Im April lud das Weiße Haus Expert*innen ein, um Wege zur Steigerung der Fertilitätsrate in den USA zu diskutieren. Damit traf die Bewegung von Pronatalist*innen, die sich seit Jahren formiert, im politischen Machtzentrum auf offene Ohren, unter anderem bei Vizepräsident JD Vance, Donald Trump und Elon Musk. Unter den Ideen: eine »National Medal of Motherhood« (»nationale Medaille für Mutterschaft«) für Mütter mit sechs oder mehr Kindern, die an das »Ehrenkreuz der Deutschen Mutter« aus dem Nazismus[1] erinnert.

Das Ziel der neuen US-amerikanischen Regierung: Es geht nicht nicht nur um den sogenannten Schutz ungeborenen Lebens, sondern um »mehr Babies«. Das ist keine Spekulation, sondern kommt vom Vizepräsidenten JD Vance persönlich[2], und damit ist er nicht alleine. Trump formuliert das in seinen gewohnt eigenen Worten: »I want a baby boom« (USA Today News). Erst kürzlich unterschrieb er eine Anordnung, die Fertilitätsbehandlungen anzukurbeln soll, mit der Begründung: »Because we want more babies, to put it very nicely.« Und in einem anderen Zusammenhang prahlte er: »You can call me the fertility president«[3].

Vor diesem Hintergrund warnt dieser Artikel davor, die zurecht vieldiskutierte Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen oder den Fall von Adriana Smith, die nach ihrem Tod ohne ihr Einverständnis ein Baby austragen musste, als alleinstehendes Phänomen oder vage als einen Ausdruck religiösen Fundamentalismus’ oder Frauenhasses zu verstehen. Eine materialistische Analyse zeigt: Schwangerschaftsabbrüche müssen auch im Kontext von Populationskontrolle verstanden werden als ein Mechanismus, mit kapitalistischen Widersprüchen umzugehen, der im Faschismus seine Extremform annimmt.

Analytischer Hintergrund: Zum Widerspruch zwischen Produktion und Reproduktion im Kapitalismus

Diskussionen um Schwangerschaftsabbrüche sollten kapitalismustheoretisch eingeordnet werden. Marx schrieb im ersten Band des Kapitals (S. 512 der MEGA Ausgabe von 1991): 

»Die beständige Erhaltung und Reproduktion der Arbeiterklasse bleibt beständige Bedingung für die Reproduktion des Kapitals. Der Kapitalist kann ihre Erfüllung getrost dem Selbsterhaltungs- und Fortpflanzungstrieb der Arbeiter überlassen.«

Dieser Befund scheint widerlegt. Zwar erkannte Marx zutreffend, dass das kapitalistische System von der Reproduktion der Arbeiter*innenklasse abhängig ist. Doch er irrte in seiner Annahme, dass diese Reproduktion ein Selbstläufer sei – getragen allein vom Selbsterhaltungstrieb der Lohnabhängigen. 

Historisch gesehen kriselte es nämlich immer wieder dabei, den kapitalistischen Durst nach willigen Arbeiter*innen und Wehrpflichtigen zu erfüllen. So auch heute: In den kapitalistischen Zentren sind die Fertilitätsraten unter das sogenannte »Bestandserhaltungsniveau« gesunken. Eine Ausnahme bildet Israel, das schon lange eine dezidiert pronatalistische Politik im Kontext der Siedlungspolitik verfolgt. Alle übrigen OECD Staaten schreiben hingegen seit den 1980er Jahren rote Zahlen, wenn es ums Kinderkriegen geht. 

Die Gründe für Geburtenrückgänge sind hochkomplex, können aber zumindest teilweise als logische Konsequenz eines dem Kapitalismus inhärenten Widerspruchs gesehen werden. Paul Cammack drückt dies in einem Wortspiel mit der in der Marxistischen Ökonomiekritik wichtigen Annahme einer »Tendenz des Falls der Profitrate« aus. Er geht von einer »Tendenz des Falls der Fertilitätsrate« im Kapitalismus aus. Warum? Unter anderem, weil es einen Widerspruch zwischen massiver Wertschöpfung und Ausbeutung der Arbeiter*innen auf der einen Seite und einer Notwendigkeit der (Re-)Produktion einer gesunden, gebildeten Arbeiter*innenklasse auf der anderen Seite gibt. 

