Gefährliche Zeiten sind angebrochen. Nicht nur an den Außengrenzen Europas, sondern im gesamten »Westen« schreitet der Abbau demokratischer und sozialer Errungenschaften voran. Auch in Deutschland stehen wir vor einer autoritären Wende. Teile der Union nehmen eine fortschreitende Faschisierung in Kauf. Wie aber kann ein progressives Gegenprojekt aussehen, das eine Migrations- und Klassenpolitik der Vielen mit einer erfolgreichen antifaschistischen Mobilisierung verbindet? Der überraschende Wahlerfolg der Linkspartei bietet hierfür Anknüpfungspunkte. In ihm scheinen ein politisches Begehren und Erwartungen an die Linke auf, die nicht enttäuscht werden sollten. Vor allem die Selbstorganisationen von Geflüchteten und Migrant*innen sowie alle anderen, die am demokratischen Teilhabeversprechen festhalten, suchen nach Schulterschlüssen sowie der Organisierung belastbarer Solidarität.

Migrationsabwehr als Kern des autoritären Umbaus

Am 29. Januar 2025 versammelten sich nach der Abstimmung über den sogenannten Fünf-Punkte-Plan der Union vor dem Konrad-Adenauer-Haus in Berlin und in vielen weiteren Städten Demonstrant*innen aus verschiedensten zivilgesellschaftlichen Organisationen. Sie protestierten gegen den politischen »Dammbruch« von Merz & Co., der darin bestand, aus Wahlkampfkalkül mit den Stimmen der AfD einen Entschließungsantrag zur Verschärfung des Asyl- und Aufenthaltsrechts durchs Parlament zu peitschen. Die Union fordert schon länger eine neue Härte in der Migrationspolitik, die im Innern und an den Außengrenzen zu noch mehr offener Gewaltanwendung gegen Schutzsuchende und gegen hier lebende Migrant*innen führen wird. Bereits 2024 hatten Bundesbehörden und unabhängige Monitoring-Stellen mit 1 143 rechtsextremen Gewalttaten einen Rekordwert registriert.[1] Zwar haben es Forderungen wie Asylverfahren nur noch in Drittstaaten außerhalb der EU durchzuführen nicht in den Koalitionsvertrag geschafft, dafür aber Zu­rück­wei­sun­gen an den deut­schen Gren­zen, be­schränk­ter Rechts­schutz für Asylsuchende, erweiterte Rückführungen, leichtere Inhaftierungen, die Abschaffung von Landesaufnahmeprogrammen, die Aussetzung der Familienzusammenführung oder Abschreckungsmaßnahmen wie die Bezahlkarte.

Damit wurde der »autoritäre Kipppunkt« in der Migrations- und Asylpolitik (vgl. Mullis u. a. 2023) überschritten: Migrationsabwehr und eine entsprechende Law-and-Order-Politik werden zum Kern des autoritären Umbaus von Staat, Politik und Gesellschaft. Dazu gehört, dass Menschen- und Bürgerrechte sowie EU-Recht als Grundlagen der Migrations- und Asylpolitik zunehmend offen infrage gestellt werden und immer öfter gegen sie verstoßen wird. Das folgt der Logik, demokratische Grundsätze in der Migrationspolitik als untragbare demokratische Zumutungen darzustellen, um weiterhin Rechtsabbau vorantreiben zu können. Migrationsabwehr und Rassismus sind in diesem autoritären Projekt nicht nur ein »Nebenwiderspruch«, sondern zentraler Hebel (vgl. Perinelli 2025; Becker 2024). Rechten und Konservativen ist es gelungen, Ängste und materielle Nöte in der Bevölkerung, die zum großen Teil Ergebnisse von neoliberaler Wirtschafts- und Krisenpolitik sind, in einem verbindenden autoritären Narrativ aufzugreifen und gegen das Projekt einer demokratischen und solidarischen (Migrations-)Gesellschaft in Stellung zu bringen (vgl. Demirović 2018). Sie verschieben damit das Terrain für die politische Bearbeitung von Unsicherheits- und Prekarisierungserfahrungen und setzen gezielt auf Spaltung und Entsolidarisierung. So wird aus dem Mangel an bezahlbarem Wohnraum das Narrativ »Wir haben keinen Platz!« bzw. die Kommunen seien überfordert. Nicht die verfehlte Wohnungspolitik wird für den Mangel verantwortlich gemacht, sondern vulnerable Gruppen, die aufgrund von Diskriminierung ohnehin keinen gleichberechtigten Zugang zu Wohnraum haben.  Die Erzählung von der »überforderten« Gesellschaft trägt zudem zu einer Ethnisierung sozialer Probleme bei, die tatsächlich dringend einer Antwort bedürfen. Hinzu kommt das wirkmächtige Narrativ der »Migration als Sicherheitsbedrohung«, das inzwischen selbst von Teilen der Grünen aufgegriffen wird.

