Das Schaulaufen der Kandat*innen für die 2022 stattfindenden Präsidentschaftswahlen in Frankreich nimmt erneut Fahrt auf. Spätestens seit den Regional- und Départementswahlen im Frühjahr dieses Jahres, die mit einer deutlichen Niederlage für die LREM-Partei des Staatspräsidenten Emmanuel Macron aber auch mit herben Stimmenverlusten für die „Nationale Sammlungsbewegung“ (RN) von Marine Le Pen einhergingen, zeigte sich, dass das von Demoskopen seit langem vorausgesagte Duell zwischen Macron und Le Pen bei den Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr keineswegs in Stein gemeißelt ist. Nun spielt mit dem Journalisten und Buchautor Eric Zemmour ein weiterer Kandidat damit, seinen Hut in den Ring werfen. Obwohl eine offizielle Entscheidung noch nicht gefallen ist, steigen seine Umfragewerte seit Wochen massiv an und sehen ihn inzwischen sogar auf dem zweiten Platz hinter dem amtierenden Staatspräsidenten Macron. Zemmour ist in Frankreich, im Gegensatz zu Deutschland, kein Unbekannter. Seit beinahe zwei Jahrzehnten kennen ihn die Französ*innen als betont polemischen Fernsehmann, der die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse im Lande mit einer scharfen rechten Stoßrichtung angreift. Seine Kandidatur wäre ein offener Angriff auf Le Pen und hat das Potenzial, diese um ihren sicher geglaubten Einzug in die Stichwahlen im nächsten Jahr zu bringen. Doch Zemmour ist kein gesellschaftlicher Außenseiter und verfügt über enge Bindungen in die französischen Eliten.
Ein Liebling der Medien
Eric Zemmour begann seine Fernsehkarriere 2003 bei I-Télé, nachdem er sich bereits in den Jahren zuvor als Journalist bei der schreibenden Presse ein enges Netzwerk an Kontakten innerhalb der führenden Kreise der politischen Rechten in Frankreich gemacht hatte. Diese Kontakte erwiesen sich als nützlich, als mit dem Beginn der 2000er Jahre im großen Stil private „Nachrichtenkanäle“ hochgezogen wurden. Diese Sender sollten wenig kosten, aber viele Werbeeinnahmen einspielen. Von Beginn an standen deshalb politische Talk- und Debattenformate im Zentrum, deren kontroverse Themensetzung Zuschauer vor den Bildschirm locken sollte. Zemmour gelang es in einem politischen Klima, in dem fast nur noch über die Migrationsproblematik diskutiert wurde, sich als äußerst scharfer Kritiker des Islam in Szene zu setzen. Auf diesem Wege gelang es ihm, wiederum regelmäßig in führenden rechtskonservativen Tageszeitungen wie Le Figaro seine Positionen vertreten zu können (Noiriel 2019, 57f.).
Der „Polemist“ Zemmour steigerte seine Ablehnung des „liberalen“ Frankreichs in seinen Fernsehauftritten und Publikationen immer weiter. Nicht nur die angeblich islamistischen Parallelwelten der französischen Vorstädte prangerte er an, sondern auch jede Form der gesellschaftlichen Modernisierung im Lande. So beklagt er sich über die Legalisierung der Ehescheidung oder den Feminismus und die gesellschaftliche Gleichberechtigung der Frauen, da auf diese Weise die bürgerliche Familie samt ihren Hierarchien zerstört und somit die Fähigkeit zur Reproduktion eines weißen Frankreichs verunmöglicht werde (Zemmour 2014, 39f./99f.).
Zemmour ist auch ein Anhänger der vom rechtsradikalen französischen Schriftsteller Renaud Camus popularisierten These eines angeblichen „Grand remplacement“, also eines zwangsläufig stattfindenden Bevölkerungsaustausches gen muslimischer Mehrheitsbevölkerung. Verantwortlich für all diese Entwicklungen sind zwei gesellschaftliche Gruppen. Einerseits die „Schwulenlobby“, welche die Führungsriege der französischen Ökonomie bilde und ihre „liberalen Werte“ auch ökonomisch durchgesetzt habe und anderseits die Sozial- und Geschichtswissenschaft, die durch ihre wissenschaftliche Methode ständig daran arbeite, den „Recit national“, also die politisch definierte Erzählung über die Herausbildung der französischen Nation in Frage zu stellen. Für Zemmour und die gesamte Rechte kann diese politisierte Geschichte nur darin bestehen, eine Aufzählung großer Männer zu präsentieren, welche sich im Kern um die Heroisierung des französischen Absolutismus, Napoleons I. und, bei Zemmour, de Gaulles dreht. Er verteidigt explizit die Ausgrenzungen der protestantischen Bevölkerungsgruppen im 17. Jahrhundert durch den absolutistischen Staat als notwendigen Akt der Staatsräson, der zur Herstellung innerer Homogenität Frankreichs notwendig gewesen sei. Nicht nur zum autoritären Staat bekennt sich Zemmour, sondern auch zum traditionellen rechten Ultranationalismus, der Frankreich in einer strikten katholischen Traditionslinie sieht und alles jüdische, protestantische und liberale als Produkt des Auslandes bekämpfen möchte (Noiriel 2019, 70ff.).
