Lia Becker stellt sich in ihrem Beitrag »Der Horizont eines sozialen Antifaschismus« (2025) der Herausforderung, längere Linien zu ziehen und politische Formationen zu skizzieren, die als gefährliche Antwort auf das prognostizierte Ende des sogenannten »progressiven Neoliberalismus« vor der Tür stehen, so wie wir sie heute schon in den USA, Argentinien, Italien als Synthesen von autoritärem Neoliberalismus und Faschismus beobachten können. In Deutschland prognostiziert sie die aktuell regierende Groko als die letzte ihrer Art und sieht in der Verbindung von autoritär-neoliberalen und neofaschistischen Kräften die größte Gefahr, die es durch ein populär-demokratisches und sozialökologisches Projekt und in Folge mithilfe einer linken Regierung des sozialen Antifaschismus zu verhindern gilt. 

Diese gefährlichen Szenarien aufzuzeigen, ist dringend notwendig. Eine Verharmlosung der schleichenden Faschisierung von Politik und Gesellschaft wäre falsch. Es darf daran erinnert werden, dass Ende der 1920er Jahre von KPD und SPD der heraufziehende Faschismus sträflich unterschätzt wurde und eine linke Einheitsfront gegen den drohenden Faschismus nicht organisiert wurde. Die Einschätzung, dass die sogenannte Brandmauer der Konservativen heute schon bröckelt und der rechte Flügel der CDU nichts gegen eine Regierung mit der AfD einzuwenden hätte, trifft zu. Es ist nicht zu übersehen, dass bei der CDU unter Merz sowie der CSU autoritäre, nationalistische und sozialdarwinistische Tendenzen zu-, wie zugleich die Gegenwehr von SPD und Grünen dagegen abnehmen. Der Konsens der genannten Parteien für die bisher massivste militärische Aufrüstung der Nachkriegsgeschichte treibt die Militarisierung von Politik und Gesellschaft gefährlich voran. Dabei geht es weniger um konkrete Kriegsvorbereitung, als um eine eigenständige militärische Rolle der EU bei der Auseinandersetzung um die hegemoniale Neuverteilung der Welt. Dabei beansprucht Merz eine klare Führungsrolle Deutschlands, ungeachtet dessen, wohin das in der Geschichte bisher geführt hat. 

Lia Becker spricht zurecht von einer Übergangsphase. Der Faschismus steht nicht vor der Tür, aber wir haben es mit einer Faschisierung bzw. einer spätneoliberalen Faschisierung (siehe dazu auch Becker/Candeias 2024) zu tun. »Der historische Faschismus kehrt dabei nicht einfach wieder«, was aber das Neue ist, so Becker, kann noch nicht richtig erfasst werden. Hier besteht offensichtlich noch Diskussionsbedarf. Die Analysen über den Charakter des Faschismus in den 1920er Jahren gingen davon aus, dass dieser eine (terroristische) Form des Kapitalismus ist, der, so August Thalheimer (1930), seine politische Macht an die faschistische Massenpartei abgibt, um seine ökonomische Macht zu erhalten. Die kommunistische Internationale definierte den Faschismus als »terroristische Diktatur der am meisten reaktionären chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals« (Dimitroff 1935). Diese Position wurde m.E. zurecht von Thalheimer kritisiert, weil es um eine Herrschaftsform des gesamten Kapitalismus gehe und nicht nur seiner reaktionärsten Teile. Unabhängig von den unterschiedlichen Theorieansätzen wurde der Faschismus als Ausdruck und Folge einer tiefen Krise des Kapitalismus (oder Monopolkapitalismus) begriffen. Im Unterschied zu heute gab es auch eine zumindest in Teilen revolutionäre Arbeiterklasse, die den Kapitalismus von links bedrohte, und vor dieser Bedrohung bot die faschistische Partei Schutz. Die faschistischen Parteien, besonders in Deutschland, waren zugleich Massenparteien, die breite Teile besonders der Deklassierten aller Klassen mobilisierte und bürgerkriegsähnliche Zustände herbeiführte. Die meisten dieser Charakterisierungen treffen in der Tat auf die heutige Entwicklung nicht oder nur zu einem Teil zu.

