Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP werden Änderungen angekündigt, für die Frauen und queere Menschen Jahrzehnte lang gekämpft haben. Endlich soll der § 219 a gestrichen und Schwangerschaftsabbrüche kostenfrei werden. Eine Kommission soll die Regulierungen des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuchs prüfen. Das wäre ein echter Paradigmenwechsel! Das an der Kleinfamilie orientierte Abstammungs- und Familienrecht soll modernisiert und das heftig kritisierte Transsexuellengesetz durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzt werden. Die zukünftige Regierung hat sich auch vorgenommen, mehr für Gewaltprävention zu tun, u.a. wird eine verlässliche Finanzierung von Frauenhäusern angekündigt.
Die größte Beachtung schenkt der Koalitionsvertrag aber Frauen im Zusammenhang mit dem Fachkräftemangel. Die Ampel will den von Unternehmen beklagten Mangel an qualifizierten Fachkräften durch Arbeitskräftemigration und die Rekrutierung von Müttern kleiner Kinder decken. Die „Arbeitsmarkt-, Gleichstellungs- und Familienpolitik“ soll dem Ziel einer höheren Erwerbsbeteiligung von Frauen dienen. Damit „sich die Erwerbsarbeit für Eltern lohnt“, will die Koalition Anreize schaffen, die auch aus feministischer Sicht Schritte in die richtige Richtung sind:
- Die Partnermonate beim Basiselterngeld sollen um einen Monat (also auf drei Monate) erweitert werden. Bisher wird das Basiselterngeld 12 Monate lang gezahlt, es erhöht sich aber um zwei Monate, wenn jedes Elternteil mindestens zwei Monate zu Hause bleibt. Feminist*innen sowie DIE LINKE fordern die Erhöhung dieser sogenannten „Vätermonate“ auf 12 Monate, damit sich beide Elternteile gleichberechtigt die Erziehungszeit teilen.
- Das Elterngeld soll dynamisiert werden, d.h. regelmäßig an den allgemeinen Verbraucherindex oder die Inflationsrate angepasst werden.
- Die Kinderkrankentage pro Kind und Elternteil sollen von zehn auf 15 Tage und für Alleinerziehende von 20 auf 30 Tage erhöht werden.
- Die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern soll geschlossen werden, sagen die Koalitionär*innen. Es bleibt aber offen, wie das bewerkstelligt werden soll. Das Entgelttransparenzgesetz soll gestärkt werden. Aber statt dem von Gewerkschaften geforderten Verbandsklagerecht[1] wird nur eine Prozessstandschaft angestrebt, durch die Verbände die Rechte von Arbeitnehmer*innen geltend machen können.
- Angebote für Teilzeitausbildung sollen verbessert werden, was v.a. jungen Müttern eine Möglichkeit bieten kann, eine Ausbildung anzufangen oder abzuschließen.
Die brennende feministische Frage nach gerechter Verteilung der Sorgearbeit lässt die Ampel allerdings links liegen. Sie behaupten zwar: „Wir unterstützen Eltern dabei, Erwerbs- und Sorgearbeit gerechter untereinander aufzuteilen.“ Dem folgen aber keine wirklichen Angebote. Eine 30 Stunden-Woche wäre eine echte Erleichterung für Eltern. Davon ist im Koalitionsvertrag aber keine Rede. Der Ausbau von Kitas und einer Pflegeinfrastruktur als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge würde Familien entlasten. Gewerkschaften, Elternverbände und Selbstorganisationen von Beschäftigten fordern die Rückführung der Privatisierung in Gesundheit, Pflege und Bildung in die öffentliche Hand. Stattdessen lässt die neoliberale Handschrift des Koalitionsvertrags mehr Privatisierungen befürchten. Zum Beispiel soll die private – jüngst vom Bundesarbeitsgericht gekippte – 24-Stunden-Pflege[2] erhalten bleiben. „Wir gestalten eine rechtssichere Grundlage für die 24-Stunden-Betreuung im familiären Bereich.“ Das kann man so lesen, dass ausbeuterische Arbeitsverhältnisse rechtssicher gemacht werden sollen.
Die Ampel fordert: „Die Gleichstellung von Frauen und Männern muss in diesem Jahrzehnt erreicht werden.“ Wenn man aber das Kleingedruckte im Koalitionsvertrag liest, ist mit Gleichstellung vor allem die gleichberechtigte Vertretung von Frauen an der Spitze von Politik und Wirtschaft gemeint. So wird eine Wahlrechtsreform mit einer paritätischen Repräsentanz von Frauen und Männern im Parlament in Aussicht gestellt. Eine herbe Enttäuschung ist der Koalitionsvertrag hingegen für alle Frauen in prekären Arbeitsverhältnissen: Sachgrundlose Befristung, Leiharbeit und Arbeit auf Abruf bleiben. Mini- und Midijobs werden sogar ausgebaut, indem die Verdienstgrenze auf 520 Euro angehoben wird. Für Unternehmen bedeutet das eine deutliche Entlastung, während es für noch mehr Beschäftigte Existenzunsicherheit und Altersarmut befürchten lässt. Arbeitszeiten können noch weiter flexibilisiert werden. Lediglich die Erhöhung des Mindestlohns ist wirklich zu begrüßen.
