Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Was braucht es heute, um Die Linke dauerhaft als starken antifaschistischen Pol zu positionieren – im Parlament, auf der Straße und in der Gesellschaft?
Die Stärke der Linken im Wahlkampf
Der Wahlerfolg der Linken war kein Automatismus, sondern das Ergebnis einer strategisch durchdachten, politisch zugespitzten und glaubwürdig geführten Kampagne. Nach dem Bruch mit Sahra Wagenknecht und der Abspaltung ihres autoritär-populistischen Projekts konnte die Partei ein Profil schärfen, das auf gesellschaftliche Spaltung nicht mit rechter Rhetorik, sondern mit solidarischer Gegenmacht antwortet. Ein zentrales Element des Wahlkampfs war die offensive Nutzung sozialer Medien. In einer Zeit, in der klassische Medienkanäle linken Positionen wenig Raum geben, ist es der Partei gelungen, mit Humor, Prominenz und klarer politischer Sprache eine neue Reichweite zu entwickeln. Professionell produzierte Kurzvideos, Memes und zugespitzte Formate auf TikTok, Instagram und YouTube haben nicht nur jüngere Zielgruppen erreicht, sondern auch eine alternative Kommunikationsmacht entfaltet – jenseits des oft dominanten Rechtskonservatismus in Talkshows und Leitartikeln. Doch der Wahlkampf fand nicht nur online statt. Parallel setzte Die Linke auf eine der ältesten, aber wirksamsten Formen der politischen Kommunikation: das Gespräch an der Haustür. In tausenden Tür-zu-Tür-Gesprächen wurde nicht nur für Stimmen geworben, sondern zugehört, diskutiert, eingeladen. Gleichzeitig hat Die Linke im Wahlkampf auf Kernthemen gesetzt, die viele Menschen unmittelbar betreffen: steigende Mieten, Armut trotz Arbeit, Inflation, Pflegenotstand, Klimagerechtigkeit. Sie hat sich nicht im Klein-Klein programmatischer Forderungen verloren, sondern klargemacht, dass soziale Sicherheit und antifaschistischer Widerstand zusammengehören. In einer Situation, in der große Teile des politischen Establishments versuchten, mit migrationspolitischer Härte und Sicherheitsrhetorik die AfD rechts zu überholen, blieb Die Linke standhaft. Sie verweigerte sich der Abschiebedebatte, kritisierte offen den rassistischen Subtext vieler Gesetzesverschärfungen und stellte stattdessen die Lebensrealitäten der Menschen in den Mittelpunkt.
Besonders symbolisch verdichtet hat sich diese Haltung in der Rede von Heidi Reichinnek im Bundestag. Als Fraktionsvorsitzende sprach sie nicht nur über das Tabubruch-Bündnis zwischen CDU und AfD, sondern formulierte einen emotionalen Appell, der weit über das Parlament hinauswirkte. Ihre Worte – »Denken Sie wirklich, gegen die AfD hilft AfD-Politik?« – trafen den Nerv der gesellschaftlichen Stimmung und wurden millionenfach geteilt. Reichinnek benannte das Paktieren mit der extremen Rechten nicht als handwerklichen Fehler, sondern als bewusste politische Entscheidung – mit historischen Konsequenzen. Besonders stark war der Moment, in dem sie sich direkt an die außerparlamentarische Zivilgesellschaft wandte: »Wir sind die Brandmauer.«
Diese Rede wurde nicht zufällig zu einem Kristallisationspunkt. Denn sie verband Empörung mit Analyse, Haltung mit Handlungsperspektive. Sie war Ausdruck einer Partei, die nicht nur ablehnt, sondern einlädt – zum gemeinsamen Widerstand gegen die rechte Gefahr.
Die extreme Rechte und die Konservativen
Der politische Rechtsruck in Deutschland ist längst keine Randerscheinung mehr. Was früher als Tabubruch galt, ist heute Taktik. Was einmal klare Trennungslinie war – zwischen Konservativen und extrem Rechten – verschwimmt zunehmend. Der Fall der »Brandmauer« ist kein einzelner Moment, sondern ein Prozess. Friedrich Merz’ Entscheidung, gemeinsam mit der AfD einen Antrag im Bundestag durchzubringen, markierte einen symbolischen und politischen Dammbruch: Nicht die Inhalte waren neu – die wurden längst von allen Fraktionen mitgetragen, wenn es um Asylrechtsverschärfungen ging. Neu war, dass nun auch die Form der Zusammenarbeit kein Skandal mehr war, sondern strategisch einkalkuliert.
