Nur wenige Stunden nach der Wahl bot Podemos »allen Kräften, die aufrichtig gegen die Austeritätspolitik sind«, einen Einigungsprozess an. Dieser Aufruf richtet sich an Parteien wie die Vereinigte Linke, die grüne Equo, aber auch an die Bewegungen. Was bedeutet das für die IU? Ich bin seit langem mit Pablo Iglesias befreundet und wir teilen inhaltlich die meisten Positionen. Strategisch und taktisch bestehen natürlich Differenzen. Ich hielt es vor der Wahl nicht für sinnvoll, dass eine weitere linke Formation bei den Wahlen antritt. Wir müssen an einer starken Linken und an gesellschaftlichen Mehrheiten arbeiten, die das Zweiparteiensystem und die Kürzungspolitiken zu Fall bringen können. Dafür ist letztlich jede Initiative von Nutzen, doch wir wollten eine zersetzende Konkurrenz um Stimmen und Posten vermeiden. Die Gründung von Podemos, die sich weniger als Partei denn als Plattform der zivilgesellschaftlichen Bewegungen verstehen, kam überraschend. Was hat es gebracht, sich zunächst nicht der IU anzuschließen? Letztlich war es von großem Vorteil: Die IU hat ihre Unterstützung verdreifacht, insbesondere bei jenen, die sich als links verstehen, in der Gewerkschaftsbewegung und entsprechenden Mareas, den Protestwellen im Gesundheits- oder Bildungssektor zum Beispiel, aktiv sind. Auch viele von der Sozialistischen Partei Enttäuschte sind dabei. Hier gibt es ein Potenzial von bis zu 20 Prozent der Bevölkerung. Podemos besetzt ein Feld, das die Plurale Linke nicht zu erreichen verstand. Vor allem jene, die sich vom politischen System nichts mehr versprechen und von den traditionellen Parteien abgewandt haben. Die Struktur und die Sprache von Podemos hat es möglich gemacht, ihren Stimmen Gehör zu verschaffen, die Frustration in Protest umzuwandeln. Sonst wären sie vielleicht für die Linke verloren gegangen. Zudem konnte Podemos so erst an Gewicht gewinnen, bevor es zu Gesprächen über eine Konvergenz mit der Pluralen Linken kommt. In Umfragen erreicht Podemos inzwischen 15 Prozent. Gemeinsam könnten wir das Zweiparteiensystem zu Fall bringen. Gehören die Plurale Linke und v.a. die IU damit auch zu den traditionellen Parteien? Für eine nicht unerhebliche Zahl von Menschen wohl ja. Die Parteien der Pluralen Linken und der IU verfügen über Organisationsstrukturen, Gremien und Hierarchien. Auch wenn sie sicher weitaus demokratischer aufgebaut sind als die konservative PP oder die sozialistische PSOE (und zahlreiche Regionalparteien) konnten sie in den letzten 40 Jahren das Zweiparteiensystem nicht ernsthaft herausfordern. In vielen Kommunen und einigen Regionen regierte die IU zwar mit. Aber nicht immer wurde dabei ein Unterschied deutlich. Auch zu Korruptionsfällen ist es in der Vergangenheit gekommen, auch wenn diese mittlerweile aufgeklärt sind und die entsprechenden Personen die Partei verlassen haben. Seither ist vieles passiert. Auch unsere Organisation hat sich durch die Dynamik der 15M-Bewegung verändert. Das muss weitergetrieben und Vertrauen gewonnen werden. Gibt es nun eine Konkurrenzsituation mit Podemos? Oder kommt es zur Annährung? Nicht alle wollen einen Prozess der Konvergenz, weder bei Podemos noch bei der IU. Aber ich habe keinen Zweifel, dass es dazu kommen wird, und Pablo Iglesias auch nicht. Das wird auch immer wieder an uns herangetragen. Anti-politische Abgrenzung machen bei Podemos sowenig Sinn wie beleidigte Kritiken aus den Reihen der IU, Podemos habe uns Stimmen gestohlen. Viele arbeiten daran, Gemeinsames auszuloten, mögliche