Bisher konzentriert sich ein Großteil der Diskussionen über demokratische Planung auf interne wirtschaftliche Prozesse, hauptsächlich auf nationaler Ebene. Das ist angesichts der derzeitigen globalen Integration der Wertschöpfungsketten höchst problematisch. Denn ein ernstzunehmender Systemwechsel ist in völliger Isolation kaum vorstellbar. Selbst wenn es in einigen Regionen der Welt zu einer grundlegenden Veränderung kommen würde, wären die Menschen in diesem neuen System wohl immer noch auf die eine oder andere Weise mit der restlichen kapitalistischen Welt verbunden. Wir haben an anderer Stelle versucht, diese Fragen anzusprechen (Dufour et al. 2024) und diskutiert, wie eine Schnittstelle für internationale wirtschaftliche Interaktionen im Rahmen einer demokratischen Planwirtschaft aussehen könnte. Im Folgenden möchten wir einen Schritt zurückgehen und argumentieren, dass demokratische Planung dazu beitragen kann, die systemischen Beschränkungen der globalen kapitalistischen Ökonomie zu umgehen. Demokratische Planungsprozesse haben einige Gesellschaften dabei unterstützt, mehr lokale wirtschaftliche Autonomie zu erlangen.

Internationale Schranken für einen ökologischen Systemwechsel 

Die derzeitige globale Organisation der Wirtschaftsbeziehungen ist eine der Hauptursachen dafür, dass der Kapitalismus uns in einer nicht nachhaltigen wirtschaftlichen Dynamik gefangen hält. Insbesondere die Volkswirtschaften des globalen Südens sind strukturellen Zwängen in Form von finanzieller Unterordnung und Abhängigkeit vom internationalen Handel ausgesetzt, die den Übergang zu nachhaltigen Wirtschaftspraktiken erheblich erschweren. In den globalen Klimaverhandlungen wurde anerkannt, dass sich der globale Süden in einer anderen Position befindet als der globale Norden (UNFCCC 1992). Die Volkswirtschaften des Südens sind weniger industrialisiert im Norden, was sich zum Teil auf ungleiche Ressourcentransfers zwischen dem Süden und dem Norden zurückführen lässt, die bis heute andauern (Dorninger et al. 2021). Daher wird häufig gefordert, dass die Kosten der Anpassung an nachhaltige Wirtschaftspraktiken weitgehend von den Ländern des globalen Nordens getragen werden sollte und die Länder des globalen Südens in ihrer nachholenden wirtschaftlichen Entwicklung unterstützt werden. (Ajl 2021).

So gut gemeint diese Sichtweise sein mag, leidet sie doch unter erheblichen analytischen Mängeln. Volkswirtschaften als Analyseeinheiten vorauszusetzen, verdeckt tendenziell die Tatsache, dass Wertschöpfungsketten weitgehend transnational organisiert sind. Regierungen können sich zwar um einige strukturelle Änderungen bemühen, doch letztendlich werden sie durch die globalen Finanzmärkte und Handelsbeziehungen eingeschränkt. Außerdem sind die globalen Wertschöpfungsketten derzeit stark segmentiert. Das Kapital plant die Produktion nach dem Prinzip von Kosten und Kontrolle, wobei große Unternehmen oft die Rolle des Generalaufsehers spielen, während Rohstoffe und Produkte zwischen Fabriken und Ländern eine Reihe von Wandlungen durchlaufen. Jede wirtschaftspolitische Veränderung an einem Ort hallt in der gesamten Wertschöpfungskette nach und hat Auswirkungen andernorts. Der Grad der Integration ist so hoch, dass eine Verlagerung der Produktionstätigkeiten selbst im Norden schwer vorstellbar ist und wahrscheinlich umfassend geplant werden müsste. Die Herausforderung wird im Süden noch verschärft, dabei vielen Fertigprodukten eine hohe Abhängigkeit von Importen besteht und damit von Exporten in den Norden - ein ungleicher Tausch, der  unter den derzeitigen Bedingungen alternativlos scheint. Aus diesem Grund ist es unwahrscheinlich, dass das Kapital ganze Produktionszweige in den Süden verlagern würde, wenn im Norden ein Degrowth-Prozess einsetzen würde. 

