Aus linker Sicht bildete die Geschichte Italiens im Vergleich zu anderen westlich-kapitalistischen Ländern lange Zeit eine positive ›Anomalie‹: In den 1970er Jahren gab es die heftigsten Arbeiterkämpfe und zu Beginn des 21. Jahrhunderts die breiteste Antiglobalisierungsbewegung. Die politischen Entwicklungen der vergangenen fünf Jahre stechen hingegen eher negativ hervor: Klassenkonflikte sind schwach ausgeprägt, die sozialen Bewegungen zersplittert und die politische Linke steht abgedrängt am Rand.

Viele haben das Phänomen Renzi mit der allgemeinen Krise und dem Niedergang der Sozialdemokratie in Europa in Verbindung gebracht. Ich möchte die Politik des vormaligen italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi darüber hinaus im Kontext der Entstehung unterschiedlicher Populismen in Italien interpretieren. Populismus verstehe ich dabei als eine Politikform, die sich unmittelbar auf ein vermeintliches ›Volk‹ bezieht und es als organisch-homogenes Ganzes ohne Klassenunterschiede betrachtet (vgl. Mezzadra 2016; Visentin 2016, ). Ich sehe drei Formen eines solchen Populismus: erstens den Rechtspopulismus, wie er von Matteo Salvini und der Lega Nord vertreten wird. Interessanter und wichtiger sind jedoch zum einen der ›doppelbödige Populismus‹ von Beppe Grillos Fünf-Sterne-Bewegung (MoVimento 5 Stelle) und zum anderen der ›Regierungspopulismus‹, wie Matteo Renzi und die Demokratische Partei (PD) ihn geprägt haben (vgl. Revelli, 2015 und in diesem Heft).

Rechtspopulismus

Die rechte Form des Populismus in Italien lässt sich in erster Linie vor dem Hintergrund verstehen, dass sich das reaktionäre Spektrum nach zwei Jahrzehnten Berlusconi-Hegemonie noch nicht wirklich neu aufgestellt hat: Die Rechte hat ein Führungsproblem, das auf eine tiefe Krise der sozialen und politischen Identität zwischen gemäßigtem Konservativismus und gehässigem Trumpismus verweist. Die inner-rechte Konkurrenz hat Matteo Salvini, Chef der Lega Nord, zu einem schnellen Aufstieg verholfen. Von einer regionalistischen und separatistischen Partei verwandelte er die Lega Nord in eine nationalistische und ausländerfeindliche Kraft, die dem französischen Front National oder der Alternative für Deutschland (AfD) ähnelt. Mit etwa 14 Prozent erzielt sie schon jetzt beunruhigend hohe Wahlergebnisse.

Regierungspopulismus

Renzi hat es geschafft, der historischen Kontinuität innerhalb der ehemaligen Kommunistischen Partei (PCI) ein Ende zu setzen. Es gelang ihm, eine Parteiführung an den Rand zu drängen, die noch innerhalb der Jugendorganisationen der PCI politisiert worden war, die nach 1989 die Transformation zu einer sozialdemokratischen Kraft durchgesetzt hatte und die schließlich mit den sozial eingestellten, eher linksgerichteten Katholik*innen zur PD fusionierte. Mit dem Vorsatz, diese alte Führung »zu verschrotten«, verwandelte Renzi die PD in eine stark zentralisierte Organisation, die in den letzten Jahren nur auf nationales Regierungshandeln ausgerichtet war. Das wichtigste Parteiziel bestand darin, neoliberale Politiken durchzusetzen und eine zentristische nationale Volkspartei zu werden.

