Zunächst einmal handelt es hierbei um einen der wenigen Versuche, der Politik der Troika oder der europäischen Institutionen mit ihrem autoritären Austeritätskurs etwas entgegenzusetzen. Einig ist man sich auch in dem Ziel, dem Austeritätsregime der Rechten in Portugal ein Ende zu bereiten. Dies ist keine Linksregierung, nicht mal eine Mitte-links-Regierung – es geht hier nur um eine Tolerierung, aber um eine mit klaren Absprachen. Erfolgreiche Maßnahmen So ist vereinbart, dass die Politik der Privatisierungen beendet werden soll. Tatsächlich wurden die aktuellen Maßnahmen zur Privatisierung des öffentlichen Nahverkehrs in Lissabon und Porto gestoppt. Wasser ist zu öffentlichem Eigentum erklärt und so vor dem Ausverkauf geschützt worden. Im öffentlichen Dienst wurden Lohnkürzungen zurückgenommen. Im Privatsektor sollen die Nettolöhne durch eine Reduzierung der Sozialversicherungsbeiträge steigen, ohne dass dies negative Auswirkungen auf die spätere Rente oder die Nachhaltigkeit der Sozialversicherung hat. Scheinselbstständigkeit wird bekämpft, damit die Beschäftigten wieder richtige Arbeitsverträge erhalten. Kollektive Tarifverhandlungen sollen wieder eingeführt werden. Die Streichung von vier gesetzlichen Feiertagen durch die rechte Vorgängerregierung ist rückgängig gemacht worden. Um die Armut zu bekämpfen, ist der monatliche Mindestlohn zum 1. Januar 2017 auf 557 Euro erhöht worden, bis zum Ende der Legislaturperiode soll er auf 600 Euro steigen. Für arme Familien – und davon gibt es in Portugal inzwischen Millionen – hat man den Strompreis gesenkt. Zwangsräumungen infolge von Zahlungsverzug bei Hypothekenkrediten sollen nicht länger stattfinden. Die Renten unterhalb einer Höhe von 600 Euro sind leicht erhöht worden, während Renten über 600 Euro von Abgaben entlastet werden. Im Gegensatz dazu hatte die Vorgängerregierung der Troika noch versprochen, die staatlichen Sozialausgaben um vier Milliarden Euro zu kürzen, davon 1,6 Milliarden Euro bei den Renten. Zur Finanzierung der neuen Sozialpolitik sollen Vermögende stärker belastet werden. Die Einkommensteuer soll wieder progressiv gestaltet werden. Wer ein hohes Einkommen hat, soll anteilig mehr Steuern zahlen. Die Unternehmenssteuern sollen nicht weiter gesenkt, Gewinne aus Aktienbesitzt stärker besteuert werden. Das Problem der Auslandsschulden und die Zukunft der Sozialversicherung werden in gemeinsamen Arbeitsgruppen der drei Parteien beraten. Es handelt sich nicht um einen radikalen Bruch mit der bisherigen Politik, sondern um ein sanftes Ende der bisherigen Kürzungspolitik – wenn die Umsetzung gelingt. Vonseiten der neuen portugiesischen Regierung gibt es keine offene Solidarität mit der griechischen Syriza-Regierung. Still und leise wird versucht, die Austeritätsmaßnahmen im eigenen Land abzuschwächen, soziale Härten zu beenden und dennoch die Haushaltsziele nicht drastisch zu verfehlen. Es gab einige Drohungen und starken Druck der europäischen Institutionen, doch blieb eine Erzwingung der üblichen Kürzungs- und Liberalisierungmaßnahmen aus. Lediglich Privatisierungen – oder besser gesagt ein Ausverkauf – im krisengeschüttelten Bankensektor wurden durchgesetzt (vgl. hierzu ausführlicher das folgende Interview mit Mariana Mortagua). Zu vermuten ist, dass nach der Unterwerfung Griechenlands und in Zeiten des rückläufigen Zusammenhalts in Europa die europäischen Institutionen keine weitere Front eröffnen wollen.

Positive Umfragewerte

Für die Bevölkerung bedeutet dies, der Druck ist verringert, die Angst vor Jobverlust, Renten- und Gehaltskürzungen sowie dem Abbau sozialer Infrastrukturen hat abgenommen. Beschäftigte im öffentlichen Sektor und Rentner*innen haben etwas mehr Geld zu Verfügung, die Sparrate sinkt, der Konsum steigt. Auch die ärmeren Bevölkerungsgruppen werden stärker unterstützt. Das ist für viele Menschen spürbar. Dies schlägt sich auch in Umfragen nieder. Die Zustimmungswerte für die sozialistische Regierungspartei sind in Umfragen vom April 2017 auf 42 Prozent gestiegen. Die PS liegt damit 17 Punkte vor der rechtskonservativen PSD (24,6%). Aber auch die Umfragewerte für den Bloco de Esquerda und das grün-kommunistische Wahlbündnis um die Kommunistische Partei stiegen leicht auf 9,5 Prozent, respektive 7,6 Prozent. Die ultrarechte CDS-PP, ehemalige Regierungspartnerin der PSD, kam hingegen nur noch auf 4,8 Prozent.[i] Dies ist eine wichtige Zwischenbilanz: ein Signal, dass eine Tolerierung im 'Schatten der Regierung' nicht zu Stimmenverlusten für die radikale Linke führen muss.