Spannungen abzubauen. Die Linke kann sich gar nicht den Luxus leisten, breite Spektren der Bevölkerung in einem solchen Prozess außen vor zu lassen. Programmatisch sind wir zu 95 Prozent der gleichen Meinung, organisatorisch jedoch recht unterschiedlich. Hier heißt es neue Formen der stärker basisorientierten Arbeit zu entwickeln und wechselseitig voneinander zu lernen. Und wie steht es mit den Sozialisten? Parteichef Alfredo Pérez Rubalcaba trat kurz nach der Wahl zurück und setzte für Juli einen Sonderparteitag an. Prominente wie die ehemaligen sozialistischen Regierungschefs Felipe González und José Luis Rodríguez Zapatero fordern eine große Koalition, damit das Land regierbar bleibt. Die PSOE-Basis indes will mit Podemos und der Vereinigten Linken Gespräche führen. Sie fürchten im Falle einer großen Koalition den völligen Untergang ihrer Partei, wie es der Pasok in Griechenland passierte. Ein Kurswechsel nach links ist unwahrscheinlich. Sicher gibt es an der Basis viele gute und ehrlich an einem politischen Richtungswechsel interessierte Leute. Aber die Kräfteverhältnisse in der Partei sind noch zu unbeweglich. Wir werden das testen. Unter anderem wollen wir ein Gesetz aus der Zeit Zapateros rückgängig machen und bringen eine Gesetzesinitiative ein, die der Finanzierung der öffentlichen Dienste wieder Vorrang vor den Schuldenzahlung einräumt. Hier wird man sehen, ob die PSOE es ernst meint mit ihrer Kritik an der Regierung. Anlässlich der Abdankung von König Juan Carlos fordern wir im Parlament auch ein Referendum, damit die Bevölkerung entscheiden kann, ob sie weiter in einer Monarchie leben will oder in einer III. Republik. Wie kann so ein gemeinsamer Prozess der Konvergenz der Linken organisiert werden? Es gibt zahlreiche Plattformen wie die Frente Cívico (vgl. Interview mit Manuel Monereo) oder andere, die an übergreifenden Perspektiven arbeiten. Oder soll es vordinglich um Podemos und IU gehen? Da gibt es noch keine Übereinkunft. Die Gespräche beginnen gerade erst. Sicher ist dies kein Prozess, der nur unter der Führung der beiden Formationen ausgehandelt wird. Er muss von der Basis aus organisiert werden, auf vielen Ebenen zugleich stattfinden. Die Plurale Linke hat bei den Europawahlen mit Formen wie einem offenen Programmprozess experimentiert. Weitere Versuche, die Parteien für zivilgesellschaftliche Initiativen zu öffnen und die innerparteiliche Demokratie zu beleben, sollen folgen. In letzter Zeit hat die Debatte um Vorwahlen nach dem US-amerikanischem Muster der »Primaries» viel Aufmerksamkeit erfahren. Für uns ist wichtig, dass die Parteiführung oder die Spitzenplätze für Wahllisten in einem offen Prozess bestimmt und nicht von der Führung ausgedealt werden. Dafür gibt es einen starken Willen in der IU, nicht zuletzt von der jüngeren Generation. Lara Hernandez gehört u.a. zur den Kandidatinnen, die eine solche Initiative gestartet haben. Künftig wird es offene Listen geben. Wie weit das gehen soll, ob nur Parteimitglieder oder inwieweit SympathisantInnen mitbestimmen dürfen, ist offen. Allgemeine Skepsis besteht jedoch gegenüber einem US-Format. Noch viel wichtiger als die Wahl des Führungspersonals ist uns aber seine Verantwortlichkeit: Es muss jederzeit möglich sein, Führungspersonen abzuberufen, wenn sie den Grundkonsens der Basis verlassen, keine lebendigen Beziehungen zur Basis mehr pflegen, taub werden für deren Wünsche und Forderungen. Die Partei darf unter keinen Umständen wieder den Kontakt zu den popularen Klassen verlieren. Sie