Welche Teile des Kapitals treiben die Faschisierung voran?

»Die spätneoliberale Offensive wiederum, auf die Teile des Exportkapitals gehofft hatten, ist bisher nur in abgeschwächter Form durchgesetzt«, schreibt Becker. Hier stellt sich die Frage, ob diese den »disruptiven neoliberalen« Teil des herrschenden Blocks bilden, der die Faschisierung vorantreibt. Gerade diese Kapitalfraktion hat doch Interesse an Freihandel, offenen Grenzen innerhalb der EU und einer funktionierenden Infrastruktur. Das schließt Angriffe zwar auf die Sozialsysteme und Klimaschutz nicht aus. Jedoch brauchen sie dazu die AfD nicht. Mir erschließt sich nicht, welches Interesse diese Kapitalfraktion an einer stärker nationalistisch ausgerichteten, autoritären Politik haben soll. Die Automobilindustrie hat wegen ihrer Versäumnisse bei der Elektromotorisierung im Konkurrenzkampf mit den asiatischen Produzenten deutlich verloren und will deshalb das »Verbrennerverbot« hinausschieben. Sie stellt jedoch nicht die nötige Transformation zu Elektroantrieben in Frage, wie es die AfD und Teile der konservativen Kräfte tun. Auch droht keine Gefahr von den Gewerkschaften oder einer kämpferischen Arbeiter*innenbewegung gegen Standortschließungen und Verlagerungen oder massive Stellenstreichungen. Eine vergleichbare Kapitaloffensive gegen die Gewerkschaften, wie in den 1990er Jahren, ist ebenfalls nicht erkennbar, wenn auch aktuell die Angriffe auf die Sozialsysteme (Pflegeversicherung, Rente) und auf die Arbeitszeiten deutlich zunehmen. Auch das Finanzkapital ist an einer national ausgerichteten Politik nicht interessiert. 

»Ein vergleichbares Bündnis von Eliten und Mob wie in den USA, ist eher in Ansätzen sichtbar, jedoch nicht dominant. Das heißt nicht, dass es nicht dazu kommen kann.«

Eher werden die Rechtsradikalen von Familienbetrieben, Teilen des Handwerks und traditionellen Kapitalfraktionen unterstützt. Ein vergleichbares Bündnis von Eliten und Mob, wie in den USA, ist eher in Ansätzen sichtbar, jedoch nicht dominant. Das heißt nicht, dass es nicht dazu kommen kann. Wir sehen ja, dass die CDU unter Merz deutlich nach rechts getrieben wird und sich nicht gescheut hat, bei ihrem Antrag gegen Geflüchtete und Migranten*innen Mehrheiten mit der AfD zu suchen, auch jetzt wieder bei der Richterwahl für das Bundesverfassungsgericht. 

Es ist keinesfalls gesagt, dass die »Krise des Exportmodells sich zu einer tiefen Wirtschaftskrise auswächst« oder die Groko mit ihrer Wirtschaftspolitik völlig scheitern wird. Immerhin sollen doch einige hundert Milliarden Euro in die Infrastruktur investiert werden, was durchaus im Sinne der Konkurrenzfähigkeit des Kapitals ist. Das kann in bestimmten Bereichen Wachstumsimpulse auslösen, wenn auch kein tragfähiges neues Akkumulationsregime in Sicht ist. Weder wird damit die schon lange anhaltende soziale Krise gelöst noch die Klimakrise, die auf kurz oder lang mit enormen Kosten zurückschlagen wird. Aber es kann durchaus sein, dass es nicht zur großen Krise kommt – zumindest nicht so schnell – sondern zu einer weiteren Stagnationsphase mit vielleicht bescheidenem Wachstum. Teile der verängstigten Mittelschichten könnten dadurch etwas beruhigt werden und die CDU sich stabilisieren. Die SPD, die mit dieser Politik ihre Wählerschichten kaum befriedigen kann, droht jedoch völlig zerrieben zu werden. Natürlich kann es schneller als gedacht dazu kommen, dass die Zollpolitik von Tump gerade die Exportindustrie in Deutschland stark ins Schlingern bringt und heftige Eruptionen bei Arbeitsplätzen und Standorten auslösen wird. 

