Die industriell geprägte Stadt Hernani im spanischen Baskenland hat in den letzten Jahrzehnten eine Entwicklung durchlaufen, die typisch ist für viele kapitalistische Industrieländer: Ein wachsender Anteil hochaltriger Menschen bringt einen erhöhten Bedarf an Pflegedienstleistungen mit sich. Die vermehrte Integration weiblicher Arbeitskräfte in den Lohnarbeitsmarkt hat außerdem dazu geführt, dass es heute vor allem Migrantinnen aus Ländern der sogenannten Peripherie sind, die diese Pflegearbeiten – unter oft schwierigsten Bedingungen – verrichten. Auch in der 20 000 Einwohner*innen zählenden Gemeinde Hernani ist der Pflegesektor in den letzten Jahren erheblich gewachsen und durch Prekarität und Irregularität geprägt. Die meisten Personen, die hier arbeiten, sei es formal oder informell, sind Migrantinnen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus. 

Angesichts dieser Zustände riefen im Jahr 2020 einige Pflegekräfte der Stadt eine Genossenschaft ins Leben. In Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung schufen sie mit der Kooperative Maitelan eine institutionelle Form, um ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern, ihren Auf­enthaltsstatus zu regulieren und ihre Arbeit aufzuwerten. Es ist ein Beispiel für den lokalen Aufbau von feministischer Gegenmacht und der Ausweitung demokratischer Formen der Organisation von Sorgearbeit. Wie kam es dazu? 

Lokale Entwicklungsstrategie »Hernani Burujabe«[1]

In Hernani regiert seit 2011 das linke Parteienbündnis EH Bildu (Vereinigtes Baskenland). Es besteht aus drei Parteien: Batasuna, die zwischen 2003 und 2011 wegen ihrer Nähe zur links-separatistischen ETA verboten war und den institutionellen Arm der baskischen Befreiungsbewegung darstellt; Eusko Alkartasuna, die baskische Sozialdemokratie, und Alternatiba, eine Abspaltung der Kommunistischen Partei des Baskenlands. Hernani war und ist ein wichtiger Ort für die baskische Unabhängigkeits- und Arbeiter*innenbewegung. In den letzten Jahren war es außerdem ein wichtiger Ort feministischer Kämpfe. Dazu hat nicht zuletzt die Kulturarteko Plaza Feminista beigetragen – eine öffentliche Einrichtung, in der die Gleichstellungsabteilung der Stadtverwaltung angesiedelt ist, die aber auch von feministischen und antirassistischen Bewegungen gestaltet wird. 

Dank der linken Stadtverordnetenversammlung verfolgt die Abteilung für lokale Wirtschaftsentwicklung schon seit 2013 einen Entwicklungspfad, der auf den Prinzipien der Sozial- und Solidarwirtschaft basiert. Die etwa siebenjährige Zusammenarbeit mit politischen, wirtschaftlichen und sozialen Akteuren auf diesem Gebiet schuf die Voraussetzungen, um einen nächsten Schritt gehen zu können: ein Projekt, das eine Strategie zur Erreichung ökonomischer Autonomie mit dem expliziten Anspruch verbindet, den Rahmen kapitalistischer Regulation zu überschreiten. Wie genau ein solches Projekt aussehen könnte, ergab sich 2020, mitten in der Corona-Pandemie und im Lockdown. Hernani befand sich damals in einer Notlage: Von Tag zu Tag mehrten sich Anfragen von Bürger*innen an die Stadtverwaltung um Hilfe bei der Versorgung mit Lebensmitteln und Energie, beim Zugang zum Internet sowie bei der Pflege und Begleitung einsamer älterer Menschen. Einmal mehr wurde deutlich, dass weder die privaten Haushalte noch der Markt oder die öffentliche Verwaltung allein über die nötigen Kapazitäten verfügen, um die materiellen Voraussetzungen eines guten Lebens zu gewährleisten. Entsprechend dringlich war es, über ein neues Verhältnis von öffentlichen Institutionen, Ökonomie und Selbstorganisierung nachzudenken und mithilfe des Modells einer Public-Common-Partnership auf eine post-neoliberale Ordnung abzuzielen. 

