Die politische Konstellation nach der Bundestagswahl 2025 markiert eine Wegscheide: Mit Friedrich Merz wird ein Kanzler an der Spitze der Bundesregierung stehen, der offener, als es in den vergangenen 20 Jahren in der CDU üblich war, für eine wirtschaftsliberale, unternehmensfreundliche und geopolitisch interventionistische Politik wirbt. Auch wenn die neoliberalen Ambitionen des früheren Blackrock-Funktionärs in einer Koalition mit der SPD gebremst werden dürften: Der Regierungswechsel nach dem Scheitern der halbherzigen und von inneren und äußeren Widersprüchen zerrissenen Reformpolitik der Ampel bedeutet für die Gewerkschaften nicht nur einen Stimmungsumschwung, sondern den Beginn einer neuen Phase struktureller Auseinandersetzungen. Die gesellschaftliche Hegemonie verschiebt sich: weg von sozial- und klimapolitischen Erneuerungsversuchen hin zu einer restaurativen Ordnungspolitik im Zeichen von Rüstung sowie einer Rückkehr zu fossiler und nuklearer Energie, Standortnationalismus und neuem Kalten Krieg nach außen und wohl auch nach innen. Für die Gewerkschaftsbewegung eine tiefgreifende strategische Herausforderung: Wo steht sie und wofür steht sie noch?

Die Gewerkschaften gehen geschwächt in die kommenden Auseinandersetzungen. 2024 sank die Mitgliederzahl der DGB-Gewerkschaften wieder um 1,5 Prozent. Besonders betroffen waren die IG BAU mit minus 3,2 Prozent, ver.di mit minus 1,8 Prozent und die IG Metall mit minus 1,9 Prozent. Damit setzt sich der strukturelle Abwärtstrend der letzten Jahrzehnte fort (Dribbusch 2025). Die gesellschaftliche Repräsentationskraft der Gewerkschaften erodiert weiter – bei gleichzeitig steigenden Anforderungen auf allen zentralen Konfliktfeldern: Rechtsruck in Staat und Gesellschaft, materielle und ideologische Aufrüstung, scheiternde Transformation. 

Autoritäre Verschiebungen oder was auf die Gewerkschaften zukommt

Die Koalition wird nicht das Tarifrecht schleifen, aber Migrations- und Arbeitsmarktpolitik sollen zur Disziplinierung der Lohnabhängigen genutzt werden und Investitionen prioritär in Rüstung und Sicherheit fließen, während soziale Rechte unter Vorbehalt gestellt werden. Zentrale Stichpunkte sind »Aktivierung«, Kontrolle und Sanktionierung. Erwerbslose und Geflüchtete sollen verstärkt in die Pflicht genommen werden. 

Der Koalitionsvertrag enthält auf den ersten Blick keine offenen Angriffe auf das Arbeitsrecht: Mindestlohn, Mitbestimmung und Tarifbindung werden formal gestützt, ein Bundestariftreuegesetz soll Tarifverträge bei der öffentlichen Auftragsvergabe stärken. Doch hinter dieser Rhetorik stehen gravierende Weichenstellungen. Die geplante Abschaffung der täglichen Höchstarbeitszeit zugunsten einer Wochenarbeitszeit markiert einen tiefen Einschnitt – historisch wie gesundheitspolitisch. Damit greift die Koalition eine der ältesten Errungenschaften der Arbeiterbewegung an, den in der Novemberrevolution 1918 eingeführten Achtstundentag. Die SPD verzichtet anders als 2022 auf eine politische Anhebung des Mindestlohns und überlässt dessen Festsetzung vollständig der Mindestlohnkommission, was absehbar zu Reallohnverlusten führen dürfte. Zwar wird die Stärkung der Tarifbindung proklamiert, doch abgesehen vom geplanten Bundestariftreuegesetz fehlen konkrete Instrumente, insbesondere eine Ausweitung der Allgemeinverbindlichkeit. Ein in den Verhandlungen diskutiertes Verbandsklagerecht für Gewerkschaften ist im finalen Vertrag nicht nur verschwunden, sondern wird durch die Aufnahme allgemeiner Ziele des Bürokratieabbaus tendenziell geschwächt.