»Pronatalismus war in faschistischen und autoritären Regimen des 20. Jahrhunderts ein zentrales Element und darf daher kein blinder Fleck in Analysen gegenwärtiger Faschisierungsprozesse bleiben.«

Im Alltag äußert sich dieser kapitalistische Widerspruch zwischen Produktion und Reproduktion in für viele für uns spürbaren Entwicklungen: Während einige unserer Väter oder Opas noch mit einem Gehalt eine ganze Familie versorgen konnten, ist es heutzutage kaum mehr vorstellbar, steigende Mieten und Lebenshaltungskosten einer Familie von einem einzigen Gehalt zu stemmen. Auch haben immer weniger von uns unbefristete Arbeitsverträge. Dies geht nicht nur mit einem Verlust von Planungssicherheit einher, sondern minimiert auch bezahlte Elternzeit. Zusammengefasst: Durch den Abbau des Wohlfahrtsstaats, zunehmend prekäre Jobs und Wohn- und Lebenshaltungskrisen seit den 1970ern (»Neoliberalismus«) wird es für immer mehr Menschen in den sogenannten »entwickelten Ländern« ein Risiko, Kinder zu bekommen. Zusammen mit anderen Gründen, wie zum Beispiel sich wandelnden Geschlechterrollen und der Verbreitung hormoneller Verhütungsmethoden, führte dies seit den 1980er Jahren zu einem globalen Geburtenrückgang, der sich besonders stark in den post-industriellen Ländern des Globalen Nordens abzeichnet. 

Aus diesem Widerspruch heraus – die kapitalistische Wertschöpfung untergräbt die Bedingungen zur Reproduktion von Mensch und Natur, ist aber zugleich von ihr abhängig –  entstehen im Kapitalismus nicht nur wiederkehrende ökonomische Krisen, sondern auch Reproduktionskrisen. Dabei umfasst die viel kommentierte »Care-Krise«, wie sie Emma Dowling und Nancy Fraser diagnostizieren, auch eine »Fertilitätskrise«. 

Die Reproduktion des Kapitalismus ist abhängig vom Nachwuchs: »Falling birth rates keep me up at night.« (Elon Musk)

Und so schlägt heute in den USA (und anderen Ländern) das Militär zusammen mit dem Tech-Großkapital und den politischen Eliten Alarm. Der frühere Google-CEO und vielfache Milliardär Eric Schmidt sagt zum Beispiel: »We are not having enough children… all the demographics say there’s going to be a shortage of humans for jobs. Literally too many jobs and not enough people.« (CNN, 25.6.2024) Ebenso über den Mangel an Arbeiter*innen besorgt, malt Malcolm Collins, Investor, der zusammen mit seiner Frau Simone Collins für sein pronatalistisches Engagement bekannt wurde, ein Bild verhungender alter Menschen: »There are going to be countries of old people starving to death.« (The Guardian 25.5.2024) Des Weiteren propagiert Elon Musk, dass ein Populationskollaps bedrohlicher sei als die Klimakrise. Auch aus dem Militär mehren sich Stimmen, die mit Sorge darüber berichten, dass bei sinkenden Fertilitätsraten die Rekrutierung junger williger Soldat*innen schwerer werden wird. Mit solchen Sorgen bezüglich der »Produktion« von Arbeiter*innen und Soldat*innen sind die Eliten der USA nicht alleine. Mit Bezug auf den Diskurs in Deutschland warnt beispielsweise die Berliner Zeitung im August 2025, dass die niedrige Geburtenrate in Korea »massive Folgen« für den Arbeitsmarkt, das Sozialsystem und die »Verteidigungsfähigkeit« habe.« (Berliner Zeitung, 11.8.2025) In anderen Worten: Die vielfach attestierte Reproduktionskrise ist nicht nur »unsere Krise«, sie wird auch von Teilen der herrschenden Klasse als solche gedeutet. 