Vorauseilender Gehorsam 

Zusammen mit FDP und SPD haben die Grünen Flüchtlings- und Diskriminierungsschutz zugunsten einer Law-and-Order-Politik über Bord ihres sinkenden Schiffes, dem scheiternden liberal-grünen Modernisierungsprojekt, geworfen. Nur wenige Wochen nach der Correctiv-Veröffentlichung zu den völkischen Abschiebeplänen der AfD Anfang 2024 wurden auf EU-Ebene massive migrationspolitische Verschärfungen, die sogenannte Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS), beschlossen. Zuvor hatte der Bundestag im Januar 2024 das »Rückführungsverbesserungsgesetz« verabschiedet, das mehr Abschiebungen von Ausreisepflichtigen und Menschen ohne Bleiberecht, die Ausweitung des Ausreisegewahrsams und erweiterte Durchsuchungsmöglichkeiten der Polizei zum Zweck der Abschiebung zum Ziel hat. Auch dieses Gesetz ist ein weiterer Schritt in Richtung Kriminalisierung von Schutzsuchenden. Dieser Politikwechsel erfolgte kurz vor den Europa-, Kommunal- und Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen – wohl auch in der Hoffnung aufseiten der damaligen Regierungsparteien, damit bei potenziellen AfD-Wähler*innen zu punkten. 

Die Ergebnisse der Landtagswahlen und der letzten Bundestagswahl zeigen jedoch, dass der Rechtsruck nicht durch eine Annäherung an rechte Inhalte und Politik verhindert werden kann. Weder für die SPD noch für Bündnis 90/Die Grünen ist die Strategie, bei der Asyl- und Migrationspolitik in Richtung konservativer Block zu rücken und damit Stimmen zu gewinnen, aufgegangen. Die Sozialdemokraten hatten argumentiert, sie verfolgten und verwirklichten de facto bereits Merz’ »Fünf-Punkte-Plan« – nur völkerrechtlich abgesichert. Auch der ehemalige grüne Wirtschaftsminister Habeck hatte noch kurz vor der Bundestagswahl mit einem ähnlich restriktiven migrationspolitischen »Zehn-Punkte-Plan« versucht, sich der Union anzubiedern und als potenzieller Koalitionspartner zu empfehlen sowie Wähler*innen für sich zu mobilisieren, die einst Merkel wählten. All das geschah in den Ampelparteien in vorauseilendem Gehorsam auf Druck von CDU/CSU und AfD hin.

Blockierte Transformation 

Damit vollzogen bis auf Die Linke alle im Parlament vertretenen Parteien einen deut­lichen Rechtsruck und verabschiedeten sich wie Bündnis 90/Die Grünen von ihrem früheren Anspruch, eine verlässliche Stimme für Bürger- und Menschenrechte zu sein. Ein Ende fand damit auch eine neue Phase im migrationspolitischen Bewegungszyklus, die mit viel Hoffnung einhergegangen war. ­Migrantische und antirassistische Akteur*innen sind in Deutschland seit der Nachkriegszeit Teil emanzipatorischer, progressiver und klassenpolitischer Kämpfe (vgl. z. B. Öztürk u. a. 2025). Trotz der langen Geschichte des gewaltförmigen europäischen Grenzregimes und rassistischer Exklusion und Diskriminierung in den westlichen Migrationsgesellschaften setzte eine seriöse Auseinandersetzung in der Regierung erst in den 2020er Jahren ein. Migration wurde zunehmend als Politikfeld erkannt, auf dem sich die Widersprüche neoliberaler Restrukturierungen, rassifizierter Ausschlussmechanismen und neuer Kämpfe um soziale Gerechtigkeit verdichten. Hinzu kamen neue Organisierungsansätze und zivilgesellschaftliche Auseinandersetzungen nach den rechtsterroristischen Anschlägen des NSU, nach Hanau, Halle und den vielen eklatanten Fällen von Polizeigewalt, der lange Sommer der Migration, die Willkommensbewegung, Black Lives Matter, aber auch erfolgreiche Mieter*innenproteste Anfang der 2010er Jahre, an denen von Gentrifizierung und Verdrängung bedrohte Migrant*innen maßgeblich beteiligt waren (vgl. Hamann/Türkmen 2020). Diese Kämpfe trugen zu einer Situation bei, in der breite Debatten über institutionellen und strukturellen Rassismus und fehlende politische Partizipationsmöglichkeiten stattfanden. Der Migrant Pay Gap rückte neben dem Gender Pay Gap auf die politische Agenda. All die politischen Bemühungen dieser Zeit setzten auf das universelle Gleichheitsversprechen sowie auf die Umsetzung universeller Geltung von Bürger- und Menschenrechten. Am Ende der Regierungszeit der Ampelkoalition zeigte sich jedoch, dass sämtliche Erwartungen an eine progressivere Migrations- und Gesellschaftspolitik bitterlich enttäuscht worden waren. Während damals aber Kämpfe um die Demokratisierung der Demokratie stattfanden, wird heute Demokratieabbau entfesselt.

