1. Wir erleben eine neue Qualität autoritärer Transformation des Kapitalismus
Wir befinden uns in einer Zeit autoritärer Umbrüche des Kapitalismus. Hier in Deutschland greifen die autoritäre Rechte und die AfD immer offensiver soziale Rechte an, schüren Rassismus, Antisemitismus und Queer- sowie Transfeindlichkeit. Die neoliberalen Kräfte haben kein Zukunftsversprechen mehr, die Phase des vermeintlich »progressiven Neoliberalismus« (Nancy Fraser) – noch teilweise sichtbar in den Ampel-Jahren – ist am Ende. Die neue »GroKo der Mitte« steht für Militarisierung und Austerität. Eine Lösung der gesellschaftlichen Krisen (wie der Prekarität, Sorge- und Klima-krise) bietet sie nicht, vielmehr ist sie ein Katalysator autoritärer Krisenentwicklung. Es droht (spätestens) 2029 eine schwarz-blau(-gelb)e Regierung, die möglicherweise einen Umbruch in der Entwicklung hin zu einer Faschisierung darstellen könnte.
Wir sprechen von Faschisierung, nicht um eine Unausweichlichkeit dieser Entwicklung zu behaupten, sondern um ungleichzeitige Prozesse ins Licht zu rücken, die eine neue Qualität autoritärer Transformation bedeuten: das Noch-nicht faschistischer Herrschaft und das Nicht-mehr demokratischer Prozesse.[1] Eine materialistische und intersektionale Kritik an Faschisierungsprozessen hat dabei eine doppelte Aufgabe: Sie muss einerseits die Zusammenhänge mit dem autoritären Neoliberalismus sowie die Kontinuitäten in Ausbeutungs- und Gewaltverhältnissen in den Blick nehmen. Gleichzeitig muss sie die (mögliche) Herausbildung einer neuen Qualität von Herrschaft erkennen.
Auch der Blick auf die internationale Ebene ist wichtig. Die Transformationen vollziehen sich in jedem Land unterschiedlich, hierzulande anders als im sich formierenden »Endzeit-faschismus« (Klein/Taylor 2025) in den USA, der sich als Bündnis von Oligarchen, fossilen Konzernen und unterschiedlichen rechten und neofaschistischen Kräften darstellt, und wieder anders unter Mileis Schockstrategie des »anarchokapitalistischen« Staatsabbaus und aggressiven Extraktivismus in Argentinien. In vielen Ländern wie in den USA, Italien oder Ungarn geht der autoritäre Staatsumbau mit Versuchen einher, darüber auch eine kulturelle Hegemonie herzustellen. Immer richten sich diese Projekte gegen Ausgegrenzte, Arme, gegen Migrant*innen und PoC, trans* Personen, gegen feministische und queere Politiken. Das »christlich-jüdische Abendland« ist eine prominente Trope des antimuslimischen Rassismus der Rechten, aber auch der Antisemitismus bleibt eine tragende Säule rechtsautoritärer Bewegungen und Parteien. Rassismus, Queerfeindlichkeit und »Anti-Gender«-Ideologie prägen transnationale Allianzen.
Im Hinblick auf das Verständnis einer neuen Qualität scheinen uns folgende Elemente bedeutsam:
- Die Inszenierung von »Grausamkeit« durch staatliche Politik, die Konstruktion von »Anderen« und inneren Feinden (von trans* und queeren Menschen, Migrant*innen, PoC, Muslima, über linke, sozialdemokratische bis zu liberalen Kräften) sowie die offenen Angriffe auf die Rechtsstaatlichkeit weisen über »autoritär-populistische« Politiken als festem Bestandteil des neoliberalen Kapitalismus hinaus.
- Die Faschisierung wird auch von Teilen der transnationalen kapitalistischen Klasse, rechten Oligarchen, fossilen, Militär-, »Sicherheits-« und Tech-Konzernen vorangetrieben. Sie ist gleichzeitig Ausdruck und Motor einer enormen Reichtumskonzentration, die sich in politische Macht übersetzt hat.
