Sachsen-Anhalt steht vor einer Zäsur. Die Landtagswahl im September 2026 wird nicht nur entscheiden, wer künftig regiert. Sie wird zeigen, ob die viel beschworene Brandmauer hält oder ob die AfD erstmals mitregieren wird. Wird es gelingen, dem gesellschaftlichen Rechtsruck eine solidarische, antifaschistische Praxis entgegenzusetzen und eine rechte Regierung zu verhindern? Die möglichen Szenarien zur Landtagswahl hängen nicht nur vom Wahlergebnis der Linken ab, sondern auch vom strategischen Verhalten der CDU – sowohl auf Bundesebene als auch im Land. Ebenso zentral sind die gesellschaftlichen und medialen Diskurse, die das politische Klima bis September 2026 prägen werden.
In Sachsen-Anhalt ist die AfD längst keine Protestpartei mehr. Bei der Landtagswahl 2021 wurde sie mit 20,8 Prozent zweitstärkste Kraft. Bei den Kommunalwahlen 2024 war sie vielerorts stärkste Partei, errang Mandate in fast allen kommunalen Gremien. Die Frage ist nicht mehr, ob es zur Normalisierung der AfD kommt, sondern wie weit diese bereits fortgeschritten ist und was ihr entgegengesetzt werden kann.[1] Die AfD profitiert im Land auch von ihrer systematischen Verankerung in lokalen Strukturen, ihrer radikalisierten Basis und dem Schulterschluss mit anderen extrem rechten Akteuren. Die gesellschaftliche Faschisierung im Land ist nicht einfach ein Ergebnis schlechter politischer Kommunikation, sondern Ausdruck eines autoritären Projekts von unten – legitimiert über Wahlstimmen, gestützt durch Diskursverschiebung, flankiert durch Gewalt.
Die gesellschaftliche Linke aber auch die Partei Die Linke stehen vor strategischen Herausforderungen gegen die Faschisierung. Doch die Rolle der Linken könnte entscheidend sein: als Teil eines überparteilichen Blockes gegen die AfD oder als kämpferisches Zentrum einer antifaschistischen, solidarischen Gegenmacht. Dieser Artikel skizziert Szenarien der Faschisierung in Sachsen-Anhalt, beleuchtet die Rolle von AfD, CDU und rechten Netzwerken und fragt, wie eine antifaschistische Linke handlungsfähig werden kann.
Die AfD und das extrem rechte Lager in Sachsen-Anhalt
Die AfD Sachsen-Anhalt ist ein besonders radikaler Landesverband. Seine führenden Köpfe wie Martin Reichardt oder Ulrich Siegmund gelten als eng verbunden mit dem völkisch-nationalistischen »Flügel«, der formal aufgelöst wurde, praktisch aber weiterwirkt. Der Landesverband agiert zunehmend geschlossen als Teil des autoritären Projekts von Björn Höcke, in dem parlamentarische Mandate nur Mittel zum Zweck sind: Sie dienen der Demontage demokratischer Institutionen.
Die Wahlerfolge der AfD in Sachsen-Anhalt sind Ausdruck davon, dass ihre langfristigen Strategien aufgegangen sind. Auf kommunaler Ebene arbeitet die AfD daran, Strukturen zu übernehmen – nicht nur symbolisch, sondern machtpolitisch. Sie stellt Ausschussvorsitze, beeinflusst kommunale Haushalte, schränkt Förderprogramme für Antirassismus, Diversitätsarbeit oder Soziokultur ein. Zugleich ist die Partei in Sachsen-Anhalt tief verwoben mit außerparlamentarischen rechten Akteuren. Die Identitäre Bewegung (IB) betrieb kurze Zeit ein rechtes Hausprojekt in Halle (Saale). Recherchen zu einer Einmietung in einer Villa in Schkopau 2024 lassen erahnen, dass rechte Netzwerke weiterhin im Bundesland Begegnungsorte und Kaderschulen unterhalten. Auch das rechte Netzwerk »Ein Prozent« organisiert Schulungen, Spendensammlungen und Propagandakampagnen, oft mit personeller Überschneidung zur AfD.
Burschenschaften wie die »Germania Halle zu Leipzig« stehen ebenfalls im engen Austausch mit der parlamentarischen Rechten. Auch hier erfolgt die ideologische Schulung künftiger Kader. Hinzu kommen rechte Medien wie das Compact-Magazin, das gezielt Verschwörungserzählungen, anti-queere Hetze und rassistische Inhalte verbreitet. Viele Akteure der Szene betreiben zusätzlich alternative Lokalblogs oder Telegram-Kanäle, mit denen sie eine Gegenöffentlichkeit aufbauen – ungefiltert, anonym, aggressiv. In Städten wie Burg, Magdeburg oder im Harz existieren außerdem klassische Neonazistrukturen, die Aufmärsche organisieren, paramilitärisch trainieren und mit Angriffen auf politische Gegner*innen oder Geflüchtetenunterkünfte immer wieder Schlagzeilen machen.
