Linke erwarten von einer antifaschistischen Wirtschaftspolitik, dass sie Abhilfe schaffen kann und durch Druck auf die herrschende Politik jene Korrelation von wirtschaftspolitischer Misere auf der einen Seite und Wahlverhalten oder politischen Einstellungen aufbrechen kann. Letztlich teilen viele in der Linken die auch unter bürgerlichen Sozialwissenschaftlern verbreitete Überzeugung, dass eine unter den Subalternen zu findende rechte Orientierung diesen durch sozialpolitische Maßnahmen wieder weggekauft werden kann. Es wird also angenommen, dass die Einstellungen der Subalternen nicht stabil sind, nicht inneren Überzeugungen entsprechen (was immer das wäre), sondern sie nur oberflächlich zur Rechten neigen. Im Wesentlichen war das ja das Argument von Wilhelm Heitmeyer bis Sahra Wagenknecht: Eine gute Sozialpolitik würde der AfD die Grundlage entziehen. Genau genommen denkt man letztlich, die Massen seien korrupt und man könnte sie von ihrer Gesinnung für ein bisschen sozialpolitisches Almosen wegbringen. Ich denke, dass dies ein Fehlschluss ist. Vier Überlegungen:
Stabile politische Orientierungen
Diese Korrelation von Wirtschaftslage und politischem Verhalten derart politisch zu interpretieren, ist einseitig. Eine Korrelation ist ein statistisches Verhältnis, noch keine Erklärung. Erklärungen können so oder anders ausfallen.
Eine solche Erklärung der Korrelation lässt auch weitgehend die politischen Orientierungen und Einstellungen auf der Seite der Wohlhabenden und Reichen außer Betracht. Auch und vor allem aus bürgerlichen Milieus kamen und kommen Wähler*innen für die Republikaner oder die AfD; auch in Regionen mit erheblichem Wohlstand, mit guter industrieller Infrastruktur und geringer Arbeitslosigkeit können rechte Parteien beachtliche Wahlergebnisse erzielen. Sofort aber kommt eine sozio-ökonomische Erklärung. Demnach ist es die Erwartung einer prekären wirtschaftlichen Entwicklung, die Menschen dann in die Arme rechter Parteien treibt.
Diese Erklärung ist keine oder keine hinreichende Erklärung. Denn aus historischen und politischen Gründen können die Menschen – auch die Wohlhabenden und Reichen – wissen, dass die Wahl der autoritären Rechten keine ökonomisch-politische Perspektive hat.
Soll man denken, dass die Menschen das nicht wissen, obwohl das Wissen doch in jeder Familie vorhanden ist? Es kann im Gegenteil angenommen werden, dass sie es aufgrund historischer Erfahrungen wissen. Bei den Kommunalwahlen in NRW sagte einer der Kandidaten der AfD, ein früherer Sozialdemokrat, in die Kamera der tagesschau, er unterstütze die Partei nicht, weil er frustriert sei. Das will sagen, er unterstützt sie aus Gründen der Überzeugung. Sozialpolitische Reformen werden an dieser Einstellung am Ende nur wenig ändern.
Auch unter den besten sozio-ökonomischen Bedingungen der Bundesrepublik hat es rechte, (neo-)nazistische Positionen und Mentalitäten (inklusive zweistelliger Wahlergebnisse bei Landtagswahlen) gegeben. Sie konnten vielleicht temporär zurückgedrängt werden, aber sie blieben weiterhin vorhanden. Das rechte, antidemokratische Potenzial lag und liegt bei ca. 20 Prozent der Bevölkerung. Lange Zeit waren große Teile dieses Potenzials in die CDU/CSU eingebunden. Diese beiden Parteien mussten eine entsprechende rechte Politik verfolgen. Aber das rechte Potenzial war nicht weg. Die AfD ist auch Ergebnis der Enttäuschung darüber, dass die CDU sich ab den frühen 2000er Jahren – aufgrund der Wähler*innenverluste und der Korruptionsskandale – vorsichtig öffnete für urbane, gebildete Wähler*innengruppen. Gesetzt also den Fall, es würden die sozio-ökonomischen Bedingungen verbessert, dann würde die rechte Tendenz nur zurückgedrängt. Aber sie wäre nicht weg. Es gibt also unter kapitalistischen Verhältnissen Bedingungen, die rechte, nationalistische, rassistische, sexistische Positionen begünstigen. Das Bürgertum braucht sie aus eigener Überzeugung und Herrschaftstechnologie.
