In der linken Debatte in Deutschland besteht viel Unklarheit über die Diagnose der „Faschisierung“. Oft wird sie missverstanden als Aufstieg der AfD zur führenden Kraft der politischen Rechten oder als unmittelbar bevorstehende faschistische Diktatur. Der französische Soziologe und Faschismusforscher Ugo Palheta bietet in seinem neuen Buch „Why Fascism Is on the Rise in France. From Macron to Le Pen“ eine andere Perspektive: Faschisierung begreift er als umkämpften Prozess einer dreifachen – neoliberalen, autoritären und (anti-muslimisch) rassistischen - Radikalisierung von Teilen der herrschenden Klasse. Palheta gelingt es, seine Analyse der Faschisierung in Frankreich mit einer Erneuerung marxistischer Faschismustheorie zu verbinden. Was wir daraus lernen können, darüber sprach Lia Becker für die Redaktion mit dem Autor.

Die Ära Macron scheint dem Ende entgegenzugehen. In deinem Buch präsentierst du eine Analyse eines Prozesses der Faschisierung mit Bezug auf den kapitalistischen Staat und die Gesellschaft in Frankreich. Droht in Frankreich die „nächste Stufe“?

Macron hat ja letztlich die Dynamiken fortgesetzt, die in der französischen Politik seit fast vier Jahrzehnten vorhanden sind, jedoch mit einer stärkeren Akzentuierung ihrer autoritären Züge. Unter seiner Regierung hat sich nicht nur das Tempo der neoliberalen Reformen beschleunigt, sondern es haben sich auch autoritäre Tendenzen intensiviert. Etwa die polizeiliche und gerichtliche Repression gegen Protestierende; Minderheiten, insbesondere die muslimische werden stigmatisiert und ihre demokratischen Rechte angegriffen. Linke werden dämonisiert und parlamentarische Institutionen und zivilgesellschaftliche Akteure wie die Gewerkschaften umgangen.

Sein Projekt war von Anfang an ein Minderheitenprojekt. Mit anderen Worten, er hatte im Land keine solide soziale Basis – und die Arbeiter*innenklasse sowie die Jugendlichen blieben nicht untätig. Macron musste auf massiven Widerstand wie gegen die Rentenreform reagieren, was die Durchsetzung seiner sozial zerstörerischen Agenda verzögerte. Es war dieser Widerstand und die Schwäche seiner sozialen Basis (hauptsächlich das Bürgertum und die privilegierten Schichten der Arbeiter*innenklasse), die ihn dazu veranlassten, bewusst zu einer weitaus intensiveren Repression zu greifen als jede der vorherigen Regierungen. Mit einem Maß an staatlicher Gewalt, das in Frankreich wohl seit dem Algerienkrieg beispiellos war. So wurden bei den Protesten zwei Personen von der Polizei getötet (Zineb Redouane und Mohamed Bendriss) und Dutzende von Menschen verloren während der Gelbwestenbewegung 2018-2019 sowie während der Unruhen in Arbeiter- und Einwanderer*innenvierteln 2023 ein Auge oder eine Hand.

Diese Verschärfung der Repression war ein Produkt wie ein Sinnbild der Hegemoniekrise, die sich im Land seit mindestens zwanzig Jahren vertieft. Zur Hegemoniekrise gehört eine tiefe ideologische Krise des neoliberalen Projekts, eine Krise der politischen Repräsentation, und der Vermittlung zwischen Staat und Bürger*innen. Die Repression hat die Hegemoniekrise noch erheblich verschärft. Denn sie offenbarte die Unfähigkeit der neoliberalen Autoritären, irgendeine Form des sozialen Kompromisses zu schließen. Sie können ihren fehlenden Rückhalt in der Bevölkerung allein mit Gewalt kompensieren.

Weshalb hat es dann Macron dennoch geschafft, 2022 wiedergewählt zu werden?