Renzi spielte eine zentrale Rolle, als es darum ging, das Europäische Krisenmanagement zu ›normalisieren‹ und in ein strukturiertes Akkumulationsregime zu überführen, welches durch ein extremes Ungleichgewicht der Kräfte, wachsende Prekarisierung und ein Auseinanderdriften der Vermögensverteilung gekennzeichnet ist. Dazu diente die Arbeitsmarktreform Jobs Act, die soziale Rechte noch radikaler abbaute als das in Frankreich höchst umstrittene Loi El Khomri (vgl. Syrovatka in diesem Heft). Den nächsten Schritt wollte Renzi mit dem Referendum zur Verfassungsreform gehen. Zusammen mit der bereits beschlossenen Reform des Wahlrechts zielte diese auf eine Schwächung des Parlaments bei gleichzeitiger Stärkung der Exekutive. Auch wenn Renzi mit diesem Referendum nun eine schwere Niederlage erlitten hat (59,1 Prozent der Wahlberechtigten stimmten am 4. Dezember 2016 mit »Nein«), so handelt es sich doch um eine Tendenz, die sich auch auf europäischer Ebene beobachten lässt. Renzis Erzählung und seine Rhetorik, die von einer beeindruckenden medialen Propagandamaschine gestützt wurden, setzten einerseits auf Innovation, Optimismus und Hoffnung und andererseits auf ein Schüren von Angst vor ›Instabilität‹. Das unterschied ihn von anderen europäischen Ländern und deren Austeritätspolitiken. Gepaart mit einigen demagogischen Maßnahmen konnte er für eine gewisse Zeit außergewöhnliche politische Erfolge erzielen. Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai 2014 erhielt die PD mehr als 40 Prozent der Stimmen. Dieser Konsens begann jedoch vor einiger Zeit zu bröckeln. Bei den Bürgermeisterwahlen von 2016 erlitten die Kandidaten der PD in Rom und Turin beispielsweise deutliche Niederlagen und in aktuellen Umfragen liegt die Partei mit 30 Prozent unterhalb der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S). Letzlich hat Renzis ›Regierungspopulismus‹ dazu geführt, dass die Mitte-links-Wähler*innen wegbrechen, die die Partei lange Zeit getragen haben, ohne dass sich eine neue stabile Klientel herausgebildet hätte. Die Niederlage im Referendum wurde nicht zuletzt durch eine soziale Ablehnung der Regierungspolitik verursacht, die über den Inhalt der Verfassungsreform weit hinausgeht.

In der M5S und derem ›doppelbödigen Populismus‹ hatte Renzi außerdem einen starken Gegenspieler. Es war einfach zu zeigen, wie sehr das Phänomen Renzi von einer ›Innovation‹ bereits zum ›Establishment‹ geworden war. Entsprechend führte der Wunsch nach Veränderung vor allem zu einem Stimmenzuwachs für M5S. Auch die Stimmen für rechte Kandidat*innen und Parteien kamen in der zweiten Wahlrunde der Kommunalwahlen jeweils den M5S-Kandidat*innen zugute, die gegen die PD antraten. Ähnliches wird sich wahrscheinlich in den nächsten landesweiten Wahlen wiederholen, die für Frühjahr 2018 angesetzt waren, nun aber vielleicht vorgezogen werden. Trotz allem sehen wir ziemlich sicher nicht das Ende des Phänomens ›Renzi‹. Dieser wird auch in der komplizierten politischen Phase eine Rolle spielen, die jetzt beginnt.

Doppelbödiger Populismus

Wenn ich den Populismus der M5S als ›doppelbödig‹ bezeichne, beziehe ich mich nicht nur auf die vielen Widersprüche, die sich in ihren Reden und Programmen ausmachen lassen: ihre zweifelhaften Ansichten zu den Themen Migration und Rassismus, ihre unterwürfige Haltung gegenüber ökonomischer Macht und der kapitalistischen Marktlogik oder die heterogene Zusammensetzung ihrer Führungsriege und Aktivisten-Basis. Ich möchte vielmehr auf die Tatsache hinweisen, dass die Fünf-Sterne-Bewegung trotz ihres »Anti-System«-Tickets im Grunde die letzte Instanz darstellt, die das bestehende System noch zu legitimieren vermag. Wie unter anderem das Schreibkollektiv Wu Ming schon 2013 argumentierte, hat die M5S »das bestehende System insofern effektiv verteidigt, als sie als Kraft agiert, die Aufstände unterdrückt und das System stabilisiert«. In diesem Sinne hat sie die schwächelnde politische Repräsentation neu belebt und soziale Konfliktdynamiken in Italien ›eingefroren‹.