Eigenständigkeit

Dies liegt auch daran, dass die Mindestbedingungen und Maßnahmen für die Tolerierung in einer klaren Vereinbarung festgehalten wurden, ähnlich wie in einem Koaltionsvertrag. Das ist nicht selbstverständlich. Anders als in einem Koalitionsvertrag ist die 'Koalitionsdisziplin' aber von vornherein eingeschränkt. Die radikale Linke muss sich nicht in Ministerial- und Verwaltungsapparaten verheddern, die sie nicht kontrollieren kann, hat keine Minister*innen, die das Wenige, das man erreicht hat, oder auch negative Entscheidungen und Rückschritte noch als Erfolg darstellen müssen. Stattdessen konzentriert sie sich auf die Ausarbeitung von vereinbarten Gesetzes- und Reforminitiativen im Parlament und auf die gesellschaftliche Debatte, ohne eine Unterordnung von Partei und Parlamentsfraktion unter die Regierungslogik. Die eigene Initiative wird dabei öffentlichkeitswirksam in Szene gesetzt (statt nur Vorschläge der Regierung zu diskutieren). Die Linksparteien können ihrer Aufgabe, einen grundlegenden Richtungswechsel einzufordern und zugleich über eine Tolerierung und wirksame Umsetzung konkreter Reformen das Bestmögliche für die Menschen herauszuholen, nachgehen und diese Rolle weiter ausbauen. Wenn notwendig, kann die radikale Linke gegen die Regierung stimmen. Das ist bereits vorgekommen angesichts des Umgangs der PS mit der Bankenkrise und der von ihr verfolgten Privatisierung (vgl. hierzu das Interview mit Mortagua). Dies zeigt, dass die 'Koalitionsdisziplin' bei einer Tolerierung nicht so streng ist wie bei einer formalen Regierungsbeteiligung. Die Linke muss nur jene Maßnahmen stützen, von denen sie überzeugt ist, andere nicht. Knackpunkte sind die Budgetentscheidungen, bei denen bisher aber immer eine Einigung erzielt werden konnte.