Relevant ist hier, dass es unterschiedliche Antworten auf fallende Geburtenraten geben kann. Neoliberale Vorschläge beinhalten beispielsweise den Mangel an Arbeits- und Pflegekräften durch Tech-Fixes, längere Arbeitszeiten und Migrationsregime auszugleichen und Reproduktionstechnologien werden als Lösung für sinkende Fertilitätsraten gesehen. Dabei ist allerdings zu vermuten, dass ein Großteil der Neoliberalen zumindest systemstabilisierende Jobs – Justiz, Lehrer*innen, Polizei, Soldat*innen – aus der eigenen Bevölkerung (die unterschiedlich definiert werden kann) heraus besetzen möchte. Das konservative bis rechte Camp lehnt neoliberale Lösungen entweder ganz ab oder kombiniert sie mit einem Pronatalismus gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen, der auf Antifeminismus, der Retraditionalisierung von Familie- und Geschlechterrollen und der Kriminalisierung reproduktiver Körper und deren Autonomie fußt. Dementsprechend lohnt es, den Aspekt der Bevölkerungskontrolle zu eruieren, als auch einen Blick in den historischen Nazismus in Europa zu werfen, um Analysen einer möglichen Faschisierung um den Aspekt des »selektiven Pronatalismus«, wie wir ihn nennen werden, zu ergänzen.

Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und Bevölkerungskontrolle: »Valuing life can also be good economics« (Matt Schlapp, früherer G. W. Bush Berater)

Historisch gesehen wurden Schwangerschaftsabbrüche wiederholt dann restriktiv(er) gehandhabt, wenn die Geburtenrate angekurbelt werden sollte. So zum Beispiel in der Sowjetunion unter Stalin: 1920 war das sowjetische Russland nach der Revolution noch das erste Land, welches Abbrüche legalisierte (APuZ, 18.8.2017). In den 1930er Jahren begannen Eliten sich dann über sinkende Geburtenraten zu sorgen, und 1936 proklamierte Stalin, dass Kinderkriegen keine private Entscheidung sei, sondern eine von großer sozialer Bedeutung (vgl. Siegelbaum) – und untersagte Abbrüche.

Mit Blick auf Deutschland kommentiert Dirk von Behren, der in seinem Buch Die Geschichte des §218 StGB (2004) den Artikel §218, der in Deutschland ab 1871 und bis heute den Schwangerschaftsabbruch im Strafgesetzbuch positioniert, beispielsweise, dass die Maximen des Schutzes und der Unantastbarkeit des »ungeborenen Lebens« häufig »nur als Vorwände für bevölkerungspolitische Nützlichkeitskriterien« (Behren 2020, 13f.) dienen. So orientierte sich auch §218 an einem Vorläufer aus Bayern, dessen Hauptverfasser Paul Johann Feuerbach 1820 den Aspekt der Bevölkerungspolitik explizit nannte:

»Auch der Embryo ist ein Mensch, und wenngleich der Staat nicht verpflichtet ist, ihn zu schützen, so ist er doch berechtigt, sich in ihm einen künftigen Bürger zu erhalten.« (Feuerbach 1820, 350)  

Derya Binışık (2021) hat herausgearbeitet, dass sich dieser Argumentationsstrang bis heute in Deutschland durchzieht. Auch in den USA finden wir ähnliche Kommentare. Beispielsweise warf Mike Johnson, der Vorsitzende des Repräsentantenhauses der Vereinigten Staaten im Mai 2022 ein, dass Schwangerschaftsabbrüche der nationalen Wirtschaft »able-bodied workers« entziehe (Reuters, 15.11.2023). Auch im Kontext der rechten Verschwörungstheorie eines »Great Replacement« kommt das Thema der Schwangerschaftsabbrüche auf. So sprach Matt Schlapp, früherer Berater von George W. Bush, auf der Conservative Political Action Conference in Budapest 2022 davon, dass Schwangerschaftsabbrüche ein Problem seien und betrachtet dabei das Urteil betr. den Fall Dobbs v. Jackson (welches 2022 Roe vs Wade zum Fall brachte) als einen »angemessenen ersten Schritt« (Independent, 20.5.2022). Seine Argumentation ist dabei ein Paradebeispiel dafür, dass es sich bei rechten Narrativen zu Schwangerschaftsabbrüchen nicht lediglich um ein »Überbau-Phänomen« handelt. Vielmehr verschränkt sich seine rechte Ideologie eng mit wirtschaftlichen Interessen: So spricht er davon, dass Schwangerschaftsabbrüche der Wirtschaft Arbeitskräfte entziehen würden und dass sinkende Geburtsraten ein Problem für »free economies« seien.

