Woran hat es gelegen, dass diese Aktualität des Ökosozialismus bis heute bestenfalls virtuell geblieben ist? Erstens hat die Linke insgesamt immer noch ein unzureichendes Verständnis von der Dynamik und Gewalt der Kapitalherrschaft und unterschätzt daher die Schwierigkeit, ihr von unten eine wirksame »Einheit in den Kämpfen« entgegenzustellen und offensiv zu wenden. Das galt auch für die Vertreter ökosozialistischer Positionen. Zweitens hat sich die nach-fordistische Linke eine falsche Alternative aufreden lassen: entweder an der Marxschen Kritik der Herrschaft der kapitalistischen Produktionsweise festzuhalten oder aber andere gesellschaftliche Bewegungen gegen Herrschaftsstrukturen als solche anzuerkennen und als notwendige Verbündete für eine Überwindung der Kapitalherrschaft in konkreten historischen Gesellschaftsformationen zu begreifen. Diese Alternative muss zurückgewiesen werden – beides ist dringend erforderlich, um eine emanzipativ transformatorische gesellschaftliche Kraft aufzubauen.
Strategische Konstellationen
In der aktuellen Krise muss – global – eine Strategie entwickelt und umgesetzt werden, mit der die sozialistische Überwindung der Herrschaft der kapitalistischen Produktionsweise mit der feministischen Überwindung modernisierter patriarchalischer Herrschaftsstrukturen, mit der antirassistischen und antiimperialen Überwindung internationaler Abhängigkeitsverhältnisse und mit der radikalökologischen Durchsetzung eines verantwortlichen und pro-ökologischen Umgangs mit der Rolle der Menschheit im Anthropozän verbunden wird.
Diese Aufgabe reicht bis in die Basisstrukturen der Gesellschaften, muss also von wirklichen sozialen Bewegungen in Angriff genommen werden, bevor sie intellektuell artikuliert, zivilgesellschaftlich organisiert, parteipolitisch zugespitzt und durch Staatsgewalt in ihrer breiten Umsetzung ermöglicht werden kann.
Zentrale Kriterien für derartige Vorstöße und Eingriffe sind zum einen ihr möglicher Beitrag zur Überwindung der tiefer liegenden Krisen – der Kapitalakkumulation, des Metabolismus der Menschheit als erdgeschichtlicher Kraft, der herrschaftlichen Prägungen von Geschlechter- und Generationenverhältnissen und der imperialen Prägungen der globalen Konstellation von Staaten und Staatenverbündeten; zum anderen ihre mögliche Rolle in der Entfaltung der demokratischen Handlungsfähigkeit der unterschiedlichen »Mengen der Vielen« (multitudo). In der gegenwärtigen »großen Krise« ist ein grün-sozialistisches Projekt durch die umkämpften Versuche eines weitreichenden »Umbaus von oben« herausgefordert, durch den die herrschenden Eliten »alles zu verändern« suchen, damit »alles so bleiben« kann. Dagegen sind sozialökologische Umbauprojekte zu propagieren und zu verankern – in deren Erkämpfung schrittweise die Konstellation von Akteuren aufgebaut werden kann, die einen ökosozialistischen Übergangsprozess einleiten können.6
1 Simon Dalby (Anthropocene Geopolitics: Globalisation, Empire, Environment and Critique, in: Geography Compass 1/1 [2007]: 103–18, 111–4: »6 Anthropocene geographies«) hat die von Paul Crutzen in Gang gebrachte Debatte kritisch kontextualisiert, aber die hier vertretene Grundthese verstärkt.
2 Meine eigenen Stationen im Zusammenhang von Ökologie und Sozialismus in Stichworten: Die Kasseler »Sozialistische Konferenz« 1980, die Gründung der »Modernen Zeiten« 1981, Trampert und Ebermanns »Zukunft der Grünen« 1983, das erwähnte »ökosozialistische Manifest« der Gruppe um Pierre Juquin. Vgl. Frieder Otto Wolf, 1994: »Ökosozialismus als politische Perspektive«, in: Richard Faber (Hg.), Sozialismus in Geschichte und Gegenwart, Würzburg.
3 In Deutschland veröffentlicht als »Eine grüne Alternative für Europa«, Hamburg 1990. Parallele Veröffentlichungen auf Portugiesisch, Baskisch, Kastilisch, Katalanisch, sowie 1995 auf Englisch. Zuerst auf Französisch verfasst (veröffentlicht Paris 1989) von dem aus der PCF ausgetretenen »Erneuerer« Pierre Juquin.
4 Vgl. Frieder Otto Wolf, Socialist Register 2006, dt. 2007: »Lehren aus dem grünen Parteibildungsprojekt«, in: Sozialistische Hefte 14, 16–27.
5 Vgl. Frieder Otto Wolf in ak – analyse & kritik – Zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 536 v. 20.2.2009.
6 Vgl. Frieder Otto Wolf, Judith Dellheim, Lutz Brangsch und Joachim Spangenberg, 2012: Den Krisen entkommen. Sozialökologische Transformation, Berlin.