Die Zunahme von Generalstreiks in Europa ist aus vier Gründen besonders interessant: Zum einen steht die Zahl der Generalstreiks in zwölf Ländern in deutlichem Gegensatz zu den Streikaktivitäten gegen Arbeitgeber – die durchschnittliche Zahl der Arbeitstage, an denen gestreikt wurde, sank von 16,6 Tagen pro 10000 Beschäftigte in den Jahren 1980 bis 1982 auf nur 1,1 Tage pro 10000 Beschäftigte in den Jahren 2004–06. Zweitens fällt die Zunahme von Generalstreiks mit der Rückkehr konzertierter Aktionen zusammen, insbesondere in Form von Solidarpakten zwischen Regierungen, Gewerkschaften und Arbeitgebern (Hamann/ Kelly 2011). Diese Abkommen zielten oftmals auf die Einführung von umstrittenen Reformen der Renten- und Sozialversicherungssysteme und Arbeitnehmerrechte. Weil die Gewerkschaften einbezogen waren, wäre eine Verminderung von Protesten und Streiks gegen die Regierung zu erwarten gewesen. gen die Regierung zu erwarten gewesen. Drittens stellen die abweichenden Tendenzen politischer und ökonomischer Streiks einige Vorstellungen über Schwäche und Niedergang von Gewerkschaften in Frage. Trotz eines in vielen westeuropäischen Ländern sinkenden Organisationsgrads konnten Gewerkschaften in beinahe 40 Prozent der Generalstreiks zwischen 1980 und 2006 den Regierungen Zugeständnisse abverlangen. In einigen Ländern mit vielen Generalstreiks – z.B. Griechenland und Italien – sind auch ökonomische Streiks häufiger. Doch auch in Ländern, in denen ökonomische Streiks auf einem historischen Tiefstand sind – z.B. Österreich und die Niederlande –, wurde zu Generalstreiks aufgerufen. Wie lassen sich die Generalstreikmuster – unabhängig von Zeit und Ort – erklären? Und wie fassen wir die Ergebnisse der Generalstreiks?

Generalstreik

Unter Generalstreik verstehen wir eine zeitlich begrenzte, landesweite Arbeitsniederlegung durch Beschäftigte verschiedener Branchen, die sich gegen den exekutiven oder legislativen Zweig einer Regierung richtet. Zu einem Generalstreik mobilisieren ein oder mehrere Dachverbände ihre gesamte Mitgliedschaft und auch nicht gewerkschaftlich Organisierte. In der Regel richtet sich der auf diese Weise geäußerte Protest gegen ein von der Regierung unterbreitetes oder bereits eingeführtes Gesetzesvorhaben, oder zum Generalstreik wird nach dem Scheitern von Verhandlungen über politische Reformen aufgerufen. Der allgemeine Aufwärtstrend der Generalstreikaufkommen seit 1980 weist drei Höhepunkte auf: zu Beginn der 1990er Jahre, Anfang bis Mitte der 2000er und Ende der 2000er Jahre. 50 der Streiks und Streikandrohungen fanden in einem einzigen Land statt – Griechenland. Auch wenn man die griechischen Fälle in den Berechnungen nicht berücksichtigt, bliebt der Trend: Weder die ansteigende Tendenz der Generalstreikaktivitäten noch die drei Höhepunkte verändern sich. Anhand der Verteilung der Generalstreiks auf die verschiedenen Länder lässt sich eine Konzentration in südeuropäischen Volkswirtschaften, Griechenland, Frankreich, Italien, Spanien – weniger Portugal – erkennen. Diese fünf Länder allein vereinen in dem gewählten Zeitraum 83 Prozent (98) der 118 Streikfälle auf sich. Viele der verbleibenden Streiks bzw. Streikandrohungen wurden in Ländern wie Österreich und Luxemburg organisiert, die seit mehreren Jahren die niedrigste Anzahl ökonomischer Streiks in ganz Europa aufweisen. Nur in fünf Ländern kam es nicht zu Generalstreiks oder -aufrufen: Dänemark, Deutschland, Irland, Schweden und Großbritannien. In Deutschland und Großbritannien werden solche Aktionen als ungesetzlich betrachtet, doch in beiden Ländern wird über die Interpretation der Anti-Streikgesetzgebung diskutiert (Ewing/Hendy 2012, Jacobs 2007). Generalstreiks unterscheiden sich grundsätzlich von ökonomischen Streiks. Erstere richten sich gegen Regierungen und deren (geplante) Politik und nicht gegen Unternehmen. Statt entlang von Branchen- oder Arbeitsplatzbelangen werden Generalstreiks anhand breiter Themen organisiert wie etwa Sozialhilfeleistungen, die in der Regel nicht Teil von Tarifverträgen sind. Außerdem reicht die Mobilisierung über die eigene Mitgliedschaft der Gewerkschaften hinaus und richtet sich auch an nicht gewerkschaftlich organisierte Beschäftigte und Bürgerinnen und Bürger.