Es gibt mindestens drei Gründe: Erstens die Angst, dass die radikale Rechte des Rassemblement National (RN) an die Macht kommt, und damit verbunden die Möglichkeit für den Kandidaten des ‚extremen Zentrums‘, sich erneut als Brandmauer gegen rechts zu positionieren. Dann zweitens die historische Schwäche der Linken, deren Zahl an Wähler*innen in zehn Jahren von etwa 45 auf 30 Prozent gesunken ist. Und schließlich der Niedergang der traditionellen Partei des französischen Bürgertums, Les Républicains (LR, Die Republikaner), die sich nicht als glaubwürdige Alternative zum Macronismus präsentieren konnte.

Dies hat zu einer massiven Stärkung der radikalen Rechten geführt, so dass die wahrscheinlichste Option für die kommenden Jahre eine von der RN dominierte rechtsradikale Koalition sein wird, die einen großen Teil der konservativen und liberalen Rechten (LR und Renaissance[1]) einbindet und dominiert. Dann beginnt die zweite Phase der Faschisierung, die insbesondere dazu dienen wird, die starken Oppositionsbewegungen zu zersetzen, die sich unter Macron entwickelt haben, einschließlich der Linkspartei La France Insoumise (Unbeugsames Frankreich, LFI).

Du analysierst Faschisierung als einen multidimensionalen Prozess, in dem sich unterschiedliche Elemente verbinden, und zugleich als eine dreifache Radikalisierung des neoliberalen Machtblocks. Um welche Elemente handelt es sich in Frankreich und wie können wir ihre Artikulation verstehen?

Faschisierung bezeichnet einen Prozess, der die Errichtung eines faschistischen Staates ideologisch und materiell vorbereitet. Dafür ist es wichtig zu verstehen, was einen faschistischen Staat auszeichnet. Ein Staat, der offenen Krieg gegen alle Protestbewegungen, Minderheiten und die Arbeiter*innenklasse führt; ein Staat, der bestrebt ist, alle Formen des Widerstands und alle Räume der Gegenmacht zu zerstören; ein Staat, der seine Bevölkerung zugleich atomisiert und ideologisch homogenisierend anruft. Ein Staat, der verspricht, die Kapitalakkumulation auf autoritäre Weise wiederzubeleben.

Faschisierung ist kein linearer Prozess – aber ein organisches Phänomen. Was bedeutet das? Ein faschistischer Staat ist nicht einfach das Ergebnis einer faschistischen Bewegung , die an die Macht kommt, den kapitalistischen Staat wie eine Festung erobert und ihn dann in eine faschistische Richtung umgestaltet. Das ist keineswegs das unvermeidliche Schicksal jedes kapitalistischen Staates in einer Phase der Hegemoniekrise. Faschisierung ist vielmehr eng mit den aktuellen Transformationen des Kapitalismus verbunden, mit der Politik der herrschenden Klassen und daher auch mit den etablierten Parteien.[2]

Wir können zwischen den Faktoren der Faschisierung und ihren Vektoren und Akteuren unterscheiden. Eine Hegemoniekrise ist ein komplexes Produkt der Krise des Kapitalismus. Die Akkumulation von Kapital stößt an Grenzen und Blockaden, stagniert. Identifizierbare Sektoren des Kapitals (fossiles Kapital, spekulatives Finanzkapital, Agrarindustrie, Militär- und Überwachungsindustrien) radikalisieren ihre politische Agenda und unterstützen (direkt oder indirekt) rechtsradikale Bewegungen. Die dominierenden Parteien verlieren an Glaubwürdigkeit und unter großen Teilen des (alten und neuen) Kleinbürgertums sowie unter den etablierteren Schichten der Arbeiter*innenklasse breitet sich Abstiegsangst aus.

Die Krise der Hegemonie kann in einigen Fällen zu einer vorrevolutionären Krise führen, doch meist sind eher Formen von Regierungsinstabilität die Folge. Vor dem Hintergrund der historischen Schwäche der Linken und der Arbeiter*innenbewegung kommt es in der gegenwärtigen Hegemoniekrise zu „Ausbrüchen“ popularer Unzufriedenheit, aber ohne Zukunft, das heißt ohne klare politische Forderungen oder eine soziale Alternative. Die Krise zeichnet sich auch durch eine autoritäre Verhärtung des kapitalistisch-neoliberalen Staates aus: die verstärkte Zentralisierung der Regierungsgewalt, Umgehung des Parlaments, Kriminalisierung von Gegnern und zunehmende Repression, Stärkung der Polizei usw. Dazu kommen Kampagnen, die Minderheiten rassistisch dämonisieren und zusammen mit Linken zu Feindbilden zusammenfassen.

