der ersten innerbetrieblichen Oppositionsgruppen. Linke Betriebsräte hatten damals bei DaimlerUntertürkheim eine eigene Liste aufgestellt, nachdem sie aus der IG Metall ausgeschlossen worden waren. 1978 gewann die Liste im Werk trotz massivem Widerstand der Mehrheitsfraktion über 40 Prozent der Stimmen und bundesweite Aufmerksamkeit. 3 TIE Global ist ein internationales Netzwerk von GewerkschaftsaktivistInnen. 1978 gegründet, entwickelte sich das Netzwerk im Süden zumeist durch junge, kämpferische Gewerkschaftsbewegungen, während es in Deutschland vor allem durch basisnahe Betriebsgruppen der Metall- und Chemieindustrie getragen wurde. Sie begriffen sich als Teil einer sozialen Bewegung zur Emanzipation im globalen Zusammenhang, bauten auf Betriebs- und Sektorenebene eigenständig Kooperationen auf und kamen immer wieder in Konflikt mit ihren Betriebsrats- und Gewerkschaftsführungen. TIE unterstützt bis heute die Entwicklung von Strategien zur Selbstorganisation, zur Verbesserung von Lebensund Arbeitsbedingungen in globalem Zusammenhang und begreift sich als ein Laboratorium für die gewerkschaftliche Organisierung (vgl. www.tie-germany.org).