Ich will mit dieser Einschätzung keinesfalls die Gefahren kleiner machen oder gar zur Beruhigung beitragen, eher dafür plädieren, die ökonomischen Entwicklungen genauer zu analysieren, ebenso die politischen Interessen der verschiedenen Kapitalfraktionen und welche davon Interesse an einem autoritären Kapitalismus anmelden. Zu vernachlässigen ist dabei nicht, dass die Verschiebung nach rechts eine eigene Dynamik entwickelt, auf die sich zu einem späteren Zeitpunkt, sollte es erforderlich werden, durchaus relevante Teile des Kapitals stützen können.

Lange Linien für die Politik der Partei Die Linke

Lia Becker fordert zurecht eine längere Linie linker Politik, die über den Zeitrahmen einer Legislaturperiode hinausgeht. Sie spricht dann von einer Politik des sozialen Antifaschismus, die auch eine linke Regierungsperspektive beinhaltet, mit der Partei Die Linke, welche sich dabei zur führenden Kraft links der CDU entwickeln müsste. Der ganze Prozess könnte dann in eine Volks- oder Einheitsfrontregierung münden, mit allen Widersprüchlichkeiten, denen linke Regierungen ausgesetzt sind. 

Voraussetzung dafür ist jedoch eine Periode vielfältiger gesellschaftlicher Kämpfe, also Streiks und Bewegungen. Dabei wird »Hoffnung zur militanten Hoffnung, wenn Erfahrungen gemeinsamer Kämpfe, Solidarität und Empowerment sich mit einer konkreten Utopie, der Vorstellung von einer emanzipatorischen, sozialistischen Veränderung verbinden«, schreibt Becker. In den nächsten Jahren gehe es darum, »den Klassenkulturkampf von links offensiv (statt reaktiv oder ausweichend wie bisher) durch eine eigenständige Polarisierung zu führen«.


Der Begriff des sozialen Antifaschismus könnte eine breitere Diskussion anstoßen, wie die Faschisierung der Politik und Gesellschaft bekämpft werden kann. Ich sehe mehrere Ebenen, die miteinander verbunden werden können: 