In Deutschland gibt es in der Linken die Tendenz, den „autoritären Neoliberalismus" mit seinen Kürzungspolitiken, Militarisierung und Krieg, der Diagnose der "Faschisierung" entgegenzustellen. Wie schätzt du das Verhältnis von neoliberal-autoritärem Staat und Faschisierung ein?

Meine Hypothese ist, dass wir eine Faschisierung des neoliberal-autoritären Etatismus erleben. Oder anders gesagt: Der neoliberale Staat kann uns unter den gegenwärtigen Bedingungen durchaus mit einer hohen Wahrscheinlichkeit hin zu neofaschistischen Mächten führen – wenn das Momentum nicht von emanzipatorischen Kräften gestoppt wird.

Der marxistische Staatstheoretiker Nicos Poulantzas betrachtete Ende der 1970er Jahre den entstehenden neoliberal-autoritären Staat nicht als eine neue Form des Ausnahmezustands, der Abkehr vom liberal-demokratischen und parlamentarischen Staat [sondern als autoritäre Ent-Demokratisierung hin zu einer neuen „Normalform“ des Staates, Anm. LB].  Doch gibt es mindestens drei wesentliche Unterschiede zum damaligen Kontext, die uns erlauben, die gegenwärtige autoritäre Verhärtung des Staates anders zu beurteilen und sie als Teil von Prozessen der Faschisierung zu verstehen. 

Das erste Element ist offensichtlich die multiple oder Polykrise des Kapitalismus, sowohl ökologisch (Klimakatastrophe), ökonomisch (Stagnation) als auch in politisch-ideologischer Hinsicht (Legitimationskrise, Regierungsinstabilität). Diese Krise ist viel tiefer als in den 1970er Jahren, trotz einer weltweit deutlich schwächeren Arbeiter*innenbewegung. Das zweite Element ist die Präsenz mächtiger rechtsextremer Bewegungen, die sich zunächst und vor allem auf dem Feld der Wahlen entwickeln, aber in zahlreichen Ländern zunehmend auch auf den Straßen und in der Gesellschaft verankern. Das dritte Element ist die Entstehung einer breiten sozialen Massenbasis, allerdings keine Mehrheit, für diese radikale Rechte. Derzeit ist diese noch nicht bereit, sich in paramilitärische Strukturen einzureihen, die wir spontan mit Faschismus assoziieren. Aber sie ist durchaus gewillt, eine neo-faschistische Kraft zu wählen und Prozesse der Faschisierung des Staates mehr oder weniger aktiv zu unterstützen.

Die Qualität und Geschwindigkeit des Faschisierungsprozesses hängt nicht nur vom Projekt oder der Ideologie der herrschenden Kräfte ab, sondern mehr noch von der Tiefe zukünftiger Krisen, deren Intensität unvorhersehbar ist (Kipppunkt des Klimas, Aufstieg des Militarismus und das Risiko von Wirtschafts- und Finanzkrisen usw.) – und nicht zuletzt von der Intensität des popularen Widerstands. Das zeigt die Situation in Frankreich deutlich. Unter Macron gab es in den letzten Jahren eine brutale und autoritäre Unterdrückung der popularen Bewegungen, die im Vergleich zu anderen neoliberalen Regimen eine spezifische Qualität hat. Das liegt aber nicht an der Besonderheit des Macronismus im Vergleich zu anderen nationalen Varianten des Neoliberalismus, sondern daran, dass das Niveau der Mobilisierung in Frankreich viel höher war als irgendwo sonst in Europa, insbesondere seit 2016, und an der Präsenz einer relativ starken radikalen Linken (La France Insoumise konnte 2017 und 2022 bei den Präsidentschaftswahlen ca. 20 Prozent der Stimmen gewinnen).