»Gewerkschaften laufen Gefahr, zum Legitimationsfaktor eines disziplinierenden Umbaus gemacht zu werden.«

Gleichzeitig zeigen sich im Koalitionsvertrag harte wirtschaftsliberale Leitlinien. Er enthält die Absage an weitergehende Umverteilungs- oder sozialstaatliche Sicherungskonzepte. Die geplante Umgestaltung des Bürgergelds zur »neuen Grundsicherung« setzt auf schnellere Sanktionen, Verpflichtung zu »zumutbarer Arbeit« und Leistungsentzug bei Verweigerung (vgl. hierzu Steinhaus in diesem Heft). Die Abschaffung der Vermögenskarenzzeit und die Absenkung von Leistungen für Ausreisepflichtige im Asylbewerberleistungsgesetz markieren einen Paradigmenwechsel hin zu einem restriktiv-repressiven Sozialstaat. Hier werden Spaltungen innerhalb der arbeitenden Klasse vertieft und bestehende Entsolidarisierungstendenzen weiter verstärkt. Für Gewerkschaften ist das eine gefährliche Situation, gerade auch deshalb, weil diese Politik nicht als Frontalangriff daherkommt. Ähnlich wie zu Zeiten der Agenda 2010 wird die Versuchung real sein, durch »konstruktives Mitgestalten« Schlimmeres zu verhindern. Tatsächlich droht vielmehr ein Verlust von Gestaltungsmacht. Gewerkschaften laufen Gefahr, zum Legitimationsfaktor eines disziplinierenden Umbaus gemacht zu werden. 

Der Rechtsruck der offiziellen Politik wird flankiert von einer rechtspopulistischen Offensive am Arbeitsplatz. Der Aufstieg der AfD macht auch vor den Betrieben nicht halt (vgl. Dörre 2024). 21,9 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder haben laut einer Nachwahlbefragung der Forschungsgruppe Wahlen AfD gewählt, die damit in der Gunst der organisierten Beschäftigten nur 1,4 Prozentpunkte hinter der CDU lag. Die SPD folgte auf Platz 3 (20,6 %), Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke auf Platz 4 und 5 (10,7 und 10 %; Lelek 2025). In manchen Regionen sind in den Betrieben rechte Gegenmilieus entstanden. Nicht nur im Osten. »Es gibt gewerkschaftlich organisierte Personalräte, die offen zur Wahl der AfD aufrufen.« (ver.di 2025) AfD-Positionen reichen inzwischen bis in das gewerkschaftliche Ehrenamt hinein. Zu dieser Bedrohung der Gewerkschaften von innen kommt der Angriff von rechtsradikalen Gruppen wie dem Zentrum, die seit Jahren bei Betriebsratswahlen in der Automobilindustrie oder der Pflege antreten. Große Erfolge jenseits einzelner Betriebsratsmandate wie bei Mercedes in Untertürkheim, Sindelfingen und Rastatt, BMW und Porsche in Leipzig oder VW in Zwickau kann das Zentrum bislang zwar nicht aufweisen (Detje u. a. 2024). Allerdings könnte sich das bei einer Verschärfung der Krise bald ändern.

Der autoritäre Populismus bietet scheinbar einfache Lösungen für reale Probleme, die gerade auf in prekarisierten, entwerteten oder zuletzt krisenhaften Sektoren wie der Autoindustrie Beschäftigte Anziehungskraft ausüben. Dass diese Scheinantworten nicht funktionieren, tut ihrer Attraktivität aber nicht unbedingt Abbruch, denn Konkurrenzangebote – Neoliberalismus, Gewerkschaften, linke Konzepte – sind im Erfahrungshorizont vieler Abgekoppelter bereits gescheitert. Selbst immer mehr Gewerkschaftsmitglieder haben in zentralen gesellschaftlichen Fragen wie Migration andere Auffassungen als der Funktionärskörper. Letztere reagieren mit Ignorieren, einer demonstrativen Beschwörung der »Einheit aller Demokraten« oder punktuellen Abwehrmaßnahmen. Gewerkschaften werden in abgestiegenen oder vom Abstieg bedrohten Teilen der Arbeiterklasse mehr und mehr als Teil des etablierten politischen Systems wahrgenommen. Hier drohen sie an Bindungskraft zu verlieren. Entscheidend ist, nicht nur defensiv auf autoritäre und rechtspopulistische Tendenzen zu reagieren, sondern dies mit eigenständigen klassenpolitischen Positionen zu tun. Dazu gehört, gesellschaftliche Spaltungslinien zu benennen und offensiv für soziale Gerechtigkeit, demokratische Mitbestimmung und solidarische Perspektiven einzutreten. Vielversprechend sind Ansätze, die den direkten Dialog mit Belegschaften vor Ort suchen – auch dort, wo Meinungen außerhalb des gewerkschaftlichen Mainstreams vertreten werden. Zur Wahrheit gehört auch, dass diese Ansätze angesichts knapper Ressourcen alles andere als einfach umzusetzen sind. Interessant wäre, ob erfolgreiche kämpferische Bewegungen wie die ver.di-Krankenhausbewegung messbare Auswirkungen auf das politische Bewusstsein und Wahlverhalten ihrer Beteiligten haben.