Freilich ist der Antisemitismus bei Zemmour, der selbst jüdische Wurzeln hat, nur oberflächlich verschwunden. Seine jüngsten Attacken gegen den Ehrenpräsidenten der jüdischen Gemeinde von Versailles, der 2012 bei einem islamistischen Terroranschlag in Toulouse Angehörige verloren und diese in Israel hatte beerdigen lassen und sich laut Zemmour gegen „Frankreich entschieden“ hatte, deuten darauf hin, dass dieses Feindbild schnell wieder aktiviert werden kann (Chemin 2021). Zudem relativiert Zemmour die Verantwortung des kollaborierenden Vichy-Regimes für die Deportation der in Frankreich lebenden jüdischen Menschen und behauptet, das Vichy-Regime hätte diese aktiv geschützt und damit faktisch als „Schild“ gegen die deutsche Besatzung agiert. Eine populäre These in der negationistischen Szene Frankreichs. Freilich liegen die Fakten anders. Sinnbildlich dafür stehen die Massenverhaftungen und Deportationen der in Paris lebenden jüdischen Bevölkerung am 16. und 17. Juli 1942, welche durch französische Polizeieinheiten ohne deutsche Beteiligung durchgeführt wurden. Weniger als hundert der circa 13 000 deportierten Menschen überlebten den Transport in die Massenvernichtungslager (Joly 2018).
Deportieren möchte Zemmour die muslimische Community, wie er in einem Interview mit dem italienischen „Corriere della Serra“ zu verstehen gab (Montefiori 2014). Dies brachte ihm eine Verurteilung wegen Volksverhetzung ein. Diese wurde allerdings in höchster Instanz wieder einkassiert, weil er sich darauf berief, dass seine Worte falsch ins Französische übersetzt worden wären. Sehr eindeutig äußerte er sich aber dann nach den Terroranschlägen im November 2015, als er forderte, dass Frankreich Bomben auf das belgische, mulitkulturelle Molenbeek bei Brüssel werfen sollte, um den Terrorismus in Europa einzudämmen (Le Soir 2015) .
Der „Mann aus dem Volk“ mit guten Kontakten zur Elite
Obwohl sich Zemmour zwar gerne als Mann aus dem Volk präsentiert, was bezüglich seiner kleinbürgerlichen Herkunft auch stimmen mag, wird man bei Zemmour nicht fündig, wenn es zum Beispiel um die sozialen Belange der Menschen geht. So unterstützte er zwar anfangs die „Gelbwesten“-Bewegung, wandte sich aber ab, als systemkritische Akteure immer sichtbarer wurden. Zuletzt empörte er sich über Linksradikale und Kleinkriminelle aus den Vorstädten, welche die Bewegung dominieren würden. Faktisch unterstützten Zemmour dann auch in erster Linie einflussreiche Unternehmer*innen. So traf er bereits im Juni mit dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Henri de Castre, der gleichzeitig auch eng verwoben ist mit dem „Institut de Montaigne“, ein ultraliberaler Think Tank. Außerdem gab es Gespräche mit der Spitze des Rüstungskonzerns Safran. Und im Hintergrund steht als Financier für seine Wahlkampagne bereits der schwer reiche Londoner Steuerflüchtling Charles Gave, der durch Offshore-Geschäfte zu einem Vermögen gekommen ist, bereit. Dieser floh Anfang der 1980er Jahre aus „Angst vor kommunistischen Ministern“ auf die Insel. Zudem agiert als Zemmours engster Berater ein wegen Betrugs verurteilter Ex-Manager des Ölkonzerns Total (Grams 2021).
