Unser verstorbener Genosse Elmar Altvater hat ein Buch über Das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen geschrieben, das sich auf das Ende des fossilen Zeitalters bezieht. Meine These ist, dass wir aktuell das Ende des Neoliberalismus, wie wir ihn kennen, erleben. Wir beobachten aktuell drei Krisen: (1) Die ökonomische Krise, die eine Krise des Neoliberalismus ist, (2) die drohende Klimakatastrophe und (3) die geopolitischen Auseinandersetzungen. Als Reaktion auf diese Krisen sehen wir gravierende Veränderungen in der Regulationsweise und dem Akkumulationsregime, die sich in einem politischen Projekt verdichten, in dem der Staat eine andere Rolle einnimmt als im klassischen Neoliberalismus. Im Folgenden werde ich das im Einzelnen genauer darstellen. 

Die traditionelle marktliberale Ausrichtung, die sich in den berühmten Worten eines ehemaligen Wirtschaftsministers „Wirtschaft wird in der Wirtschaft gemacht“ zusammenfassen lässt, gilt nicht mehr. Derartiges würde heute nur noch der Verband der Familienunternehmen sagen, die entscheidenden Kapitalfraktionen sind mittlerweile anderer Auffassung. Sie fordern sehr klar eine aktive Rolle des Staates ein. Ich stimme anderen darin zu, dass diese aktive Rolle nicht der klassischen keynesianischen, geschweige denn einer linkskeynesianischen entspricht. Aktuell wird versucht, über die Entwicklung eines nicht-fossilen, grünen Kapitalismus verbunden mit der Entwicklung von Hochtechnologien – Stichwort Digitalisierung und künstliche Intelligenz - ein neues Akkumulationsmodell zu entwickeln und neue Wachstumsfelder zu erschließen (vgl. Candeias 2023). Das ist zugleich einer der grundlegenden Widersprüche eines grünen Kapitalismus – die kapitalistische Produktionsweise beruht auf unbegrenztem Wachstum und zerstört auch in ihrer „grünen“ Variante die natürlichen Lebensgrundlagen. Die reaktionären Mobilisierungen und autoritären Gegenreaktionen gegen Klimaschutzmaßnahmen in der Bundesrepublik und weltweithaben haben letztlich nur die Rückkehr zum alten fossilen Modell zum Ziel, bieten aber keine Perspektive für ein neues Akkumulationsmodell.  

Renaissance der Industriepolitik 

Diese Konstellation verbindet sich gegenwärtig mit den geopolitischen Auseinandersetzungen. Nicht umsonst erklärte Ursula von der Leyen bei ihrer Wahl zur EU-Kommissionspräsidentin, die Kommission sei eine zutiefst geopolitische. Deshalb ist das post-neoliberale Projekt einzuordnen in den Wettbewerb zwischen den drei großen Blöcken USA, China, EU um die Führungsposition im Hochtechnologiebereich und in der Erschließung neuer Märkte und Anlagefelder. Aus diesem Grund gibt es massive Auseinandersetzungen zwischen den USA und China. Der Ukrainekrieg ist insofern ein dramatischer Nebenkriegsschauplatz, die wirklich prägende Auseinandersetzung für die kommende Periode wird meines Erachtens aber die zwischen den USA und China sein. Diese Auseinandersetzung äußert sich gegenwärtig im Wettbewerb um die Führerschaft in der Hochtechnologie verbunden mit Protektionismus und Handelskriegen und erfordert entsprechend eine neue Rolle des Staates. Der Inflation Reduction Act (IRA) in den USA, Next-Generation EU und der Net-Zero-Industry-Act der EU und das staatskapitalistische Entwicklungsmodell Chinas sind unterschiedliche Varianten dieser Entwicklung. 