Dennoch könnte eine Verringerung des Drucks auf die Rohstoffgewinnung Möglichkeiten für die ökonomische Transformation in den Ländern des Südens eröffnen. In der Praxis wird ihre politische und wirtschaftliche Autonomie jedoch durch die relative Stärke der nationalen Währungen eingeschränkt. Währungen, die als risikoreich gelten und denen weniger vertraut wird - die also in der "monetären Hierarchie" weiter unten stehen - sind weniger gefragt und werden seltener verwendet, um internationale Schulden und Transaktionen zu begleichen (Alami et al. 2022). Die Wirtschaftseinheiten und Regierungen der Peripherie müssen Schulden in harter Währung anhäufen, um die nötigen Devisen für die Zahlung der Zinsen zu generieren, was die Zahlungsbilanzrestriktionen und den Druck auf eine kurzfristige Exportorientierung verstärkt. Dies schränkt die Entwicklung von Produktionskapazitäten für die lokale wirtschaftliche Resilienz und Autonomie stark ein. So sind inländischen Finanzmittel zum Teil deshalb knapp, weil die Zinssätze für Kredite in schwachen Währungen relativ hoch sein müssen, damit sie attraktiv sind. Diese Ungleichgewichte lassen sich kaum bekämpfen, ohne ihre Ursachen, die systemischen Hierarchien anzugehen. Transfers in harter Währung, Kapitalverkehrskontrollen und kurzfristige Schuldenerlasse mögen zwar nützlich sein, um Handels- oder Finanzpartner vorübergehend zu entlasten. Sie brechen aber nicht mit dem zugrundeliegenden Verhältnis der Abhängigkeit oder Unterordnung. Zuletzt hat sich in Argentinien und Venezuela deutlich gezeigt, wie schwierig es ist, die politische Autonomie aufrechtzuerhalten, wenn die Landeswährung trotz verschiedener Kapitalkontrollen geschwächt ist. Kurz gesagt, verstärken sich finanzielle Unterordnung und ungleicher Tausch gegenseitig, und es gibt keinen besonderen Anreiz für das Kapital, das System zu ändern (Svartzman und Althouse 2022).

Dies bringt uns zurück zu Fragen des Handels und der Produktion. Die derzeitigen Strukturen und Spielregeln schränken den Spielraum von Regierungen in einem globalisierten Kontext stark ein. Um den Kreislauf der Abhängigkeit zu durchbrechen, muss die Wirtschaftstätigkeit sowohl im globalen Norden als auch im Süden nach einer anderen Logik organisiert werden (Frame 2022). Erstens müsste sich eine demokratische Planwirtschaft aus den segmentierten Wertschöpfungsketten herauslösen, um politische Autonomie zu erlangen. Zweitens müsste sie ihre internationalen Wirtschaftsbeziehungen so umstrukturieren, dass sie Abhängigkeit und finanzielle Unterordnung überwinden kann. 

Inspiration aus dem globalen Süden

Die neue Aufmerksamkeit für demokratische Wirtschaftsplanung entspringt den Diskussionen über den technologischen Fortschritt, der eine Planung in größerem Maßstab ermöglicht - und frt Wiederentdeckung von Modellen, die vor dreißig Jahren im Vereinigten Königreich (Devine, 1988; Cockshott und Cottrell, 1993) und in den Vereinigten Staaten (Albert und Hahnel, 1991) entwickelt wurden. Diese Modelle prägen noch immer unsere Vorstellung davon, wie demokratische Planung aussehen könnte. Zugleich legten in den 1990ern einschneidende politische Ereignisse – etwa die zapatistische Revolution 1994 und die Inhaftierung von Abdullah Öcalan, dem Führer der kurdischen Arbeitspartei, 1999 – sowie neue theoretische Konzepte (Gibson-Graham, 1996) den Grundstein für Experimente demokratischer Planung im globalen Süden. Diese sind praktischer, weniger abstrakt und weniger technologieorientiert als diejenigen des globalen Nordens. Sie werden daher in den aktuellen Diskussionen über Wirtschaftsdemokratie weniger thematisiert. Sie sind jedoch ebenso inspirierend wie die abstrakten Modelle und oft nützlicher, um über die globalisierte Wirtschaft nachzudenken.