Antifaschistisches Mosaik: Demokratie verteidigen, Solidarität organisieren

Es sind die vulnerablen Gruppen in dieser Gesellschaft, die die zerstörerischen Kräfte und Auswirkungen des gegenwärtigen rechtsautoritären Umbaus als Erstes am eigenen Leib zu spüren bekommen. Doch die zentralen Fragen bleiben für alle ähnlich: In welcher Gesellschaft werden wir künftig leben? Wie sicher sind demokratische Rechte noch und für wen? Jetzt gilt es, genau hinzusehen: Wo eröffnen sich neue Räume für Widerstand, für solidarische Praxis, für Kämpfe, die über das Bestehende hinausweisen? 

Der Wahlerfolg der Linkspartei im Februar war zugleich ein Erfolg der gesellschaftlichen Linken, die die Dynamik einer zunehmenden Faschisierung erkannt und versucht hat, die Stimmung in den letzten Wochen des Wahlkampfes mit ihren breiten Protesten auf der Straße umzukehren. Hieraus ergibt sich auch ein Auftrag an die Partei und eine Handlungsoption für die Mosaik-Linke. Lange Zeit war die Linkspartei mit dem richtigen Schwerpunkt ihres Wahlkampfes auf soziale Fragen, mit ihren konkreten Hilfsangeboten und mit ihrer Oben-unten-Rhetorik wenig erfolgreich. In Wahlumfragen lag sie über Monate lediglich zwischen drei und vier Prozent. Erst nach dem »Dammbruch« im Bundestag im Januar, der eine Polarisierung der deutschen Parteienlandschaft mit sich brachte, gelang es ihr mit ihrer klar antifaschistischen und antirassistischen Haltung, einen Stimmungswechsel herbeizuführen und einem »sozialen Antifaschismus« gesellschafts- und wahlpolitisch zur Geltung zu verhelfen (vgl. Sunkara 2024). Mit Étienne Balibar (2024) gesprochen: »Vom Klassenkampf zur Überschneidung der Bewegungen.« Damit eröffnete sich die Chance für die »neue Linkspartei«, aus einer moralischen Haltung heraus zu einer verbindenden politischen Zukunftsvision und Praxis zu kommen, ohne zu einer Partei des liberalen Multikulturalismus zu werden. Die »alte Linkspartei« litt unter der Trennung zwischen »Klassenpolitik« als traditionellem politischen Feld und »emanzipativer Politik« der sozialen Bewegungen, an der Forcierung von Partikularität und Fragmentierung. Ein Blick in die Geschichte und zurückliegende Kämpfe zeigt hingegen, dass die »Klasse« noch nie nur politisch ausschließlich mit arbeitspolitischen und betrieblichen Forderungen und Anliegen adressiert und mobilisiert werden konnte, sondern schon immer auch eine »Klasse der Vielen« war, viele Widersprüche in sich trug, viele Kämpfe austrug, die auch über die Betriebe hinausgingen. Und dass Teile dieser Klasse immer auch schon queer-feministische, klimapolitische und antirassistische Positionen vertraten. »Soziale Gleichheit« und »Demokratie« dürfen nicht durch eine Art »linken Nationalismus« verengt werden. Sie müssen als universelle Rechte bedingungslos für alle gelten und politische Instrumente dieses Rechts umzusetzen versuchen. Ohne die BSW-Fraktion in der Partei kann dies nun glaubwürdig vertreten werden. Hierin liegt die Aufgabe der neuen Linkspartei.

