Die Gewerkschaft Verdi hat den ersten Aktionstag in der Tarifrunde Sozial- und Erziehungsdienste auf den 8. März gelegt, den internationalen Frauentag. Die Beschäftigten von Kitas, Behinderteneinrichtungen und in der sozialen Arbeit fordern eine Aufwertung ihrer Tätigkeiten. Dabei geht es um rund 330.000 Beschäftigte – 245.000 davon arbeiten in der Kindererziehung oder -betreuung, 55.000 in der sozialen Arbeit und 30.000 in der Behindertenbetreuung. Da die Tarifverträge etwa von der Caritas und anderen Trägern übernommen werden und häufig Grundlage für andere Vergütungssysteme sind, könnten letztlich zwei Drittel der mehr als 1,6 Millionen Beschäftigten in diesem Bereich von dem Abschluss profitieren. Auch für die feministische Bewegung ist die Ungleichverteilung von Sorgearbeit seit Jahrzehnten ein zentrales Thema. Unter dem Titel »Feministisch streiken – der 8. März und der Kampf um die Aufwertung des Sozial- und Erziehungsdiensts« diskutierten die Christine Behle und Carolin Wiedemann in dieser Woche in Berlin.
»Mehr braucht mehr« ist der Slogan der gerade begonnenen Tarifrunde für Beschäftigte in Kitas und sozialer Arbeit im öffentlichen Dienst. Welche Probleme wollt ihr damit ansprechen?
Christine Behle: Das größte Problem ist, dass es zu viel Arbeit für zu wenig Menschen gibt. Das fängt in der Kita an: Wir haben viel zu viele Kinder pro Erzieher*in, was dazu führt, dass wichtige pädagogische Arbeit gar nicht geleistet werden kann, sondern eher in die Freizeit verlagert wird. Im Jugendamt, etwa in der Sozialarbeit, ist es nicht anders. Das führt zu Frust unter den Beschäftigten. Fast ein Viertel verlässt den Beruf schon in den ersten fünf Berufsjahren. Es gibt auch hohe Krankheitsquoten. Und wenn Kolleg*innen ausfallen, steigt die Belastung für die anderen noch einmal. Der Personalmangel beginnt aber schon mit der Ausbildung. Will man das Thema Fachkräftemangel wirklich anpacken, dann muss man viel früher – nämlich an den Hochschulen – anfangen und muss genug Lehrkräfte ausbilden. Wir brauchen mehr Personal, aber auch bessere Bezahlung. Eine Arbeit im Sozial- und Erziehungsdienst ist im Vergleich zu anderen Berufen nicht attraktiv genug. Sozialarbeiterinnen mit Bachelorabschluss im öffentlichen Dienst zum Beispiel verdienen deutlich weniger als in einem typisch männerdominierten Beruf. Deswegen sind wir auch an der finanziellen Aufwertung dran.
Die Ungleichverteilung von Sorgearbeit ist ein altes feministisches Thema. Worin besteht aus feministischer Perspektive derzeit das größte Problem?
Carolin Wiedemann: Das Problem besteht in der Abwertung der Reproduktionsarbeit, also aller Care-Arbeit, zu der auch die Betreuung in den Kitas gehört. Darin zeigt sich die Verzahnung von Kapitalismus und Patriarchat. Mit Patriarchat meine ich eine Ordnung, die die Menschen immer noch unterteilt in zwei vermeintlich von Natur aus unterschiedliche Menschengruppen und der einen Gruppe, den Frauen, zuschreibt, per se fürsorglich, liebevoll, empathisch zu sein. Also quasi für Reproduktionstätigkeiten geschaffen zu sein. Die Abwertung dieser Tätigkeiten, mit denen sich nicht so viel Profit machen lässt wie mit Produktionstätigkeiten, und die Abwertung von Frauen hängen zusammen. Diese Abwertung drückt sich auch in der Gewalt gegen Frauen und all jene aus, die der Geschlechter-Binarität nicht entsprechen. Feministische Kämpfe fordern die patriarchal-kapitalistische Ordnung in Produktions- und Reproduktionssphäre/männlich und weiblich/öffentlich und privat heraus.
Behle: In unserer Gesellschaft hat immer noch einer, der ein Auto repariert, einen größeren Stellenwert als eine, die im Care-Bereich arbeitet. Noch heute wird die Frage gestellt: Ist das überhaupt ein richtiger Beruf oder ist das etwas, was eine Frau von Natur aus sowieso kann? Dabei ist die richtige Frage: Was ist uns gesellschaftlich so eine Leistung wert, die ja Grundpfeiler unserer Gesellschaft ist? Für die Antwort brauchen wir eine klar feministische Perspektive.
Wiedemann: Diese Naturalisierung, Frauen seien von Natur aus so und würden diese Arbeit aus Liebe verrichten, diese romantische Idee hat sich mit Entstehung der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft etabliert. Danach sollte Reproduktionsarbeit zuhause von Frauen verrichtet werden, was die Arbeitskraft kostengünstig reproduziert. Und diese patriarchale Denkweise ist noch tief verankert und muss durchbrochen werden.
Inwiefern hat die Frage von guten Kitas oder guter sozialer Arbeit Auswirkungen auf unbezahlte Sorgearbeit?
Wiedemann: Fehlt etwa Personal und kommt es zu Ausfällen, fällt Betreuung wieder auf den sogenannten privaten Bereich zurück. Dort verrichten Frauen in Deutschland im Durchschnitt 87 Minuten mehr Care-Arbeit täglich als Männer, das ist anderthalb mal soviel. Nach den Zahlen des 2. Gleichstellungsberichts der Bundesregierung von 2017 hat sich daran in 15 Jahren nichts geändert, und das, obwohl die Zahl der berufstätigen Frauen in diesem Zeitraum stark gestiegen ist. Als die Kitas in Coronazeiten geschlossen hatten, war die Doppelbelastung besonders hoch: Da waren es wieder die Frauen, die zuhause alles schultern mussten. Verständlicherweise zeigten sie sich in Umfragen dann nicht so zufrieden wie Männer im Homeoffice.
Hier lässt sich eine Brücke zu den Interessen der Eltern schlagen. Inwiefern werden die in der Tarifrunde direkt adressiert?
Behle: Im öffentlichen Dienst ist das übliche Mittel von Gewerkschaften, durch Streik Forderungen durchzusetzen, beschränkt. Insbesondere im Sozial- und Erziehungsdienst können wir echten ökonomischen Druck nicht ausüben. Für uns geht es daher tatsächlich eher um Streiken in der Gesellschaft. In unseren Tarifrunden 2009 und 2015 haben wir die Erfahrung gemacht, dass am Anfang sehr große Solidarität da ist, aber je länger die Auseinandersetzung dauert, umso weniger Zustimmung erleben wir. So ein Arbeitskampf ist richtig hart. Und wenn die Stimmung kippt und die Beschäftigten sogar beschimpft werden, dass sie z.B. in der Kita nicht mehr da sind, dann stehen sie wirklich unter großem Druck. Deshalb machen wir mit unseren Forderungen klar, dass mehr Geld für die Sozial- und Erziehungsberufe auch unmittelbar positive Folgen für die Gesellschaft hat, also gut investiert ist. Wir haben Menschen in Politik und Gesellschaft angeschrieben mit der Bitte, uns in dieser Tarifauseinandersetzung zu unterstützen.