Ein nationalistisches Bündnis von Oben, Mitte und Unten
Bei der korrelativen Betrachtung entsteht nicht nur ein Bias zu Lasten der Subalternen, weil vor allem die Seite der Wohlhabenden und Reichen außer Betracht bleibt. Es wird auch kaum das Führungspersonal der rechtsautoritären Parteien in die Erwägung gezogen. Im Fall der AfD kommen wichtige Führungspersonen aus bürgerlichen und kleinbürgerlichen Milieus, einige waren auch seit langem im rechtskonservativen Lager aktiv.
Die Kritik muss noch weiter gehen und das Gesamtverhältnis in den Blick nehmen. Im Fall der AfD ist ein wichtiger Aspekt, dass sie aus der Mitte des Bürgertums heraus gegründet wurde: Professoren, Journalisten, Politiker, Lehrer, die alle schon bekannt waren und als Teil des Bürgertums gesehen werden können. Sie polarisieren das Bürgertum – ähnlich wie das Trump, Sarkozy, Berlusconi gemacht haben oder machen. Es handelt sich also um ein komplexes Gesamtverhältnis, eine Art Vier-Felder-Tafel: a) die Bourgeoisie und ihr Führungspersonal – b) die rechten Abspaltungen – c) die Subalternen – d) die folgebereiten Subalternen. Wenn von ökonomischer Lage und rechter Wählermobilisierung gesprochen wird, dann kommt von den vier Felder eigentlich nur das vierte Feld (d) in den Blick. Es erscheint mir deswegen wichtig, nicht einfach nur von dieser Relation auszugehen, sondern von einem Herrschaftsverhältnis im Gesamtfeld. Ein Teil der Herrschenden (re)organisiert sich und ihre Herrschaft, indem sie sich in ein Führungs- und Organisationsverhältnis mit Menschen aus unteren Klassen verbinden (Bürgertum, Kleinbürgertum, Arbeiter*innen) – ein historischer Block, der auf eine neue Form von staatlicher Herrschaft zielt. Die Politik besteht nicht mehr nur aus Angestellten, die von Spenden oder staatlichen Einkünften leben (Gauland, Weidel etc.) und stellvertretend die Politik eines Teils des bürgerlichen Lagers vertreten und ausarbeiten. Sie organisieren ein nationalistisch-neorassistisch-autoritäres Bündnis zwischen Oben, Mitte und Unten – können sich also auch auf eine Gruppe von Arbeiter*innen stützen. Autoritär-populistisch können diese Gruppen von unten als ein Hebel genutzt werden, um Verschiebungen im Machtblock herbeizuführen, die Gewerkschaften zu verunsichern und die Linke zu demobilisieren. Offensichtlich ist das Misstrauen des Bürgertums in die Kompetenz des Führungspersonals groß, so dass sie sich unmittelbar selbst im politischen Entscheidungsprozess engagieren und den Prozess organisieren (Berlusconi, Trump, Babiš) oder das Personal direkt rekrutieren (J.D. Vance durch Peter Thiel), die Auswahl also nicht dem riskanten, selektiven Prozess der Parteien überlassen.
Offensiver rechter Kulturkampf
Das Projekt der antifaschistischen Wirtschaftspolitik, das nahelegt, dass ein Bündnis zwischen Oben und Unten allein durch eine Elendslage der Unteren bedingt ist, lässt die Überzeugungen, den Herrschaftswillen, die Einsicht der bürgerlichen Kräfte außer Betracht, die wissen, dass sie mittel- und langfristige Strategien benötigen, um ihren Reichtum zu erhalten und die Verhältnisse derart zu organisieren, dass der Reichtum nicht nur erhalten bleibt, sondern sich auch weiterhin vergrößert. Offensichtlich sind sie ängstlich und vorsichtig. Sie wissen um die Katastrophen, die die von ihnen organisierte Reichtumsproduktion anrichtet. Die jährlichen Treffen in Davos auf dem Weltwirtschaftsforum sind in dieser Hinsicht instruktiv. Die Führungskräfte der Wirtschaft und der Politik kommen hier zusammen, um sich darüber auszutauschen, dass das Weltklima, die Ökologie des Planeten, die Strategie der Globalisierung und Finanzialisierung, die Demokratie in einer tiefen Krise stecken. Aber sie können aus „ihren“ Verhältnissen nicht aussteigen, denen sie ihre Lebensgrundlage verdanken. So müssen sie auf jeden Fall verhindern, dass Kräfte die gesellschaftlichen Entscheidungen in die Hand nehmen, die auf andere Reproduktionsmuster hinauslaufen. Also bekämpfen sie die Linken. Sie bekämpfen aber auch alle die Denkformen, Kritikpraktiken, diejenigen, die an wesentliche Muster der Selbstreproduktion von Herrschenden rühren, wie sie seit der frühen Neuzeit als Bedingungen bürgerlicher