Nicht zu unterschätzen ist auch die Rolle rechter Influencer*innen, digitaler Aktivist*innen und sogenannter Heimatblogger, die, Behörden anprangern oder das, was sie Genderideologie nennen, in Schulen entlarven wollen. Sie fungieren als Resonanzverstärker für das Narrativ der AfD: vom unterdrückten, patriotischen Volk, das sich gegen Eliten, Migration und Moderne zur Wehr setzen müsse.
Diese komplexe Gemengelage macht deutlich: Die AfD ist keine demokratische Mitbewerberin, sondern der parlamentarische Arm eines autoritären Projekts. Die gesellschaftliche Faschisierung in Sachsen-Anhalt ist das Ergebnis dieser Verschränkung von institutioneller Politik, außerparlamentarischer Mobilisierung und digitaler Propaganda. Diese Analyse ist Grundlage für die folgenden Szenarien der Faschisierung und Überlegungen, was eine antifaschistische Linke dem entgegensetzen muss.
Zivilgesellschaftlicher Widerstand und »demokratische Kerne«
In unserer Analyse »Hält die Brandmauer?« haben Steven Hummel und ich betont, dass die Normalisierung der AfD und ihrer Politik zuerst auf der kommunalen Ebene beginnt (Hummel/Taschke 2024). Dort, wo sie Landratsämter, Bauausschüsse oder Schulausschüsse besetzt, verändert sich die Struktur des Politischen selbst. Nicht nur werden Fördermittel gestrichen und Partnerschaften mit der demokratischen Zivilgesellschaft beendet, es wird auch ein Klima geschaffen, das kritische Stimmen systematisch verdrängt. Eine rechte Normalität entsteht oft nicht über spektakuläre Entscheidungen, sondern durch tägliche symbolische Machtdemonstrationen: das gezielte Ignorieren queerer Belange, die Sabotage von Integrationsprojekten oder die Besetzung lokaler Kulturpolitik mit autoritären Figuren.
Gerade im kommunalen Raum entscheidet sich, wie widerständig eine Gesellschaft ist. Wer dort schweigt, macht rechte Machtpolitik möglich. Wer sich organisiert, schafft Möglichkeiten der Gegenpositionierung. Der Kampf gegen Faschisierung beginnt in der Schulkonferenz, im Jugendhilfeausschuss, in der Stadtteilversammlung. Eine Linke, die diesen Raum aufgibt, verliert nicht nur Einfluss, sondern sie überlässt das Feld der Lebensrealitäten vieler Menschen den Rechten.
Trotz der repressiven Entwicklung gibt es Orte der Gegenwehr, demokratische Kerne, wie David Begrich es formuliert hat: antifaschistische Jugendzentren, migrantische Selbstorganisationen, kommunale Bündnisse gegen rechts. In Halle, Dessau, Magdeburg, Stendal oder in ländlichen Regionen wie der Altmark entstehen Räume des solidarischen Miteinanders. Diese Initiativen brauchen nicht nur Schutz, sie brauchen auch politische und materielle Unterstützung durch eine kämpferische Linke. Antifaschismus ist dort lebendig, wo konkrete Hilfe organisiert wird, wo Bildungsarbeit stattfindet, wo Netzwerke der Solidarität aufgebaut werden. Dies sind keine Orte des Rückzugs oder der Defensive, es sind demokratische Orte, die für eine andere Gesellschaft stehen.
Strategische Konstellationen: Was erwartet Sachsen-Anhalt 2026?
Nach einer aktuellen Umfrage von Infratest dimap (Stand: September 2025) liegt die AfD in Sachsen-Anhalt mittlerweile mit 39 Prozent klar vorn. Die CDU kommt danach nur noch auf 27 Prozent, während SPD (7 %), und BSW (6 %) deutlich dahinterliegen. Bündnis 90/Die Grünen (3 %) und FDP müssen um den Einzug in den Landtag fürchten. Die Linke ist danach mit 13 Prozent derzeit drittstärkste Kraft.
Daraus ergeben sich mehrere strategische Szenarien:
Schwarz-blau – die autoritäre Option
Eine Koalition aus CDU und AfD hätte theoretisch eine Mehrheit. Öffentlich lehnt die CDU diese Option noch ab, doch lokal gibt es bereits Zusammenarbeit. Das Burgenland, Wittenberg oder Mansfeld-Südharz zeigen, wie die CDU über vermeintliche Sachpolitik den Schulterschluss mit der extremen Rechten sucht. Eine solche Koalition wäre das Ende der Brandmauer und ein massiver Schub für autoritäre Politik.