Dabei ist Pronatalismus meist selektiv: Abhängig von den Bedürfnissen der nationalen Wirtschaft und ideologischen Komponenten werden bestimmte Bevölkerungsgruppen dazu angehalten sich zu reproduzieren, während andere (mitunter gewaltvoll) davon abgehalten werden. Deshalb schlage ich den Begriff des »selektiven Pronatalismus« vor, der über den Begriff der Eugenik hinausgeht, da er sich nicht zwangsläufig auf Genetik bezieht, sondern beispielsweise auch auf Beamte, Akademiker*innern oder Hochverdiener*innen abzielen kann.

»Selektiver Pronatalismus« als rechte »Pseudo-Lösung«?

In Marxistischen Analysen wird Faschismus gemeinhin als Antwort auf kapitalistische Krisen und/oder Widerstand gesehen. So sprach Clara Zetkin beispielsweise 1923 auf der kommunistischen Internationale davon, dass »der Faschismus […] ein Ausfluß der Zerrüttung und des Zerfalls der kapitalistischen Wirtschaft und ein Symptom der Auflösung des bürgerlichen Staates ist.« (Zetkin1923) Dabei wird die Gewalt, die das System stützt, ideologisch durchgesetzt. So bemerkte Georgi Dimitroff 1935 »Die imperialistischen Kreise suchen die ganze Last der Krise auf die Schultern der Werktätigen abzuwälzen. Dazu brauchen sie den Faschismus.« (Dimitroff 1935) Ähnlich, wenn auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten, verstanden auch andere Marxist*innen wie Leo Trotzki, Nicos Poulantzas, Ernst Mandel, Enzo Traverso, Angela Y. Davis und George Jackson Faschismus als Antwort auf kapitalistische Krisen. Letzterer schrieb in einer Notiz vom 21.6.1971 im Gefängnis, dass Faschismus als »an obvious extension of capitalism, a higher form of the old struggle – capitalism versus socialism« zu verstehen sei. 

Faschismus kann also als eine besondere Form der Bearbeitung einer kapitalistischen Krisensituation verstanden werden, wobei Widerstand systematisch niedergeschlagen wird. In anderen Worten: Es werden »Pseudo-Lösungen« für Probleme im Kapitalismus durchgesetzt.

Bisher beziehen sich solche Argumente meist auf ökonomische Krisen. Hier stelle ich zur Diskussion, dass auch Krisen des reproduktiven Regimes eine Rolle spielen – wie ein Blick in den historischen europäischen Faschismus hier verdeutlichen soll.

Historische Rückschau: »[Es] muss [..] selbstverständlich sein, dass wir Kinder bekommen.« (Heinrich Himmler, Posen-Rede 1943)

Ähnlich wie heute waren auch die Jahre vor dem Nationalsozialismus in Europa durch einen Geburtenrückgang gezeichnet – von 4 Kindern pro Frau in den Nuller Jahren des 20. Jahrhundert auf 1,7 im Jahr 1933. Der erste Weltkrieg bedeutete außerdem, dass das Bevölkerungswachstum des sogenannten »ersten demographischen Übergangs« seit den 1850er Jahren (welches durch geringere Kindersterblichkeit und höhere Lebenserwartung zustande gekommen war) ausgebremst wurde (Bujard 2022). Die Wirtschaftskrise von 1929 wurde also auch durch eine vermeintliche Krise des Reproduktionsregimes begleitet. Dementsprechend war auch damals die Geburtenrate politisches Thema: Nationalistische und militaristische Kräfte sorgten sich um den Mangel an Arbeitskräften und Wehrfähigen und suchten die Schuld des Geburtenrückgangs unter anderem in der Frauenemanzipation. Beispielsweise sahen Erzkonservative Eugeniker wie Max Gruber im Feminismus den »Völkertod« (Neumann 2023).