Zentrale Beispiele sind aus unserer Sicht sowohl die politische und wirtschaftliche Organisation der Zapatistas in Chiapas, die seit 30 Jahren besteht, wie auch die Autonome Verwaltung von Nord- und Ostsyrien (besser bekannt als Rojava), die 2012 gegründet wurde. Zu diesen groß angelegten Experimenten einer demokratischen Ökonomie ließen sich unzählige kleinere hinzufügen, die Wirtschaftsdemokratie auf sektoraler, regionaler oder lokaler Ebene praktizieren, die aber hier keinen Platz finden können. Ohne in eine tiefere Analyse der jeweiligen politischen Kontexte in Chiapas und Rojava einsteigen zu können, möchten wir uns auf zwei Fragen konzentrieren: Erstens, inwiefern es in diesen Experimenten gelungen ist, die Planungskapazität dem Kapital zu entreißen und den betroffenen Gemeinschaften zurückzugeben, und zweitens, welche Vorstellungen internationaler Solidarität dort entwickelt wurden, um die Strukturen der Abhängigkeit und finanziellen Unterordnung zu überwinden.

Zapatistas

Die zapatistische Revolution in Chiapas begann mit dem Tag, an dem das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) in Kraft trat. Gemäß dem neoliberalen Washington-Konsens beendete das Abkommen den Schutz kommunaler Ländereien und zwang die mexikanischen Landwirte in den ungleichen globalen Wettbewerb. Anstatt sich diese Spielregeln von transnationalen und mexikanischen Eliten vorschreiben zu lassen, besetzten die Zapatistas Land und konfiszierten es von Großgrundbesitzern (Wilhelm, 2010). Bei der Aneignung dieser Ländereien lehnten sie Subventionen der Regierung ab und verzichteten darauf, durch Investitionen und die das Schöpfen von Mehrwert Kapital anzuhäufen. Sie entschieden sich, das Land für die Bedürfnisse der dort lebenden Gemeinschaften zu nutzen (Bobrow-Stain 2007). Dabei wurden diese Ländereien nicht vollständig unter Familien aufgeteilt, sondern in Teilen kollektiv bewirtschaftet und die Erträge geteilt (Félix Pichardo 2021). Einige Gemeinschaften gründeten Kaffeegenossenschaften und produzierten auch für den Export, allerdings zu einem Preis, der die eigene wirtschaftliche Autonomie stärken und der Abhängigkeit von ausländischen Märkten vorbeugen soll. Auch die Gesundheits- und Bildungsversorgung wird von den Gemeinschaften selbst verwaltet, damit sie im Einklang mit deren kollektiven Interessen und Traditionen steht. Die Zapatistas haben externen Akteuren die wirtschaftliche Planungskapazität in Chiapas aus der Hand genommen und üben sie selbst aus, um den Mitgliedern der Gemeinschaft einen einfachen Lebensstil und eine autonome Lebensweise zu garantieren. Dies steht in völligem Gegensatz zu der Abhängigkeit vom internationalen Handel durch NAFTA, in die das Kapital und die Machteliten Chiapas zwingen wollten.

Die katastrophalen Folgen eines Freihandelsabkommens abwenden zu wollen, bedeutete nicht, sich Rest der Welt zu isolieren. Die Welt hat vermutlich noch nie so viel über Chiapas gehört wie nach der zapatistischen Revolution. Doch die Beziehung zum Rest der Welt unterschied sich radikal von den Beziehungen der Nord-Süd-Solidarität in Zeiten des Kalten Krieges. „Die Zapatistas dienen als Quelle der Inspiration und nicht in erster Linie als Objekt der Solidarität" (Olesen 2004, 260). Die von den Zapatistas propagierte "globale Solidarität" ruft dazu auf, gegen die gleichen Dinge zu kämpfen, gegen die sie in Chiapas kämpfen: wirtschaftliche Ungleichheiten, Rassismus und Homophobie.