- Eine Konvergenz von autoritär-neoliberalen und neofaschistischen Kräften zeigt sich in der Militarisierung von Migrationspolitik und Grenzen (etwa an den EU-Außengrenzen). Die autoritäre Rechte setzt dabei auf eine neue Qualität eines militarisierten autoritären »Festungsstaates« nach innen und außen, mit einer Radikalisierung von Polizei-, Gefängnisgewalt und Repression. Es geht dabei auch um die Durchsetzung einer Gesellschaft mit straffen Hierarchien und autoritären Grenzziehungen (entlang von Rassismus, Geschlecht, Klasse, produktiven vs. abweichenden Körpern). Antifaschistische Strategien müssen diese Tendenzen eines border fascism (vgl. u. a. Walia 2021; Toscano 2025) zu einem zentralen Ausgangspunkt nehmen.
- In den rechten Projekten werden autoritäre Fantasien von patriarchaler Familie, Nation und Bürger*innenschaft als weiß, christlich, cis und able-bodied gepaart mit Visionen einer autoritär-disziplinarischen nationalen Arbeitsgesellschaft. Offen ist, ob wir auch hierzulande von einer »Faschisierung sozialer Reproduktion« (Callison/Gago 2025) sprechen sollten, also von einem Zusammenspiel von autoritär-neoliberalen Offensiven – etwa gegen soziale Infrastrukturen und kollektive Rechte durch Konkurrenzideologien (bis hin zu sozialdarwinistischen Vorstellungen), für eine weitere Privatisierung von Sorgearbeit und eine Stärkung patriarchaler, heteronormativer Familienverhältnisse – und der Inszenierung von Gewalt gegen innere Feinde. Queer-feministische Antworten auf die Care-Krise müssen daher Teil einer »antifaschistischen Wirtschaftspolitik« sein, denn ohne die Krise der Reproduktion feministisch-intersektional zu analysieren, können wir die Dynamiken der Faschisierung nicht verstehen.
- Rechtsautoritäre und neofaschistische Kräfte verbinden patriarchale und kriegerische Männlichkeit mit Nationalismus. Aufrüstung und Militarisierung in einer neuen Phase imperialistischer Konkurrenz und Konfrontation werden jedoch nicht nur von rechts, sondern auch aus dem liberalen Zentrum vorangetrieben. Sie gehören mit der Intensivierung der »Zeitenwende« durch die Bundesregierung auch zum infrastrukturellen Erneuerungsprogramm in der Bundesrepublik und tragen zu einer autoritären Formierung im Inneren und der Rehabilitierung patriarchaler, soldatisch-gewaltsamer Männlichkeit bei. Für junge Männer bedeutet dies – angesichts einer Krise der Männlichkeit – auch das vergiftete Angebot einer autoritären Einbindung und Ermächtigung. Gesellschaftliche Krisen werden auf das Terrain hierarchischer Geschlechterverhältnisse verschoben und der Blick auf die Ursachen der Krisen – Eigentums-, strukturelle Ungleichheits- und Machtverhältnisse – werden in autoritären Krisenpolitiken systematisch verstellt. Linker und queer-feministischer Antifaschismus ist daher auch Widerstand gegen Krieg und Militarisierung.
2. Nötig sind eine feministische Strategie brückenbauender Polarisierung und ein Kulturkampf von links
Angesichts dieser Bedrohungen ist eine Strategie notwendig, die sowohl auf diese sich formierende neue Qualität als auch die Kontinuitäten von Gewalt, Ausbeutung und Unterdrückung, die seit Jahrzehnten auch von liberalen und neoliberalen Kräften getragen werden, antwortet. Wie Bündnisse dagegen aussehen können, ist eine entscheidende Frage.