Ausgebremste Transformation

Die sozial-ökologische Transformation wird ausgebremst und aufgerieben: zwischen inkonsequenten politischen Maßnahmen, widerstrebenden Interessen und fehlender strategischer Kohärenz. Hohe Energiepreise, geopolitische Unsicherheiten und ein Ausbleiben strategischer Industriepolitik führen zu Deindustrialisierungstendenzen, insbesondere in zentralen Branchen wie dem Fahrzeug- und Maschinenbau. In Letzterem schrumpfte die Produktion 2024 um acht Prozent (BDI 2024). 

Die Automobilindustrie – jahrelang Wachstumsmotor und Machtzentrum der IG Metall – steht unter Druck: Elektroautos verkaufen sich schlechter als geplant, immens wichtige Absatzmärkte für das deutsche Exportmodell in China und den USA brechen teilweise weg. Vor allem im wachsenden Segment der batterieelektrischen Fahrzeuge (BEV) bedrohen neue, vielfach innovativere Anbieter die dominanten Marktanteile. Sicherlich ist das alles auch Folge einer Reihe von Fehlentscheidungen der Konzernleitungen. Doch die Tiefe der Krise lässt sich nicht allein darauf zurückführen. Die doppelte Transformation aus Dekarbonisierung und Digitalisierung des Produkts Auto geht einher mit einer Verschiebung des Zentrums der globalen Automobilindustrie in Richtung China. 2024 wurden weltweit fast elf Millionen BEV verkauft, acht Millionen davon in China (Fraunhofer ISI 2025). Die politischen Entscheidungsträger*innen in Deutschland ignorieren diese Entwicklung bisher vollständig und zielen auf Steuererleichterungen, Standortprämien, Verbilligung von Energie und Aufweichungen klimapolitischer Vorgaben ab. Alles, nur keine Transformationsstrategie. 

Gerade die Industriegewerkschaften IG Bergbau, Chemie, Energie (BCE) und IG Metall tun sich sichtbar schwer in dieser Konstellation. Die programmatischen Forderungen reichen von mehr staatliche Investitionen in Infrastruktur und Innovation über eine Entlastung energieintensiver Unternehmen, die Kopplung öffentlicher Förderungen an Tarifbindung, Standort- und Beschäftigungssicherung bis zu Überlegungen zu Local-content-Regelungen auf EU-Ebene (vgl. IG Metall 2024). Debatten, die über diesen wirtschaftsstandortzentrierten Horizont hinausweisen und auf eine sozial-ökologische Transformation abzielen (siehe z. B. Candeias/Krull 2022), sind in den Hintergrund getreten und erhalten weniger öffentliche Aufmerksamkeit als noch vor drei oder vier Jahren.

Verschwunden sind sie indes nicht. Ein kürzlich gemeinsam von IG Metall und Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) veröffentlichtes Positionspapier ist ein Beispiel für zukunftsorientierte gewerkschaftliche Industriepolitik. In diesem fordern Betriebsräte aus dem Schienenfahrzeugbau, der Stahlindustrie und dem Deutsche-Bahn-Konzern, Beschäftigung entlang der Wertschöpfungskette zu organisieren und für die notwendige Verkehrswende einen branchenübergreifenden Ansatz zu wählen, der notwendige Reformen bei der Deutschen Bahn (mehr staatliche Steuerung) mit klima­neutralen zukunftsorientierten Maßnahmen wie der Schaffung europäischer Leitmärkte für »grünen« Stahl als zentralem Rohstoff für den Schienenfahrzeugbau verknüpft (EVG 2025). Doch Papier ist bekanntlich geduldig.[1] Ob und wie entschlossen beide Gewerkschaften bereit sind, für diese Forderungen zu mobilisieren, wird sich zeigen. 