  • Sozialer Antifaschismus muss die sozialen Ursachen der Rechtsentwicklung offenlegen, Widerstand gegen die Angriffe auf Löhne, Arbeitsbedingungen und Sozialsysteme organisieren und mit dem Kampf gegen rechts verbinden. Das schafft die Voraussetzungen, erfolgreich sozialdarwinistischen und ausgrenzenden Sicht- und Denkweisen entgegenzutreten.
  • Der teils katastrophale Zustand der öffentlichen Daseinsvorsorge und Infrastruktur ist ein starker Nährboden für die Rechten, weil Schlangen vor den Bürgerbüros, fehlende Kita-Plätze, Mangel an bezahlbaren Wohnungen, monatelange Wartezeiten für Facharzttermine das Leben erschweren und den Eindruck verstärken, dass es mit dem Land abwärtsgeht. Wichtig ist eine gute Erzählung über die Bedeutung der sozialen Infrastruktur, wie diese Lebensqualität erhöhen und soziale wie kulturelle Teilhabe verankern kann (Stichwort Infrastruktursozialismus, Candeias/Fried u.a. 2020). Gerade der gewerkschaftliche und politische Kampf für eine funktionierende soziale Infrastruktur ist elementarer Bestandteil eines inklusiven Begriffs einer sozialen Gesellschaft und von Solidarität.
  • Den Kulturkampf der Rechten, z.B. für ein traditionelles Familienbild, gegen sexuelle Selbstbestimmung, für Nationalismus und Chauvinismus, offenen Rassismus aufnehmen und dem ein eigenes emanzipatorisches Weltbild entgegensetzen. Lia Becker formuliert einige wichtige Elemente dazu: für eine solidarische Einwanderergesellschaft, für eine Demokratisierung staatlicher Infrastrukturen zur Stärkung von Solidarität gegen Rassismus, Sexismus und Queer- und Transfeindlichkeit, für geschlechtliche und sexuelle Selbstbestimmung, für Inklusion als Überwindung einer behindertenfeindlichen gesellschaftlichen Struktur.
  • Es gilt, den neoliberalen und unsozialen Charakter der rechten Politik besser herausarbeiten und darüber aufklären, dass sie gegen gesetzliche Mindestlöhne sind, gegen Mietpreisdeckelung, Besteuerung von Reichen und Vermögenden, gegen Flächentarifverträge, für die Auflösung des Renteneintrittsalters und damit für Rentensenkungen.
  • Wir müssen erzählen, was wir gewinnen können. Entscheidend im Kampf gegen die Faschisierung wird sein, ob Die Linke eine glaubwürdige Erzählung entwickeln kann, mit der die sozialökologische Transformation der Ökonomie und Gesellschaft, wirksame Klimapolitik, Migration und interkulturelles Zusammenleben, Demokratisierung und Selbstbestimmung, Feminismus und Emanzipation als Bereicherung und Erweiterung der eigenen Lebensmöglichkeiten begriffen wird. Eine Erzählung, bei der die ökosoziale Transformation verbunden mit einem neuen Wohlstandsbegriff nicht als Angriff auf die eigene soziale Existenz, sondern als Bedingung für deren Verbesserung deutlich wird. Eine Erzählung, die eine realistische Zukunftsvision einer weltweit sozialen und solidarischen Gesellschaft entwirft, als klares Gegenstück zur sozialdarwinistischen Verrohungs- und Zerstörungslogik der Rechten.
  • Bündnisse und Proteste gegen rechts sind nach wie vor wichtig, um den Druck auf die CDU aufrechtzuerhalten nicht mit der AfD zu koalieren.

Ein Verständnis von Antifaschismus und dem Kampf gegen rechts in der Partei Die Linke, aber auch in der gesellschaftlichen Linken zu entwickeln, das über das Verständnis eines einfachen oder auch voluntaristischen Antifaschismus hinausgeht, vor allem dazu geeignete Praxisfelder zu erschließen, dürfte eine der wichtigsten Aufgaben der nächsten Jahre sein. Eine Verengung auf Frieden und soziale Gerechtigkeit würde dem keinesfalls gerecht. Ich teile die Einschätzung, dass viele junge Menschen Die Linke als Gegenpool zu den Rechten gewählt haben. Gerade deshalb ist es wichtig, mit den neu gewonnenen Mitgliedern ein Verständnis von wirksamer Praxis gegen rechts zu entwickeln und zu erproben.

Ist eine Volks- oder Einheitsfrontregierung realistisch?