All diese Faktoren machen die Situation extrem volatil und unvorhersehbar. Nehmen wir zum Beispiel den Umgang mit Gegner*innen. Die Regierung Macron hat bereits begonnen, Oppositionsbewegungen in Frankreich zu kriminalisieren: Das Collectif contre l'islamophobie en France (Kollektiv gegen Islamophobie), die wichtigste Anti-Rassismus-Organisation des Landes wurde vom Staat aufgelöst; auch der Jeune Garde antifasciste (Junge Antifaschistische Garde), einer der wichtigsten antifaschistischen Organisationen und der  der wichtigsten Solidaritäts-Organisationmit Palästina (Urgence Palestine) drohen ähnliche Urteile. Ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass eine von Le Pens Rassemble National (RN) geführte Regierung nicht noch weiter gehen würde? Der frühere Führer der traditionellen Rechten, nun Verbündeter der RN, Eric Ciotti, forderte bereits die Auflösung von La France Insoumise, der stärksten linken Kraft im französischen Parlament.

Das wahrscheinlichste Szenario für die nahe Zukunft ist erstmal, dass eine Koalition von Kräften unter der Führung des RN neoliberale Gegenreformen vorantreiben und vertiefen wird, insbesondere um ihre Allianz mit den Unternehmerverbänden zu festigen. Und sie könnte die autoritäre Offensive beschleunigen, um mit anhaltendem sozialem Protest und der radikalen Linken umzugehen. Die Vorwände, die das rechtfertigen sollen, sind leicht vorstellbar: Unruhen in Arbeiter- und Einwanderer*innenvierteln, Zusammenstöße mit der Polizei bei Straßenprotesten, Morde, begangen von Exilanten aus dem Globalen Süden usw. Es ist auch wichtig, das gesamte Arsenal an Notfallmaßnahmen im Auge zu behalten, das in den letzten zehn Jahren bereits ins allgemeine Recht aufgenommen wurde – und damit in das gewöhnliche Handlungsspektrum, das dem Staat und insbesondere der Polizei zur Verfügung steht – ein Arsenal, das einer von der RN dominierten Koalition unmittelbar zur Verfügung stehen würde.

Du hebst in deinem Buch die Rolle des anti-muslimischen Rassismus hervor. Wie siehst du die Zusammenhänge zwischen Rassismus als strukturellem Bestandteil des Kapitalismus und den Besonderheiten des Rassismus in der gegenwärtigen Konjunktur der Faschisierung?

Islamfeindlichkeit spielt im Prozess der Faschisierung eine besondere Rolle, vergleichbar mit der des Antisemitismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die ideologischen Formen sind klar unterschiedlich: Antisemitismus umfasste insbesondere alle pseudo-biologischen Ausschmückungen des Rassismus, die sich im 19. Jahrhundert entwickelt hatten, aber auch den christlich geprägten Judenhass und bestimmte vermeintlich antikapitalistische Klischees über die Macht oder den Reichtum der Juden, die August Bebel zu seiner Zeit als „Sozialismus der Narren“ bezeichnet hatte. Aber welche Funktion hatte der Antisemitismus für die Faschisierung? Nun, er radikalisierte und normalisierte Rassismus, verband diesen mit dem Gefühl einer Verschwörung und gegenwärtiger Katastrophe.