Diese Entwicklung ist keine spontane Reaktion auf gesellschaftliche Stimmungen, sondern Teil einer bewussten Strategie: Die AfD agiert längst nicht mehr allein als populistische Protestpartei, sondern zunehmend als strukturierende Kraft der autoritären Formierung. Ihre Netzwerke reichen in die Polizei, in Sicherheitsbehörden, in Teile der Justiz und der Bundeswehr. Sie hat Verbindungen zu völkischen Bewegungen, zu rechten Medienplattformen und zu finanziellen Unterstützern aus dem Milieu der »Neuen Rechten«. Die Enthüllungen rund um das »Geheimplan«-Treffen in Potsdam, bei dem über Deportationen gesprochen wurde, sind keine Ausnahme – sie sind Ausdruck einer ideologischen Stoßrichtung, die auf die Zerschlagung pluraler Demokratie abzielt.
Gleichzeitig radikalisiert sich die Union – allerdings weniger im Ton als in der Praxis. Merz spricht bewusst »bürgerlich«, setzt aber auf eine Agenda, die der AfD den Wind nicht aus den Segeln nimmt, sondern sie politisch aufwertet. Medial begleitet wird dieser Prozess von einem konservativen Diskursblock, der mit der scheinbaren Neutralität der »Mitte« arbeitet, aber in Tonalität und Agenda längst auf autoritäre Ordnungspolitik umgeschwenkt ist. Große Teile der Springer-Presse, aber auch Sendungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen bedienen Narrative, in denen Klimabewegungen kriminalisiert, antifaschistische Proteste delegitimiert und rechte Positionen als legitime »Sorgen« normalisiert werden.
Was es jetzt für eine antifaschistische Linke braucht
Die politische Rechte wird nicht nur durch Wahlergebnisse stärker – sie wird stärker, wenn keine glaubwürdige linke Alternative bereitsteht. In einer Situation, in der sich der gesellschaftliche Wind deutlich nach rechts dreht, braucht es eine Linke, die mehr kann als nur reagieren. Sie muss Hoffnung organisieren, konkrete Verbesserungen erkämpfen – und gleichzeitig radikal in ihrer antifaschistischen Haltung bleiben. Das heißt: nicht anschlussfähig an den autoritären Mainstream sein zu wollen, sondern konsequent widersprechen – im Parlament, auf der Straße, im Alltag. Dazu braucht es drei Dinge: Glaubwürdigkeit, Verankerung und strategische Klarheit.
1. Glaubwürdigkeit: Antifaschismus als gelebte Praxis
Die Stärke der Linken im Wahlkampf lag nicht nur in ihren Inhalten, sondern darin, dass sie diese glaubwürdig vertreten konnte. Mit dem Bruch zur Wagenknecht-Abspaltung, der deutlichen Haltung gegen Rassismus, Abschiebefantasien und Polizeistaat-Politik hat sie gezeigt: Es gibt noch eine Partei, die sich nicht treiben lässt, sondern Haltung hat.
Doch Glaubwürdigkeit entsteht nicht nur im Parlament. Sie zeigt sich, wenn linke Politiker*innen bei Gedenkveranstaltungen, auf Demos gegen Abschiebungen, bei queeren Initiativen oder in antifaschistischen Bündnissen präsent sind – nicht nur als Redner*innen, sondern als Teil der Kämpfe. Sie entsteht dort, wo marginalisierte Gruppen ernst genommen werden: mit Ressourcen, mit politischer Rückendeckung, mit konsequenter Solidarität.
2. Verankerung: Die Linke muss ansprechbar sein – offline wie online
Was den jüngsten Wahlerfolg ebenfalls ermöglichte, war eine Kombination aus digitaler Präsenz und lokaler Sichtbarkeit. Diese Partei hört zu – und hat etwas zu sagen. Gleichzeitig wurde die klassische Straßenarbeit nicht vernachlässigt. Die Haustürkampagnen waren essenziell, um verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Auch wo die Linke in Kiezteams, Kümmerer*innenstrukturen oder Stadtteilgruppen präsent ist, wo sie mit Mieter*innen-Initiativen, Frauenhäusern, migrantischen Selbstorganisationen zusammenarbeitet, dort wird sie als Teil des Widerstands wahrgenommen – nicht als Beobachterin.
3. Strategische Klarheit: Antifaschismus als linkes Fundament
Antifaschismus darf für die Linke keine Zusatzaufgabe sein, sondern muss Grundlage aller Politik sein: der Sozialpolitik, der Bildungsarbeit, der Wohnungspolitik, der Arbeitskämpfe. Denn der Aufstieg der Rechten speist sich aus konkreten Ängsten – vor Armut, Kontrollverlust, Vereinzelung – und aus gezielter Desinformation. Wer diesen Ängsten nicht nur widerspricht, sondern sie politisch bearbeitet, entzieht der Rechten den Nährboden.