Ob der Horizont einer nicht näher beschriebenen Volks- oder Einheitsfrontregierung eine realistische Perspektive darstellt, darf aus heutiger Sicht stark bezweifelt werden. Die Linke ist bisher keine führende Kraft links der Mitte und wird es auch nicht so schnell werden. Zuerst wird sich die Aufgabe stellen, die Partei auf dem Niveau der aktuellen Umfragen zu stabilisieren und ihre Politikfähigkeit zu erweitern. Das historische Verständnis von Einheitsfrontpolitik in den 1920er Jahren war: Die damalige kommunistische Partei macht mit sogenannten Übergangsforderungen Angebote an die sozialdemokratische Partei für gemeinsame politische Initiativen und bildet damit eine Einheitsfront durch gemeinsame Kämpfe gegen die faschistische Gefahr. Man muss nicht das damalige Verständnis auf heute übertragen, jedoch ist beim heutigen Zustand der SPD und auch der Grünen schwer vorstellbar, wie solche Initiativen aussehen könnten. Die Linke sollte sich jedoch damit auseinandersetzen, wie bei einem weiteren Zerbröseln der SPD deren verbliebene Wähler*innen nicht nach rechts gehen, sondern in der Linken eine Alternative sehen. Wir sind von einer linken Regierung, die Übergänge in eine sozialistische Gesellschaft einleitet, sehr weit entfernt. Noch nicht einmal eine nennenswerte Politik der Umverteilung, geschweige denn eine auch nur andeutungsweise Veränderung der Eigentumsverhältnisse ist mit SPD und Grünen auf absehbare Zeit zu machen. Die Gefahr, dass unter antifaschistischer Regierung eine Verhinderung der Beteiligung der AfD verstanden wird und zumindest auf Länderebene sogar die CDU miteinschließt, ist groß, vor allem wenn kein Spielraum für grundlegende fortschrittliche Reformen vorhanden ist und solche nicht durch enormen außerparlamentarischen Druck entstehen. 

»Wir sind von einer linken Regierung, die Übergänge in eine sozialistische Gesellschaft einleitet, sehr weit entfernt.«

Ich teile die Ansicht von Ingar Solty nicht, der eine Machtbeteiligung der AfD nicht als das »Ende vom Lied« betrachtet. Trump, Meloni, Wilders, Kickl seien schlimm, aber alle nicht Hitler und die AfD wäre nicht die NSDAP. »Die USA wurde mit der Wahl 2024 nach rechts verschoben. Eine Faschisierung der US-Gesellschaft aber hat nicht stattgefunden« (Solty im ND v. 21.7.2025). Trump würde wieder abgewählt werden. Solty begründet damit, dass sich Die Linke auf keinen Fall auf eine Regierungsbeteiligung einlassen dürfe. Wenn die CDU will, würde eine Regierung mit der AfD ohnehin nicht zu verhindern sein. Sowohl bei Trump als auch bei anderen Rechtsregierungen unterschätzt Solty in welchem Ausmaß Demokratie zerstört, die Wahl oppositioneller Parteien erschwert, staatliche Institutionen, die Polizei und Justiz umgebaut werden. Das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung und Streiks wird eingeschränkt. Die autoritäre Struktur wird in die staatlichen Strukturen eingewebt und wirkt weit über die jeweilige Regierungsphase hinaus (vgl. Becker/Candeias 2024). Das ist eine Blaupause für eine Regierung unter Beteiligung der AfD.

Die massenhaften Demonstrationen haben erheblich dazu beigetragen, dass die CDU keine Regierung im Osten mit der AfD eingehen konnte. Das wird nicht ausreichen, ist aber nicht bedeutungslos. Was Becker für eine Volksfront- oder Einheitsfrontregierung an Voraussetzungen formuliert, ist etwas völlig anderes als eine Regierungskoalition gegen rechts, vielleicht sogar unter Einschluss der CDU. Eine solche antifaschistische Regierung will ich nicht grundlegend ausschließen, denke nur, dass dafür auf absehbare Zeit keine Voraussetzungen vorhanden sind.