Eine »Klassenpolitik der Vielen« als antifaschistisches Gegenprojekt bedarf eines Versprechens von Gleichheit und Citizenship für alle. Diese Stoßrichtung muss Kern einer progressiven Migrationspolitik bleiben. Öffentliche Infrastrukturen und Güter wie »Gesundheit, Bildung, Wohnen, Verkehr, Energie [müssen] allen frei und gleich zugänglich sein, die hier sind. Das ist die elementare Grundlage der Demokratie« (ISM 2021; vgl. auch Bojadžijev u. a. 2025). Deshalb brauchen wir, um der Fragmentierung der Linken etwas entgegenzusetzen, darüber hinaus auch eine neue Repräsentations- und Organisationspolitik. Warum muss man in migrantischen Selbstorganisationen nur über Migrations- und Antidiskriminierungspolitik sprechen und warum nicht gezielt auch über die Vergesellschaftung der Wohnungsbestände von großen Immobilienkonzernen wie Vonovia? Ebenso gilt es die Rechte derjenigen, die an den Außengrenzen der EU in Bewegung sind, zu verteidigen: das Recht auf Hilfe, Schutz und sichere Fluchtwege. Dafür müssen die Ankommens- und Aufnahmeprogramme in den Kommunen gestärkt werden. Wenn die Politik auf Bundesebene nach rechts rückt, gilt es umso mehr, »sichere Häfen« und Bündnisse in den Kommunen zu stärken. Manche progressiven Transformationsprojekte werden auch schon vor Ort eingeübt, verhandelt und gelebt.[2] 

Es bedarf auch eines Umdenkens in antirassistischen und migrantischen Gruppen und Bewegungen, um neue Handlungsmacht aufzubauen. Partikularistische Forderungen und Kämpfe sind in Zeiten des autoritären Staats- und Gesellschaftsumbaus mehr denn je zum Scheitern verurteilt. Für die Akteur*innen der Mosaik-Linken und für migrationspolitische Auseinandersetzungen bedeutet dies, den Mut aufzubringen sich einzugestehen, dass ein »Weiter so« angesichts der neuen Situation wenig erfolgsversprechend ist, dass nur auf die eigene Situation oder die eigenen »Communities« fokussierte Kämpfe aussichtslos sind. Damit soll nicht eine Stimmung der Ausweg- oder Hoffnungslosigkeit verbreitet werden, aber Hoffnung will auch organisiert, nicht nur versprochen werden. Bewegungen können über sich selbst hinauswachsen. Dafür bedarf es Geduld, Auseinandersetzung und Begegnungen, um gemeinsam darüber nachzudenken, was Errungenschaften, aber auch Grenzen des letzten Bewegungszyklus antirassistischer Kämpfe waren. Aber auch die Zeiten des Wünsch dir was, in denen immer wieder eher abstrakt und folgenlos zur Verbindung von Kämpfen aufgerufen wurde, scheinen vorbei zu sein. Ein neuer Bewegungszyklus braucht eine Analyse der gesellschaftlichen multiplen Krisen, zudem eine selbstkritische Verständigung über sich selbst und ein neues strategisches Bündnis, in dem die Verteidigung von sozialen und politischen Bürger- und Menschenrechten im Vordergrund steht – während zugleich darüber hinausweisende Perspektiven entwickelt werden müssen. Denn offensichtlich ist doch, dass mit dem autoritären Umbau die liberaldemokratische Gesellschaft zerstört und die dringend benötigte sozial-ökologische Transformation verhindert werden soll. 

Es braucht ein antifaschistisches Bündnis der Vielen, in dem man nicht verschmilzt, sondern sich gegenseitig bestärken kann, und doch nicht zu einem Add-on von diversen Ungleichheitsverhältnissen wird. Es wird Akteur*innen geben, die mitgehen, andere, die sich dem Bündnis nicht anschließen werden. Es zählen die, die dafür eintreten, dass progressive Migrationspolitik nicht als Verlierer- oder Triggerthema abgewertet wird. Es gilt, sich in einer Zeit der Monster hinter die vielen bedrohten Menschen, Gruppen und Bewegungen zu stellen und den universellen Kampf für Demokratie, Menschen- und Bürgerrechte aufzunehmen. In diesem Kampf ist auch Platz für feministische und queere Anliegen und Forderungen nach Gleichberechtigung. Eine antifaschistische Mosaik-Linke steht für eine verbindende Politik, mit dem Ziel, aus der gegenwärtigen antifaschistischen Defensive heraus wirkungsvoll für ein solidarisches Zusammenleben zu streiten. Wir haben viel zu gewinnen und auch noch vieles zu verlieren.