1. Hat die Regierung alles getan, was möglich war, oder nicht? Gab es Dinge, die sie versäumt oder vermieden hat? Was wurde nicht in der richtigen Weise gehandhabt?
  2.  Gab es einen realistischen und praktikablen Alternativplan, der nicht angenommen wurde? Worin könnte heute eine solche alternative und tragfähige Lösung bestehen?
  3. Was muss die Linke heute tun? Den VertreterInnen des bankrotten politischen Systems die Regierung überlassen? Oder den Kampf unter den herausgebildeten Bedingungen ausfechten?
 

Zur ersten Frage:

Nun, am Ende dieses Konflikts und angesichts des darin eingeschlagenen Kurses von Syriza und ihrer mangelnden Vorbereitung darauf, muss ich der Einschätzung zustimmen, dass die Regierung innerhalb des realen Verhandlungsrahmens alles getan hat, was getan werden konnte. Ich stelle die Aufrichtigkeit der Absichten aller Beteiligten nicht infrage. Es gibt ohnehin nichts, was politisch weniger fruchtbar wäre, als das gegenseitige Aufrechnen der Motive als Ersatz für die politische Analyse. Wenn man es allerdings etwas allgemeiner fasst – nein, dann haben weder die Regierung noch die Partei alles getan, was getan werden konnte. Es wäre sonst nicht möglich gewesen, die Vorbereitung auf »alles, was hätte passieren können« erst im Januar zu beginnen. Die Bevölkerung war nicht einmal andeutungsweise – weder vor noch nach den Wahlen – auf die Möglichkeit eines neuerlichen Ausgangs mit einem Memorandum vorbereitet worden (wahrscheinlich, weil sich das niemand auch nur vorstellen wollte) – und so hätte auch der Argumentation zugunsten einer »beängstigenden« Alternativlösung nicht rechtzeitig der Schrecken genommen werden können. Es gab weder einen Plan, um die gesellschaftlichen Kräfte zu mobilisieren, die ihre Bereitwilligkeit mit den 61 Prozent des Referendums zum Ausdruck gebracht hatten, noch gab es einen Plan zur Stärkung der gesellschaftlichen Solidaritäts- und Parallelstrukturen, die aus der Krise hervorgegangen waren. Es gibt kein Wahlversprechen zu den Memoranden, das die Regierung nicht gebrochen hätte, und sie hat keine Selbstkritik über die große Schere zwischen ihrem Diskurs vor den Wahlen und ihrer politischen Praxis geübt. Nach den Memoranden gab es keine Analyse dessen, was diese Kapitulationserklärung für die Gesellschaft und die Demokratie bedeutet. Vielmehr gab es zahlreiche voluntaristische Aussagen über mögliche von »Gegenmaßnahmen», um die soziale Situation zu verbessern – trotz der aufoktroyierten Vormundschaft auf dem Niveau eines Protektorats. Ich fürchte, dass die Beurteilung der neuen Lage erneut von den legendären guten Absichten der Partner ausgeht … Und dann gibt es da die Versäumnisse gegenüber den Mitgliedern von Syriza, die während des gesamten Prozesses zu keinem Zeitpunkt und in keiner Frage zurate gezogen wurden, die sich lediglich aus Leaks über die Ereignisse unterrichten konnten und die eher als Statisten behandelt wurden im gesamten vergangenen Jahr, in dem die Parteistatuten stark litten. Es ist tragisch, dass Menschen, Aktivisten und Aktivistinnen vieler Generationen, die unter Körpereinsatz und mit großen physischen, seelischen und materiellen Opfern gegen die Memoranden und ihre Brutalität gekämpft haben, nun in eine Lage gebracht werden, in der von ihnen die Unterstützung eines weiteren tragischen Memorandums verlangt wird, während ihnen nicht einmal eine Strategie für die nächste Zeit vorgestellt wird. Wenn man sich angesichts der wirklich monströsen Erpressung durch die Gläubiger schließlich für die Kapitulation entschieden hat, kommt es, wenn man keinen Plan B vorweist, einem politischen Selbstmord gleich, ein Referendum auszurufen – von dem die Regierung wusste, dass es nur zur vermeintlichen Verbesserung bei den Verhandlungen zum 3. Memorandum führen sollte. Im Ergebnis produzierte das Referendum, nachdem es vor allem die jüngeren unserer MitbürgerInnen aufgerüttelt hatte, nun eine tiefe Enttäuschung und wachsenden Zynismus, mit verhängnisvollen Folgen für die Politik und die Relevanz politischer Partizipation. Der Umgang mit dem Referendum kam so einer Aufhebung der demokratischen Entscheidung des Volkes gleich.

