Obwohl die AfD bei den Bundestagswahlen 2021 mit 10,3 Prozent und einem Verlust von 2,3 Prozent im Vergleich zu 2017 zu den Wahlverlierer*innen gehört, muss dennoch von einer Konsolidierung auf hohem Niveau gesprochen werden. Dreizehn Direktmandate in Ostdeutschland, stärkste Partei in Sachsen und Thüringen, und Ergebnisse um die 20 Prozent sprechen hier für eine Verankerung als „Volkspartei“. Anders im Westen, wo die AfD im Durchschnitt schwächer und ihre Ergebnisse von Bundesland zu Bundesland stark different sind (vgl. Kahrs 2021).

AfD-Fraktion im Bundestag

Mit zunächst 83 Abgeordneten, davon 11 Frauen, zog die AfD erneut in den Bundestag ein. Dem aus NRW stammenden Abgeordneten, Matthias Helferich, der sich in internen aber öffentlich gewordenen Chats als das „freundliche Gesicht des NS“ bezeichnet hatte, wurde die Aufnahme in die neue Fraktion verweigert. Mit Alice Weidel und Tino Chrupalla sind die beiden Spitzenkanditat*innen der Bundestagswahl auch zu den Fraktionsvorsitzenden gewählt worden. Beide gelten als schwache Vorsitzende, die mangels geeigneter Alternativen ins Amt gekommen sind, gegen die es jedoch kein Veto der völkischen Rechten innerhalb der Partei gab. 

Sieht man sich die Zusammensetzung der neuen Fraktion an, dann fällt die große Zahl (25) neuer Abgeordneter auf, was unter anderem auf die vielen Direktmandate zurückzuführen ist. Die generelle Verschiebung zugunsten der völkischen Rechten spiegelt sich auch in der Fraktion. Mit Stephan Brandner, Karsten Hilse, Gottfried Curio oder Markus Frohnmaier sind bekannte Lautsprecher der völkischen Rechten erneut eingezogen. Ergänzt werden sie durch neue Flügel-Leute wie Christina Baum aus Baden-Württemberg oder den Brandenburger Berufssoldat Hannes Gnauck, der selbst vom Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) als „Rechtsextremist“ eingestuft wird. Zwar ist auch die neue Fraktion mehrheitlich nicht der völkischen Rechten in der Partei zuzurechnen, allerdings haben ihre Mitglieder nach der weiteren Rechtsverschiebung in der ersten Legislaturperiode der AfD im Bundestag für die Partei kandidiert, sodass von hier kein prinzipieller Widerspruch gegen diese Entwicklung zu erwarten ist.

Die Fliehkräfte in der Fraktion sind offenbar weiterhin hoch. Verlor die AfD im Bundestag in der 19. Wahlperiode insgesamt sieben Mitglieder durch Austritte bzw. Ausschlüsse, so sind es jetzt schon drei, denn nach der Nichtaufnahme von Matthias Helferich folgten am Jahresende 2021 die nächsten beiden Austritte: Uwe Witt, Sozialpolitiker der Fraktion und seit 2017 dabei, sprach als Begründung für seinen Schritt von „Grenzüberschreitungen“ in der Partei, die auch die Bundestagsfraktion erreicht hätten, ohne dass die Fraktionsführung dagegen vorginge (vgl. Tagesschau 2021b). Der Abgeordnete Johannes Huber nahm mit seinem Austritt einen möglichen Ausschluss vorweg, denn ihm wird neben der Beteiligung an rassistischen Chats auch die Fälschung von Corona-Tests vorgeworfen.

Inhaltlich kommen aus der Fraktion die bekannten Positionen, die sie in Anträge für den Bundestag gießt: „Massenmigration über Polen mit grenzpolizeilichen Maßnahmen rechtzeitig verhindern und nachhaltige Abwehrmaßnahmen sicherstellen“, „Keine Entscheidung über Corona-Maßnahmen ohne ausreichende Datengrundlage über Wirksamkeit und Nebenwirkungen der Impfung“ oder „Energiewende rückgängig machen - Wirtschaft und private Haushalte entlasten“, heißen die entsprechenden Anträge (vgl. DIP 21/22).

Bemerkenswert ist die Isolation der AfD-Fraktion im Bundestag, in die sie sich durch ihre fortschreitende Radikalisierung in vier Jahren gebracht hat. Ihre Vorschläge für die Besetzung des Vizepräsidentenpostens im Bundestag bekamen kontinuierlich weniger Stimmen und ihr aktueller Kandidat Michael Heinz Kaufmann bekam zu Beginn der neuen Wahlperiode nur noch 94 Stimmen, so wenige wie nie zuvor für die AfD. Bei der Besetzung der Ausschussvorsitze wurde diese Isolation noch deutlicher. Innen, Gesundheit und wirtschaftliche Zusammenarbeit hätten an die AfD gehen sollen, doch in allen Ausschüssen des Bundestages wurde eine geheime Wahl der/des Vorsitzenden beschlossen und die AfD-Vorschläge fielen in allen Ausschüssen sehr deutlich durch.