Die bisher bekannten wirtschaftspolitischen Positionen hören sich deshalb auch altbekannt an. Man wolle die Steuern weiter senken, um französische Konzerne wettbewerbsfähiger zu machen, heißt es aus dem Umfeld Zemmours. Zudem solle die Mitgliedschaft in der Europäischen Union und der Euro nicht angetastet werden. Dagegen könnte die 35-Stunden-Woche fallen und Sozialleistungen weiter gekürzt werden. Nicht nur dass der selbsterklärte Verteidiger einer starken französischen Nation nicht einmal mehr die in Frankreich so populäre Forderung nach der vollständigen Rückgewinnung der Souveränität über Ökonomie und Währung durchsetzen möchte. Der Kämpfer für die kleinen Leute hat für diese tatsächlich nicht sonderlich viel übrig, wie sich zeigt. Die Umverteilung zu den großen Vermögen ginge mit Zemmour genauso ungehemmt weiter, wie unter der Präsidentschaft Macrons. Mehr als unmenschliche und aufstachelnde Angriffe gegen als Sündenböcke für gesellschaftliche Probleme ausgemachte Gruppen findet man bei Zemmour nicht (Philippe 2021).
Rechtsverschiebung im medialen Diskurs
Zemmours Grenzüberschreitungen haben seiner Präsenz im öffentlichen Diskurs trotz alldem nicht geschadet. Erst seitdem vieles daraufhin deutet, dass er eine Kandidatur für das Amt des Staatspräsidenten anstrebt, ließ die staatliche Medienkontrollbehörde verlauten, dass seine Redezeiten in Funk- und Fernsehen jetzt offiziell erfasst würden, um eine zu große Ungleichbehandlung anderer Kandidat*innen zu unterbinden. Daraufhin wurde er von den Medienanstalten, die ihn bis zuletzt beschäftigten, vom Sender genommen. Zemmour ließ es sich nicht nehmen anzudeuten, dass er dies als Zensur durch seine politischen Gegner*innen ansehe.
Dass Zemmours Thesen so ungefiltert den Weg in die Öffentlichkeit finden können, liegt daran, dass der Diskurs über die sicherheits- und identitätspolitische Fragen im Land völlig entglitten ist. Seit den 1980er Jahren überbieten sich Politiker*innen aller Lager darin, die Stigmatisierung der migrantisch geprägten Bevölkerungsgruppen voranzutreiben. Dies geschah als Reaktion auf die Wahlerfolge des ultrarechten „Front National“ (FN), an dessen Spitze Jean-Marie Le Pen stand und dessen Tochter Marine die Partei inzwischen in „Nationale Sammlungsbewegung“ (RN) umbenannt hat. Die Medien taten damals schon ihr übriges, um einseitig ein Bild der Gewalt, Kriminalität und Rechtlosigkeit über die Viertel des sozialen Wohnungsbaus zu zeichnen, die von mehrheitlich muslimischen Bevölkerungsgruppen bewohnt wurden (Masclet 2012, 12f.). Selbst Jean-Marie Le Pen wurde der großen Öffentlichkeit erst durch einen Fernsehauftritt im Februar 1984 bekannt. In der Folge explodierten die Umfragewerte und Wahlergebnisse der Partei. Bis heute munkelt man, ob nicht der damalige sozialdemokratische Staatspräsident Mitterand Le Pens Medienauftritt eingefädelt hatte, um durch das Erstarken des FN einen Keil in das rechte Lager zu treiben (Igounet 2016). Le Pen Senior hat bereits angekündigt, Zemmour gegen seine Tochter unterstützen zu wollen.