Ein konkretes Beispiel für die zapatistische Vision postkapitalistischen internationalen Beziehungen, gibt ihre "Traversía por la vida" (Reise für das Leben) aus dem Jahr 2021. Eine "Seedelegation" von sieben Zapatistas, die sich "Escuadrón 421" nannte, brach zur Atlantiküberquerung mit der "La Montaña" auf, einem kleinen Schiff, das sie in 47 Tagen zum Hafen von Vigo in Spanien brachte. Eine "Flugdelegation" von 177 Personen, "La Extemporánea" (Die Unzeitgemäße), kam per Flugzeug nach Wien. Gemeinsam besuchten die Delegationen 30 europäische Länder, um sich mit Vertreter*innen lokaler sozialer Bewegungen, aktivistischen Gruppen, Migrant*innenorganisationen und vielen anderen zu treffen. Das Ziel der Treffen war es, „Ziele zu bestimmen und sich auf ein Thema zu fokussieren, das die Existenz der Menschen im planetaren Maßstab betrifft – und zugleich die lokalen, regionalen und nationalen Besonderheiten jedes Kampfes anzuerkennen" (Castellanos Guerrero 2023, 69, Übersetzung von I.L.). 

Dabei ging es darum "über alternative Formen des Zusammenlebens, die das Leben in den Mittelpunkt stellen, zu diskutieren und zuzuhören" (Navarro, 2023: 102), um die vielfältigen Formen antikapitalistischen Widerstands besser zu verstehen und dieses Wissen weiterzugeben. Die sogenannte „Diplomatie der Völker“ (oder: Diplomatie von unten) diente dem Aufbau von reziproken Solidaritätsnetzwerken mit Aktivist*innen und Organisationen und Europa - nicht dem Wunsch nach "Hilfe" aus europäischen Ländern. Die Entscheidung für eine einfache Lebensweise ermöglicht den Zapatistas ein höheres Maß an Autonomie - das macht sie zur Inspiration für postkapitalistische internationale Beziehungen. Die zapatistischen Gemeinschaften können von den Lebensmitteln leben, die sie produzieren, und beteiligen sich am internationalen Handel nur zu Bedingungen, die sie für fair halten, und nicht aus Zwang. 

Eine Welt, in der viele Welten nebeneinander existieren, bedeutet, anderen Ländern die Entscheidung zu überlassen, wie sie ihre Wirtschaft organisieren. Das heißt auch, sich nicht mit Direktinvestitionen oder internationaler "Zusammenarbeit" in ihre Angelegenheiten einzumischen. Solidarität geht über Hilfe weit hinaus, sie wahrt die gegenseitige Würde und Autonomie und ist unvereinbar mit Handelsbeziehungen, die Abhängigkeit und Unterordnung schaffen. Eine Demokratisierung und Umsiedlung der Produktion kann die Beziehung zu anderen Ländern transformieren und damit perspektivisch die globale kapitalistische Entwicklung herausfordern.

Rojava

Seit 2012 ist der Nordosten Syriens de facto eine autonome Region. Die kurdische Bewegung, die sich noch immer im Krieg mit dem Regime von Bashar Al-Assad befindet und von der benachbarten Türkei stark angegriffen wird, hat sich mit anderen lokalen Gemeinschaften verbündet und die Autonome Verwaltung von Nord- und Ostsyrien, bekannt als Rojava, gegründet. Unter schrecklichen Kriegsbedingungen ist eine tiefgreifende Demokratisierung der politischen Institutionen im Gange, die auch interessante Versuche einer wirtschaftlichen Demokratie umfassen (Wimmer, 2022).