Eine Fokussierung auf soziale Themen – wie sie von Teilen der Linken derzeit vorgeschlagen wird – ist dafür wichtig, greift aber zu kurz, da sie die Bedeutung der intersektionalen Ausbeutungs- und Gewaltverhältnisse (wie der Kämpfe dagegen), des Kulturellen und autoritärer Ideologien in der sich abzeichnenden Faschisierung unterschätzt (vgl. zu dieser Kritik Peters in diesem Heft). Dem Kulturkampf der Rechten können wir nicht einfach durch »soziale Themen« ausweichen, es braucht eine eigenständige linke Antwort.
Als materialistische Feminist*innen sind wir aber auch nicht die antifaschistische Flanke von neoliberaler Krisenpolitik und Imperialismus. Ein liberaler Antifaschismus, der sich auf die Verteidigung der (im Neoliberalismus ausgehöhlten und autoritär transformierten) liberalen Demokratie beschränkt, primär auf Aufklärung gegen »Vorurteile« und die Kooperation von Zivilgesellschaft und Regierung gegen rechts setzt, kann die Ursachen und die Dynamik der Faschisierung nicht stoppen. Antifaschismus muss Strukturen von Gewalt, Entrechtung und Ausbeutung bekämpfen, sonst bleibt er hilflos.
Daher brauchen wir heute einen intersektionalen Antifaschismus, der sich nicht mit einer Verteidigung des Bestehenden zufriedengibt, sondern offensiv gegen Rassismus, Antisemitismus, Misogynie und Transfeindlichkeit zurückbeißt. Ein Antifaschismus, der sich gegen Militarisierung und Krieg genauso stellt wie gegen Armut, Ungleichheit und den nekropolitischen Kapitalismus. Ein solcher Antifaschismus kämpft für ein besseres Leben für alle. Wir verstehen ihn als Versuch einer rebellischen Verteidigung unserer Körper, der kollektiven (Über-)Lebensbedingungen und der Spielräume für popular-demokratische Organisierung und eine radikale Transformation der Demokratie.
Dafür braucht es eine linke Polarisierung, die die sozialen Fragen angeht und konkret mit dem Kampf um die Rechte all jener verbindet, die als »Andere« definiert und ausgeschlossen werden. Dazu gehört es auch, die Kontinuität von geschlechtsspezifischer, neokolonialer und extraktivistischer Ausbeutung von Mensch und Natur zu skandalisieren und ihr praktisch zu begegnen. Denn autoritäre Akteur*innen verschärfen diese Ausbeutungsverhältnisse und die Krise der sozialen Reproduktion.
Intersektionaler Antifaschismus verbindet Kämpfe gegen die autoritären Fantasien des border fascism, gegen die alltägliche Gewalt von white supremacy, kolonialer Unterdrückung und autoritär-neoliberaler sowie strukturell rassistischer Staatlichkeit und gegen Polizeigewalt. Unser Horizont ist dabei abolitionistisch: Es geht um Abolition, also die Aufhebung von Gewaltstrukturen wie Grenzregimen und Nation, Gefängnissen, Polizei und Militär genauso wie von Familie als staatlicher Institution sowie cis- und heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit (vgl. dazu Thompson 2025). Dies richtet sich folglich auch gegen weiße und cis-normative Feminismen, wie sie gerade wieder in der Debatte um das »Stadtbild« aufgerufen werden.
Transkämpfe um Überlebensbedingungen und ein besseres Leben, auch von trans* Kids, sind genauso Bestandteil unseres Feminismus wie die Kämpfe von Sexarbeiter*innen und Bewegungen gegen autoritäre »Law-and-Order«-Politiken in Stadtteilen, gegen autoritär-patriarchalen und antisemitischen Islamismus sowie strukturellen Rassismus. Dies schließt hierzulande auch Kämpfe gegen den Genozid in Gaza und für echten Frieden, Demokratie und Befreiung in der gesamten Region ein.