Für die Zuspitzung der Klassenkämpfe Voraussetzungen schaffen

Lia Becker weist zurecht darauf hin, dass es »gegen die rechte reaktionäre ›Elitenkritik‹ eine Zuspitzung des Klassengegensatzes, die Arbeit an Verankerung und Machtaufbau im Alltag (in Betrieben, Stadtteilen, Schulen, Universitäten, Vereinen und im Kulturbereich) und eine Vision für die Demokratisierung aller gesellschaftlichen Bereiche« braucht. Mit den betrieblichen und gewerkschaftlichen Kämpfen, mit sozialen und ökologischen Bewegungen und mit der Zuspitzung von Klassenkämpfen sieht es aktuell eher bescheiden aus. Die Gewerkschaften sind mehr als defensiv aufgestellt, sind politisch kaum wahrnehmbar und haben traditionell Probleme damit, gegen eine Regierung, an der die SPD beteiligt ist, zu mobilisieren. Was Kampagnen gegen rechts angeht, besonders gegen Rassismus, Feindlichkeit gegen Geflüchtete und selbst gegen die AfD scheuen sie häufig den Konflikt gegen einen Teil ihrer Mitglieder, die in nicht geringer Zahl die AfD gewählt haben und teils mit Austritt drohen, sollten sich die Gewerkschaften nicht zurückhalten. Vermutlich ist eine Politisierung der Gewerkschaftsarbeit nach links gegenwärtig nur durch Anstöße und Impulse von außen möglich. Deshalb ist die Orientierung auf Betriebsarbeit folgerichtig. Es wird jedoch dauern, bis von den vielen neuen Mitgliedern der Linken eine nennenswerte Zahl eine tragfähige Verankerung in den Betrieben und den Gewerkschaften vorweisen kann. Dass auf der Streikkonferenz im Jahr 2025 fast 3 000 Teilnehmer*innen dabei waren, lässt hoffen. Die Linke sollte diese Dynamik nutzen, ihre Arbeitsgemeinschaft Betrieb&Gewerkschaft zu beleben und junge Mitglieder ermutigen, Funktionen in Betriebs- und Personalräten, wie auch in gewerkschaftlichen Gremien übernehmen. Die Schwäche der Linken in den Betrieben und teilweise in den Gewerkschaften zu überwinden, ist eine Arbeit, die einen langen Atem erfordert. 

»Die Linke muss aufklären über die Ursachen der verschiedenen sich verschränkenden Krisen, längere politische Linien ziehen und die politische Praxis stabilisieren.«

Soziale und ökologische Bewegungen sind aktuell kaum ersichtlich. Dass sich keine größere Mobilisierung gegen das Rollback bei der Klimapolitik herausbildet, überrascht etwas. Es ist offensichtlich, dass die Folgen der Klimakatastrophe näherkommen und kaum noch in die Zukunft oder auf andere Erdteile verschoben werden können. Starkregen mit Überschwemmungen und Hitzewellen wechseln sich in immer kürzeren Abständen ab, gefährden die Gesundheit vieler Menschen, richten enorme Schäden an und führen nicht zuletzt zu einer Verteuerung der Lebensmittelpreise. Es kann jedoch sein, dass das Leben im permanenten Krisenmodus zu einer zeitweiligen Erschöpfung oder gar Lähmung der Widerstandskräfte führt. 

Gerade die Partei Die Linke hat hier eine wichtige Orientierungsaufgabe. Sie muss aufklären über die Ursachen der verschiedenen sich verschränkenden Krisen, längere politische Linien ziehen und die politische Praxis stabilisieren. Ich bin sicher, dass in den nächsten Jahren wieder eine starke Klimabewegung wachsen wird. Den gerade bei der Klimafrage wird deutlich, dass der Kapitalismus mit seinem eingebauten Wachstumszwang diese Krise nicht lösen kann.

»Auch in der Partei- und Fraktionsführung werden Systemalternativen zum Kapitalismus gefordert. Bisher werden jedoch dafür über die Forderung nach Umverteilung hinaus kaum Antworten gegeben.«