Diese spezifische Art von Rassismus, die einen Kampf auf Leben und Tod inszeniert und rechtfertigt, spielt eine zentrale Rolle im gegenwärtigen Prozess der Faschisierung. Dieser Rassismus ist insofern einzigartig, als er nicht einfach behauptet, dass es zu viele Muslime und zu viele Einwander*innen gibt, dass letztere mit den „wahren Staatsangehörigen“ konkurrieren oder dass sie „Probleme“ (in Bezug auf Integration, Zusammenleben, Kriminalität, Arbeitslosigkeit, öffentliche Defizite usw.) verursachen. Der Rassismus der extremen Rechten basiert im Wesentlichen auf drei Ideen:
1. Die Zerstörung ist im Gange (die Zerstörung der französischen Nation oder der „westlichen“ Zivilisation), was die Notwendigkeit eines dringenden und brutalen Vorgehens rechtfertigt; 
2. Diese Zerstörung ist nicht nur mit einer „Migrationswelle“ verbunden, sondern vielmehr mit dem Herrschaftswunsch einer radikal fremden Gruppe (gestern die Juden, heute die Muslime); 
3. Wiedererweckung: Wenn „unsere“ Nation (oder unsere Zivilisation) aus der Asche auferstehen und sich erneuern, sich von der bereits bestehenden oder noch kommenden Tyrannei dieser Minderheit befreien will, wenn sie ihre Wurzeln, ihre Identität und ihre Größe wiederentdecken will, muss sie sich reinigen oder säubern. Indem sie diese Gruppe von Feinden bekämpft und sie auf die eine oder andere Weise vernichtet (entweder durch Vertreibung oder durch physische Zerstörung).

Wie können wir die Funktionsweise dieses faschisierenden Rassismus verstehen?

Auf individueller Ebene verknüpft sich Angst vor sozialem Abstieg (der selbst ein langfristiges Produkt neoliberaler Politik der Prekarisierung ist) mit Rassismus und greift dabei auf ein vom französischen Kolonialismus geerbtes ideologisches Fundament zurück. Islamfeindlichkeit prägt Emotionen, Wünsche und Ideen, die eine vermeintliche Opferrolle der Weißen behaupten und einen national-rassischen oder zivilisatorischen Voluntarismus fördern. Dieser gibt vor, die Befreiung zu wollen, obwohl sein Hauptziel die Unterwerfung der Minderheit ist, die für alles Übel verantwortlich gemacht wird und vermeintlich nach Herrschaft strebt.

Auf der Ebene von Klassenformierung, verweist die Funktionsweise des faschisierenden Rassismus auf eine der Hauptfunktionen des Faschismus: die politische und ideologische Zersplitterung der Arbeiter*innenklasse. Diese ist natürlich bereits durch die Funktionsweise der kapitalistischen Produktionsweise differenziert und hierarchisiert. Doch der Rassismus verfestigt diese Hierarchien, zieht Gräben, errichtet Mauern und erschwert jede Form gemeinsamen Handelns oder die Entstehung von Klassenpolitik, ja er verunmöglicht sie sogar. Einerseits dadurch, die am meisten unterdrückten, marginalisierten Ränder  des Proletariats einzuschüchtern, zu isolieren  und zu kriminalisieren; andererseits indem die etablierteren Teile der Arbeiter*innen (oft als „weiße Arbeiterklasse“ bezeichnet) zur Identifikation mit den herrschenden Klassen im Namen der Verteidigung der Nation verführt werden.

Auf staatlicher Ebene dient Islamfeindlichkeit dazu, den Abbau bürgerlicher Freiheiten und grundlegender demokratischer Rechte (Einführung von Notstandsgesetzen, Ausrufung des Ausnahmezustands usw.) zu legitimieren und Angriffe auf die Linke, soziale Bewegungen, antifaschistische Kollektive und antikoloniale Mobilisierungen zu rechtfertigen. Unter dem Vorwand der Komplizenschaft mit „islamistischem Terrorismus“ werden La France Insoumise wie die Solidaritätsbewegung mit Palästina ständig delegitimiert und dämonisiert. Islamophobie nimmt somit einen prominenten Platz im Repertoire der rechten Offensive gegen die radikale Linke ein, mit dem Ziel, diese aus dem legitimen politischen Raum zu verdrängen.

