Marc ist Postler. Und will es auch bleiben, sagt er. Er will kein »Privater« sein, wie man bei der Firma »La Poste« sagt, kein Verkäufer von Waren. Er widersetzt sich mit einigen Kollegen der aufgezwungenen Vermarktlichung seiner Arbeit – wohl wissend, dass das Problem nicht hinter seinem Schalter, sondern im Regierungspalast bzw. in Brüssel entsteht. Er will nicht mit Postprodukten hausieren und kein »Knete-Raffer« werden, um »Kunden zu zerpflücken«. »Wenn du ein guter Verkäufer sein willst, musst du den Leuten was aufdrängen.« Sein Widerstand beginnt bereits mit der Sprache: »Der Nutzer, ich nenne ihn nie ›Kunden‹. Im Namen der »Modernisierung« ist die Post zum Markt geworden, wo es »versandfertige« Umschläge gibt, Bücher, Telefonkarten, Kugelschreiber, Schlüsselanhänger und sogar Plüschtiere; alles Produkte mit hoher Wertschöpfung. An Stelle von Schaltern gibt es Automaten – die streiken nie und ersetzen versetzte, entlassene Arbeitnehmer. Nach Berechnungen von SUD PTT hat die Post im Jahr 2009 fast 11 500 Arbeitsplätze gestrichen.1 Um die Nutzer (ach nein, die Kunden) in den länger werdenden Warteschlangen ruhigzustellen, hat man Fernseher aufgestellt. […] Wenn Marc gut verkauft, wird er als tüchtiger Verkäufer ausgezeichnet und mit einer Reise an die Sonne oder einem Geschenkkorb belohnt. »Am Morgen, wenn wir unseren Platz einnehmen, liegen unsere Umsatzziele für den Tag bereit […], man muss dem Kunden so viel Geld aus der Tasche ziehen wie möglich. Zum Beispiel, die Nachsendung: Wenn einer kommt, um einen Nachsendeantrag zu stellen oder um seine Anschrift zu ändern, musst du das Paket für 34 Euro verkaufen, obwohl die klassische Nachsendung nur 23 Euro kostet. […] Ich weigere mich, den Menschen den teuersten Preis anzudrehen.« Marc erträgt es nicht, aus der Kultur des Öffentlichen Dienstes gerissen zu werden, die er als seinen Auftrag versteht. Ein Kampf der Ewiggestrigen gegen die Moderne oder des Öffentlichen gegen den privaten Sektor? […] Marc wird vorgeworfen, er habe zu viel Empathie für die »Kunden«. »Können Sie sich das vorstellen? Es ist wohl der Gipfel, dass ich zu viel lächele, dass ich zu bekannt bin, zu nett zu den Leuten! Es stimmt, dass seit ich dort bin, mich die Leute kennen, es gibt ein Vertrauensverhältnis zwischen uns. In der Tat, soll ich Ihnen was sagen? Die werfen mir vor, meinen Job gut zu machen, gewissenhaft, nahe bei den Menschen, ohne die scharfen Kanten. Den Chefs sind die Leute scheißegal!« […] Wie bringt man Kernfragen des Berufs, der Berufspraxis auf den Tisch – in gemeinsamer Auseinandersetzung –, damit diese Praktiken nicht mehr dem Gewissen und der Verantwortung des Einzelnen unterliegen, sondern von allen unterstützt werden? »Im Bereich der Dienstleistungen, wie z.B. bei La Poste, ist der Gegenstand der Arbeit schwer zu definieren, das ruft Konflikte um Kriterien und Werte auf den Plan: Was ist richtig oder nicht, gut oder schlecht, muss man mitmachen oder sich dagegenstellen – das muss ›das Kollektiv‹ diskutieren«, sagt Yves Clot. So sieht es auch Marc: Es mangele an einem Kollektiv, um dieses Problem zu verfolgen, das alle angehe. So verlässt er sich auf sich selbst und führt seinen kleinen Widerstand allein. Für die Einzelnen besteht der Alltag aus Fragen und Zweifel, aus Kraft an einem Tag und Schwäche am anderen. Das birgt Risiken der Spaltung und der Stigmatisierung derer, die »kollaborieren«: »Ich bin sauer auf die Unterwürfigen«, sagt Marc, sie wollten eine gute Figur beim Chef machen. »Das ist geradezu Mittäterschaft beim Diebstahl. Das will der Betrieb aus uns machen.« […] Die Franzosen lieben ihre Post. Als Beweis dient der Erfolg der Volksabstimmung, initiiert von den Gewerkschaften SUD und CGT, die von den Bürgern begeistert unterstützt wurde. Marc ist begeistert und hat einen Abstimmungsstand vor seinem Postamt eingerichtet, sehr zum Leidwesen seiner Chefs! […] Mehr als zwei Millionen Wähler stimmten gegen die Privatisierung. Unterdessen verkauft Marc wieder, auch einzelne Umschläge. Er hilft den eingewanderten Arbeitern und lächelt den Opa an. Wie viel Zeit bleibt ihm als Einzelkämpfer? Bis zur Rückkehr der Linken an die Macht – eine echte Linke, europäisch und anti-neoliberal, die sich endlich in Brüssel Gehör verschaffen kann? Auszüge aus dem Buch La Désobéissance éthique (»Ethischer Widerstand«, ©Édition Stock 2010). Aus dem Französischen von Phil Hill. Der Text wurde gekürzt und leicht redaktionell bearbeitet.  

Anmerkungen

1 Und die SUD PTT stellt einen Anstieg von 23,38 Prozent bei den Eigenkündigungen von 2007 auf 2008, sowie von 38 Prozent bei den Entlassungen fest, Zahlen, die von einer tiefen Missstimmung innerhalb des Betriebes zeugen.