Die Überlegungen Abdullah Öcalans zum Übergang in eine postkapitalistische Wirtschaftsdemokratie sind in Rojava eine wichtige Inspiration. Öcalan sieht als Hauptgegner der kurdischen Befreiung die Staatsmacht und nicht das Kapital. Privatunternehmen sind für ihn gefährlich, wenn sie die Form eines Monopols annehmen und einen ganzen Wirtschaftssektor beherrschen. Monopole müssen seiner Ansicht nach bekämpft und durch Genossenschaften ersetzt werden. Für kleinere Privatunternehmen sieht er in einer demokratischen Wirtschaft aber durchaus Platz (Aslan 2023, 127). Die Idee der Sozialwirtschaft in Rojava umfasst daher eine kollektive Selbstverwaltung der Wirtschaft. Die Gemeinschaften geben den Genossenschaften und Privatunternehmen über Versammlungen und Ausschüsse Leitlinien vor, die sich an ihren Bedürfnissen orientieren. So wurden in Rojava keine Grundstücke oder Unternehmen beschlagnahmt; stattdessen wurden die Eigentümer mit politischen und diplomatischen Mitteln davon überzeugt, einen Teil ihrer Grundstücke oder ihres Kapitals als patriotische Geste an die neu gegründeten Genossenschaften abzutreten. Da Rojava aus Ackerland besteht, ist die Hauptwirtschaftstätigkeit die Landwirtschaft. Es gibt jedoch auch einige "Fabriken ohne Chefs" (ebd., 157) im Bereich der Leichtindustrie (Lebensmittelverarbeitung, Düngemittelherstellung usw.) die von der Bewegung aufgebaut wurden, um den Grundbedarf der Bevölkerung und der Armee zu decken. Auch in Rojava wurde versucht, den Gemeinden die wirtschaftliche Macht zurückzugeben und die Vorherrschaft des syrischen Staates und des monopolistischen Kapitals zurückzudrängen.

Die Autonome Verwaltung von Nord- und Ostsyrien stand die meiste Zeit ihres Bestehens unter einem Wirtschaftsembargo. In dieser Zeit wurden internationale Netzwerke aufgebaut, die denen der Zapatistas ähneln. Kurdische Aktivist*innen reisen durch die ganze Welt, um anderen Gruppen über die Geschehnisse in Rojava zu berichten und internationale Unterstützung für die kurdische Revolution zu gewinnen. Zugleich gibt es auch handelspolitische Maßnahmen, die vor allem an der Grenze zum irakischen Teil Kurdistans angewandt werden. Ihr Ziel es, den Handel trotz schwieriger Umstände aufrecht zu erhalten, weil er für die Versorgung wichtig ist, und zugleich die Entstehung einer Bourgeoisie und die Vertiefung wirtschaftlicher Ungleichheiten zu verhindern. Der Verantwortliche des Handelsausschusses von 2018 beschreibt den Prozess so: "Wir betreiben auch unsere eigenen Geschäfte, aber das Kapital, das dabei entsteht, geht nicht an eine Managerklasse oder an irgendjemand anderen - das gesammelte Geld arbeitet wie eine öffentliche Bank im Namen des Volkes und wird von dort aus umverteilt. Wir üben kommerzielle Tätigkeiten aus und erzielen Einkommen aus dem Handel, aber wir geben es über Genossenschaften an das Volk weiter. " (ebd., 189, Übersetzung von I.L.)

Die Hevgirtin-Kooperative (2016- 2019) in Rojava ist ein konkretes Beispiel, das für postkapitalistische internationale Beziehungen inspirierend sein kann. Die Kooperative entstand aus dem Zusammenschluss von 12 000 Familien, die über genügend Kapital verfügten, um eine große Anzahl von Gütern zur Deckung des eigenen Grundbedarfs zu kaufen. In Zusammenarbeit mit dem Handelskomitee trugen sie dazu bei, die Preisschwankungen bei Grundbedarfsgütern zu verringern: Aufgrund ihrer großen Mitgliederzahl konnten sie Einfluss auf den gesamten Binnenmarkt nehmen. "Um den negativen Einfluss des kapitalistischen Marktes und der monopolistisch gesinnten Geschäftsleute auf das Volk und die Revolution zu brechen, haben sie die Preise für Produkte gesenkt, die im Krieg auf dem Schwarzmarkt erhältlich waren." (Aslan 2023, 171, Übersetzung von I.L.). Die Organisation diente als Puffer gegen negative äußere Einflüsse und als Abschreckung vor bestimmten Formen der wirtschaftlichen Selbstbereicherung. Es ist bemerkenswert, dass eine Genossenschaft diese Rolle anstelle einer staatlichen Organisation übernehmen konnte. 