Abschließend möchte ich mit dir über antifaschistische Strategien sprechen. Ich denke, wir brauchen eine Art „offensiver Verteidigung“ gegen autoritären Neoliberalismus und Faschisierung[3]. Ein liberales „Bündnis aller Demokraten“, das nur den neoliberalen wie teilweise undemokratischen Status quo verteidigt, bietet keinen Ausweg aus der autoritären neoliberalen Dynamik und der Faschisierung. Gleichzeitig sind die Kräfte für einen klassenbasierten Ansatz einer „Einheitsfront“ schwach. Genoss*innen des „Convergence“-Projekts[4] in den USA schlagen daher eine „Blockieren-und-Aufbauen“-Strategie vor, eine dreistufige antifaschistische Strategie: 1. Organisierung entlang eines breiten antifaschistischen Konsens, der alle Kräfte umfasst, die sich Faschismus und Autoritarismus entgegenstellen. Dies zielt darauf, Gegenmacht auf städtischer, zivilgesellschaftlicher und betrieblicher Ebene aufzubauen. 2. Bildung eines linken Blocks darin, der eine antineoliberale Alternative stark macht. 3. In diesen Prozessen eine sozialistische Linke (wieder) aufzubauen, die langfristig auf den Bruch mit dem Kapitalismus und radikale emanzipatorische Transformation ausgerichtet ist. Wie können wir die richtige Strategie auf nationaler Ebene und transnational entwickeln?

Antifaschismus ist tatsächlich in erster Linie eine Frage der Verteidigung, und wir müssen akzeptieren, dass wir nach vier Jahrzehnten bürgerlich-neoliberaler Offensive in der Defensive sind. Wir haben keine revolutionäre Situation. Verteidigung beginnt mit der physischen Selbstverteidigung gegen faschistische Banden, aber auch gegen eine zunehmend brutale Polizei in einem Staat, der sich im Prozess der Faschisierung befindet. Wir müssen den Zusammenhalts in unserem Lager stärken und Sicherheit organisieren. Ich denke, es ist weiterhin sinnvoll, Aktionen rechtsradikaler Kräfte aktiv zu blockieren und dadurch die Entwicklung faschistischer Organisationen in Städten, auf dem Land, in Betrieben und Universitäten zu verhindern oder zumindest zu bremsen. Dennoch scheint mir, dass Antifaschismus allzu oft auf diese Dimensionen reduziert wird, obwohl er ein viel größeres politisches Potenzial besitzt.

Verteidigung ist in erster Linie auch politische Selbstverteidigung, also die breiteste Mobilisierung für demokratische Ziele, die die politischen Errungenschaften (!) der Arbeiter*innenklasse und unterdrückter Minderheiten bewahrt. Es geht auch darum, Formen der Gegenmacht aufrechtzuerhalten, also die Infrastruktur des Protests (Gewerkschaften, Nachbarschaftskollektive, Antikriegsgruppen usw.). Auch die Demokratiefrage stellt sich fundamental: Ausgehend von Mobilisierungen können radikalere Perspektiven entstehen wie die Infragestellung von Polizei, Militär usw. Eine radikale und breit getragene Kritik an den antidemokratischen Elementen bzw. an der demokratischen Beschränktheit des bestehenden politischen Systems wie sie im Wahlsystem, in Oberhäusern und Verfassungsgerichten zum Ausdruck kommen, aber auch in Bezug auf Rassismus und der Rolle des Staates bei der Unterdrückung von Minderheiten, die kapitalistische Vereinnahmung der Medien und den daraus resultierenden Mangel an echtem Pluralismus.

Der Antifaschismus hat historisch immer wieder die Frage nach den Mitteln dieser Verteidigungskämpfe aufgeworfen. Darauf deutet ja deine Frage nach „offensiven Verteidigungsstrategien“ hin. Sicher dürfen wir uns nicht in rein institutionellen Fragen, etwa nach Wahlstrategien und Regierungskoalitionen, verstricken. Denn wird der Kampf allein auf diesem Terrain geführt, scheint die Niederlage unausweichlich. Mit Poulantzas gedacht ist es dennoch unerlässlich, die wahlpolitischen und institutionellen Mittel, zu denen selbstverständlich juristische Auseinandersetzungen und alle demokratischen Anker in bürgerlichen Institutionen gehören, nicht den genuinen Methoden der ausgebeuteten und unterdrückten Klassen gegenüberzustellen: also Streiks, Besetzungen, Straßendemonstrationen, Blockaden. Nur die Kombination dieser Mittel und Wege kann demokratische Siege erringen und letztlich den Prozess der Faschisierung zurückdrängen.

