Lia Becker stellt sich in ihrem Beitrag »Der Horizont eines sozialen Antifaschismus« (2025) der Herausforderung, längere Linien zu ziehen und politische Formationen zu skizzieren, die als gefährliche Antwort auf das prognostizierte Ende des sogenannten »progressiven Neoliberalismus« vor der Tür stehen, so wie wir sie heute schon in den USA, Argentinien, Italien als Synthesen von autoritärem Neoliberalismus und Faschismus beobachten können. In Deutschland prognostiziert sie die aktuell regierende Groko als die letzte ihrer Art und sieht in der Verbindung von autoritär-neoliberalen und neofaschistischen Kräften die größte Gefahr, die es durch ein populär-demokratisches und sozialökologisches Projekt und in Folge mithilfe einer linken Regierung des sozialen Antifaschismus zu verhindern gilt.
Diese gefährlichen Szenarien aufzuzeigen, ist dringend notwendig. Eine Verharmlosung der schleichenden Faschisierung von Politik und Gesellschaft wäre falsch. Es darf daran erinnert werden, dass Ende der 1920er Jahre von KPD und SPD der heraufziehende Faschismus sträflich unterschätzt wurde und eine linke Einheitsfront gegen den drohenden Faschismus nicht organisiert wurde. Die Einschätzung, dass die sogenannte Brandmauer der Konservativen heute schon bröckelt und der rechte Flügel der CDU nichts gegen eine Regierung mit der AfD einzuwenden hätte, trifft zu. Es ist nicht zu übersehen, dass bei der CDU unter Merz sowie der CSU autoritäre, nationalistische und sozialdarwinistische Tendenzen zu-, wie zugleich die Gegenwehr von SPD und Grünen dagegen abnehmen. Der Konsens der genannten Parteien für die bisher massivste militärische Aufrüstung der Nachkriegsgeschichte treibt die Militarisierung von Politik und Gesellschaft gefährlich voran. Dabei geht es weniger um konkrete Kriegsvorbereitung, als um eine eigenständige militärische Rolle der EU bei der Auseinandersetzung um die hegemoniale Neuverteilung der Welt. Dabei beansprucht Merz eine klare Führungsrolle Deutschlands, ungeachtet dessen, wohin das in der Geschichte bisher geführt hat.
Lia Becker spricht zurecht von einer Übergangsphase. Der Faschismus steht nicht vor der Tür, aber wir haben es mit einer Faschisierung bzw. einer spätneoliberalen Faschisierung (siehe dazu auch Becker/Candeias 2024) zu tun. »Der historische Faschismus kehrt dabei nicht einfach wieder«, was aber das Neue ist, so Becker, kann noch nicht richtig erfasst werden. Hier besteht offensichtlich noch Diskussionsbedarf. Die Analysen über den Charakter des Faschismus in den 1920er Jahren gingen davon aus, dass dieser eine (terroristische) Form des Kapitalismus ist, der, so August Thalheimer (1930), seine politische Macht an die faschistische Massenpartei abgibt, um seine ökonomische Macht zu erhalten. Die kommunistische Internationale definierte den Faschismus als »terroristische Diktatur der am meisten reaktionären chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals« (Dimitroff 1935). Diese Position wurde m.E. zurecht von Thalheimer kritisiert, weil es um eine Herrschaftsform des gesamten Kapitalismus gehe und nicht nur seiner reaktionärsten Teile. Unabhängig von den unterschiedlichen Theorieansätzen wurde der Faschismus als Ausdruck und Folge einer tiefen Krise des Kapitalismus (oder Monopolkapitalismus) begriffen. Im Unterschied zu heute gab es auch eine zumindest in Teilen revolutionäre Arbeiterklasse, die den Kapitalismus von links bedrohte, und vor dieser Bedrohung bot die faschistische Partei Schutz. Die faschistischen Parteien, besonders in Deutschland, waren zugleich Massenparteien, die breite Teile besonders der Deklassierten aller Klassen mobilisierte und bürgerkriegsähnliche Zustände herbeiführte. Die meisten dieser Charakterisierungen treffen in der Tat auf die heutige Entwicklung nicht oder nur zu einem Teil zu.
Welche Teile des Kapitals treiben die Faschisierung voran?
»Die spätneoliberale Offensive wiederum, auf die Teile des Exportkapitals gehofft hatten, ist bisher nur in abgeschwächter Form durchgesetzt«, schreibt Becker. Hier stellt sich die Frage, ob diese den »disruptiven neoliberalen« Teil des herrschenden Blocks bilden, der die Faschisierung vorantreibt. Gerade diese Kapitalfraktion hat doch Interesse an Freihandel, offenen Grenzen innerhalb der EU und einer funktionierenden Infrastruktur. Das schließt Angriffe zwar auf die Sozialsysteme und Klimaschutz nicht aus. Jedoch brauchen sie dazu die AfD nicht. Mir erschließt sich nicht, welches Interesse diese Kapitalfraktion an einer stärker nationalistisch ausgerichteten, autoritären Politik haben soll. Die Automobilindustrie hat wegen ihrer Versäumnisse bei der Elektromotorisierung im Konkurrenzkampf mit den asiatischen Produzenten deutlich verloren und will deshalb das »Verbrennerverbot« hinausschieben. Sie stellt jedoch nicht die nötige Transformation zu Elektroantrieben in Frage, wie es die AfD und Teile der konservativen Kräfte tun. Auch droht keine Gefahr von den Gewerkschaften oder einer kämpferischen Arbeiter*innenbewegung gegen Standortschließungen und Verlagerungen oder massive Stellenstreichungen. Eine vergleichbare Kapitaloffensive gegen die Gewerkschaften, wie in den 1990er Jahren, ist ebenfalls nicht erkennbar, wenn auch aktuell die Angriffe auf die Sozialsysteme (Pflegeversicherung, Rente) und auf die Arbeitszeiten deutlich zunehmen. Auch das Finanzkapital ist an einer national ausgerichteten Politik nicht interessiert.