Militarisierung von Politik und Gesellschaft

Seit 2022 steht die bundesdeutsche Politik unter dem Zeichen der »Zeitenwende«. Rüstung wird zum Staatsziel, Aufrüstung zur Daueraufgabe, militärische Logik dringt mehr und mehr in zivile Bereiche vor. Bundeswehr, Polizei und Geheimdienste werden ideologisch und materiell aufgewertet. Parallel dazu verändert sich das gesellschaftliche Klima. Reklamierte die letzte Bundesregierung zu Beginn ihrer Amtszeit noch Fortschritt als zentrales Leitmotiv, wird dieses nun durch Sicherheit ersetzt. Für Gewerkschaften ist das keine Randfrage. In einem Klima autoritärer Sicherheitsrhetorik, wachsender Repression gegen soziale Bewegungen und eines aggressiven Antifeminismus und Antimigrationsdiskurses schrumpfen nicht nur die Handlungsspielräume, sondern auch die gesellschaftliche Anschlussfähigkeit gewerkschaftlicher Positionen – sofern sie nicht selbst ins Fahrwasser einer neuen Logik des Kalten Krieges geraten. 

Mit dem Sondervermögen Bundeswehr von 2022 und der Grundgesetzänderung im März 2025 wurde der finanzielle und institutionelle Rahmen geschaffen, um den Sicherheitssektor dauerhaft zu privilegieren. Parallel werden Stimmen lauter, die eine stärkere Rolle von Bundeswehr und Polizei im Innern fordern: etwa in der »Resilienz-Politik«, beim Katastrophenschutz sowie in Schulen (vgl. Bundesregierung 2022). Diese Militarisierung des gesellschaftlichen Klimas bleibt nicht folgenlos: Demokratische Konfliktaustragung wird diskreditiert, Streikrecht und Protest geraten unter Legitimationsdruck, autoritäre Staatlichkeit gewinnt an Boden. Für die Gewerkschaften ist dies doppelt gefährlich: zum einen, weil sie als Akteure kollektiver Gegenmacht selbst zur Zielscheibe werden können, zum anderen, weil sie Gefahr laufen, sich aus vermeintlicher Staatsräson in die Logik des Sicherheitskapitalismus einzupassen.

»Die Militarisierung des gesellschaftlichen Klimas bleibt nicht folgenlos: Demokratische Konfliktaustragung wird diskreditiert, Streikrecht und Protest geraten unter Legitimationsdruck, autoritäre Staatlichkeit gewinnt an Boden.«

Es ist absehbar, dass die neue Bundesregierung einen veränderten industriepolitischen Kurs einschlagen wird, der dem militärisch-industriellen Komplex einen zentralen Platz in der wirtschaftlichen Entwicklung zuweist. Der Staat belebt die Konjunktur durch öffentliche Nachfrage nach Waffen und Sicherheitstechnologien, die Rüstungsindustrie wird zur Trägerin regionaler Entwicklung. Forschung, Infrastruktur und industrielle Kapazitäten werden auf Kriegsfähigkeit getrimmt. Im Gegensatz zu kreditfinanzierten Investitionen in zivile Infrastruktur führt der Rüstungskeynesianismus nicht zu neuem gesellschaftlichem Vermögen, sondern zu gigantischer Wertvernichtung. Im Gegensatz zu Brücken, Schulen oder Bahnlinien tragen Panzer, Drohnen und Artilleriemunition nicht zur gesellschaftlichen Wohlfahrt bei. Sie sind reine Verbrauchsprodukte, die durch ihren Einsatz oder – bestenfalls – technologischen Verfall in kurzer Zeit entwertet werden. Aufrüstung bindet massive Ressourcen (Material, Arbeitskraft, Forschung etc.) für Produkte, die per Definition nur durch ihre Zerstörungskapazität »nützlich« sind. Ideologisch einher geht damit zwangsläufig eine Delegitimierung demokratischer und friedenspolitischer Verantwortung.