In Italien setzte Mussolini 1927 dann zum »Kampf um die Geburt« (»Battaglia per la Nascita«) an – eine Kampagne, die sich mit verschiedenen Maßnahmen, darunter dem Bann von Verhütungsmitteln und Schwangerschaftsabbrüchen – dem Ziel widmete, die Geburtenrate anzukurbeln. Auch bei Hitler ist selektiver Pronatalismus von Beginn an Kern seines Projekts gewesen und dementsprechend auch schon in seinem Manifest Mein Kampf ausgeführt. Als Teil der rassistischen Bevölkerungspolitik wurden einerseits Vernichtung und Zwangssterilisationen durchgeführt. Gleichzeitig bekamen »arische« Familien ab 1935 die sogenannte Kinderbeihilfe, die im Kontext der Kriegsvorbereitungen 1938 noch einmal erhöht wurde.[4] In demselben Jahr wurde auch das sogenannte »Ehrenkreuz der Mutter« für Frauen ab 4 Kindern eingeführt (DHM) und das Ehegesetz dahingehend verändert, dass die Verweigerung, Kinder zu zeugen (nicht aber Vergewaltigung), als Scheidungsgrund geltend gemacht werden konnte.[5]

Dass die anti-emanzipatorische Familienpolitik im NS dabei nicht (nur) einer ideologisch-inhärenten sexistischen Disposition Frauen gegenüber entsprang, sondern eine funktionale Rolle – u.a. zur Ankurbelung der Geburtenrate – erfüllte, verdeutlicht sich daran, wie flexibel sie bei Bedarf aufgelöst wurde. So wurden deutsche Soldaten explizit ermutigt, an der Front uneheliche Kinder zu zeugen. Um diese Kinder in das Deutsche Reich zu bringen (also den Müttern zu entwenden), wurden eigens dafür bestimmte Entbindungs- und Kinderheime in Belgien, Frankreich, Luxemburg und Norwegen errichtet

Es sollte also nicht der Eindruck entstehen, dass Faschisierung mit einer ideologisch-stringenten Familienpolitik einhergeht. Vielmehr sollten wir wachsam gegenüber den materiell artikulierten Bedürfnissen von Großmachtfantasien sein. 

Bei der nationalsozialistischen Ankurbelung der Fertilitätsrate spielte auch das Thema der Schwangerschaftsabbrüche eine Rolle und verdeutlicht noch einmal, wie funktional die Institution der traditionellen Familie eingesetzt wurde, um dem Durst nach Arbeiter*innen, Soldat*innen und Siedler*innen[6] nachzukommen. Schwangerschaftsabbrüche von »arischen« Frauen wurden mit der Todesstrafe geahndet (Behren 2019). Die bevölkerungspolitische Motivation dahinter wurde durch die Überführung des Abbruchs als Tötungsdelikt hin zum neuen Abschnitt »Angriffe aus Rasse und Erbgut« deutlich (Binışık 2022). Die SS-Elite erkannte schließlich, dass unverheiratete Frauen Schwangerschaftsabbrüche vornahmen, um der sozialen Diffamierung durch ein außereheliches Kind zu entgehen. Im Rahmen der Kriegsvorbereitungen 1935 entschied die SS-Elite, allen voran Heinrich Himmler, den Bedarf an Kindern anstelle der ehelichen Familie zu priorisieren. So wurde innerhalb des SS der »Lebensborn e.V.« ins Leben gerufen, der in Deutschland und Österreich Schwangerschaften »arischer« Frauen unter Geheimhaltung begleitete und die Kinder unter die Vormundschaft der SS stellte (Lilienthal 2020).

