In der Nacht vom 24. zum 25. April stürmten circa 30 maskierte Männer mit Baseballschlägern und Baggern ein Gelände, auf dem unter anderem ein Restaurant, eine Reihe von Büros und Wohnungen, aber auch zwei Anlaufstellen für Flüchtlinge untergebracht waren. BewohnerInnen wurden angegriffen und eingesperrt, die Gebäude komplett zerstört. Die Polizei reagierte erst mit erheblicher Verzögerung, offiziell ist noch kein Täter ermittelt, die politisch Verantwortlichen in der Stadtregierung leugnen zum Teil sogar, dass der Angriff überhaupt stattgefunden hat. Auch die offiziellen Medien haben diese illegale Räumung und Zerstörung des Geländes weitgehend ignoriert. Der Protest richtet sich dabei nicht allein gegenden Angriff, die Untätigkeit der Polizei und die Vertuschungsversuche. Schon seit Längerem stand dem Gelände die offizielle Räumung bevor, um Raum zu schaffen für das städtebauliche Megaprojekt namens Belgrade Waterfront. Auf dem knapp 1,8 Quadratkilometer großen Gelände sollen 13 000 Büroarbeitsplätze, Shoppingmalls, Luxushotels und 6 000 Wohnungen entstehen – inklusive eines etwa 200 Meter hohen Hochhauses, das damit das höchste des Balkans werden soll. Das Investitionsvolumen für dieses Prestigeprojekt, mit dem sich der serbische Ministerpräsident Aleksandar Vučić schmückt, wird von der serbischen Regierung mit rund 3 Milliarden Euro angegeben. 20 000 neue Jobs sollen entstehen – ein vollmundiges Versprechen in einem Land mit über 25 Prozent Arbeitslosigkeit. KritikerInnen wenden ein, dass es sich bei Belgrade Waterfront um ein riesiges Privatisierungsprojekt handle: Die Investitionssumme des Hauptinvestors aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, die Firma Eagle Hills, belaufe sich auf wenige Millionen Euro, ein Großteil der Investitionen stamme faktisch aus der serbischen Staatskasse. Dafür hat das Unternehmen bereits den gesamten Stadtteil auf 99 Jahre verpachtet bekommen – ein Deal, für den das serbische Parlament sogar die Verfassung ändern ließ. Fast die gesamte Architektenriege Serbiens hat sich mit erheblichen städtebaulichen und Umweltbedenken gegen das Vorhaben ausgesprochen. Der Masterplan für das Gelände wurde ohne eine öffentliche Ausschreibung oder einen Wettbewerb erstellt. Beratungen zur Änderung des Belgrader Generalplans fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, dafür ist das gesamte Gebiet inzwischen gepflastert mit Großflächenplakaten und Fahnen, die für das Projekt werben. Nicht zuletzt ist zu bezweifeln, ob das Großprojekt angesichts seiner Ausmaße, das Die Welt bereits als „serbisches Manhattan“ feierte, finanziell realisierbar sein Die Initiative Ne da(vi)mo Beograd organisiert nicht zum ersten Mal Demonstrationen gegen das Projekt. Nach den gewaltsamen Zerstörungen vom April und der offensichtlichen Untätigkeit, wenn nicht gar Komplizenschaft der Behörden und Medien mobilisiert sie immer mehr BürgerInnen, die unzufrieden sind mit dem Ausverkauf ihrer Stadt, mit Intransparenz, fehlender Beteiligung und Klientelismus. Mit über zehntausend, vor allem jungen Menschen zählt die Demonstration vom 25. Mai zu den größten Protesten in Serbien der letzten zehn Jahre – und wird nicht die letzte bleiben. Für den 10. Juni hat Ne da(vi)mo Beograd zur nächsten Demonstration aufgerufen. Es wird sich zeigen, ob die Proteste ausreichend Dynamik entwickeln können, um Einfluss auf die stadtpolitischen Entwicklungen nehmen zu können.   Weiterlesen zum Thema in LuXemburg Online Balkan Insight: Serbia's Controlled Media Are Ignoring Waterfront Protests https://euroalter.com/2014/open-letter-to-the-people-of-belgrade (offener Brief/Erklärung von INURA zum Projekt Belgrade Waterfront von 2014) Zum Bauprojekt: Herbert Wright (Guardian): Belgrade Waterfront: an unlikely place for Gulf petrodollars to settle Video der Proteste vom 25. Mai (mit englischen Untertiteln): https://www.youtube.com/watch?v=xbhcvqSFxjk Blogbeitrag auf Freitag Online: Die unkommentierte Revolte am Balkan