Große Koalition – das träge Bündnis
Eine Neuauflage der Großen Koalition (CDU-SPD), eventuell erweitert um Bündnis 90/Die Grünen, wäre rechnerisch derzeit nicht möglich. Sollte das Szenario dennoch zustande kommen, würde die AfD sich als stärkste Oppositionskraft und als Opfer inszenieren. Ein solches Bündnis riskiert politische Lähmung und trägt durch technokratische Krisenverwaltung zur weiteren Parteienentfremdung in der Wähler*innenschaft bei. Ob es bis zur nächsten Wahl hielte, oder die AfD frühzeitig das Ruder übernähme, bliebe offen.
CDU, SPD, BSW – riskante Stabilität
Ein Zusammenschluss etwa aus CDU, SPD und BSW könnte knapp 50 Prozent erhalten oder eine Minderheitsregierung bilden und auf wechselnde Mehrheiten setzen. Die politische Stabilität stünde auf wackligen Füßen – die AfD könnte ihre Oppositionsrolle populistisch, aber auch strategisch auskosten. Ob CDU und BSW in eine mögliche Koalition gingen bliebt derzeit offen. Was in Brandenburg abgelehnt wurde, müsste erneut überprüft werden. Sollte eine solche Regierung auf die »stillschweigende Duldung« der AfD angewiesen sein, bliebe zwar die offizielle Abgrenzung bestehen, faktisch aber wäre der Tabubruch eingeläutet. Während sich Ministerpräsident Reiner Haselhoff und sein Nachfolgekandidat Sven Schulze weiterhin gegen »jeden Extremismus« stellen, hat der Kreisverband Harz bereits einstimmig einen Beschluss zur Kooperation mit der AfD gefasst. Auch die CDU-Abgeordnete Saskia Ludwig deutet bei einem Treffen rechter Akteure in Ungarn an, eine Koalition mit der AfD sei heute noch zu früh, konservative Mehrheiten gebe es dafür bisher lediglich in Ostdeutschland. Das zeigt: Strategische Vorbereitungen laufen längst. Bence Bauer, ehemals in führender Position bei der Konrad-Adenauer-Stiftung, wandte beim selben Treffen ein, dass eine Zusammenarbeit mit der AfD im eigenen Interesse der CDU liege. Dabei reicht ein Blick in andere Länder, um zu wissen, dass dieses Vorgehen auch die Konservativen schwächen würde (bspw. Candeias 2025). Festzuhalten bleibt: Auch eine indirekte Stützung durch die AfD in Einzelfällen würde die parlamentarische Normalisierung weiter vorantreiben und rechte Positionen stärken.
BSW – Dilemma und Chance
Auch die Haltung der Linken zum Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) verdient klare Konturen. Führende Mitglieder des BSW – allen voran Wagenknecht selbst – äußerten sich wiederholt kritisch zur Abgrenzung gegenüber der AfD. Diese Haltung, flankiert von Berichten über Gespräche zwischen BSW- und AfD-Vertreter*innen, zeigt: Das BSW operiert in programmatischer Nähe zum autoritären Populismus. Seine Regierungsbeteiligung in Brandenburg untermauert dies: Innenpolitisch dominieren Law-and-Order-Rhetorik, migrationspolitische Härte und der Bruch mit solidarischer Gesellschaftspolitik. Aber gerade weil viele ehemalige Linke angesichts des autoritären Kurses des BSW desillusioniert sind, ergibt sich eine neue Chance. Eine klar positionierte, antifaschistische Linke kann ihnen wieder eine politische Heimat bieten, wenn sie Haltung zeigt und soziale sowie antirassistische Politik zusammenführt.
Linke Opposition – antifaschistisches Korrektiv
Die wahrscheinlichste Rolle für die Linke ist jene der Opposition. Aber in dieser Rolle muss man nicht ohnmächtig sein. Eine Linke mit klarem Kurs kann Schutz bieten sowie Aufklärerin und Bündnispartnerin zugleich sein – für alle, die von rechter Politik betroffen sind.
Die Linke als antifaschistischer Pol
Jede dieser Konstellationen stellt Herausforderungen an antifaschistische Strategien. Die Linke muss deutlich machen: Nicht das »Verhindern der AfD« ist das Ziel, sondern die Stärkung derjenigen, die unter Faschisierung und autoritärer Politik leiden. Nur eine klare soziale und antirassistische Orientierung gibt der Linken in dieser Gemengelage eine eigenständige Rolle. Diese sei hier kurz skizziert.