Für die Gewerkschaften ist dies eine nicht zu unterschätzende strategische Herausforderung. Obwohl Rüstung Arbeitsplätze sichert, bedeutet sie zugleich Verdrängung ziviler Investitionen. So dürfte sich aktuell so manche Werft fragen, ob angesichts der politischen Konjunktur der geplante Einstieg in die Fertigung von Konverterplattformen für Offshore-Windparks nicht zugunsten der Produktion von wesentlich lukrativeren Kriegsschiffen zurückgestellt werden sollte. Entsprechende Diskussionen gibt es bereits für die Weiternutzung von ehemaligen Autoproduktionsstandorten (Jansen/Müßgens 2025). 

Es ist leicht, von außen die Haltung der IG Metall zur Militarisierung der Industrie zu kritisieren. Die Realität vor Ort ist kompliziert. Was macht eine IG-Metall-Geschäftsstelle, die gerade zwei ihrer größten Betriebe durch die Krise der Automobilindustrie verloren hat, wenn Rheinmetall anbietet, einen der Standorte zu übernehmen? In einer Region, die wirtschaftlich vom Fahrzeugbau geprägt ist, bedeutet der Verlust eines großen Automobilwerks nicht nur den Verlust von Arbeitsplätzen, sondern auch von Perspektiven. Die Aussicht auf einen neuen Großinvestor ist zunächst eine Rettung – selbst wenn er aus der Rüstungsindustrie kommt. Jeder neue Arbeitsplatz, jeder Tarifvertrag, der ausgehandelt werden kann, erscheint in dieser Situation als Erfolg. Auf dieser Ebene ist die Unterstützung für Rüstungsproduktion zumindest verständlich – auch wenn sie langfristig mit friedenspolitischen Grundsätzen der Gewerkschaft kollidiert. Es ginge auch anders: Im Fall des ab 2027 zum Verkauf stehenden VW-Werks in Osnabrück haben sich IG Metall und der Standort-Betriebsrat klar für eine Weiterführung als »ziviler Industriestandort« eingesetzt.

Repolitisierung oder verlängerter Abstieg?

Es gibt auch erfolgreiche Gegenbewegungen zu den katastrophalen gesellschaftlichen Entwicklungen. Ver.di hat in den letzten Jahren mit konsequentem Organizing, besonders im Krankenhausbereich, neue Wege beschritten. Die Idee der »Tarifbotschafter*innen«, der kollektiven Beteiligung und der Eskalationsfähigkeit scheint in breiteren Teilen der Organisation angekommen zu sein. Der Wandel bei ver.di ist Ausdruck eines gezielten Strategiewechsels hin zu einem »systematischen gewerkschaftlichen Stärkeaufbau« (vgl. Durben u. a. 2024). Er zeigt sich besonders deutlich in drei Bereichen: im Kranken­haussektor, im Bereich Bildung/Erziehung und soziale Dienste sowie im Verkehrsbereich. Auch bei der IG Metall und der IG BAU gibt es Erfahrungen mit dem erfolgreichen Einsatz neuer Methoden. Selbst in einer Phase allgemeiner Erosion können neue Formen gewerkschaftlicher Kampfkultur entstehen und weiterentwickelt werden.

Gewerkschaften stehen am Scheideweg. Wollen sie gesellschaftliche Akteure bleiben, müssen sie mehr sein als Tarifmaschine. In Zeiten von Krieg, Krise und autoritärer Wende stellt sich die Frage neu: Für welche Gesellschaft streiten wir – und mit welchen Mitteln? Das Festhalten an Standortlogik, Klientelpolitik und Sozialpartnerschaft wird genauso wenig reichen wie eine Politik, die auf Besitzstandswahrung ausgerichtet ist. Was fehlt, ist eine offensive, strategische Antwort auf den autoritären Sicherheitskapitalismus, der sich nicht nur in der Militarisierung der Außenpolitik, sondern auch in der Disziplinierung der Arbeitswelt und der Aushöhlung sozialer Rechte zeigt. Der Kampf um gute Arbeit ist mehr als eine Lohnrunde. Es geht um eine Repolitisierung der Arbeitspolitik, die soziale Gerechtigkeit, demokratische ­Kon­trolle und friedenspolitische Verantwortung zusammendenkt. Die derzeitige Defensive ist real, aber sie ist kein Schicksal. Gewerkschaften haben bewiesen, dass sie auch anders können – wenn sie sich mit anderen zusammen­schließen und als Motor einer demokratischen, sozialen Transformation erweisen. 

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