So erleben wir eine Renaissance der Industriepolitik, die einerseits regulierend eingreift, indem sie beispielsweise Dekarbonisierungsziele festschreibt, andererseits tritt der Staat als Investor letzter Instanz auf, wo es anderweitig nicht mehr profitabel ist. Die Ansiedlung von Intel in Magdeburg mit 50-prozentiger staatlicher Subventionierung ist ein Beispiel für staatliche Intervention, die dem bisherigen Integrationsmodus der EU und neoliberaler Ideologie widerspricht. Dieser „Staatsinterventionismus“ ist verbunden mit einer Militarisierung und Aufrüstung, die bei uns unter dem Stichwort „Zeitenwende“ verhandelt wird, aber im indopazifischen Raum schon seit vielen Jahren sowohl durch die USA als auch durch China zu beobachten ist. So schafft Rüstung auf Kosten des Staates und letztlich der lohnarbeitenden Klassen, die das Geld erwirtschaften, neue Anlagefelder für das Kapital. Der Bundeshaushalt zeigt, wie dies auf Kosten sozialer Infrastruktur geschieht. 

Krise des deutschen Exportmodells 

Deshalb nun zum zweiten Punkt: der wachsenden Krise des deutschen Exportmodells. Wir hören gegenwärtig einen Aufschrei, der Wirtschaftsstandort Deutschland sei dem Untergang geweiht. Auch wenn es sich dabei um eine absichtsvolle Dramatisierung handelt, steckt nichtsdestotrotz ein reales Problem dahinter. Das bisherige deutsche Exportmodell - das wir Linken stets kritisiert haben - beruhte auf der Allianz mit Russland beim Import billiger fossiler Energien, billiger Rohstoffe und niedrigen Löhnen. Diese drei Faktoren haben das deutsche Exportmodell ausgezeichnet. Mit dem Ukrainekrieg und dem daraus folgenden Ausfall dieser wirtschaftlichen Kooperation mit Russland sowie durch den Aufstieg Chinas und die Reaktion der USA ist das deutsche Exportmodell gefährdet. In der Finanzkrise 2008/9 hat der massive Export nach China die deutsche Wirtschaft gerettet. Mittlerweile liegt Chinas weltweiter Anteil sowohl im Export von e-Autos als auch im Maschinenbau – der klassischen Stärke der deutsche Wirtschaft - höher als der Deutschlands.[1] Auch die hieraus resultierenden Probleme werden dazu führen, dass mehr Staatsinterventionen gefordert werden. 

Der grüne Kapitalismus ist nicht widerspruchsfrei, denn das Wachstumsmodell des grünen Kapitalismus ist weiterhin mit wachsendem Ressourcenverbrauch, der Externalisierung von Umweltschäden und der Konkurrenz um Rohstoffe verbunden und kann so die ökologische Krise nicht lösen. Die neokolonialen Strukturen, die gegenwärtig im Rahmen der Wasserstoffstrategie oder in der Konkurrenz um seltene Erden diskutiert werden, müssen in der klimapolitischen Diskussion stärker in den Fokus genommen werden. Gleichzeitig fehlt dem grünen Kapitalismus jegliche soziale Dimension. Die Ampelpolitik zeigt exemplarisch wie Klimaschutz ohne sozialen Ausgleich aussieht: Die C02-Preise werden erhöht, aber das Klimageld, das zur Kompensation dienen sollte, wird nicht umgesetzt. Das gleiche Problem sehen wir auch in anderen Ländern: Die Haushalte für soziale Infrastruktur und dringend notwendige öffentliche Investitionen werden gekürzt – zugunsten der Rüstungsindustrie. Der Ukrainekrieg hat das Dilemma nochmal verschärft.

Ein linkes Gegenmodell

Doch es handelt sich dabei nicht um die Art von Staatsinterventionen, die die Linke immer gefordert hat. Sie sind mit der Gefahr verbunden, dass ökologisch und sozial verfehlte Geschäftsmodelle subventioniert werden und dass es zu Fehlallokationen kommt. Der Aufbau neuer fossiler Infrastrukturen wie dauerhafter LNG-Terminals oder die Orientierung auf eine Fortsetzung des Geschäftsmodells der Autoindustrie durch eine bloße Antriebswende statt einer wirklichen Verkehrswende stehen hierfür beispielhaft. Die Linke muss in die Auseinandersetzungen über eine Industriepolitik im Kontext des sozialökologischen Umbaus aktiv eingreifen. Die Forderung, dass öffentliche Gelder an Kriterien für gute Arbeit gebunden sein müssen, die wir seit geraumer Zeit stellen, reicht nicht aus. 