Den Blick für Pronatalismus im Faschismus schärfen

Zusammenfassend war Pronatalismus in faschistischen und autoritären Regimen des 20. Jahrhunderts ein zentrales Element und darf daher kein blinder Fleck in Analysen gegenwärtiger Faschisierungsprozesse bleiben. 

Abschließend stellt sich deshalb die Frage, wie wir über Pronatalismus und Faschismus nachdenken können. Da Pronatalismus nicht mit Faschismus gleichgesetzt werden kann, schlägt dieser Artikel drei Merkmale – die offen zur Diskussion gestellt werden – vor, die auf eine Faschisierung hinweisen können.


Im Faschismus, so die zur Diskussion gestellte Annahme, wird Pronatalismus 


1) selektiv eingesetzt – er beschränkt sich dezidiert auf die Geburt von bestimmten Menschen. Während sich selektiver Pronatalismus nicht zwangsläufig auf (vermeintliche) Genetik bezieht, sondern beispielsweise auf kulturelles oder soziales Kapital, bezieht sich faschistischer Pronatalismus auf bestimmte (vermeintliche) genetische Merkmale, und stützt sich dementsprechend auf eugenische Annahmen.


2) durch anti-emanzipatorische Modelle von Familie und Geschlechterrollen ideologisch flankiert und gesellschaftlich verankert, die allerdings flexibel einsetzt werden. 


3) durch Kriminalisierung und Terror durchgesetzt.


Zurecht werden Leser*innen direkt Beispiele aus dem heutigen Deutschland einfallen, wie z.B. die Zwangssterilisierung von Trans*menschen bei Namensänderungen bis 2011 oder das bis heute nach Einkommen gestaffelte Kindergeld (siehe für reproduktiven Terror in den USA z.B. Dorothy Roberts‘ Killing the Black Body). Dabei ist Angela Y. Davis´ Einwurf hilfreich, dass wir faschistische Methoden nicht mit dem Faschismus gleichsetzen dürfen. Damit meint sie, wie auch beispielsweise George Jackson, dass faschistische Methoden dem Kapitalismus inhärent sind, der Faschismus aber eine weitere Dimension des Kapitalismus darstellt. 

Pronatalismus – kein »Frauenthema«

Weil Pronatalismus – wie auch andere Themen, die fälschlicherweise als »Frauenthemen« bezeichnet werden – in Analysen zu Faschismus selten genannt wird, plädiert dieser Artikel dafür, Bevölkerungspolitik, und damit auch Schwangerschaftsabbrüche, als ein zentrales Element aufzunehmen. Dabei ist zu betonen, dass die Brutalität eines selektiven, faschistischen Pronatalismus kaum zu übertreiben ist. Beispiele dafür sind nicht nur das Gedenken an diejenigen, deren Leben im NS verhindert und vernichtet wurde – in diesem Kontext ist all der Menschen zu gedenken, die ihr Leben verloren haben, nie leben durften oder zwangssterilisiert wurden. Dazu gehören auch die oben genannten Lebensborn-Kinder, von denen diejenigen ermordet wurden, die nicht den SS-Vorstellungen entsprachen. Es ist auch der gestohlenen Kinder aus dem damaligen Jugoslawien, der Tschechoslowakei und aus Norwegen zu gedenken, die Opfer der mit den Großmachtfantasien verbundenen Pläne, die eigene Bevölkerung zu vergrößern, wurden (Lilienthal 2020).