Demokratisierung der Pflege in Hernani

Die Geschichte der Pflegegenossenschaft Maitelan begann also lange vor ihrer eigentlichen Gründung. Ihre Wurzeln sind neben der Solidarwirtschaft langjährige Anstrengungen von feministischer Seite, die Sorgearbeit in der Region zu demokratisieren. Zwischen 2016 und 2020 unterstützte die Abteilung für lokale Entwicklung der Stadt zu diesem Zweck ein feministisches Forum, das alle Gleichstellungsbeauftragten der Region sowie die antirassistische Bewegung von Hernani zusammenbrachte. In den Debatten wurde klar, dass die extreme Prekarität, unter der Arbeiterinnen in der häuslichen Pflege leiden, eines der drängendsten Probleme im Care-Bereich ist – ein Problem, das an der Schnittstelle von feministisch-anti-rassistischer Bewegung und lokalem Staat bearbeitet werden konnte und musste.

Ein Ergebnis war die Entscheidung der Stadtregierung von Hernani, in Zusammenarbeit mit AHMER[2] und dem Institut für Genossenschaftsrecht und Sozialwirtschaft GEZKI die Gründung einer gemeinnützigen Sozialgenossenschaft zu fördern, der vor allem migrantische Pflegearbeiterinnen angehören sollten. Die Gründung von Maitelan erfolgte Anfang 2020, einen Monat vor Ausbruch der Corona-Pandemie und somit in einer Situation, in der die Notwendigkeit, Sorgearbeit auf kommunaler Ebene anders zu organisieren, einmal mehr offensichtlich geworden war. Und sie reagierte auf eine dreifache Dringlichkeit: Erstens ging es darum, die Arbeitsbedingungen der migrantischen Pflegearbeiterinnen zu verbessern; zweitens darum, ihre Arbeit sichtbar zu machen und aufzuwerten; und drittens sollte mittels der Genossenschaft der Zugang der Care-Arbeiterinnen zu sozialen Rechten, einschließlich eines gesicherten Aufenthalts und einer Arbeitserlaubnis, dauerhaft garantiert werden. 

Arbeit, die das soziale Miteinander pflegt und verändert

Maitelan bietet in erster Linie häusliche Pflege und Reinigungsdienste an sowie eine Reihe weiterer Dienstleistungen wie Beratung, Krankenhausbegleitung oder Kinderbetreuung. Die Genossenschaft ist zum Beispiel an dem Projekt »Auzozaintza« beteiligt, das Angebote für ältere Menschen mit geringem Einkommen macht, die von Einsamkeit betroffen sind, darunter einen Besucherservice, in den auch die Nachbarschaft eingebunden ist. Es werden Veranstaltungen organisiert und so Räume für Begegnung geschaffen und die sozialen Netzwerke in den jeweiligen Wohngebieten gestärkt. Dieses Projekt wurde durch die Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung von Hernani und der Sozialgenossenschaft Zabalduz ermöglicht, deren Schwerpunkt als sozialer Träger unter anderem auf der Gemeinwesen- und Nachbarschaftsarbeit liegt.

Ein Modell demokratischer Governance

Das Genossenschaftsmodell von Maitelan umfasst sowohl arbeitende als auch nutzende und kooperierende Mitglieder. Zu Beginn bestand die Kooperative aus vier arbeitenden Genossinnen, vier nutzenden Genoss*innen, also Menschen, die auf Pflege angewiesen sind, und 20 kooperierenden Mitgliedern bzw. Projektpartner*innen. Inzwischen sind es neun arbeitende Genossinnen, neun Nutzer*innen und 51 Projektpartner*innen, darunter etwa 20 weitere Genossenschaften aus der Region. Im Jahr 2025 beschäftigt Maitelan insgesamt 16 Pflegekräfte, die allerdings (noch) nicht alle Mitglied der Genossenschaft sind. Die kooperierenden Mitglieder tragen zur Entwicklung von Maitelan insofern bei, als sie Aufgaben in den Bereichen Buchhaltung, Wirtschaft und Management, Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit übernehmen. Durch die enge Zusammenarbeit ist über die Zeit ein starkes regionales Netzwerk aus Einzelpersonen, Unternehmen und sozialen Akteuren entstanden, das sich kollektiv für eine Demokratisierung der Sorgearbeit einsetzt. 

