Die meisten Universitäten sind von den Studierenden besetzt, um gegen das neue Hochschulgesetz zu protestieren, das die Universitäten dem Markt ausliefert. Es gibt immer weniger Betten in den Krankenhäusern, für alles muss gezahlt werden, es gibt keine öffentliche Gesundheitsversorgung mehr. Die Kürzungen betreffen die Renten, psychiatrische Hilfen, selbst Übersetzungshilfen für Gehörlose werden abgeschafft. Alles wird privatisiert: Wasser, Elektrizität, Flughäfen, alles wird verkauft. Eine neue Steuer auf die Häuser wurde eingeführt, die mit der Stromrechnung bezahlt werden muss. Wenn sie nicht bezahlt wird, wird der Strom abgestellt. Nur im Bereich der Polizeigewalt sind die Ausgaben verstärkt worden: 900 000 Euro wurden für die Anschaffung von Tränengas ausgegeben. Von April 2010 bis heute haben wir große Momente von sozialen Bewegungen und große Momente von Depressionen erlebt. Menschen stehen auf und kämpfen und Menschen gehen nach Hause und weinen. Für eine linke Parteiist das eine schwierige Situation: Was können wir, was sollen wir fordern? Es ist schwierig, über Lösungen und Alternativen zu sprechen, wenn Depression das vorrangige Gefühl ist, auch in der Politik. Am Beispiel der Bewegung der indignados möchte ich unser Vorgehen erläutern. Die Bewegung ist aus Nordafrika gekommen, entstanden nach der »spanischen Revolution«. In Spanien wurde ein Transparent gezeigt: »Griechen, wacht auf!« Daraus erwuchs das Gefühl, das etwas getan werden müsste. Eine Facebook-Gruppe hat aufgerufen: »Wir sind keine Gewerkschaft, keine Partei, wir sind empört, und wir treffen uns auf dem Syntagma-Platz. Kommt mit uns.« Nach einer Stunde hatten 100 000 Nutzer »gefällt mir« geklickt, nach drei Stunden 400 0000, nach fünf Stunden wurde sie wegen Überfüllung geschlossen. 20 000 Menschen sind dem Aufruf gefolgt. Sie halten eine Versammlung ab und diskutieren Forderungen. Alles, was man sich vorstellen kann, wird vorgeschlagen: »Wir müssen das Geld abschaffen«, »wir müssen das Geld an die Bevölkerung umverteilen«, »wir fordern folgende Maßnahmen von der Regierung«, »wir fordern die Abschaffung der Regierung« – und alle sind dort. Was kann eine linke Partei in dieser Situation tun? Wer sind diese Leute? Ist das fortschrittlich, ist das links? Die Bewegung hat drei große Themen: Das erste ist Demokratie, »echte Demokratie«. Aber kann diese Demokratie eine Antwort auf die Lücke in der Demokratie sein, auf die leere, systemische Demokratie, auf die Krise der Repräsentation? Mit dem Begriff der »echten Demokratie« fordern die Menschen eine Repräsentation in der Politik. Sie haben das Gefühl, dass niemand sie vertritt. Das zweite große Thema ist soziale Gerechtigkeit, Gerechtigkeit im Allgemeinen. Sie sagen einfache Dinge: »Viele Leute in der Politik haben Geld genommen, jetzt wird behauptet, wir hätten es gemeinsam ausgegeben. Aber wir haben es nicht gemeinsam ausgegeben, jemand hat es genommen. Wer für den Raub an den Renten, für Privatisierung der Stromversorgung, dem Ausverkauf des Wassers verantwortlich ist, gehört ins Gefängnis.