Während in Europa und in vielen anderen Teilen der Welt die Bewegungen der Plätze die politische Bühne bespielten, gelang es Beppe Grillo und dem kürzlich verstorbenen Gianroberto Casaleggio in Italien, die dort artikulierte ›Empörung‹ aufzunehmen und in Wahlerfolge zu verwandeln. Beide sind wohlhabende Männer Mitte 60, die aus der Unterhaltungsindustrie und dem Marketing kommen. »Sie haben«, so Wu Ming, »ein politisch-wirtschaftliches Franchise geschaffen mit eigenem Copyright und eigener Marke – eine Bewegung, die rigoros von oben kontrolliert und motiviert wird, die Slogans und Ideen sozialer Bewegungen kapert und diese mit Rechtfertigungen eines ›ethischen Kapitalismus‹ sowie mit oberflächlichen Statements zu individueller Aufrichtigkeit vermengt« (ebd.).

Doch die M5S behindert nicht nur ­soziale Konfliktdynamiken, sondern greift auch parasitär auf die Forderungen und Aktivitäten von Grassroots-Bewegungen zu. In lokalen Kämpfen gegen Infrastrukturprojekte oder für den Schutz von Gemeingütern (wie im Fall der No-TAV-Bewegung gegen die italienischen Hochgeschwindigkeitszüge) stellt M5S nie die Inhalte der Proteste infrage, sondern bindet diese einfach in bestehende Institutionen und Strukturen ein. Indem sie die Anliegen und Vorschläge sozialer Bewegungen kopiert, ohne jedoch Mitbestimmung von unten zuzulassen, reproduziert sie eine strikte Arbeitsteilung zwischen Grassroots-Initiativen auf der einen und institutionalisierter politischer Repräsentation auf der anderen Seite. Damit schreibt sie die starre Trennung zwischen dem Sozialen und dem Politischen fort und zementiert das Prinzip, politische Verantwortung an Vertreter*innen abzugeben. Ganz anders als Podemos in Spanien spielt die M5S mit ihrer hierarchischen und unternehmerischen Form der Organisation schlicht eine konservative Rolle in der italienischen Politik.

Ist ein linker Populismus möglich?

Meine abschließende Frage ist: Kann sich vor diesem Hintergrund ein ›vierter Pol‹ herausbilden, der im Stande wäre, eine linke Perspektive auf das »soziale Nein« des Referendums zu geben? Oder anders: Gibt es Spielraum für eine neue Linke, die es mit den aktuellen Herausforderungen in Europa aufnehmen könnte und in der Lage wäre, sowohl dem Neoliberalismus an der Regierung als auch den nationalistischen Populismen etwas entgegenzusetzen?

Traditionelle linke Handlungsformen funktionieren nicht mehr. Wie sich in Italien gezeigt hat, wird die Linke von den drei beschriebenen Populismen an den Rand gedrängt. Ich möchte dennoch ein paar Bedingungen skizzieren, unter denen es weiterhin schwer, aber nicht unmöglich wäre, den ›Fluch der drei Populismen‹ zu brechen. Unabhängig davon, was wir von einem ›linken Populismus‹ halten, müssen wir feststellen, dass die wichtigsten »leeren oder schwebenden Signifikanten« (Laclau), die in den vergangenen Jahren in Spanien eine Rolle gespielt haben, in Italien bereits genutzt werden. Das ist zum einen das »weder rechts noch links«, das einen wichtigen rhetorischen Baustein aller drei italienischen Populismen bildet. Zum anderen ist es das Motiv »das Neue gegen das Alte« – Renzis Hauptargument im »Verschrotten« der früheren Mitte-links-Führung der PD. Die dritte Spielart, das »unten gegen oben« oder »das Volk gegen die politische Kaste« bildet den entscheidenden Punkt in jeder M5S-Rede, es ist eine Art Markenzeichen der Bewegung. Anders als in Spanien meinen die Wortführer der M5S mit dem Wort Kaste jedoch ausschließlich die Berufspolitiker*innen und vermeiden jeden Angriff auf die Eliten in einem weiteren Sinne, der die ökonomischen, finanziellen, medialen und politischen Oligarchien einschließt.

Dieser Gedankengang birgt die Gefahr, die ›populistische Methodologie‹ zu mechanisch anzuwenden, zu abstrakt und zu weit entfernt von einer wirklichen Bearbeitung der relevanten Themen. Die Dynamiken der vergangenen Monate haben deutlich mehr politische Räume geöffnet, die es wert wären gefüllt zu werden. Auf der einen Seite ist die von der Renzi-Regierung versprochene Umverteilung angesichts der wirtschaftlichen Stagnation in Europa, besonders aber in Italien, gescheitert. Das führt zu wachsender sozialer Unzufriedenheit. Auf der anderen Seite können wir bei M5S das zweifelhafte Bemühen erkennen, sich beim ökonomischen und medialen Establishment beliebt zu machen. Sie hofft so, die nächsten Wahlen zu gewinnen. Gleichzeitig kämpft sie darum, in den bei den Kommunalwahlen neu gewonnenen Städten und Verwaltungen die Regierungsarbeit halbwegs in den Griff zu bekommen – das zeigt insbesondere ein Blick nach Rom.