Die Genossenschaftsstruktur ermöglicht außerdem eine demokratische Aushandlung im Inneren, da einerseits die Arbeiter*innen eine tragende Rolle spielen und gleichzeitig Nutzer*innen und andere gesellschaftliche Interessengruppen die Angebote und Aktivitäten der Kooperative mit beeinflussen können. Der Verwaltungsrat besteht aus drei Arbeiterinnen, einer Nutzer*in und einer Kooperationspartner*in. Er wird von der Generalversammlung gewählt, trifft strategische Entscheidungen und überwacht die Einhaltung der Genossenschaftsziele. Die wichtigsten Beschlüsse fällt allerdings die jährlich tagende Generalversammlung, in der jedes Mitglied der Genossenschaft eine Stimme hat und in der auch kontroverse Anliegen der Mitglieder zur Sprache kommen. Die Entscheidungs- und Führungsstrukturen sind somit in hohem Maße demokratisch. Damit ist die Kooperative auch ein Ort für kollektive Lernprozesse, was die Selbstorganisierung anbelangt. Da es sich um eine gemeinnützige Genossenschaft handelt, werden die wirtschaftlichen Gewinne nicht an Investoren ausgeschüttet, sondern vollständig reinvestiert, um das Projekt zu verbessern. Sie werden zum Ausbau der Angebote genutzt, für Weiterbildungen, eine Erhöhung der Löhne oder für die Anschaffung von Infrastruktur und Arbeitskleidung. Die soziale Mission hat so immer Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen.

Stabilität und Sorge für die Arbeiterinnen

Vom Genossenschaftsmodell profitieren vor allem die Arbeiterinnen. In einem Sektor, der von Prekarität, Instabilität und Vereinzelung geprägt ist, garantiert die Genossenschaft soziale Rechte, bietet Gemeinschaft und Anerkennung und trägt so zu mehr Selbstvertrauen und Sicherheit der Arbeiterinnen bei. Die Pflegerinnen verfügen über unbefristete Verträge und die Löhne liegen über dem in Spanien gültigen Tarifvertrag für Pflegekräfte im öffentlichen Dienst und werden jährlich angepasst. Außerdem haben sie die Möglichkeit, selbst Mitglied der Genossenschaft zu werden. Über Genossenschaftsanteile sind sie sowohl an den Entscheidungsprozessen als auch am Unternehmensvermögen beteiligt. Darüber hinaus versucht die Genossenschaft, Antworten auf die besonderen Herausforderungen der Pflege zu finden: Arbeitszeiten werden nicht wie in privatwirtschaftlichen Pflegediensten nach dem profitabelsten Takt organisiert, sondern entlang der Bedürfnisse von Arbeiterinnen und Nutzer*innen – das trägt zu größerer Zeitsouveränität bei. Die kollektive Struktur der Genossenschaft vermittelt darüber hinaus in dem stark asymmetrischen und nicht selten von missbräuchlichem Verhalten geprägten Verhältnis zwischen Arbeiterinnen und Nutzer*innen.

Nichtsdestotrotz bleibt die Pflege von Menschen physisch und psychisch herausfordernd. Deswegen hat die Genossenschaft im Jahr 2025 zwei neue Schulungsprogramme eingeführt, die zum Wohlbefinden ihrer Beschäftigten beitragen sollen. Das erste Programm zielt auf die psychologische Unterstützung der Pflegerinnen, bietet Supervision und emotionalen Beistand in herausfordernden Situationen, das andere zielt auf die körperliche Regeneration von der anstrengenden Arbeit in der häuslichen Pflege. Beide Programme schaffen einen geschützten Raum für aktives Zuhören, körperliche Aktivitäten und gegenseitige Fürsorge. In diesem Sinne ist die Prämisse der Genossenschaft klar: Nur wer selbst gut umsorgt ist, kann sich ernsthaft um andere kümmern.

Widersprüche, die bleiben

In den ersten anderthalb Jahren nach der Gründung gab es einen großen Aufschwung, nicht zuletzt durch Einrichtungen aus der Region, die als kooperierende Mitglieder der Genossenschaft beitraten und deren Ziele und Perspektiven stärkten. Es wurden »Stadtversammlungen« abgehalten, in denen Arbeitsgruppen zu den Themen Ausbildung häuslicher Pflegekräfte, Kommunikation, Unternehmensentwicklung und Selbstfürsorge gebildet wurden. All das gab dem Anliegen von Maitelan starken Rückhalt. Jedoch führte die Corona-Pandemie in Kombination mit einer noch unerfahrenen Geschäftsführung relativ bald zu wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Diese zwangen die Genossenschaft dazu, sich mehr auf die Kernaufgaben zu konzentrieren und weniger Zeit in die Organisation von Nachbarschaftsversammlungen und die Netzwerkarbeit zu investieren, obwohl gerade diese für das transformatorische Anliegen des Projekts von besonderem Wert waren. 

Eine weitere Herausforderung besteht darin, dass die Nutzer*innen sich weniger an der Genossenschaft beteiligen als erhofft. In der Regel wenden sie sich aufgrund eines akuten Pflegebedarfs an Maitelan und nicht etwa, weil sie ein übergeordnetes Interesse an dem Projekt haben. Die Situation der Pflegebedürftigkeit erschwert vielen Nutzer*innen und deren Familien die Teilhabe, weswegen der Anspruch, die Angebote auch in enger Abstimmung mit den zu Pflegenden zu entwickeln, teilweise unerfüllt bleibt. 