Ein weiteres Beispiel betrifft den Handel mit Hühnern, von dem Azize Aslan berichtet. Noch 2018 bezog Rojava den Großteil seiner Hühnchen ausgerechnet aus der Türkei, die die kurdischen Gebiete bombardierte.  Viel Hühnerfleisch war bei der Ankunft bereits verrottet. Daher arbeiteten die Genossenschaften in Rojava zusammen, um die lokale Hühnerproduktion zu steigern. Unter dem Zeit- und Effizienzdruck war es jedoch nicht möglich, die Produktion ökologisch zu gestalten, was in der Regel ein Kriterium für die Lebensmittelproduktion in Rojava ist. Der Preis und die verfügbare Menge waren also nur zwei von vielen Faktoren, darüber hinaus war die Herkunft der Lebensmittel (aus der Türkei oder aus Rojava), der rechtliche Status der Organisation, die sie produzierte (Kooperative oder Unternehmen) und die Art des Produktionsprozesses (biologisch oder nicht) relevant. Dies zeigt, dass Entscheidungsprozesse in einer postkapitalistischen Wirtschaft viele Faktoren berücksichtigen – und nicht wie im Kapitalismus allein den Preis. So wurde entschieden, eine eigene Hühnerwirtschaft in Rojava aufzubauen, auch wenn diese (noch) nicht ökologisch sein kann. 

Die wirtschaftlichen Experimente in Rojava stehen immer zwischen Baum und Borke. Eine neue Wirtschaftsorganisation aufzubauen ist ohnehin kompliziert und der Krieg bringt zusätzlich enorme Einschränkungen. Doch selbst unter diesen grausamen Bedingungen zeigt sich, dass die Kontrolle über Kapital und internationalen Handel mehr Autonomie für die Menschen schafft. Die Gewinne aus dem Handel verbleiben nicht bei der Regierung oder einer Klasse von Unternehmern und Händlern, sondern werden an die Bevölkerung umverteilt.

Ausblick

Eine demokratische Planwirtschaft muss die Mechanismen, die wirtschaftliche Ungleichgewichte fördern, genau verstehen, um sie bewusst zu verhindern. Dies erfordert ein gründliches Nachdenken über die Art und Weise, wie postkapitalistische Volkswirtschaften Handel treiben und wirtschaftlich mit anderen Ländern interagieren sollen. An anderer Stelle (Dufour at al. 2024) haben wir fünf Kriterien vorgeschlagen, auf denen eine internationale Schnittstelle einer postkapitalistischen Gesellschaft beruhen sollte: Autonomie, Effizienz, Multifaktorielle Bewertungskriterien, Transparenz und Kooperation. Interessanterweise sind es die gleichen Kriterien, die auch in den zwei vorgestellten post-kapitalistischen Experimenten eine große Rolle spielen.

Beide Fälle geben einen Einblick, wie Gemeinschaften, die ihre Wirtschaft demokratisch planen wollen, ihre wirtschaftlichen Außenbeziehungen gestalten. In beiden Fällen wurden Strukturen geschaffen, um die interne Autonomie zu fördern und die problematische Machtdynamik der globalen kapitalistischen Wirtschaft zu überwinden. Beide operieren in einem sehr speziellen Kontext, so dass ihr institutioneller Aufbau anderswo nur schwer zu reproduzieren sein dürfte. Dennoch zeigen sie, dass Gemeinschaften auch in der heutigen globalisierten Wirtschaft ihre eigenen Bedingungen mitgestalten können. Darüber hinaus sind sie eine Inspiration für unsere Vorstellung eines postkapitalistischen Übergangs. Stärker auch über die Frage einer Neugestaltung internationaler Beziehungen zu diskutieren, wäre eine große Bereicherung für die theoretischen Modelle demokratischer Planung. 


Aus dem Englischen übersetzt von Inga Lamprecht.