Auch räumlich zeigt sich diese Isolation. Die zunächst für den Plenarsaal geltende 3G-Regelung führte bei einem knappen Drittel der AfD-Abgeordneten dazu, dass sie nur noch von der Besucher*innentribühne aus an den Debatten teilnehmen konnten, weil sie sich weigerten ihren Impfstatus offenzulegen oder einen Test vorzuweisen.

Insgesamt ist es im Bundestag sehr viel ruhiger um die AfD geworden. Sie hat für die Presse ihren Neuigkeitswert verloren, gilt aktuell für alle anderen Fraktionen als nicht zusammenarbeitsfähig und muss ihre Rolle neben einer größeren konservativen Oppositionsfraktion finden. Aber natürlich werden von ihr nach wie vor die Brandreden gehalten, die außerhalb des Bundestages als Brandbeschleuniger wirken.

Partei

Das Ergebnis der Bundestagswahl hat Bewegung in die Partei gebracht und die Frage aufgeworfen, wie sich die AfD perspektivisch aufstellen soll, um stärkeren politischen Einfluss zu gewinnen. Der angekündigte Rückzug des Ko-Parteichefs Jörg Meuthen, der nicht erneut für den Vorsitz kandidieren will, ist Ergebnis seiner Niederlage gegen die völkische Rechte aber auch notwenige Konsequenz des selbstzerstörerischen Streits innerhalb der Partei, den Meuthen nicht für sich entscheiden konnte, weshalb auch seine bisherigen Unterstützer*innen offenbar für eine personelle Veränderung sind. Mit dem NRW-Landesvorsitzenden Rüdiger Lucassen hat ein Vertreter des Meuthen-Flügels seine Kandidatur für den Vorsitz bekannt gegeben, der sich seit längerem um ein befriedetes Verhältnis zur Parteirechten um Björn Höcke bemüht.

Neben der personellen Aufstellung stellt sich für die AfD aber auch die Frage, wie sie sich strategisch ausrichten will. Gleich nach der Bundestagswahl trafen hier die bekannten gegensätzlichen Vorstellungen für die weitere Entwicklung der Partei aufeinander. Während das Höcke-Lager auf die Erfolge im Osten verweist und den thüringischen und sächsischen Weg als Strategie für ganz Deutschland empfiehlt, verweist die Gegenseite auf die Unterschiedlichkeit von Ost- und Westdeutschland, die eine Kopie der Osterfolge unmöglich mache. So schreibt Dieter Stein (2021) in der Jungen Freiheit: „Die Rezepte aus dem Osten lassen sich eben nicht auf den Westen übertragen. Dies ist eigentlich schon länger bekannt, bleibt aber bislang ohne Konsequenzen – was sich zunehmend rächt und die Partei in eine gefährliche Schieflage bringt. Warum konnte die AfD beispielsweise nicht wenigstens teilweise die massiven Verluste der Union auf ihre Mühlen lenken?“ Ganz anders dagegen Benedikt Kaiser (2021) auf den Seiten der Sezession, der gerade die behäbige bürgerliche Ausrichtung der Westverbände für die Verluste verantwortlich macht: „Ein liberaler, möglichst versöhnlicher oder auch ‚bürgerlicher‘ Wahlkampf […] läßt die eigene Wählerschaft offenkundig kalt, demobilisiert Wechselwähler aus dem Protestsegment, treibt einen Teil von ihnen ins Nichtwählerlager – und andere Teile direkt zu den legitimierten Altparteien wie CDU und FDP.“ 

Für Höcke (2021) ist völlig klar, dass nur aus einer Position der Stärke heraus Bündnisse mit der Union denkbar sind: „An den Verhandlungstisch dürfen wir uns nur setzen, wenn die CDU so stark in ihrem Kern erschüttert ist, dass sie uns zum Überleben braucht. In der Union müssen erst im internen Streit einige Funktionärsgenerationen ausgetauscht werden. […] Nicht wir müssen ‚koalitionsfähig‘ werden, sondern die CDU und die anderen Altparteien.“ Ähnlich argumentiert Alexander Gauland , der es als Aufgabe der AfD ansieht, „den Spaltpilz in die Union [zu] tragen“ (vgl. RND 2021), um erst das Merkel-Erbe in der Partei abzuräumen, bevor man an eine Zusammenarbeit denken könne. 