Unerledigtes

Das Angebot vom Bloco de Esquerda, eine Minderheitenregierung zu tolerieren, war zunächst nur taktisch gemeint, in der Erwartung, die Sozialistische Partei würde darauf nicht eingehen, so Catarina Príncipe (2017). Das heißt, die Tolerierung war keine strategisch ausgearbeitete Option. Dafür läuft es erstaunlich gut für die radikale Linke in Portugal. Aber es gibt beim Block keine Vorstellung, welche Form der Parteientwicklung – sei es national oder lokal – nun verfolgt werden soll. Damit zusammen hängt eine nicht wirklich geklärte Arbeitsteilung zwischen Parlamentsfraktion und Partei. Letztere wird als eigene Akteurin kaum wahrgenommen, während die Parlamentsfraktion, die jetzt voll und ganz mit Regierungsarbeit beschäftigt, gestärkt wurde. Der Block verfügt jedoch anders als die Kommunistische Partei nur über eine schwache Verankerung in den popularen Klassen, in den Kommunen oder in den Gewerkschaften. Die sozialen Bewegungen, mit denen er zum Teil enge Kontakte unterhält, sind in Portugal eher schwach. Dennoch ist keine übergreifende Strategie zur Verbindung, Verbreiterung und Verankerung entwickelt worden, obwohl die Bedingungen etwa zum Aufbau von Solidarstrukturen wie in Spanien und Griechenland durchaus gegeben wären. Die Parlamentsfraktion dominiert über die Partei, kann jedoch die von der mangelnden Verankerung herrührende „Verwundbarkeit“ (Príncipe) nicht ausgleichen – ein Grund für die schwankenden Ergebnisse des Blockes bei Wahlen in den letzten Jahren, während die PCP sich auf eine stabile Gruppe von Stammwähler*innen verlassen kann. Aufgrund des hastig vollzogenen Schritts hin zur Tolerierung ist auch der Austritt ungeklärt. Zwar gibt es die Möglichkeit, nicht jede Maßnahme der Regierung mittragen zu müssen, und diese Möglichkeit wird auch genutzt. Aber wann wäre der Punkt, die Tolerierung der PS-Regierung wieder aufzukündigen? Ab wann sagt man, diese Regierung können wir nicht länger mittragen? Dies ist eine schwierige Diskussion. Sicherlich ist dieser Punkt nicht eineindeutig zu benennen, doch sollte man auch nicht ganz ohne Debatte in eine solche durchaus vorstellbare Situation hineinstolpern. "Wir sollten deshalb versuchen, schon jetzt Haltelinien aufzuzeigen, bis zu denen eine Regierungsunterstützung denkbar wäre", forderten Carlos Carujo und Catarina Príncipe bereits im September 2016 (Carujo/Príncipe 2016). Mariana Mortagua, Abgeordnete des Bloco de Esquerda, beschreibt im folgenden Interview den Streit über die Rettung, die Verstaatlichung und dann wieder Privatisierung des Bankensektors. Hier werden staatliche Mittel in einer Höhe eingesetzt, die die Ausgaben für Soziales um ein Vielfaches übersteigen und zukünftig als harte Budgetrestriktionen zurückwirken werden. Wäre das also ein solcher Punkt? Sollte die Partei die Reißleine ziehen, wenn sich zeigt, dass diese Politik von der Regierung und den europäischen Institutionen immer weitergetrieben wird? Oder gäbe es dann immer noch ausreichend Spielraum für soziale Verbesserungen? Und schließlich hat sich die radikale Linke auch deswegen nicht direkt an der Regierung beteiligt, weil es jenseits der Rücknahme der härtesten Kürzungsmaßnahmen kaum gemeinsame Vorstellungen gibt, was die zukünftigen Entwicklungsperspektiven für das Land angeht. Die soziale Lage breiter Schichten der Bevölkerung konnte verbessert werden und dies hat auch zu einer konjunkturellen Erholung beigetragen. An der strukturellen Schwäche der portugiesischen Ökonomie hat sich aber kaum etwas geändert, es fehlt weiterhin an Investitionen (Príncipe 2017). Die Debatten über die Notwendigkeit einer veränderten strukturellen Basis der Ökonomie, über eine sozialökologische Industrie- und Dienstleistungspolitik oder über eine verallgemeinerte solidarische Ökonomie stehen noch ganz am Anfang. Die diesbezüglichen Differenzen zwischen dem Bloco de Esquerda und der Sozialistischen Partei, die weiterhin auf eine Integration des EU-Binnenmarktes setzt, sind enorm.

Und dennoch

Die Mobilisierungserfolge von Bernie Sanders in den USA und Jeremy Corbyn in Großbritannien lassen sich so nicht einfach in Kontinentaleuropa wiederholen, denn in beiden Fällen war es ein Mehrheitswahlsystem ohne ernstzunehmende parteipolitische Kraft von links, in dem es zu einer progressiven Erneuerung der Sozialdemokratie kam. Es ist fraglich, ob ein solcher Prozess in Ländern möglich wäre, in denen der Platz einer linken Sozialdemokratie von anderen Parteien streitig gemacht wird. Angesichts dessen ist der Weg einer vorsichtigen Erneuerung ohne Bruch, den die portugiesische PS gerade beschreitet, doch von Interesse für sozialdemokratische Kräfte in Europa, die ansonsten zwischen (selbstverschuldetem) Abstieg und Erneuerungsversprechen à la Martin Schulz nicht wissen, wie und in welche Richtung sie manövrieren soll. Die Sozialistische Partei in Portugal zeigt, wie eine sanfte Aufweichung des Austeritätskurses ohne wirklichen Richtungswechsel funktioniert, und zwar jenseits der Option einer ungeliebten Koalition mit der radikalen Linken (vgl. Brie/Candeias 2016).

Literatur

Brie, Michael/Candeias, Mario, 2016: Rückkehr der Hoffnung. Für eine offensive Doppelstrategie, in: LuXemburg Online, November 2016, www.zeitschrift-luxemburg.de/rueckkehr-der-hoffnung-fuer-eine-offensive-doppelstrategie/ Carujo, Carlos/Príncipe, Catarina, 2016: Verlockungen der sanften Austerität, in: LuXemburg/Jacobin 2/2016, 22–7, www.zeitschrift-luxemburg.de/verlockungen-der-sanften-austeritaet/ Príncipe, Catarina, 2017: Beyond government. The goods and bads of tolerating a soft-austerity government in Portugal, in: Candeias, Mario (Hg.), Tolerierung einer Anti-Austeritäts-Regierung in Portugal. Ein erfolgreiches Modell?, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Reihe Studien, Berlin (im Erscheinen)