Nicht nur deshalb ist Becker zuzustimmen, dass Die Linke eine »erkennbare Systemalternative« braucht. Über die Frage, was Sozialismus heute sein kann, sind in den letzten Jahren einige Bücher und Veröffentlichungen entstanden (Dörre/Schickert 2019, Riexinger/Zelig 2024, Demirović 2018, Brie 2022, Candeias u.a. 2020, Arruzza/Bhattacharya/Fraser 2019 usw.), mit denen ein Debattenraum in der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Linkspartei entstehen könnte. Auch in der Partei- und Fraktionsführung werden Systemalternativen zum Kapitalismus gefordert. Bisher werden jedoch dafür über die Forderung nach Umverteilung hinaus kaum Antworten gegeben. Verstaatlichung und Umverteilung sind jedoch noch kein Sozialismus. Im Sozialismus geht es um die gesellschaftliche Aneignung der Ökonomie und Gesellschaft durch die Mehrheit der Bevölkerung, um ein Projekt der demokratischen Gemeinwirtschaft und um die Überwindung sämtlicher Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse. Vor dem Hintergrund der Klimakatastrophe wird jedes sozialistische Projekt ein grundlegend neues Verhältnis von Gesellschaft und Natur herstellen müssen, in dem für eine Begrenzung des Stoffwechsels gesorgt wird. Es darf in Produktions- und Konsumprozessen nicht mehr verbraucht werden, als nachwächst oder recycelt werden kann.


Zur Verankerung einer sozialistischen Alternative braucht es einerseits Übergangsforderungen, um an die Idee der Einheitsfrontpolitik anzuknüpfen. Das sind Forderungen, um die einerseits konkret gekämpft werden kann und wird, um die Bündnisse gebildet werden können, die andererseits bestehende Grenzen verschieben und vor allem Brücken bauen zu Positionen von demokratischem Gemeineigentum. Das war erfolgreich beim Berliner Volksentscheid »Deutsche Wohnen und Co. enteignen«. Bezahlbares Wohnen für alle kann über Markt und Wettbewerb nicht hergestellt werden. Auch in anderen Bereichen der sozialen Infrastruktur sind solche Ansätze möglich, bei der Gesundheitsversorgung, bei der Bahn und im ÖPNV (Candeias/Demirović u.a. 2022). Bei der Entmachtung der großen Plattformunternehmen könnten Strukturen nach dem Prinzip des öffentlichen Rundfunks aufgebaut werden, also öffentlich-rechtliche Körperschaften. Beim sozialökologischen Umbau der Automobilindustrie könnten perspektivisch genossenschaftliche oder öffentliche Eigentumsformen, verbunden mit wirtschaftsdemokratischen Ansätzen dem bereits begonnenen Angriff auf Standorte und Arbeitsplätze entgegengesetzt werden. 

Verbindende Klassenpolitik und verbindende Partei

Lia Beckers Einschätzung ist recht zu geben, dass das »Ergebnis der Bundestagswahl zeigt, dass es möglich ist, einen progressiven Pol der Lohnabhängigen anzusprechen, darunter viele FLINTAs, junge Migrant*innen, Arbeiter*innen und Gewerkschafter*innen, denen sozial gerechter Klimaschutz am Herzen liegt, sowie Teilen der zuvor grün wählenden Mittelschicht.« Trotz nicht gerade selten anzutreffender anderer Analysen, dass Die Linke die Arbeiterklasse verloren hätte, haben gerade diese Gruppen für den Wahlerfolg der Linken gesorgt, einmal davon abgesehen, dass sie in der Regel Teil der modernen Arbeiter*innenklasse sind. Die Zusammensetzung dieser Klasse ist migrantischer, weiblicher, gebildeter, prekärer als in den 1960er und 70er Jahren und nahezu drei Viertel arbeiten im Dienstleistungsbereich (Riexinger 2020). Die Position von Lia Becker, dass »es gilt, feministisch-intersektionale Politiken von den Rändern ins Zentrum der Partei zu bringen«, ist eine wichtige Erweiterung der verbindenden Partei und verbindender Klassenpolitik. Durch den Zustrom junger Mitglieder sind auch deutlich mehr Migrant*innen, schwarze, farbige, queere Menschen in die Partei gekommen, die gut in antirassistischen und queeren Zusammenhängen vernetzt sind. Diese Entwicklung sollte nicht als selbstverständlich begriffen werden, sondern als enorme Bereicherung linker Politik und Kultur.

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