Der Koalitionsvertrag liest sich wie die Allianz des grün-liberalen Feminismus mit dem Neoliberalismus eines Christian Lindners. Chancengleichheit wird als handfester Wettbewerbsfaktor im Dienst der Wirtschaft betrachtet. Die Forderung nach einer „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ interessiert in erster Linie, um den Hunger der Unternehmer*innen nach Fachkräften zu befriedigen. Einen Ausgleich für Frauen gibt es nur, wenn er die Unternehmen und den Staat möglichst wenig kostet.
In ihrem Manifest „Feminismus für die 99 %“ kritisieren Tithi Bhattacharya u.a., dass Frauen aus der US-Elite den Feminismus zur „Magd des Kapitalismus“ machen. Manches im Koalitionsvertrag liest sich tatsächlich so, als hätte der liberale Feminismus à la Hillary Clinton Pate gestanden: Besetzung hoher Ämter durch talentierte Frauen bei gleichzeitiger Verschlechterung der Lebensumstände vieler Menschen. Deswegen war Clinton im Kampf um die Präsidentschaft für viele Frauen am unteren Ende der Reichtumsskala nicht wählbar, was den Wahlerfolg von Donald Trump befördert hat.
Der Koalitionsvertrag bekennt sich außerdem zu einer Feminist Foreign Policy, die „Rechte, Ressourcen und Repräsentanz von Frauen und Mädchen weltweit stärkt und gesellschaftliche Diversität fördert.“ Angesichts dessen, dass die Ampel aufrüsten, Killerdrohnen einsetzen und weiter Waffenexporte zulassen will, bleibt das „feministische“ an dieser Außenpolitik auf die Beteiligung von Frauen in internationalen Gremien und bei Verhandlungen beschränkt. Um den verheerenden Krieg in Afghanistan zu legitimieren, haben SPD und Grüne immer wieder das Bild der befreiten afghanischen Frauen beschworen. Die designierte deutsche Außenministerin Annalena Baerbock, die im Wahlkampf mehr Härte gegen Russland und China forderte und die sich in ihrer Partei für die Billigung des Einsatzes bewaffneter Drohnen einsetzte, steht nicht gerade für eine friedlichere Außenpolitik. Es ist zu befürchten, dass auch in Zukunft Frauenrechte für Kriegseinsätze instrumentalisiert werden.
Die Linke als politische Bewegung und als Partei darf sich von der feministischen Rhetorik des Koalitionsvertrages nicht blenden lassen. Der Koalitionsvertrag ist eine „Modernisierung ohne sozialen Ausgleich“ (Ehling 2021). Fortschritte bietet die Ampel insbesondere denjenigen, die einigermaßen sozial sicher leben können. Bei Mieten, unsicheren Beschäftigungsverhältnissen und der ungerechten Verteilung der Sorgearbeit tut sich hingegen nichts. Gerade wegen der enormen Kluft zwischen mutigen gesellschaftspolitischen Veränderungen, ohne dem ärmeren Drittel der Bevölkerung etwas zu bieten, wird die schon vernehmbare rechte Kritik an der Koalition auf eine soziale Basis stoßen. Es ist zu befürchten, dass die breite politische Auseinandersetzung in Zukunft zwischen dem Lager der Koalition und rechter Kritik daran geführt werden wird. Der gesellschaftlichen Linke muss es gelingen, demgegenüber die Vision eines anderen, sozial gerechten Lebens groß zu machen. Mit blutleerer Kritik an der liberalen Ampel und rechter Gegenspieler wird niemand zu überzeugen sein.
Feminist*innen und Linke müssen laut schreien: Nein, diese Art von Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die uns die neue Regierung anbietet, weisen wir zurück! Wir wollen nicht unter noch unsicheren Bedingungen noch mehr arbeiten. Wir wollen nicht, dass unser gesamtes Lebens der Erwerbsarbeit untergeordnet wird. Wir brauchen mehr Zeit für unsere Lieben – in und außerhalb der Familie –, mehr Zeit für uns und mehr Zeit für alle, um sich aktiv in die Gestaltung unserer Gesellschaft einzumischen. Ohne eine gerechte Verteilung der Sorgearbeit wird es keine Gleichheit der Geschlechter geben und die Ausbeutung von Frauen in Familien und Pflegeeinrichtungen wird fortbestehen. Es ist Aufgabe der LINKEN, in Bündnissen mit den Beschäftigten in Pflege und Gesundheit, mit Eltern und pflegenden Angehörigen und vielen anderen, Mehrheiten für diesen gesellschaftlichen Wandel zu organisieren.