Herrschaft entwickelt wurden: also Männlichkeit, bürgerliche Kleinfamilie, Herrschaft über Natur, Rassismus, Bevölkerungspolitik, metaphysisch-religiöse Bindung. Deswegen werden queerer Feminismus, Ökologie, Antirassismus und Postkolonialismus, Marxismus und Poststrukturalismus mit Vorwürfen überzogen: Identitätspolitik, Cancel-Culture, Gender-Gaga, „linke Spinner“, Öko-Terrorismus. Keine hetzerische Beschimpfung scheint stark genug, um eine Feind-Markierung vorzunehmen. Dabei sind sie nicht zahlenfest, voller rassistischer Vorurteile und sexistischer Stereotype, korrupt, unzuverlässig, gehen verschwenderisch mit öffentlichen Mitteln um,
Es sind die Überzeugungen, es ist der Wille der Herrschenden und Regierenden ernst zu nehmen. Sie wollen sich nicht durch soziale Bewegungen, durch Kompromisse, durch rechtliche Vereinbarungen binden lassen. Die Subalternen werden von ihnen nicht gehört, sondern als folgebereite Masse populistisch mobilisiert und genutzt, um Kompromisse zu zerschlagen und Kräfte innerhalb des Machtblocks zu verschieben. Beispiele dafür sind Elon Musk, der der Linken, die gegen ihn protestiert, vorwirft, die ökologischen Notwendigkeiten der E-Mobilität zu verkennen, aber seinerseits mit einem Fürsten der fossilen Finsternis eng kooperiert. Auch die Wendungen der Plattformeigentümer von Amazon, Google, Meta hin zu Trump stehen dafür; die Rückwärtswendung der deutschen Automobilindustrie zum Verbrenner oder die Politik der Energieversorgung durch Gaskraftwerke oder die Bestrebungen zur Wiederaufnahme von Atomenergie. Dasselbe gilt für die Haltung zur Migration, zur Öffnung hinsichtlich einer flexibleren Geschlechterorientierung, zu Fragen der Demokratieförderung und des Antifaschismus. In allen Fragen kommt es zu reaktionären Bestrebungen. Anders gesagt: Das Bürgertum ist nicht nur eine ökonomische Klasse, die ihren Nutzen verfolgt, sondern, frei nach Marx: ihre Angehörigen haben auch Bewusstsein und denken, sie haben ein Geschlecht, sie haben Gefühle – und alles ist so geformt, dass sie die Kälte aufbringen, über Menschen zu verfügen, sich den Reichtum anderer anzueignen, den Tod vieler in Kauf zu nehmen und rücksichtslos die Lebensbedingungen auf dem Planeten ruinieren – in der Hoffnung, sich selbst vor den Folgen schützen zu können: Untergang ja, aber nicht für sie selbst.
In dieser Perspektive betrachtet, befindet sich die Rechte nicht außerhalb des herrschenden Blocks. Es gibt keine Brandmauer wie zwischen zwei getrennten Gebäuden. Die Rechte ist eine Selbstabspaltung aus dem Bürgertum, gehört weiterhin dazu und sagt freier und offener, was erhebliche Teile des Bürgertums denkt, aber nicht äußert, weil es dem Geschäft und der Herrschaft schaden könnte. Doch mittlerweile hat die Rechte erfolgreich die Zensurschwelle gesenkt. Deswegen muss die Linke desavouiert werden, es muss verhindert werden, dass sie sich näher mit großen Teilen der Arbeiter*innen und der Kleinbürgertums verbindet, dass es ein aufgeklärtes Wissen um die historischen Prozesse und die absurden Verdrängungen gibt. Die Rechte hat für die Herrschenden also mehrfache Funktion. Denn sie zwingt der demokratischen Gesellschaft einen neuen Pluralismus auf: Wissenschaft und Wahrheit stehen als bloße Meinungen in Frage, ökologische Krisen können ohne Argumente bezweifelt werden, aggressiv kann neorassistische Bevölkerungspolitik vertreten werden. Das wird in den Parlamenten, in Talkshows, in der Prestigepresse endlos als Teil des Meinungsspektrums wiederholt. Den Konservativen, den Kirchen, die so sehr in der Defensive waren durch falsche Entscheidungen und Versprechungen (blühende Landschaften, Bürokratieabbau, Globalisierung und Finanzialisierung), Korruption und Steuerbetrug, durch sexuellen Missbrauch, erweitert es den politischen Manövrierspielraum. Schon längst finden offensive Kämpfe der Rechten statt, in den USA oder den Niederlanden werden die Linken als Antifa, als Terroristen verfolgt. Die Presse-, die Forschungsfreiheit wird eingeschränkt. Der Umbau der Zivilgesellschaft findet statt: Bücher werden aus Bibliotheken aussortiert, Museen und öffentlicher Rundfunk nicht mehr gefördert, Museumsdirektoren werden ersetzt, Lehrer*innen verfolgt. Das