Die Faschisierung bedroht aber nicht nur die als »Andere« markierten. Sie stellt eine existenzielle Gefahr für alle dar, die für ein besseres Leben als Arbeiter*innen kämpfen, die sich für Befreiung oder für sozialdemokratische, progressive Veränderungen einsetzen, genauso wie für viele, die die liberale Demokratie und erkämpfte Bürger*innenrechte bedroht sehen. Angesichts dieser zweifellosen Dringlichkeit brauchen wir daher nicht nur linke Polarisierung, sondern zugleich breite feministische und demokratische Allianzen, die progressive Teile der Kirchen, (Sozial-)Verbände, NGOs und Menschenrechtsorganisationen genauso einschließen wie Frauenhäuser, Gleichstellungsbeauftragte, Beratungs- und Antidiskriminierungsstellen, die heute schon täglich gegen den Backlash und für die Verteidigung von Demokratie und sozialen Rechten kämpfen. Die derzeitige Schwäche emanzipatorischer Bewegungen, linker Kräfte sowie organisierter Macht von unten und die Gefahr schneller autoritärer Brüche machen dies unabdingbar (vgl. zur Debatte über die »neue Volksfront« u. a. Becker 2025 und Candeias in diesem Heft). In den USA etwa kooperieren antirassistische, PoC, feministische Bündnisse, die Working Families Party und Teile von Gewerkschaften mit dem Ziel, eine breite Front gegen das MAGA-Regime aufzubauen, die auch Allianzen mit liberalen Kräften (wie der Demokratischen Partei) eingeht. Auch hierzulande brauchen wir dringend eine größtmögliche Bündelung der Kräfte, um eine mögliche schwarz-blaue Regierung zu verhindern!
Das ist kompliziert – es bedeutet: Polarisierung und Brücken bauen gleichzeitig. Zur Debatte steht dabei die Frage, inwieweit über radikale Forderungen Mehrheiten gewonnen werden können oder ob es angesichts der Kräfteverhältnisse eher eines parallelen He-rangehens bedarf. Diese Debatte müssen wir führen und gleichzeitig verschiedene Ansätze in der Praxis erproben.
Die »Rückkehr« der Partei Die Linke als politisch-parlamentarische Kraft macht auch in dieser Hinsicht Hoffnung. Für eine feministische Gegenpolarisierung kann sie eine wichtige Rolle spielen, wenn sie diese Herausforderung aktiv annimmt – denn eine queer-feministische Klassenpolitik ist noch kein Common Sense in der Partei und erst recht nicht Praxis, aber seit der Trennung von Sahra Wagenknecht ist es wieder möglich, eine solche zu vertreten. Die vielen Tausenden neu eingetretenen FLINTA können in den nächsten Monaten und Jahren einen Unterschied machen.
3. Erst in einer gemeinsamen Praxis kann ein intersektionaler Antifaschismus das Begehren nach Befreiung nähren
Wie kann eine solche Praxis des intersektionalen Antifaschismus aussehen? Sie kann und muss durch die Verknüpfung von konkreten Kämpfen und unterschiedlichen Bewegungen entwickelt werden und müsste zugleich über diese hinaus-gehen und eine geteilte gesellschaftliche Alternative, eine lebenswerte Zukunft erkennbar machen. Denn Hoffnung ist nichts, das man hat, sondern »etwas, das man schafft, indem man etwas tut« (Ocasio-Cortez).
Der Kampf um eine Vergesellschaftung von Sorgearbeit könnte ein Feld für brückenbauende Polarisierung sein, das unterschiedliche Erfahrungen von Prekarität und Verletzlichkeit aufgreift und auf andere soziale Infrastrukturen zielt, die ein gutes Leben für alle ermöglichen. Gegenseitige Hilfe, Unterstützung im Alltag und Solidaritätsstrukturen (etwa für die Gesundheitsversorgung von trans* Personen oder Geflüchteten) gehören in vielen antirassistischen und queer-feministischen Zusammenhängen schon jetzt zusammen. Gleichzeitig sind gut ausgebaute und kostenfreie Infrastrukturen und der Aufbau solidarischer Netze in der Nachbarschaft für alle Menschen eine Erleichterung, die nicht die finanziellen Möglichkeiten haben, fehlende Care- und Gesundheitsdienstleistungen privat hinzuzukaufen. Sie müssen aber explizit auch für jene gedacht werden, deren Lebenserhalt und Reproduktion in der aktuellen Staatlichkeit hintangestellt werden oder nicht vorgesehen sind. Dies kann ein Ansatz für breite queer-feministische Allianzen sein und für die Organisierung mit Menschen, die sich (noch) nicht in linken Strukturen bewegen.