Spielräume öffnen

Diese Widersprüche öffnen Räume für eine innovative linke Politik, wie sie zum Teil schon bei den letzten Kommunalwahlen zu beobachten war. In Neapel beispielsweise wurde Luigi de Magistris für eine zweite Amtszeit gewählt. Er war als Unabhängiger zur Bürgermeisterwahl angetreten und beschreibt seine Erfahrungen in diesem Amt mit dem Begriff der »rebellischen Stadt«, worunter er einen offenen und produktiven Austausch mit sozialen Bewegungen, bürgerschaftlichem Engagement und selbstorganisierten Stadtteilinitiativen versteht. In Neapel wurden Grundrechte verteidigt und lokalpolitische Entscheidungen getroffen, die das herrschende neoliberale Paradigma auf Landesebene herausforderten – teils sogar durch bewusstes Überschreiten der kommunalpolitischen Befugnisse und zivilen Ungehorsam gegenüber Regeln, die von außen und von oben aufgezwungen wurden.

Es gibt in Italien mehrere Beispiele solcher »Bürgerplattformen«, die derzeit noch am Anfang stehen, aber allesamt einen radikalen munizipalistischen Ansatz verfolgen, einen Ansatz, der auf lokaler Ebene versucht, alte und neue linke Kräfte in einem gemeinsamen Projekt zusammenzubringen. Aus diesem Blickwinkel könnte in Italien sogar die Gründung einer neuen linken Partei ein nützlicher Schritt sein, der Räume der Vernetzung öffnet. Dies allerdings nur unter der Bedingung, dass diese weder in einer fruchtlosen Debatte über Mitte-links-Bündnisse stecken bliebe noch einfach die politische Klasse neu aufstellen würde, die in den vergangenen 15 Jahren abgewählt wurde. Ein solcher Prozess könnte dann erfolgreich sein, wenn die neue Partei eine veränderte Verbindung zu den Bewegungen und den munizipalistischen Laboratorien aufbauen könnte, wenn ihre Organisationsform radikal föderal wäre und sie direkter auf die materiellen Bedürfnisse und Veränderungswünsche der Bevölkerung eingehen würde, als dies bisher der Fall war – und wenn sie imstande wäre, sich auf europäischer Ebene Verbündete zu suchen und mit diesen gemeinsam zu handeln.

Dies ist offensichtlich kein leichter Weg, noch dazu, wo wir nicht wissen, wie das Terrain nach dem Ausgang des Referendums bestellt sein wird. Wir müssen dennoch versuchen ihn zu gehen. Von Gramsci haben wir gelernt, dass ›das Volk‹ als bestehende Einheit nicht existiert, solange es nicht politisch mobilisiert wurde. Die Idee des ›Volkes‹ kann ihre Konturen überhaupt nur durch gemeinsame Kämpfe ausbilden. Und die Diagnose, dass in den derzeitigen Populismen im Grunde ›das Volk fehlt‹, kann nicht dadurch behoben werden, dass man überlegt, wie sich dieses imaginierte ›organische Ganze‹ passiv repräsentieren lässt. Im Gegenteil: Es muss darum gehen, wie sich der ›eine Teil‹ – der Teil der gesellschaftlichen Mehrheit – so organisieren lässt, dass er die ihm eigenen Klasseninteressen gegen andere durchsetzen kann.

In diesem Sinne müssen die drei Formen des italienischen Populismus sowohl als Symptome einer Krankheit betrachtet werden, unter der Europa leidet, als auch als konservative Kräfte, die versuchen, die aktuelle politische Konstellation jenseits echter Alternativen zu stabilisieren. Um dagegen anzukommen, müssen wir neue Formen politischer Subjektivität und politischen Handelns entwickeln, die imstande sind, das ›fehlende Volk‹ anzusprechen und zu organisieren.

Aus dem Englischen von Lea Hartung