Je schlechter das soziale Sicherungssystem, desto wahrscheinlicher ist es, dass Menschen auch Arbeit zu unwürdigen Bedingungen und schlechten Löhnen verrichten. Weil sie dann keine Verhandlungsgrundlage haben, von der aus sie um Mindeststandards ringen können. »Respekt und Augenhöhe« versprach die Ampelkoalition noch vor wenigen Jahren mit dem Bürgergeld. »Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen« ist hingegen die klare Drohung, die bei der Neuen Grundsicherung den Ton angibt, auf die sich Union und SPD geeinigt haben. Totalsanktionen und Vermittlungsvorrang sollen die fatale Kombination dieser Neuen Grundsicherung werden, um Menschen alternativlos in Jobs zu pressen und ein klares Signal an die arbeitende Bevölkerung zu senden: Achtung, hier wollt ihr nicht hin! Macht schön euren Job, egal zu welchen Bedingungen!
Für das laufende Jahr fehlen noch 30 bis 40 Milliarden Euro im Bundeshaushalt. Angeblich deswegen will Friedrich Merz (CDU) nun »alle Sozialleistungen auf den Prüfstand stellen«. Aus allen Ecken kommen nun Vorschläge, wie das Land aus der Krise gelangen könnte. Vorschläge, die sich grundsätzlich gegen die Interessen von Lohnabhängigen und armen Menschen richten. »Vollkasko-Mentalität« könne man sich aktuell nicht mehr leisten. Mit der von der Union versprochenen und in den Koalitionsverhandlungen vereinbarten »Abschaffung« des Bürgergelds stehen krasse Verschlechterungen für Beschäftigte zur Diskussion. Sie sollen länger, mehr und härter arbeiten, dabei aber weniger Lohn erwarten und dankbar sein, wenn sie mit 67 nicht in der Altersarmut landen – was vielen aber faktisch blüht. Unter dem Deckmantel, dass »wir« uns mehr anstrengen müssen, fordert die CDU/CSU, die »taggenaue Arbeitszeiterfassung« abzuschaffen und den Ausnahmekatalog für Sonn- und Feiertagsbeschäftigung zu erweitern. Zusätzlich werden Überlegungen aus der Wirtschaft laut, ob der erste Krankheitstag ohne Gehaltszahlung »helfen« könne, um die wohl nur wehleidigen Menschen in Deutschland wieder munter zu machen. Oder ob vielleicht ein Feiertag gestrichen werden solle.
Merz I oder die Neue Grundsicherung
Mit der Einführung der Neuen Grundsicherung, nennen wir sie Merz I, sollen angeblich Milliarden eingespart werden. Wo dieses Einsparpotenzial liegen könnte, ist allerdings niemandem so richtig klar. Als Markus Söder (CSU) am 30. März in der Sendung »Berlin Direkt« nach einer möglichen Summe gefragt wurde, konnte er nur drum herumreden. Genauso wenig kann Carsten Linnemanns (CDU) Büro auf Nachfrage erklären, wo genau die »Hunderttausenden« sind, denen man das Bürgergeld komplett streichen könnte. Zwei Möglichkeiten, wo tatsächlich beachtliche Summen zu holen wären, ohne damit Millionen Menschen zu belasten, seien genannt: 1 | Gigantische 40 Milliarden Euro Schaden entstanden durch die skrupellosen Cum-Cum- und Cum-Ex-Steuerbetrügereien. Die Aufklärung stockt und möglicherweise werden die ergaunerten Milliarden nie zurückkommen. 2 | Mit sage und schreibe 380 Milliarden Euro bezifferte die Süddeutsche Zeitung im Juli 2024 die entgangenen Steuereinnahmen seit dem Aussetzen der Vermögenssteuer 1996.
Die Ampelkoalition hätte sich das Ringen ums Bürgergeld sparen können. Denn es sind kaum nennenswerte Fortschritte gegenüber Hartz IV für die Menschen gewonnen worden. Aber jetzt sind wir wieder genau da, wo wir zuvor mit Hartz IV waren. Es ist sogar noch schlimmer. Denn das gesellschaftliche Klima ist vergifteter als damals. Gingen gegen die Agenda 2010 und Hartz IV noch Hunderttausende auf die Straße, ist die Solidarität mit Menschen in Armut heute erschreckend gering. Stattdessen finden härtere Sanktionen und niedrigere Regelsätze (MDR 2025) in großen Teilen der Gesellschaft Zustimmung (Focus 2024). Dieses Phänomen kommt nicht von ungefähr. Die Kampagne gegen das Bürgergeld wurde von CDU und CSU bereits vor seiner Einführung strategisch geplant und kontinuierlich gefahren. Auf dem Rücken der Ärmsten haben die Union und ebenso die AfD maßgeblich ihre Zustimmung in der Bevölkerung gesteigert. Die SPD ist von Jahr zu Jahr immer weiter eingeknickt und hat damit ihre eigene Reform der Reform lächerlich und scheinbar unnötig gemacht.
Drastische Sanktionen
Geeinigt wurde sich auf härtere Sanktionen, die schneller, einfacher und unbürokratischer umgesetzt werden sollen. Denkbar sind hier die bereits unter der Ampelkoalition verabschiedeten Verschärfungen. Diese sehen vor, dass bereits ein erstes abgelehntes Arbeitsangebot eine 30-Prozent-Sanktion für drei Monate zur Folge hat. Bei einem Regelsatz von nur 556 Euro bedeutet solch eine Kürzung um 168,90 Euro für drei Monate blanke Not.
Totalsanktionen (Steinhaus 2025) beim wiederholten Ablehnen eines Arbeitsangebots sollen vermehrt angewendet werden können. Diese sind seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts hoch umstritten. Allerdings ließ Friedrich Merz verlauten, dass er es auf eine Verfassungsklage ankommen lassen würde. Denn er weiß, dass so ein Prozess Jahre dauern und bis dahin viel Unrecht vollzogen werden kann.