Und Daniel Fiß (2021), langjähriger Kader der „Identitären Bewegung“ mit Verbindungen zur AfD, schreibt ebenfalls auf den Seiten der Sezession über den „Weg zur politischen Gestaltungsmacht“ und wie sich die AfD für ein perspektivisches Bündnis mit der Union aufstellen müsse. Die Etablierung „rechter Lebenswelten“ in Ostdeutschland und eine Konzentration auf den Graswurzelaufbau dort, so lautet seine Empfehlung. Ein völkisches Gegenmodell Ost verbunden mit relativer lokaler Hegemonie der AfD – aus einer solchen Position ließe sich auch ein Bündnis mit einem stärkeren konservativen Partner wagen.

Aktuell überschätzen einige in der AfD den Einfluss der Partei auf die CDU und verkennen, wie sehr sich die AfD durch die fortgesetzte Rechtsradikalisierung zumindest auf Bundesebene von der Union entfernt hat. Nach den Erfahrungen eines gescheiterten Rechtskurses von Seehofer und Söder gegen Merkel in der Migrationspolitik 2016 bis 2018 hat sich in der CDU zunächst die Erkenntnis durchgesetzt, dass ein Populismuswettlauf gegen die AfD nicht zu gewinnen ist. Das wird sich auch unter einem Vorsitzenden Friedrich Merz nicht sofort ändern, zumal die Erfahrungen mit dem Bundestagskandidaten Hans Georg Maaßen für die Partei eher desaströs waren. Jeder weitere Schritt der Union nach rechts festigt das Ampel-Bündnis und kann die Mehrheitsfähigkeit gegen die Union verlängern.

Auf der anderen Seite wünschen sich einige junge Konservative in und um die Union herum eine deutliche Rechtsverschiebung der Partei, die sie sich von einem Vorsitzenden Friedrich Merz erhoffen. Auf den Seiten des Portals The Republic (vgl. The Republic) wird von Merz eine deutlich wertkonservative Politik erwartet. Unter den aktuellen Bedingungen kann eine solche inhaltliche Ausrichtung nur in einer Konstellation mehrheitsfähig werden, wie sie in Thüringen 2020 für die Wahl eines kurzzeitigen FDP-Ministerpräsidenten zusammengebracht wurde. Ob diese Kräfte in der CDU stärker werden, wird auch davon abhängen, ob der Abwärtstrend der Partei anhält. Ein längerer negativer Trend verbunden mit der Festigung von Mehrheiten gegen die Union könnte den Vertreter*innen eines „radikalisierten Konservatismus“ (Strobl 2021) auftrieb geben. Noch zeichnet sich diese Entwicklung aber nicht ab.

Umfeld

Die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen, die sich im Laufe des Dezember 2021 zu einer bundesweiten Protestbewegung entwickelt haben, bieten der AfD erneut die Möglichkeit, sich als Bündnispartner und parlamentarischer Arm dieser Bewegung zu inszenieren. Von Seiten der Partei wird die Pandemie und der Streit um die Maßnahmen als Vehikel genutzt, um die Delegitimierung staatlicher Politik und demokratischer Institutionen voranzutreiben.

In Teilen sind die Proteste aus dem Querdenken-Spektrum eindeutig extrem rechts konnotiert, verbreiten antisemitisch unterlegte Verschwörungsideologien und schüren ein Klima von Drohungen und Gewalt, das sich gegen Politiker*innen, Journalist*innen und auch die Polizei richtet. Fackelmärsche und „Besuche“ vor den Privatwohnungen von Politiker*innen, Todesdrohungen und die Phantasien eines Umsturzes sind Ausdruck dieses minoritären aber offenbar geduldeten Teils der Corona-Proteste. Von der AfD wurde und wird diese Aggressivität der Bewegung nach Kräften befeuert. Immer wieder nutzen prominente Vertreter der Partei Begriffe wie „Coronadiktatur“, „Seuchenregime“ oder „DDR 2.0“, um auch militante Proteste zu rechtfertigen. Dass die Partei dabei den Schulterschluss mit anderen Organisationen der extremen Rechten wie etwa den „Freien Sachsen“ nicht scheut, ist seit langem bekannt.

Denn auch innerhalb der AfD finden sich immer wieder Stimmen, die einem gewaltsamen Umsturz das Wort reden. So wurde in Bayern eine interne Telegram-Gruppe der AfD bekannt, in der man sich über „Bürgerkrieg“, „Umsturz“ und „totale Revolution“ austauschte, Wahlen als politisches Verfahren eine Absage erteilte und sich aufgeschlossen gegenüber Gewalt zeigte. In der Chatgruppe fanden sich 16 der 18 bayerischen Landtags- und elf der zwölf Bundestagsabgeordneten. Aus dem im Oktober 2021 neu gewählten AfD-Landesvorstand waren zehn von 13 Personen vertreten (vgl. Tagesschau 2021a).