« Der dritte Punkt: Wir sind erschöpft, Schluss mit den Kürzungen. Diese drei Themen verbinden sich mit guten Sachen – mit massenhafter Beteiligung, mit Solidarität, friedlichem Zusammenkommen – und mit schlechten: rechtsextremen, nationalistischen Vorschlägen, antipolitischer Kultur. Was muss die Linke tun? Unsere Antwort war: Wir sind von Anfang an Teil der Bewegung. Der wichtigste Grund, warum die Menschen auf die Plätze gehen, ist, dass ihr Leben sich durch die neoliberale Politik immer weiter verschlechtert. Deshalb wehren sie sich und sagen: Es reicht. Das ist ein guter Grund, um mit den Menschen über das, was in der Welt passiert, ins Gespräch zu kommen. Der erste Schritt ist, sich in einen gemeinsamen Kampf zu begeben, auf die Plätze zu gehen und zu sagen: Weitere Kürzungen kann ich nicht ertragen. Der Platz hat eine große Bedeutung in der griechischen Community, die Plätze waren der erste Schritt zu einer gemeinsamen, einer allgemeinen Antwort. Nach vielen Jahren wird erstmals ein gemeinsamer Kampf versucht. Die Linke muss dort sein. In der Linken dominieren im Umgang mit den neuen Bewegungen drei Strategien, die unterschiedlich problematisch sind. Die erste besteht darin, den Protestierenden das eigene Programm als Lösung vorzustellen: »Wir haben die Lösung für alles. Wir haben Sozialismus, Gerechtigkeit, Demokratie in der Tasche und wir müssen die Menschen von unseren Lösungen überzeugen.« Die zweite ist, nicht auf die Plätze zu gehen und die Bewegungen abzulehnen, weil dort Leute sind, mit denen wir nicht zusammenarbeiten wollen: »Wir können sie nicht kontrollieren, wir wissen nicht, was sie nach zehn Tagen machen, vielleicht ruinieren sie unseren Ruf.« Die dritte Strategie besteht darin, auf die Plätze zu gehen und alles zu wiederholen und zu bekräftigen, was die Menschen verlangen: »Ja, wir müssen die griechischen Flaggen auf dem Platz hissen, ja, wir müssen alles umsetzen, was ihr fordert.« Das ist opportunistische Politik. Wir müssen dagegen einbringen, was wir in den letzten Jahren von der globalisierungskritischen Bewegung gelernt haben. Wir brauchen eine allgemeine, offene Diskussion über das Verhältnis von Bewegung und Partei. 1 | Wir müssen mit unseren Ideen Teil der Bewegungen sein. Nicht unbedingt mit unseren Fahnen, aber mit unseren Vorstellungen. Wir müssen vermitteln, was unseres Erachtens in der Welt und Europa vorgeht, wie die Finanzkrise bearbeitet wird und wie dadurch eine neue, eine »menschliche« Krise entsteht, eine Krise der Arbeit, der Arbeitslosigkeit. 2 | Wir nehmen mit unseren Körpern an den Bewegungen Teil. Wir repräsentieren keine tausenden zuhause Gebliebenen, wir repräsentieren uns. 3 | Wir gehen auf die Plätze und bringen unsere Positionen ein, die mit unseren konzeptionellen Vorstellungen, unserer »Ideologie« verbunden sind, die aber auch neue Bündnisse, neue Handlungsmöglichkeiten produzieren können. 4 | Wir versuchen, eine neue Verbindung zwischen organisierter Politik und Basisbewegungen zu ermöglichen. 5 | Wir versuchen, unsere Agenda einzubringen und auf die Propaganda der Massenmedien mit unseren Werten zu reagieren. 6 | Gegen die Angst, die aus der Politik der Herrschenden entstanden ist, müssen wir Hoffnung produzieren. Die Menschen haben ihr Vermögen, Arbeit, Renten, Selbstsicherheit verloren, darauf müssen wir Antworten finden. 7 | Schließlich müssen wir Linken uns selbst, unsere Geschichte überwinden: Wir kommen aus der Geschichte der Linken, den Kämpfen der 1970er Jahre. Jetzt müssen wir die Kämpfe führen, die die zukünftigen Leute der Linken hervorbringen werden, die Zukunft der Gesellschaft. Wir müssen einen Weg finden, Sozialismus zu einer realen Idee zu machen, zu einem tatsächlichen Weg zu Demokratie, Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit. Das ist nichts, was sich irgendwo oben in den Wolken abspielt, sondern unten auf den Plätzen.