Politische Rahmenbedingungen

Zur Erklärung der Muster und der Ergebnisse von Generalstreiks konzentrieren wir uns auf drei Faktoren: Einbeziehung oder Ausschluss von Gewerkschaften durch den Staat bei der Gestaltung umstrittener Gesetzesvorhaben, die Mitgliederinteressen berühren, an der Regierung beteiligte Parteien und die Stärke und den Zusammenhalt der Regierung. Viele westeuropäische Regierungen haben seit den frühen 1980er Jahren Druck auf direkte und auf indirekte Lohnkosten wie Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung und Kündigungsschutz ausgeübt. In der Verfolgung dieser politischen Projekte können Regierungen entscheiden, ob sie Gewerkschaften in die Politikgestaltung einbeziehen – etwa mittels Solidarpakten –, oder ob sie sie davon ausschließen und versuchen, die Reformen unilateral legislativ durchzusetzen (Hamann/ Kelly 2011). Die Einbeziehung von Gewerkschaften kann für die »Schuldvermeidung« (Pierson 1994) nützlich sein. Regierungen versuchen auf diese Weise, sich vor negativen Konsequenzen unbeliebter Reformen zu schützen, die bei zunehmend unbeständiger Wählergunst Stimmverluste nach sich ziehen könnten.

Bestimmende Faktoren und Ergebnisse

Die unserer Untersuchung zugrunde liegenden Daten erstrecken sich über den Zeitraum von 1980 bis 2006 und beinhalten 84 Generalstreiks und Streikankündigungen. Ergebnisse liegen allerdings nur für 68 dieser Streiks vor. Als Hauptinformationsquelle haben wir den European Industrial Relations Review (EIRR) und das Online-Portal European Industrial Relations Observatory (EIRO) ausgewertet. Einer Regressionsanalyse unterzogen wurden die Variablen Streik- und Regierungskonstellationen sowie wirtschaftliche Variablen und solche der industriellen Beziehungen, darunter Arbeitslosigkeit, Entwicklung des Bruttosozialprodukts und gewerkschaftlicher Organisationsgrad (für methodologische Details vgl. Kelly/Hamann/Johnston 2013). Unsere Analyse hat ergeben, dass Generalstreiks in erster Linie als Reaktion auf den Ausschluss von Gewerkschaften aus der Politikgestaltung erfolgen. Wo Regierungen im Alleingang rein legislativ vorgegangen sind und Gewerkschaften von der Politikgestaltung ausschlossen, stieg die Wahrscheinlichkeit eines Streiks signifikant, wie etwa 1984 in Belgien, 1995 und 2005 in Frankreich, in mehreren Jahren in Griechenland, 1989 und 2002 in Italien, 1982 in Luxemburg und 1988 in Spanien. Manchmal zogen sich Regierungen auf die legislative Ebene zurück, nachdem Verhandlungen für Solidarpakte gescheitert waren, auch dies zog Streiks nach sich: 2003 in Österreich, 1993 und 1996 in Belgien, 2000 in Griechenland, 1988 in Portugal und 1985, 1994 und 2002 in Spanien. Selbst in Fällen, in denen Regierungen Gewerkschaften in die Aushandlung von Solidarpakten oder umstrittenen Reformen einbezogen, brachte diese Strategie den gewerkschaftlichen Protest nicht vollständig zum Schweigen. In 17 Fällen setzten Gewerkschaften das Mittel des Generalstreiks ein, während die Verhandlungen im Gange waren, hauptsächlich um die Regierung zu weiteren Zugeständnissen zu drängen, etwa 2005 in Belgien, 1992 und 1996 in Finnland, 2003 in Frankreich, 1996–7 in Griechenland, 1991, 1998 und 2001–2 in Italien, 2001 in Luxemburg und 2002 in Portugal. Insgesamt weisen unsere Forschungen darauf hin, dass der Ausschluss der Gewerkschaften von der Politikgestaltung mindestens genauso viel Sprengkraft hat wie die Inhalte der umstrittenen Gesetzesvorhaben selbst. Die Bereitschaft zum Generalstreik wächst, je rechter eine Regierung ist. Überdies gibt es Hinweise, dass Mehrheitsregierungen mit einem höheren Streikaufkommen konfrontiert sind als Minderheitsregierungen. Dies hängt