Ich möchte meine These zuspitzen: In der gegenwärtigen Konjunktur der Faschisierung ist es der Antifaschismus, der eine potenzielle Stärke entfalten kann, die verschiedenen Emanzipationsbewegungen zu verbinden. Gemeint sind alle Emanzipationsbewegungen, also nicht nur die politische Linke und die Gewerkschaften, sondern auch die Arbeiter*innen und Armen, antirassistische, feministische, LGBTQI+-, antikoloniale und Antikriegs- sowie Umweltbewegungen usw. Kurz gesagt: all jene, die durch den Vormarsch der radikalen Rechten unmittelbar bedroht sind. Gelingt es uns nicht, diesen „unterworfenen Block“[5] zu mobilisieren  – und zwar nicht nur im wahlpolitisch-institutionellen Bereich – werden wir keine Chance haben. Die große Schwäche der Neuen Volksfront im vergangenen Jahr war, dass sie sich weitgehend auf das institutionelle Terrain beschränkte. Es geht um eine Mobilisierung auch durch die „Methoden des Kampfes der Unterdrückten“ (siehe oben).

Eine weitere Gefahr besteht darin, dass diese Einheit überhastet oder als bloßer taktischer Schachzug ohne weitreichenden strategischen Kompass erreicht wird. Wir dürfen nicht außer Acht lassen: Jedes linke Experiment, das den Status quo aufrechterhält, und erst recht jedes, das neoliberale, rassistische, autoritäre Sicherheitspolitik und ökologisch zerstörerische, produktivistische Politik (ungewollt) verstärkt, wird zu einem erneuten Aufstieg der radikalen Rechten führen! Daher darf die Suche nach Einheit nicht im Widerspruch zum notwendigen politischen Kampf um die Richtung eines linken Projekts stehen: Wir können uns weder „Maximalismus“ noch den Verzicht auf zentrale Elemente leisten. 

Angesichts der politischen Lage in Frankreich und andernorts lässt sich erst auf diesen Grundlagen ein Prozess hin zu einer Regierung der Volksfront vorstellen, die in der Lage ist, die dringendsten Maßnahmen zur Überwindung der gegenwärtigen neoliberalen, autoritären und rassistischen Tendenzen auch durchzusetzen. Eine solche Regierung sähe sich natürlich sofort einer heftigen bürgerlichen Reaktion gegenüber: Nur eine außerparlamentarische Mobilisierung der Bevölkerung von größerer Intensität, als wir sie erlebt haben, kann ein solches Regierungsexperiment des Bruchs verteidigen, die bürgerliche Offensive stoppen und gleichzeitig die Möglichkeit einer eigenen Offensive eröffnen. Oder (in Anlehnung an Trotzki): Nur wer sich nicht auf die Verteidigung beschränkt, sondern entschlossen ist, bei der ersten Gelegenheit in die Offensive zu gehen, kann sich gut verteidigen.


Aus dem Englischen von Mario Candeias 

[1] Die Partei Renaissance (deutsch „Wiedergeburt“), von Macron ursprünglich als La République En Marche! (Die Republik in Bewegung!) gegründet, wurde im September 2022 umbenannt.

[2] Vgl. auch: Vom Horror zur Hoffnung. Strategien gegen blockierte Transformation und Faschisierung, hgg. v. L.Becker u. M.Candeias, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin 2024,  www.rosalux.de/publikation/id/52656/vom-horror-zur-hoffnung

[3] Vgl. Lia Becker: Der Horizont eines sozialen Antifaschismus. LuXemburg 1/2025.

[4] Vgl. Cayden Mack, 2025; »Block and Build«. Eine linke Strategie gegen das MAGA-Regime, in: LuXemburg 1/2025, https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/block-and-build/.

[5] Ein innovativer Begriff aus Ugo Palheta’s Buch, der auch auf eine potentielle Allianz derjenigen Teile der lohnabhängigen Klasse zielt, die prekarisiert und zugleich staatlich bereits unterworfen, marginalisiert und kriminalisiert werden.

Weitere Beiträge