Zur zweiten Frage:

Die Regierung verteufelte in ihrer Kommunikation jeden Plan B. Natürlich gestaltet sich jede Antwort schwierig, wenn man, mit all diesen Dingen belastet, unvorbereitet auf die Erpressung trifft: Entweder jagst du deine Wirtschaft in die Luft, oder du unterschreibst deine Unterwerfung und die Aufhebung der Demokratie. Wenn man noch dazu von einer zu optimistischen Analyse der Lage ausgeht und der Möglichkeit, Risse in die ›deutsche‹ Eurozone zu treiben, ist man dazu verdammt, die Unterwerfung – überrascht – hinzunehmen. Im ersten Punkt erwähnte ich die Voraussetzungen für einen echten Alternativplan. Ein alternativer Plan hätte bereits seit dem Sommer 2012 in die Tat umgesetzt werden können. Stattdessen hat sich Syriza auf einen exklusiven Diskurs unter den ParlamentarierInnen beschränkt, der die Verhandlungsprobleme nicht thematisierte und jede Diskussion über eine alternative Währung oder einen Euroaustritt ausschloss. Gleichzeitig hätte auch ein Plan für die »Notstandsökonomie« aufgestellt werden müssen, der die in den vergangenen fünf Jahren aufgebaute soziale und solidarische Ökonomie nutzbar gemacht hätte. Letztlich gab es einige, wenn auch nur grob ausgearbeitete Reaktionspläne. Sie wurden nicht angewandt. Offensichtlich waren sie riskant, denn sie waren in letzter Sekunde notgedrungen unter Geheimhaltungsbedingungen entstanden und aus der Not geboren. Ihre Umsetzung war nicht vorbereitet. Hier müssen wir die Verantwortung jedoch dem gesamten Parteiapparat von Syriza und dessen Mangel an Bodenständigkeit und Wirklichkeitsnähe zuschreiben. Die Illusion über eine »rationale« EU und die »Grexitdrohung« als Verhandlungsinstrument dominierten in der gesamten Partei. Die Partei und viele von uns, wurden eines Besseren belehrt. Gleichzeitig ist keine überzeugende alternative Währungsplanung erkennbar, und zwar weder auf der Seite der Parteimehrheit noch auf der Seite der Parteiminderheit[2] innerhalb von Syriza. Denn eine solche Planung ist keine technische Papierübung, sondern hätte einer umfassenden politischen Vorbereitung bedurft, die es auf keiner Seite gab. Und wenn der Staatsbankrott für die Linke eine problematische Option ist, dann ist es die Aufhebung der Demokratie und die Beteiligung am Management einer Schuldenkolonie zehnmal mehr. Eine tragfähige Alternativlösung muss schleunigst diskutiert und skizziert werden, und zwar unaufgeregt und ohne die Hegemonie derer, deren Taktik fehlgeschlagen ist. Grundlegende Priorität hat dabei die Wiederherstellung der Demokratie und die sachorientierte öffentliche Diskussion über die Folgen aller denkbaren Varianten unter der Beteiligung der gesamten Bevölkerung. Sie muss die von ihr benötigte Zeit erhalten. Doch mit dem Slogan über das humanitäre Management eines Protektorats kann Syriza die nächsten Wahl nicht bestreiten, ohne enorme Verluste zu ernten.