möglicherweise damit zusammen, dass Minderheitsregierungen in ihrer Politik bei umstrittenen Themen stärker auf die Beteiligung von Gewerkschaften setzen (Hamann/Kelly 2011). Regierungskoalitionen, die über eine parlamentarische Mehrheit verfügen, sind nicht häufiger mit Generalstreiks konfrontiert als Einparteienregierungen. Die Wahrscheinlichkeit eines Generalstreiks ist höher, wenn das Wirtschaftswachstum gering oder negativ und die Arbeitslosigkeit hoch ist. Es besteht hingegen kein Zusammenhang zwischen dem gewerkschaftlichen Organisationsgrad, der Zentralisierung der Gewerkschaften oder der Tarifabdeckung und der Streikhäufigkeit. Mit Blick auf Deutschland oder Schweden mag dies überraschen, doch der Blick auf ganz Westeuropa zeigt, dass Generalstreiks überall durchgeführt werden: in Ländern wie Frankreich und Spanien, die einen geringen Organisationsgrad aufweisen (unter 15 Prozent), in Italien, das einen mittleren Organisationsgrad aufweist, und in Ländern mit hohem Organisationsgrad (>50 Prozent) wie Belgien, Finnland und Luxemburg. Generalstreiks wurden in Ländern mit höchst unterschiedlichen institutionellen Arrangements erfolgreich durchgeführt – auch in stark korporatistisch organisierten Ländern wie Österreich und Luxemburg –, man kann also nicht behaupten, dass ein bestimmtes institutionelles Gefüge besonders geeignet oder ungeeignet für Generalstreiks ist. Mit Blick auf die Streikresultate unterscheiden wir wesentliche Zugeständnisse – die Regierung zog ihre Vorschläge (fast) komplett zurück – und geringfügige Zugeständnisse – Details wurden verändert, aber das Gesetzesvorhaben im Wesentlichen beibehalten. Vorläufige Ergebnisse unserer Untersuchung zeigen, dass in 8 von 68 Streiks wesentliche Zugeständnisse an die Gewerkschaften gemacht wurden, wie etwa Anfang der 1990er Jahre in Finnland und 2002 in Spanien. In beiden Fällen wurden Pläne zur Reform des Arbeits- bzw. Sozialversicherungssystems zurückgenommen. In 19 Generalstreiks konnten geringfügige Zugeständnisse erzielt werden – insgesamt konnten in 40 Prozent der Fälle Zugeständnisse errungen werden. In den verbleibenden 41 Fällen (60 Prozent) änderte die Regierung ihre Vorhaben nicht. Vier Faktoren erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass in Generalstreiks Zugeständnissen erzielt werden: An erster Stelle steht die Organisierung der Gewerkschaften selbst. Je größer die Geschlossenheit der Gewerkschaften, desto eher machen Regierungen Zugeständnisse. In vielen Ländern ist die Gewerkschaftsbewegung in rivalisierenden Dachverbänden organisiert, sozialistische und kommunistische in Südeuropa, sozialistische und christdemokratische in anderen Ländern. Generalstreiks, die von einigen Dachverbänden unterstützt werden, von anderen hingegen nicht, sind signifikant weniger erfolgreich als solche, die von allen Dachverbänden unterstützt werden. Zweitens sind die Regierungsparteien von Bedeutung: Zugeständnisse werden eher durch christdemokratische oder MitteRegierungen gemacht als von konservativer oder sozialdemokratischer Seite. Es ist nicht überraschend, dass Konservative weniger geneigt sind, Gewerkschaften Kompromisse anzubieten, wohl aber dass sozialdemokratische gleichsam unnachgiebig sind. Es lässt sich nicht eindeutig feststellen, ob dieses Verhalten Ausdruck dafür ist, dass weiter nach rechts gerückte sozialdemokratische Parteien ihren Wählern beweisen wollen, dass sie mit Gewerkschaften hart umgehen können, oder ob die Sozialdemokraten in trilateralen Verhandlungen bereits so viele Zugeständnisse gemacht haben, dass für weitere kein Spielraum besteht – sogar angesichts eines Generalstreiks. Drittens spielt die Art der