Hier tut sich die oben beschriebene Herausforderung in der Vermittlung zwischen radikalen Zielen und breiten antifaschistischen Bündnissen auf. In Berlin stimmte 2023 eine Mehrheit für die Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne, weil die Notwendigkeit an die Wurzel gehender Maßnahmen in der Mietenpolitik in die Breite der Gesellschaft hinein gut kommuniziert und mit einer echten Alternative verbunden werden konnte. Statt eines Diskursradikalismus für eine bereits überzeugte linke Minderheit gilt es, einen intersektionalen Antifaschismus mit konkreten Verbesserungen für die Mehrheit glaubhaft zu verbinden und gleichzeitig Antworten auf den reaktionären Kulturkampf zu geben.
Den Kulturkampf popular und intersektional führen. Das umfasst auch die Ansprache jener schwankenden Teile der Gesellschaft, wie zum Beispiel traditionelle, christliche und sozialdemokratische Milieus sowie Teile der Mittelklasse. Viele von ihnen teilen den Eindruck, dass die gesellschaftliche und politische Entwicklung gegen ihre Lebensvorstellungen läuft, sie verbindet die Sorge vor Altersarmut und sozialem Abstieg und die kulturelle Bindung an Formen von »Familie«. Familie als soziales Verhältnis organisiert jedoch auch die Privatisierung gesellschaftlicher Erfahrungen und die Reproduktion des krisenhaften Alltags. Denn durch Kürzungen in der sozialen Daseinsvorsorge und Preissteigerungen wird Sorgearbeit wieder vermehrt in die Familien verlagert und dort historisch den Frauen aufgetragen. Je weniger Ressourcen zur Verfügung stehen, Dienstleistungen privat hinzuzukaufen, desto stärker sind Menschen davon betroffen.
Gleichzeitig ist gesellschaftlich stark umkämpft, welche Familien darin zumindest etwas abgesichert werden sollen. Die AfD führt den Klassen- und Kulturkampf von oben mit Bezug auf die »traditionelle Familie«, auf die »normalen« Familien, deren Angehörige zugleich als »Leistungsträger« angesprochen werden. Die Frage der Wiedererweckung der weißen Nation wird zur Frage der Familie und umgekehrt, immer verwoben mit Rassismus, patriarchalen und heteronormativen Ideologieelementen. Die Strategie der AfD, sich als »Partei der normalen Familien« zu inszenieren und so Brücken hin zu ihrem Kampf gegen die »Gender-Ideologie« und Mi-gration zu schlagen, scheint derzeit aufzugehen. Zugleich ist das autoritär-hierarchische, patriarchale Familienbild der AfD auch eine potenzielle Schwachstelle der Rechten.
Denn für eine Mehrheit der Frauen, der Arbeiter*innen und ihrer Familien würde eine neoliberal-reaktionäre Familien- und Sozialpolitik eine drastische Verschlechterung der Lebensverhältnisse bedeuten. Denn auch wenn Leistungen für traditionelle Familien ausgebaut werden, wird diese Politik insgesamt mit massiven Kürzungen im Sozialbereich einhergehen. Außerdem baut sie darauf, dass weite Teile der Versorgung individuell gestemmt und weiter privatisiert werden. Gerade für Frauen bedeutet das, dass sie keine eigenständige Absicherung etwa bei Trennung oder im Alter erwarten können. Für marginalisierte Gruppen, für Alleinerziehende, Menschen mit Behinderungen und chronischen Krankheiten, von Rassismus, Queer- und Transfeindlichkeit Betroffene, deren Familien nicht als solche an-gesehen werden, geht es oft schon jetzt um das Überleben.