Zur dritten Frage:

Die Linke müsste zuallererst Sorge dafür tragen, dass ein Regime der Unterwerfung und der Verspottung der Demokratie nicht legitimiert wird. Mit dem Management der Memoranden (die selbst auf ihr Scheitern ausgelegt sind), endet die Linke als Teil eines bankrotten politischen Systems und wird, was die Beschäftigten, die RentnerInnen und die Arbeitslosen betrifft, allmählich zu deren Gegner. Selbst wenn die Regierung zu dem Urteil käme, dass der endgültigen Erpressung nichts entgegengesetzt werden konnte, müsste sie die Vereinbarung wahrscheinlich akzeptieren und den Zwang, dem sie unterzogen wurde, international und offiziell verurteilen. Sie müsste dann zu gegebener Zeit zurücktreten und es ablehnen, das Management zu übernehmen. Wenn die Linke vor die Wahl zwischen »strengem Neoliberalismus« und »ein bisschen weniger strengem Neoliberalismus« gestellt wird, dann hat sie keinen Grund dazu, eine Entscheidung zu treffen, geschweige denn ihre UnterstützerInnen zu einer Entscheidung aufzurufen – als politisches Vehikel der Befreiung. Wenn die Einschätzung dahingeht, dass die Demokratie ohne unmittelbare Perspektive auf ihre Wiederherstellung aufgelöst wurde und dass eine gewählte linke Regierung schlicht zu einem vorgeblich einheimischen Projektmanagement einer Schuldenkolonie wird, dann besteht für sie keinerlei Veranlassung dazu, sich zur Wahl zu stellen. Sie hätte, im Gegenteil, jeden Grund, die Wahlen bei allen internationalen Organisationen anzuzeigen, die europäischen Gerichte anzurufen und keine Handlung eines solchen Regimes als rechtmäßig anzuerkennen. Auf jeden Fall wäre es nicht plausibel, wenn sie unter diesen Umständen die »Regierungsführung« anstrebt. Sollte diese Einschätzung nicht zutreffen und sollten sich für diese Regierung größere Möglichkeiten ergeben, dann müssen sie innerhalb der Partei, aber auch der Gesellschaft in allen Einzelheiten erklärt werden. Wenn wir einen Kampf aufnehmen sollen, dann müssen wir uns alle darüber einig werden, welche Bedingungen sich herausgebildet haben und für welche Sache wir kämpfen. Das humanitäre Management eines sozial unverträglichen Memorandums als reiner Selbstzweck ist weder realisierbar noch macht es ein linkes politisches Programm aus. Wir befinden uns in einer sich permanent verändernden Situation auf unkartiertem Gelände an der Schwelle eines verhängnisvollen Zeitabschnitts. Nichts von all dem, was wir als Gewissheit ansahen, gilt noch. Ich meine, dass es an der Zeit ist, ernsthaft über die unvermeidbaren Brüche nachzudenken und sie vorauszuplanen, damit die Gesellschaft lebendig aus diesem Prozess hervorgeht und wieder im Vordergrund steht. Erschienen am 2. August 2015 in »Enthemata« (Beilage der Syriza nahestehenden Zeitung »I Avgi»). Übersetzung aus dem Neugriechischen von Céline Spieker

 Anmerkungen

[1]  Dieser Text wurde vor der Sitzung des Zentralkomitees von Syriza vom 30.7.2015 geschrieben. [2]  A.d.Ü.: Mit Minderheit sind hier die Linke Plattform und ihr nahestehende Einzelpersonen bei Syriza gemeint. Die Minderheit ist kürzlich aus Syriza ausgetreten und hat die Partei LAIKI ENOTITA (»Einheit«) gebildet. Zurück zum GRIECHENLAND-SPECIAL