Bei den Problemen ansetzen, nicht bei den Lösungen

Zu Beginn der Bewegung gab es keine Organisierung, keine Organizer. Erstmals trafen die extreme Rechte und die Linke auf dem Platz aufeinander. Wie sind wir damit umgegangen? Die Linke hat als erstes entschieden, unser geplantes antirassistisches Festival nicht parallel zur Bewegung abzuhalten, sondern es auf den Platz zu verlegen. Den Vorschlag haben wir auf der Versammlung eingebracht und dem ist zugestimmt worden: »Ja, wir müssen uns für die Rechte der Migranten einsetzen.« Wir haben ein Kricket-Spiel pakistanischer Migranten organisiert, genau dort, wo normalerweise die extreme Rechte zusammenkam. Als sie zu ihrem »angestammten« Bereich auf dem Platz zurückkehrten, fanden sie auf viele Kricketspielende Pakistani, direkt vor dem griechischen Parlament. Das waren sie nicht gewohnt. Das ist nur eines von vielen Beispielen, wie wir die Plätze in unsere Strategien eingebunden haben. Deshalb ist es so wichtig, vor Ort und Teil der Bewegung zu sein – es ist viel einfacher, von außen zu beklagen, dass sich nationalistische Kräfte in die Bewegung einschleichen. Viel schwieriger ist es, von innen die Versammlung auf die progressive Seite zu ziehen. Zweitens: Bei einer derartig großen Bewegung ist es wichtig, bei den Problemen anzusetzen, nicht mit den Lösungen anzufangen. Wir können nicht auf die Versammlung gehen und sagen »Sozialismus ist die Lösung«. Das ist die Schlussfolgerung, das Ende. Um zur Schlussfolgerung zu kommen, müssen die Probleme in den Blick genommen werden. Daraus sind die Forderungen zu entwickeln – gegenüber der Regierung, der EU etc. Von den Forderungen ausgehend sind Aktionen zu entwickeln, Programme zu formulieren, diese müssen auch im Parlament eingebracht werden. Die Verbindung zwischen der Linken im Parlament – aber nicht im System – und den Linken auf der Straße muss bewusst hergestellt werden. Daraus kann ein linkes Programm mit alternativen Lösungen für die Menschen auf den Straßen und in den Kämpfen entstehen. Das ist die richtige Methodologie; darin kann es keine Abkürzungen geben. Wir können nicht sagen: »Die Leute auf den Plätzen sind rechts oder nicht links genug, deshalb nehme ich nicht teil.« Und wir können nicht mit der Diskussion des Programms, der Alternative beginnen. Wir hatten eine große Versammlung mit 10 000 Menschen, die über Demokratie diskutierten. Um uns herum standen 5000 Polizisten, von denen die Regierung sagte, sie seien da, um die Demokratie zu schützen. Demokratie für wen? Schützen die 10 000 Menschen in der Versammlung die Demokratie oder die Polizisten? Das ist ein gutes Bild für das, was auf dem Syntagma-Platz geschieht. Der Prozess dauerte an, bis zum Tag Null, als das Memorandum II abgestimmt wurde. Jetzt wird das Memorandum III oder IV vorbereitet. Wir können dem nur begegnen mit Einigkeit aller Anti-Memorandum-Kräfte, Anti-Regierungskräfte der Linken und Fortschrittlichen. Die Pasok hat sich seit 1994 von einer linken Sozialdemokratie zur heutigen Position entwickelt, in der der Vizepräsident erklärte, Demokratie sei nicht die Lösung, denn die Menschen kennten sich nicht aus, sie könnten falsch entscheiden. »Wir wissen, was entschieden werden muss, sie nicht, deshalb lassen wir sie nicht wählen.« Dabei ist der Prozess kein Spezifikum von Griechenland – die Propaganda von den faulen Griechen will das glauben machen –, sondern es ist neoliberale Herrschaft und eine Ermächtigung der staatlichen Herrschaft. Wir müssen Formen von massenhaftem zivilen Ungehorsam entwickeln – wir haben einfach nicht das Geld, die neuen Steuern zu bezahlen. Wenn 10 000 Menschen sie nicht zahlen, wird ihnen vielleicht der Strom abgestellt. Sind es aber eine, zwei Millionen Menschen, kann ihnen niemand den Strom abstellen. Griechenland würde im Dunkeln liegen. Viele Menschen können gemeinsam eine neue Hoffnung für die griechische Arbeiterklasse schaffen. Als Individuen können wir nichts schaffen, Individuen sind die ersten Opfer der Kürzungen: Frauen, Senioren, Jugendliche. Um die Not abzuwenden, müssen sie geschützt werden, kollektiv. Das ist die Aufgabe, der sich die Linken stellen müssen.  

Anmerkungen

1  Gemeint ist die griechische Linkspartei Synaspismos (Koalition der Linken, der Bewegungen und der Ökologie), der Autor ist Mitglied des Parteivorstandes und dort zuständig für Massenmobilisierungen und Organisationsfragen. Der Beitrag basiert auf seinem Vortrag auf der Tagung »Transformative Organizing«, 22.–24.9.2011 der RLS. (Anm. d. Red.)