Die Linke muss in die Auseinandersetzungen über eine Industriepolitik im Kontext des sozialökologischen Umbaus aktiv eingreifen.

Wir müssen darüber hinaus weitere Punkte verstärkt in die Diskussion einbringen. Erstens die Frage, welche staatlichen Sektoren gefördert und welche geschrumpft werden müssen – also eines wirklichen sozial-ökologischen Umbaus. Zweitens muss dort, wo öffentliches Geld fließt, auch öffentliches Eigentum und öffentlicher Einfluss entstehen. Wir brauchen dringend eine Diskussion, die an linke Diskussionen der 1970er und 80er Jahre über Investitionslenkung und -kontrolle und über Wirtschaftsdemokratie anknüpft. Als Linke müssen wir unsere Kompetenzen in dieser Frage deutlich stärken, denn es wird entscheidend sein, dass wir der Rolle des Staates, so wie sie jetzt neu definiert wird, ein Modell entgegensetzen können. Ein linkes Gegenmodell muss ausbuchstabieren können, wie staatliche Interventionen im Interesse der vielen und des sozialökologischen Umbaus genutzt werden können und wie die Entscheidungen darüber demokratisiert werden können – durch aktive Einbeziehung der Beschäftigten, der Gewerkschaften, Umweltorganisationen und der betroffenen Regionen. Drittens müssen wir das Thema Arbeitszeit auf die Agenda setzen. Für eine Industriepolitik, die sich am Gemeinwohl statt an permanentem Wachstum orientiert, ist die Frage danach, wie Arbeitszeit neu verteilt werden soll, elementar. Es gilt den alten Slogan der Linken: „Arbeitszeit, die zum Leben passt“ zu konkretisieren. 

Für diese Transformation müssen wir Allianzen zwischen Klimabewegung, internationalistischer Bewegung und Gewerkschaften schaffen und in Solidarität mit den Ländern des globalen Südens stehen. Wir müssen eine Politik entwickeln, die die Frage der Militarisierung mit der Klimakatastrophe und der Frage des ökonomischen Modells in Verbindung bringt. Dazu müssen wir verstärkt deutlich machen, dass die Militarisierung Ressourcen, die wir dringend für den sozial-ökologischen Umbau und den sozialen Ausgleich brauchen, blockiert und selbstverständlich die ökologische Katastrophe weiter vorantreibt und nicht in der Lage ist, eine Alternative anzubieten. Die LINKE (2023) hat mit der Erklärung der Landesvorsitzenden und der Vorsitzenden von Fraktion und Partei „Den Umbau gerecht gestalten“ und dem Europawahlprogramm die ökonomischen Fragen adressiert und gute erste Schritte in diese Richtung unternommen. Grundlage einer solchen Politik muss eine radikale Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums sein – denn nur so können die Mittel für die notwendigen gigantischen Investitionen in eine sozial-ökologische Umgestaltung der Industrie, den Ausbau der öffentlichen Infrastruktur und die notwendigen sozialen Garantien gewährleistet werden. 

Die neue Rolle des Staates ist ein zentraler Punkt, den wir als Herausforderung begreifen und an dem wir ansetzen müssen. Nicht unkritisch-affirmativ, sondern indem wir fordern, dass die staatliche Politik eine andere Rolle einnimmt, demokratisiert wird und Politik im Interesse der Vielen gemacht wird und nicht im Interesse der Wenigen.

 

Dieser Text basiert auf Harald Wolfs Beitrag am 01. September 2023 auf der Zukunftskonferenz des Bewegungslinke e.V. Für die Veröffentlichung bei zeitschrift-luxemburg.de wurde er redaktionell leicht überarbeitet.

 [1] Vgl. zur Krise des Exportmodells Mario Candeias, 2023: Wirtschaftswende jetzt! Die Erosion des deutschen Exportmodells erfordert Elemente einer neuen Ökonomie, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin, www.rosalux.de/publikation/id/50716/wirtschaftswende-jetzt, sowie Thomas Sablowski im aktuellen Heft 2/2023.

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