muss politisch und kulturell verankert sein, sonst verliert sie ihre Existenzgrundlagen. Wir verstehen uns auch als Bewegungspartei, deren Kern die aktiven Mitglieder und ihre Aktivitäten bilden. Die wirkliche Demokratie muss auch in der Parteiorganisation zum Maßstab werden. Schon vor den Wahlen habt ihr eine Kampagne für die »demokratische und soziale Revolution» angekündigt, die nun nach der Wahl beginnen soll. Was hat es damit auf sich? Wir wollen damit die Debatte über einen konstitutiven Prozess (vgl. Interview mit Chema Ruiz) voranbringen, mit einer Tour durch das ganze Land, mit Foren in den Nachbarschaften und Regionen. Dabei geht es nicht nur um eine neue (republikanische) Verfassung, sondern um einen breiten Diskussions- und Organisationsprozess, um die Regeln des Spiels neu zu bestimmen. Es geht um den Bruch mit der postfaschistischen Verfassung von 1978. Wir benötigen ein Verhältniswahlrecht, was nicht länger die zwei herrschenden Parteien privilegiert. Wir brauchen mehr direkte Demokratie: Volksabstimmungen, aber auch alltägliche Formen der Partizipation jenseits von Wahlen, wie verbindliche Bürgerentscheide (Consultas Populares). Das Öffentliche muss Vorrang erhalten und vor Privatisierung geschützt werden etc. Es geht uns um eine umfassende Transformation unseres politischen Systems. Die Bevölkerung hat die bestehende pseudo-demokratische Ordnung satt. Was bedeutet der konstitutive Prozess einer wirklichen Demokratie für die Transformation der Ökonomie? Wir treten für ein zivilgesellschaftliches Schuldenaudit ein, das prüft, welche Schulden illegitim sind und nicht zurückgezahlt werden. Das würde zahlreiche Banken erneut in Schieflage bringen. Der Sektor der Groß-Banken gehört daher vergesellschaftet, auch um die Konzentration der Macht, die damit verbunden ist, abzubauen. Das gilt auch für strategisch bedeutende Groß-Unternehmen. Wir wollen, dass genossenschaftliche und öffentliche Unternehmen Vorrang bekommen. Die Finanzierung des Öffentlichen muss Priorität erhalten, vor dem Schuldendienst. Soziale Rechte, angefangen vom Wohnen bis hin zum Anspruch auf eine armutsfeste Grundsicherung und gute Arbeit, sollen garantiert werden. Ich kann nicht alles aufzählen. Gerade für eine Transformation der Ökonomie hat IU programmatische Vorschläge entwickelt. Mit Podemos teilen wir die meisten Aspekte politisch notwendiger Veränderungen. Ihr habt bereits sehr klare Vorstellungen. Wozu die Debatte? Und was passiert mit den Ergebnissen? Wir gehen nicht mit einem weißen Papier in die Debatte. Wir möchten unsere Punkte als Angebote einbringen. Nach Jahren der Krise ist auch in den Bewegungen vieles in dieser Richtung entwickelt worden. Da gibt es bereits große Übereinstimmung, zum Beispiel mit Blick auf die Vergesellschaftung der Banken. Und wir sind neugierig auf neue Ideen. Die Ergebnisse der Debatten werden wir als gesetzliche Initiativen in die Kommunen und die Parlamente einbringen und so zivilgesellschaftliche Basisarbeit mit institutioneller Arbeit zusammenbringen. Zielt ihr damit auf parlamentarische Mehrheiten bei den Regional- und Kommunalwahlen 2015? Ja, aber bis dahin ist es noch lang. Der konstituierende Prozess dient auch dazu, den außerparlamentarischen Kampf zu fokussieren. Wir verfolgen eine klare Orientierung auf den Bruch mit dem herrschenden Regime. Die Herrschenden schwanken, doch sie fallen nicht. Richtig, aber wir nutzen jede Gelegenheit, ihnen einen Stoß zu versetzen.   Zum Weiterlesen: Gespenst Europa - LuXemburg 1/2014