Die wirtschaftliche und soziale Krise, die sich seit den 1980er Jahren in Form von Massenarbeitslosigkeit und dem Verfall der Machtbasis der Parteien der Arbeiter*innenbewegung einherging, hat den rassistischen und fremdenfeindlichen Diskurs massiv erleichtert. Während die politischen Eliten besonders auf der linken Seite des Spektrums das Ringen um ökonomische Fragestellungen aus dem Zentrum ihrer Politik rückten und sich dem Narrativ des „Freien Spiels der Kräfte“ anschlossen, gelang es der Rechten die Deutungshoheit über die gesellschaftspolitischen Fragen zu erlangen. Hatte die französische Linke ihr Verständnis der Nation immer humanistisch und integrativ definiert, setzten sich jetzt wieder Ideen durch, die Frankreich in seiner Stärke bedroht sahen, da ein kultureller moralischer Verfall drohe, dem nur durch die ideologische Stärkung der Institutionen und ein Bekenntnis der Bürger*innen zum französischen Staat Einhalt geboten werden könnte. Hierin begründet sich auch die aus deutscher Perspektive schwer nachvollziehbare Laizitätsdebatte, die zur Folge hat, dass es inzwischen mächtige Stimmen gibt, die Symbole und Praktiken, welche unmittelbar mit dem Islam verbunden werden, vollständig aus dem öffentlichen Raum verbannen möchte. Einstige linke Kräfte spielen hier eine wichtige Rolle, welche teils repressive Maßnahmen zur offensiven kulturellen Assimilation migrantischer Gruppen fordern, wodurch eine Banalisierung der Thesen der radikalen Rechten betrieben wird, und die sich so das Label „republikanisch“ umhängen kann. Diese „Kulturkämpfer*innen“ aus der vermeintlich progressiven Ecke befassen sich allerdings so gut wie nicht mit der Klassenlage der Menschen mit Migrationshintergrund und reduzieren die Auseinandersetzung auf eine Frage der richtigen Werte und Haltungen zum französischen Zentralstaat, während die Vorstädte aufgrund der Armut und der Finanzschwäche der Gemeinden verkommen.
Doch statt hier Abhilfe zu schaffen, verschärfte Staatspräsident Macron, um von seiner desaströsen Covid-Politik abzulenken, wieder den Diskurs über innere Sicherheit. Zahlreiche Gesetze, welche die Vollmachten der Polizei-und Sicherheitsapparate stärken sollen, wurden verabschiedet. Zudem wurde ein Gesetz beschlossen, dass dem Staat explizit die Möglichkeit einräumt, politisch nicht genehme und angeblich republikfeindliche Gruppierungen ohne weitere Hürden auflösen zu können. Dieses Gesetz richtet sich ganz offen gegen Gruppierungen, welche muslimischen Charakter haben, oder aber gegen solche, die als migrantische Interessenvertretungen agieren und die aktuelle Strategie des französischen Staates – alle gesellschaftlichen Konflikte in erster Linie als Bedrohung der (weißen) öffentlichen Ordnung wahrzunehmen – offen kritisieren (Dubet 2020).
Machtpolitische und wirtschaftliche Ambitionen
Die vermutliche Kandidatur für das Amt des Präsidenten des Fernsehjournalisten Eric Zemmour kommt nicht überraschend. Schon seit Jahren wird darüber gemunkelt. Als Medienmann war und ist es ihm ein leichtes, die Aufmerksamkeit der privaten Medien auf sich zu lenken, da diese schon aus wirtschaftlichen Gründen in einem übersättigten Markt an seinen Thesen interessiert sind. Zudem ist es für Eigentümer*innen politisch interessant, einen vermeintlichen Akteur, der sich gegen das „Establishment“ stellt, zu stärken, der im Kern allerdings die gleichen neoliberalen Politikkonzepte vertritt, wie herrschende, elitennahe Politiker*innenmillieus. Zemmours Erfolgsmodell besteht zudem darin, dass er politisch zu den Anfängen des FN/RN unter der Führung des von Jean-Marie Le Pen zurückkehrt. Das Spiel mit offenen Provokationen, die Relativierung des Holocausts, aber auch die Nostalgie für das alte, nicht „progressiv verseuchte“ Frankreich, was in dieser Form so nie existiert hat, machen ihn für viele traditionelle Rechtswähler*innen interessant, die Marine Le Pens neuen Kurs des FN/RN, mit dem sie sich als gemäßigte Kandidatin der bürgerlichen Mitte präsentieren möchte (ohne an den Kernelementen ihrer Politik Änderungen vorzunehmen), als rein machtpolitisch und systemkonform ablehnen. Zemmour dagegen versprüht den Geist eines authentischen rechten Akteurs ohne Komplexe. Dennoch werden auch kritische Stimmen laut, die fragen, ob seine im Raum stehende Kandidatur weniger politischer, denn wirtschaftlicher Natur ist. Denn auf diese Weise sichert er sich die Wahrnehmung der Presse, die wiederum seine publizistischen Aktivitäten im Übermaß rezipiert. Das Eingreifen der staatlichen Medienkontrollbehörden sowie die sich langsam abzeichnenden sinkenden Verkaufszahlen seines neuesten Buches, könnten Zemmours präsidiale Ambitionen schnell beenden, sobald diese für ihn nicht mehr rentabel sind.