alles bedeutet, dass neben den ökonomischen Kämpfen auch die kulturellen Kämpfe fortgesetzt werden müssen. Auf kulturellem und auf wissenschaftlichem Gebiet war die Linke, die von den Arbeiter*innen und ihrem betrieblichen Alltag und Gewerkschaften weitgehend getrennt war, viele Jahre sehr erfolgreich. Diese Erfolge werden heute von den bürgerlichen Kräfte massiv zurückgedrängt. Die Linke hat auch viele sozio-ökonomische Vorschläge gemacht und Kämpfe geführt. Dazu gehörten Vorschläge für einen neuen postfordistischen Klassenkompromiss, für den sozial-ökologischen Umbau, für die Einschränkung der Globalisierung, Besteuerung, Rücknahme der Privatisierungen, Ausbau des Öffentlichen und der sozialen Infrastrukturen, Industriepolitik und Konversion. Es ist m.E. der Vorwurf falsch, die Linke hätte sich nicht um sozio-ökonomische Themen bemüht und entsprechende Kämpfe unterstützt oder geführt und an Terrain verloren, weil sie sich zu sehr auf kulturelle Themen konzentriert habe. Aber wie immer es gewesen sein mag: Die rechts-autoritären, autokratischen Tendenzen und das Scheitern der Ampel-Koalition – so kompromisslerisch die SPD und vor allem die Grünen auch waren – weist darauf hin, dass viele ökonomische, technologische, ökologische, sozialstaatliche Fragen angesichts veränderter Kräfteverhältnisse neu gestellt werden müssen. Strategisch und taktisch muss das Verhältnis der Kämpfe auf den verschiedenen Ebenen in ein neues Verhältnis gesetzt und neu ausgerichtet werden.
Geschlossener Meinungskreislauf
Ein letzter Punkt. Ich habe Zweifel an der Korrelation von sozio-ökonomischer Situation und politischer Orientierung. Nicht die Feststellung des empirischen Zusammenhangs bestreite ich, sondern die Anordnung. Alle wiederholen die immer selben Sätze: die wissenschaftlichen und demoskopischen Meinungsbefragungen, die Wahlergebnisse und ihre Auswertungen, die Zeitungsberichte und Talkshows, die Parteipolitiker, die Befragten und Wähler*innen selbst. Es ist wie ein geschlossener Meinungskreislauf. Dieser wird auch kaum durch gegenläufige empirische Vorgänge unterbrochen (etwa, wenn die AfD bei den Kommunalwahlen in NRW deutlich schlechter abschneidet, als die Meinungsumfragen nahegelegt haben, wird eben doch vor allem über ihre Verdreifachung ihrer Ergebnisse berichtet). Alle bestätigen sich wechselseitig einen Ursache-Wirkungs-Kreislauf. Aber was misst die Korrelation? Gemessen wird, dass die herrschende bürgerliche Meinungsbildung funktioniert und eine Art nationalistischer-neorassistischer Konsens gebildet wird, der gleichzeitig auch seine eigene sozial-ökonomische Erklärung miteinschließt. Das funktioniert wie eine Art Tautologie. Die Befragten geben den Interviewern die Antworten, die diese gern hören wollen, und diese fragen in einer Weise und interpretieren die Antworten nach dem ihnen an die Hand gegebenen sozio-ökonomischen Erklärungsschema. Die ständige Wiederholung in den Medien, in den Talkshows, in den Wahlanalysen zeigt den Bürger*innen, dass die Rechte eine konkrete Option ist, dass sie stark ist, um für sie zu sein; dass sie seriös genug ist, um sie in den Medien pluralistisch als Position ernst zu nehmen. Durch diese konzertierte Meinungsbildung wird den Rechten Macht zugerechnet. Die Aufklärung über rechte Politik ist proportional betrachtet gering: also konkrete Praxis in Parlamenten und Verwaltungen, die Aufklärung über Ziele der Rechten, die symbolische und materielle Gewalt. Wenig kenntnisreiche Journalist*innen machen oberflächliche Features und Berichte über die Rechten. Die Alltagswirklichkeit der von den Rechten drangsalierten Personen und Zusammenhänge, die Erfahrungen der Gewalt und des Terrors sind kaum angemessener Gegenstand der Analysen und öffentlichen Kommunikation. Demokratische Bildung wird an vielen Stellen eingeschränkt (Schulen, Hochschulen, Gewerkschaften, kirchliche Akademien, freie Träger). Die Antifa wird öffentlich diskreditiert und rechtlich verfolgt. Infam ist in diesem Zusammenhang das Konstrukt der terroristischen Vereinigung. Migrant*innen und Asylbewerber*innen erfahren keine angemessene rechtsstaatliche Unterstützung, sondern erleben Diskriminierung, Entrechtung, racial profiling.