Regierung eine Rolle: Koalitionsregierungen machen eher Zugeständnisse als Einparteienregierungen. Und viertens ist das Thema des Generalstreiks ausschlaggebend: Konzessionen sind wahrscheinlicher, wenn es um Renten geht, als wenn es um Arbeitsmarktreformen oder den allgemeinen wirtschaftspolitischen Kurs geht. Es lässt sich nicht genau feststellen, ob dieses Ergebnis Ausdruck der komplizierten Rentenregelungen ist, bei denen es oft Spielraum für Veränderungen gibt, oder ob es Ausdruck von Regierungshandeln angesichts breiten öffentlichen Widerstands gegen die Reform ist. Interessanterweise werden die Ergebnisse von Generalstreiks nicht stark vom Grad der Arbeitslosigkeit, Schuldenstand oder Wachstumsraten beeinflusst. Schlussfolgerungen Aus Perspektive der Gewerkschaften erscheinen Generalstreiks zunächst in einem positiven Licht, doch es gibt auch eine Kehrseite. Der Blick auf die jüngsten Streikaktivitäten gegen die Sparpolitik der Regierungen in Griechenland, Italien, Portugal und Spanien zeigt, dass die Regierungen kaum Zugeständnisse gemacht haben. Vorläufige Daten zu den 15 zwischen Oktober 2008 und Februar 2011 gegen Sparpolitik gerichteten Streiks zeigen, dass nur zwei Regierungen Konzessionen angeboten haben (Frankreich und Griechenland, beide Anfang 2009). Streiks gegen die Wirtschaftspolitik einer Regierung hatten in der Vergangenheit nie großen Erfolg, z.B. in den 1980er und 1990er Jahren in Griechenland oder Italien. Die jüngsten Streiks gegen Sparzwänge scheinen diesem Muster zu folgen, eine wachsende Zahl von Regierungen weigert sich, unpopuläre Sparmaßnahmen zurückzunehmen. Erfolgreiche Generalstreiks führen nur selten zu einer signifikanten Erhöhung der Mitgliederzahlen und der Organisationsdichte. Dies bedeutet nicht, dass Streiks keinen positiven Effekt auf Mitgliederwerbung haben, aber die positiven Effekte des Streiks werden durch Faktoren wie Entlassungen oder Vorbehalte von Beschäftigten gegen den Aufruf zum Generalstreik aufgehoben. Weiterhin scheint es keine signifikante Erhöhung der Stimmenanteile linksradikaler Parteien zu geben, die üblicherweise die stärksten Unterstützer von Generalstreiks sind. Der Stimmenanteil von Parteien wie Rifondazione (Italien), KKE (Griechenland) und Vereinte Linke (Spanien) scheint unabhängig vom Zeitpunkt oder den Ergebnissen von Generalstreiks zu sein. Generalstreiks sind für Gewerkschaften ein brauchbares Instrument. Sie können stärker politischen Einfluss nehmen, als es die Mitgliederverluste der letzten 30 Jahre vermuten lassen würden. Aus dem Englischen von Catharina Schmalstieg  

Literatur

Allern, Elin Haugsgjerd, 2010: Political Parties and Interest Groups in Norway. Colchester: ECPR Press. Ewing, Keith and John Hendy, 2012: Days of Action: The Legality of Protest Strikes Against Government Cuts, International Union Rights, 18(4), March, 28. Hamann, Kerstin and John Kelly, 2011: Parties, Elections and Policy Reforms in Western Europe: Voting For Social Pacts. London: Routledge. Jacobs, Antoine, 2007: The Law of Strikes and Lockouts, in Roger Blanpain (ed.), Comparative Labor Law and Industrial Relations in Industrialized Market Economies 9th ed., The Hague: Kluwer, 633–87. Kelly, John, Kerstin Hamann, und Alison Johnston, 2013, i.E.; Unions Against Governments: Explaining General Strikes in Western Europe, 1980–2006, Comparative Political Studies, September. Pierson, Paul, 1994: Dismantling the Welfare State? Reagan, Thatcher, and The Politics of Retrenchment. New York: Cambridge University Press. Van Hecke, Steven and Emmanuel Gerard (Hg.), 2004: Christian Democratic Parties in Europe Since the End of the Cold War. Leuven: Leuven University Press.