Jenseits der genannten Aspekte sind die Pflegearbeiterinnen mit weiteren gravierenden sozialen Herausforderungen konfrontiert. Der Care-Sektor ist und bleibt stark feminisiert und abgewertet. Da vor allem Migrantinnen in der Genossenschaft arbeiten, sehen sie sich fast täglich rassistischer und sexistischer Diskriminierung ausgesetzt, die ihre psychische Gesundheit beeinträchtigt. Beide Probleme können mit der Gründung einer Genossenschaft nicht wirklich behoben werden. 

Perspektive der Transformation

Auch wenn Pflegegenossenschaften allein die zahlreichen Herausforderungen, mit ­denen die Sorgearbeit in unserer Gesellschaft konfrontiert ist, nicht bewältigen ­können, so zeigt Maitelan doch, wie eine ­soziale und wirtschaftliche Transformation von Sorgearbeit sowie deren Demokratisierung schrittweise vorangetrieben werden können. Da die unternehmerischen Entscheidungen und Praktiken der Genossenschaft nicht auf Wertsteigerung und wirtschaftliche Rentabilität ausgerichtet sind, stellen sie zudem die vom Kapital auferlegten Spielregeln infrage.

Darüber hinaus befördern die autonome Organisation und Selbstverwaltung, bei der die Bedürfnisse der Arbeiterinnen im Mittelpunkt stehen, deren Emanzipation. In den von Maitelan initiierten Kämpfen um Sorgearbeit findet außerdem eine demokratische Aushandlung von Bedürfnissen statt, die elementar ist für andere ökonomische und Sorgeverhältnisse (vgl. Sauer in diesem Heft). Die bloße Existenz eines kollektiven, solidarischen Projekts, das maßgeblich von rassifizierten und migrantisierten Frauen getragen wird und die Bedürfnisse der Nutzer*innen ernst nimmt, kann in Zeiten vielfacher Krisen und eines globalen Aufstiegs rechter Kräfte die Hoffnung auf eine Alternative zur herrschenden Ordnung nähren. 

Durch ihre lokale Verankerung und aktive Förderung des sozialen Miteinanders baut die Genossenschaft ferner intensive Beziehungen zu den Nutzer*innen sowie zu sozialen Akteuren der Region auf. Auf diese Weise werden Netzwerke unterstützt, die keine wirtschaftlichen Ziele verfolgen, sondern auf die Sorgebedürfnisse der Menschen in der Region eingehen und den solidarischen Zusammenhalt stärken wollen. Aus dieser gefestigten Position heraus und dank der geknüpften Beziehungen können die am Projekt beteiligten Personen wiederum den gesellschaftlichen Einfluss des Genossenschaftsmodells und einer Solidar-ökonomie vergrößern.

Schlussfolgerungen 

Hernani ist es mithilfe der kommunalen Behörden gelungen, in einem historisch unsichtbar gemachten, aber für den Erhalt des Lebens hochgradig wichtigen Sektor menschenwürdigere Arbeitsbedingungen zu schaffen. Besonders hervorzuheben ist, dass damit auch die aufenthaltsrechtliche Absicherung der Arbeiterinnen auf lokaler Ebene gelungen ist – ein Anliegen, für das die transnationale Bewegung solidarischer Städte seit Jahren kämpft. Das Unterstützungsnetzwerk innerhalb wie außerhalb der Genossenschaft bietet darüber hinaus Rückhalt in Missbrauchssituationen.

So hat sich Maitelan trotz vieler Schwierigkeiten bei seiner Gründung in einem Sektor, der durch geringe Produktivität, hohe Arbeitsintensität, Schattenwirtschaft und Konkurrenz durch profitorientierte Unternehmen gekennzeichnet ist, als ein wirksames Instrument zur Verbesserung der Situation migrantischer Pflegekräfte erwiesen und einen Beitrag zur Demokratisierung der Wirtschaft geleistet. In diesem Sinne kann ­Maitelan ein Vorbild dafür sein, wie trotz Marktdominanz und der bescheidenen ­Größe des Projekts Räume für feministische und antirassistische Gegenmacht geschaffen, die Demokratisierung der Pflege vorangetrieben und Horizonte erschlossen werden können, bei denen gute Sorgebedingungen im Mittelpunkt des sozioökonomischen Systems stehen.


Aus dem Spanischen von Barbara Fried