Die Subalternen werden durch die Befragungen und durch die Wahlen in eine spezifische demokratische Protesthaltung gebracht. Es entsteht der Anschein, dass ihre Meinung zählt. Sie können Protest gegen herrschende Politik anmelden. Sie können die Herrschenden kritisieren. Das alles bleibt unverbindlich, weil es eine falsche Form annimmt. Es handelt sich vielfach um Mangel an Bildung, um primitiven Alltagsverstand. Das ist der Fall, wenn die „politische Klasse“ (ein reaktionärer Ausdruck der faschistischen Rechten) wegen Bereicherung kritisiert wird. Aber dort, wo es konkret würde, bleibt es folgenlos: für Andreas Scheuer oder Jens Spahn. Auch für Akteure im Sport oder der Wirtschaft bleibt das Wissen gering oder folgenlos wie etwa im Fall von Uli Hoeneß oder den Bankiers, die über Cum-Ex oder Cum-Cum-Geschäfte hunderte Millionen stehlen. Die Ursachen werden kaum richtig benannt. Die Rechte verteidigt und unterstützt diese herrschenden Praktiken und drängt an die Macht, um sich selbst zu bereichern. Unter den Subalternen wird Mangel an Logik gefördert, falsches Wissen verbreitet, Ärger und Wut genährt und gegen falsche Personen oder Personengruppen gelenkt, nicht die politische Bildung, das intellektuelle Verständnis der Vorgänge gefördert oder über die Möglichkeit der Veränderbarkeit von Verhältnissen aufgeklärt. Dies schafft Ausweglosigkeit. Eine Haltung des rebellischen Konformismus macht sich breit. Zu dieser Haltung gehört, als hätten die Verhältnisse, die Entwicklungen mit einem selbst gar nichts zu tun: Die ökologischen Schäden gelten nicht als Wirtschaft; die Rentenkürzungen werden so dargestellt, als beträfen sie irgendwelche anderen und seien nicht auch ein ökonomischer Faktor, weil es sich um Nachfrage handelt; die Gewinne der Unternehmen, der Aktionär*innen, die Einkommen der Manager*innen werden kaum erwähnt, so als seien sie nicht das Ergebnis der Arbeit der vielen, die arm sind, weil die Reichen reich sind. Zusammenhänge werden künstlich aufgelöst oder auf falsche Weise hergestellt.
Für die Linke schafft dies eigene Schwierigkeiten. Sie will den Schwerpunkt auf Wirtschaftspolitik legen. Doch das Wissen um diese Thematik ist unter Subalternen gering. Hetzerische Argumente sind verbreitet. Und der Linken wird ein Mangel an Wirtschaftskompetenz unterstellt. Auch wenn die CDU/CSU es schlecht macht, gilt sie aufgrund ihrer Nähe zu den Kapitaleigentümern als wirtschaftskompetent. Erwartet wird, dass sie wenigstens sicherstellt, dass die Wirtschaft funktioniert, dass es Wachstum gibt, die Wettbewerbsfähigkeit erhalten bleibt, die Inflation gering ist, die Wirtschaft zuversichtlich orientiert ist. Das erhält oder schafft Arbeitsplätze und mehr schlecht als recht irgendwie ein Einkommen. Von der Linken wird eher erwartet, dass sie auf Widerstand der Kapitaleigentümer stößt. Diesen Meinungskreislauf zu durchbrechen, bleibt schwierig. Es braucht dafür auch die Kulturkämpfe, die den Menschen plausibel machen, dass sie mehr Wissen über die politische Ökonomie ihres eigenen Lebens, die politischen Entscheidungsprozesse und die Macht der kulturellen Gewohnheiten, die ihren Veränderungswillen lähmen, benötigen und die Verhältnisse besser verstehen müssen. Vermutlich haben sie ein stillschweigendes Wissen davon, dass, würden sie das, was sie längst schon wissen, an sich heranlassen, sie zu einer folgenreichen Praxis drängen würde.