Haltung statt Taktik: Die Partei Die Linke darf sich nicht in machtstrategische Debatten verstricken. Es geht nicht um Regierungsfähigkeit, sondern um Handlungsfähigkeit. Wer antifaschistisch sein will, muss Konflikte riskieren. Das bedeutet: keine Zusammenarbeit mit der AfD, aber auch keine Koalitionen mit einer CDU, die rechte Diskurse übernimmt.
Soziale Frage und Antirassismus zusammendenken: Die AfD ist keine Partei der kleinen Leute. Sie ist gegen Mindestlohn, gegen Sozialtransfers, gegen Gleichstellung. Ihre soziale Rhetorik ist nationalistisch, ausgrenzend, autoritär. Eine linke Antwort muss Klassenpolitik und Antirassismus verbinden. Sie muss konkret werden: Mieten deckeln, Energiearmut bekämpfen, sichere Aufenthaltstitel durchsetzen, Care-Arbeit aufwerten. Wer das Soziale ernst meint, muss das Autoritäre bekämpfen.
Schutzräume schaffen, Kämpfe verbinden: Die Linke muss dort präsent sein, wo Menschen angegriffen werden: in queeren Treffpunkten, in migrantischen Communities, in ländlichen Räumen. Sie muss konkret Solidarität organisieren – mit Betroffenen rechter Gewalt, mit der Zivilgesellschaft, mit antirassistischen und antifaschistischen Gruppen. Antifaschismus ist keine Parlamentsrede, sondern Praxis.
Vor Ort, nahbar: Die Zeit bis zur Wahl muss genutzt werden, Präsenz zu zeigen und Gespräche auf Augenhöhe zu führen. Dort wo die Menschen sind – nicht nur bei Ständen auf den Marktplätzen, sondern auch am Gartenzaun oder direkt an der Haustür. Nahbar und offen für die Probleme und
Sorgen der Menschen.
Bewegung unterstützen, Bewegung sein: Die Linke darf sich nicht auf Parteipolitik beschränken. Es geht um eine gesellschaftliche Gegenmacht: in Gewerkschaften, in Schulen, in Nachbarschaften, in sozialen Zentren. Eine starke Linke entsteht nicht im Plenarsaal, sondern durch Organisierung von unten. Dabei sind politische Bildung, Vernetzung, Konfliktbereitschaft und Solidarität die zentralen Mittel.
Nicht um jeden Preis regieren: Eine Beteiligung an einer Regierung mit der CDU – sei sie auch als »kleineres Übel« gedacht – wäre politisch und moralisch fatal. Es braucht keinen technischen Block gegen rechts, sondern einen politischen Pol, der sich den Ursachen der Faschisierung stellt. Wer den Rechten entgegentreten will, muss sich mit dem Kapitalismus, dem Rassismus und der patriarchalen Gewalt dieser Gesellschaft anlegen (Taschke 2025).
Themen setzen: Dass in Umfragen »das drängendste Thema« für die Menschen in Sachsen-Anhalt »Migration« ist, hat wenig mit der Realität vor Ort zu tun. Die mediale Berichterstattung und das ständige Reden über Migration als Problem führt zu dieser Wahrnehmung und spiegelt sich in den Abfragen wider. Deshalb muss Die Linke andere Themen ansprechen – weg von der Hetze gegen Bürgergeldempfangende und Migrant*innen – hin zu den sozialen Fragen, Infrastruktur und Bildung.
Antifaschismus ist kein Appell, sondern eine Praxis
Antifaschismus ist mehr als ein Nein zur AfD, er ist ein politischer Maßstab. Viele werden sagen: Wer etwas verändern will, muss regieren. Doch Regieren allein bedeutet noch keine Durchsetzungskraft. Eine starke Linke 2026 definiert sich nicht über Koalitionsoptionen, sondern über eine klare Haltung, Verlässlichkeit an der Seite der Ausgegrenzten, Glaubwürdigkeit und Mut zur Konfrontation mit den Ursachen der Faschisierung. Die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt 2026 wird ein weiterer Gradmesser dafür sein, wie tief diese bereits reicht. Die antifaschistische Linke kann und muss hier Bollwerk und Schutzraum sein. Antifaschistische Politik heißt nicht, möglichst anschlussfähig zu sein. Vielmehr richtet sie sich an der Idee einer Gesellschaft aus, die niemanden zurücklässt, und kämpft auf Augenhöhe mit den Betroffenen für die Rechte aller, die unter rechter Gewalt, sozialer Ausgrenzung und staatlicher Repression leiden.
Dieser Artikel ist eine Vorveröffentlichung aus LuXemburg 2/2025, die im Dezember erscheint.