Vor diesem Hintergrund gilt es, auch Debatten um eine mögliche Faschisierung in den USA (und anderen Ländern) um den Aspekt der Bevölkerungspolitik zu erweitern.  Wie Jan Rehmann kürzlich hilfreich in der LuXemburg diskutiert hat, dürfen wir den Faschismusbegriff weder inflationär verwenden, noch dem Fehler verfallen, Faschismus nur dort zu erkennen, wo er der Extremform des deutschen Nazismus entspricht. Entscheidend ist dabei, dass das heutige Erscheinungsbild »nicht mehr von einem nachholenden Fordismus, sondern vom High-Tech Kapitalismus geprägt« (ebd.) wird. Dieser High-Tech Kapitalismus ist, so habe ich in diesem Artikel versucht zu argumentieren, nicht nur zunehmend mit Militär und konservativen bis rechten Gruppen verbandelt. Er ist auch mit Fertilitätspolitiken verwoben. Dies äußert sich sowohl in den oben skizzierten Sorgen mancher Tech-Eliten bezüglich eines ›Populationskollapses‹ und in einem pronatalistischen Diskurs, als auch darin, wohin Geld investiert wird. Ein Beispiel ist Elon Musk, der sein Geld in Forschungen steckt, die Fertilität ankurbeln sollen. Dazu gehört die neue »Population Wellbeing Initiative« in Texas. Auch das »Future of Humanity Institute« an der Universität Oxford erhielt 2015 Spenden von ihm – ein Institut, dessen Mitgründer Nick Bostrom 2014 explizit dafür plädierte, dass Selektion von Erbmaterial im Kontext von Fertilitätsbehandlungen wie IVF ethisch vertretbar, wenn nicht gar angesagt sei und zwar auch aus ökonomischen Gründen (Shulman/Bostrom 2014). Auch zu Peter Thiels Investments gehören u.a. die Firma Orchid, welche sich auf Embryo-Screening spezialisiert und Kund*innen direkt auffordert: »Have Healthy Babies«. 


Gedanken und Argumente sind selten das Resultat einer einzelnen Person. In diesem Sinne soll hier einem losen Zusammenhang von Jenaer Marxist*innen Dank für Diskussionen, Anregungen und Solidarität ausgesprochen werden.

[1] Ich nutze diesen Begriff um der dezidiert irreführenden Selbstbeschreibung »Nationalsozialismus« keinen Raum zu geben.

[2] 24.1.2025, Washington D.C.; In seiner Rede beim sogenannten »March for Life« im Januar sagte er: »so let me say very simply: I want more babies in the United States of America«. Video: https://marchforlife.org/i-want-more-babies-jd-vance-says-at-the-march-for-life/?utm_.

[3] March 26th, 2025, White House event.

[4] Für genauere Zahlen siehe zum Beispiel https://www.deutschlandfunkkultur.de/familienpolitik-es-begann-mit-25-dm-pro-kind-100.html.

[5] Der Scheidungsgrund »Verweigerung der Fortpflanzung« war übrigens in Österreich (welches in das nationalsozialistische Gesetz eingegliedert war) bis 1999 gültig. Bis zum 31.12.1999 galt noch die Bestimmung des § 48 EheG (Verweigerung der Fortpflanzung) im Gesetz – beinahe so lange, wie Vergewaltigung in der Ehe kein Offizialdelikt war, nämlich bis 2004.

[6] Siehe z.B. Heinrich Himmlers Posen-Rede von 1943, wo es explizit um die Geburtenrate im Kontext der Siedlungspolitik geht: »Wenn der Friede endgültig ist, dann werden wir fähig sein, an unsere große Zukunftsarbeit zu gehen. Wir werden siedeln. Wir werden die Ordensgesetze der SS den Jungen anerziehen. Ich halte es für das Leben unserer Völker für unumgänglich nötig, dass wir die Begriffe Ahnen, Enkel und Zukunft nicht nur von aussen beibringen, sondern als Teil unseres Wesens empfinden. Ohne, dass darüber gesprochen wird, ohne, dass wir mit Prämien oder ähnlichen materiellen Dingen zu operieren brauchen, muss es selbstverständlich sein, dass wir Kinder bekommen. Es muss selbstverständlich sein, dass aus diesem Orden, aus dieser rassischen Oberschicht des germanischen Volkes die zahlreichste Nachzucht hervorgeht. Wir müssen in 20 bis 30 Jahren wirklich die Führungsschicht für ganz Europa stellen können. Wenn die SS zusammen mit den Bauern, wir zusammen mit unserem Freund Backe dann die Siedlung im Osten betreiben, großzügig, ohne jede Hemmung, ohne jedes Fragen nach irgendwelchem Althergebrachten, mit Schwung und revolutionärem Drang, dann werden wir in 20 Jahren die Volkstumsgrenze um 500 Kilometer nach Osten herausschieben.« (ebd.)

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