Die Vergesellschaftung von Sorgearbeit als Strategie einer brückenbauenden Polarisierung greift dies auf, indem sie die geschlechtliche Arbeitsteilung als Bedingung der aktuellen Geschlechterverhältnisse angreift und deren Verschränkung mit rassistischen und queerfeindlichen Ausschlüssen in den Blick rückt. Sie tut dies, indem sie Bedingungen guter Sorge für alle ins Zentrum stellt – konkret etwa:
- Entprivatisierung und Gemeinwohlorientierung, Ausbau und Aufwertung von Care-Infrastrukturen auf allen Ebenen; Zugang für alle Bevölkerungsgruppen, insbesondere die genannten, deren Ansprüche heute besonders prekär sind; kein Profit mit Pflege, Gesundheit, Kinderbetreuung und Assistenz, damit der Zugang für alle kostenlos sein kann;
- Arbeitszeitverkürzung (z. B. die 30-Stunden-Woche mit Lohnausgleich) als eine Voraussetzung für eine andere Organisation von Care;
- Sorge jenseits einer passivierenden Logik von Assistenz; Ausbau einer intersektional orientierten und empowernden Gesundheitsversorgung und Pflege; Stärkung öffentlicher Orte und Ressourcen für kollektive und nicht familiarisierte Formen des Sorgens;
- keine weitere Verschiebung der Care-Krise an Menschen und Länder der Peripherie (global care chains); decent work und angemessene Arbeitsverhältnisse für Migrant*innen im Care-Sektor beispielsweise in kommunalen Pflegeeinrichtungen oder Pflegegenossenschaften (vgl. Diaz Molina u. a. in diesem Heft).
Mit dieser Perspektive kann es möglich werden, Verbesserungen für die Mehrheit voranzubringen und dies gleichzeitig von dem Zwang zu einer einzigen Familienform zu trennen. Auf diese Weise werden überhaupt erst die Möglichkeiten für diverse Formen des Zusammenlebens geschaffen, weil die traditionelle Familie nicht das einzige Versprechen des Überlebens ist. Bei der Vergesellschaftung von Sorge geht es nicht nur darum, Sorgearbeit gerechter zu verteilen, sondern darum, ein binäres, hierarchisches, patriarchales sowie hetero- und cis-normatives Geschlechterverhältnis in seiner Verschränkung mit dem racial capitalism und die damit verbundenen Arbeitsteilungen aufzuheben. Dies ist der Fluchtpunkt einer Vergesellschaftung von Care-Arbeit.[2] Damit hat sie zahlreiche Überschneidungen mit den Diskussionen zu transformativer Gerechtigkeit und Abolition.
Intersektionaler Antifaschismus kann nur in Konflikt und Solidarität zwischen unterschiedlichen Ansätzen, Initiativen und Bewegungen entstehen und mächtig werden. Das erfordert viele Diskussionen, Geduld, Kreativität, Care sowie die Bereitschaft, Widersprüche anzuerkennen und auszuhalten. Es bedarf auch unserer Fähigkeit, Solidarität in der Differenz zu entwickeln und aus unterschiedlichen Erfahrungen und Ansätzen gemeinsame Kraft zu schöpfen.
Intersektionaler Antifaschismus will die Begehren nach Befreiung gegen brutalisierten Spät-Neoliberalismus, genozidalen Kapitalismus und Faschisierung nähren. Dieses Begehren lässt sich aber nicht am Reißbrett planen, sondern kann nur genährt werden, indem wir uns auf bereits existierende Bewegungen beziehen und ein neues Verhältnis von theoretischer, politischer und kultureller Praxis finden. Es braucht eine konkrete Praxis, die Momente einer intersektionalen und sozialistischen Utopie beinhaltet, den Horizont eines guten Lebens für alle vorstellbar macht und damit »Hoffnung schafft«.
