Endlich hat die Linke in Deutschland eine offene Diskussion über Alternativen in der Krise der europäischen Integration begonnen. Anlass ist die Frage nach Sinn oder Unsinn des Ausstiegs einiger Länder aus der Währungsunion. Die Diskussion ist zwingend erforderlich. Es reicht nicht, den Beschlüssen von Troika, Rat oder Kommission jeweils eigene Vorschläge entgegenzustellen. Der Gebrauchswert der Linken muss sich konkret erweisen am realen Einfluss auf Handlungsoptionen.
Auch die Partei die LINKE kann sich hier nicht mehr entziehen. Gefährlich wird es nur dann, wenn sich die offene Diskussion in erster Linie als innerparteilicher Machtkampf darstellt. Nützlich könnte sich die LINKE hingegen dadurch erweisen, dass man mit ihr ein öffentliches Gespräch führen kann, über Auswege aus der Fortführung neoliberaler Politik mit leicht veränderten Mitteln.
Bislang waren die Differenzen innerhalb des Parteiensystems zur europäischen Krisenpolitik eher marginal. Mit der Allianz für Deutschland wird nun eine nationalliberale Alternative eröffnet. Ihr Kern ist ein Wirtschaftsnationalismus, der die in Deutschland ansässigen ›Leistungsträger‹ und ›Kerngruppen‹ vor den Krisenkosten schützen soll. Eine Alternative von links ist weniger klar. Das Ausstiegsszenario zwingt dazu, die Prämissen möglicher Antworten offen zu legen. Ich sehe zwei Gründe, die die Linke dazu bewegen könnten, sich nicht für eine andere Politik innerhalb von EU und Währungsunion zu entscheiden, sondern für eine Politik gegen diese – also für den Exit.
Die Option, die Währungsunion zu verlassen, ist aber zugleich eine Option gegen die EU in ihrer derzeitigen Verfasstheit: Mit dem Lissaboner Vertrag ist sie auf Wettbewerbsintegration orientiert. Sie verweigert sich einer sozialen, einer demokratischen und ökologischen Union mit gemeinsamen Mindeststandards und Korridoren, die zum Wettbewerb um bessere soziale Leistungen führen könnten. Die Währungsunion dient in diesem Projekt als Bedingung eines global wettbewerbsfähigen, exportorientierten Kerneuropas.
Der erste Grund, die EU nicht (mehr) als Handlungsraum einer Linken zu begreifen, ist folgender: In ihrer grundsätzlichen institutionellen Verfasstheit macht die EU ein Handeln von unten, Handeln von links, Handeln mit solidarischen demokratischen Zielen prinzipiell unmöglich. Stattdessen werde über die europäische Ebene all das von oben durchgesetzt, was nationalstaatlich nicht möglich sei. Mittels der europäischen Union seien die Kräfteverhältnisse irreversibel zugunsten der herrschenden Kreise und der dominierenden Kapitaloligarchien verschoben worden. Um Handlungskraft wiederzugewinnen, bliebe deshalb nur, die EU selbst zu verlassen. Dem steht eine doppelte Erfahrung entgegen: Zum einen hat gerade Großbritannien deutlich gemacht, dass die herrschenden finanzkapitalorientierten Kreise der ›Insel‹ sich keinesfalls dem ›Brüsseler Diktat‹ beugen. Von ›oben‹ her betrachtet war Brüssel nie ein wirksames Hindernis. Zum anderen zeigte sich z.B. am Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommen (ACTA), dass starker Widerstand in wichtigen Ländern auch die Regierungen zum Einlenken bewegen kann. Wer also annimmt, das Handeln der nationalen Regierungen sei nachhaltig zu beeinflussen, kann auch davon ausgehen, dass dies europäische Auswirkungen hat. Und selbst einseitige Schritte sind möglich, wenn auf nationaler Ebene ein entsprechender Konsens herrscht: So gab es beispielsweise Moratorien von EU-Beschlüssen durch einzelne Mitgliedsländer oder die Verweigerung, neoliberale Richtlinien umzusetzen. Schon jetzt gibt es dafür eine ganze Reihe von Beispielen. Es ist nicht so, dass die nationalen Parlamente und Regierungen keinen Handlungsspielraum haben, sondern so, dass sie ihn gar nicht im Sinne sozialer, ökologischer und demokratischer Forderungen nutzen wollen.
Zweitens wird argumentiert, dass ein Verlassen der EU bzw. der Währungsunion gerade die schwächeren Länder und deren Bevölkerung stärken würde. Man müsse sich dann ja nicht mehr den Beschlüssen aus Brüssel beugen. Die Frage ist nur, ob diese Rechnung aufgeht. Die realwirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnisse bleiben auf absehbare Zeit bestehen, während die formellen Handlungspotenziale innerhalb der europäischen Institutionen für die jeweiligen Regierungen, aber auch für die Bürgerinnen und Bürger dieser Länder wegfallen. Hier geht es nicht zuletzt um Freizügigkeit hinsichtlich Arbeit und Erwerb. Angesichts der geringen ökonomischen Handlungsmacht dieser Länder und ihrer Bevölkerungen könnte der Verlust institutioneller Mitsprachemöglichkeiten innerhalb der EU und des damit verbundenen Potenzials der Blockade deutlich stärker zu Buche schlagen als der Gewinn, der aus einer formellen Eigenständigkeit an der Peripherie der EU und der Abwertung der dann wieder nationalen Währung zu ziehen wäre.
Mir scheint, dass die eigentliche Frage nicht darin besteht, aus der Währungsunion, geschweige denn aus der EU auszusteigen, sondern dass es in jedem Fall darum geht, Handlungsfähigkeit vor Ort zu stärken. Dass es darum geht, kommunal, regional und nationalstaatlich zu arbeiten und durch Vernetzung zugleich eine europäische Handlungsfähigkeit von links zu entwickeln. Dafür bedarf es auch des Thatcherschen Muts zum ›Nein‹, wenn einmal linke Kräfte tatsächlich die Regierung tragen sollten. Würde es uns gelingen, eine handlungsfähige und selbstbewusste Linke in Europa zu befördern, dann könnten wir auch souverän fragen, ob nicht eine andere, eine soziale, demokratische und ökologische Union mit solidarischen Handlungsformen in der Welt die bessere Option für das 21. Jahrhundert wäre.