Weht ein neuer Wind durch die Bundesrepublik? Ein Regenbogenfahnenverbot im Bundestag, Debatten um Speicherung empfindlicher Daten von trans* Personen und rechte Angriffe auf das sogenannte Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) sind das Gebot der Stunde. Der Vergleich mit der Ampelregierung, gekennzeichnet durch queere Aktionspläne und die Verabschiedung des SBGG, mag den Schluss nahelegen, dass wir es mit einem Bruch zu tun haben. Es scheint, das Mainstreaming queerfeindlicher Diskurse war erfolgreich, und zwar international. Damit wären die Zeiten der neoliberalen Homonationalismen, also der Integration queerpolitischer Themen in den Rahmen bürgerlicher nationaler Projekte, in den Zentren des globalisierten Freihandels infolge einer autoritären Wende endgültig vorbei. Wenn Queerfeindlichkeit eine neue Qualität als staatstragende Politik gewinnt, stellt sich die Frage nach dem Umgang, den politische Kämpfe aus queerer Perspektive damit finden müssen. Antworten fallen jedoch schwer ohne ein Verständnis der Entwicklungen, die hierhin geführt haben.
Bruch oder autoritäre Kontinuität?
Das Konzept des autoritären Etatismus von Nicos Poulantzas (2002) kann verstehen helfen, warum die Vorstellung einer autoritären Wende als Bruch mit dem neoliberalen Staat nicht überzeugt. Poulantzas beschrieb bereits Ende der 1970er-Jahre eine Tendenz der Machtverschiebung innerhalb des staatlichen Gefüges hin zu einer autoritären Normalisierung. Gegenüber der Legislative, dem Parlament als Arena auch widerstreitender Klasseninteressen und den darin beteiligten Parteien, habe die Exekutive an Wichtigkeit gewonnen. Was Poulantzas als Entwicklung am Ende des Fordismus wahrnahm, lässt sich rückblickend als Saat begreifen, aus der der Neoliberalismus hervorging.
Poulantzas folgend sieht John Kannankulam (2008) in verschiedenen bürgerlichen Staaten wie der Bundesrepublik oder Großbritannien in der Phase des Neoliberalismus einen autoritären Etatismus am Werk. Die ideologische Richtschnur »weniger Staat, mehr Markt« bezog sich dabei vor allem auf den Sozialstaat, der abgebaut wurde zugunsten eines Ausbaus staatlicher Kontroll- und Ordnungsfunktionen bei gleichzeitiger Demontage der Arbeiter*innenbewegung – also einer »Verselbstständigung der Exekutive […], zusammen mit einer rechtspopulistischen Anrufung der Nation« (ebd., 330). Statt um weniger handelt es sich eher um einen in vielerlei Hinsicht gestärkten Staat, dessen Ressourcen und Apparate im Interesse der Globalisierung der Produktion und Liberalisierung der Finanzmärkte umgeschichtet wurden.
Demnach erscheint der autoritäre Umbau nicht als Bruch, sondern als Ergebnis der neoliberal-kapitalistischen Entwicklung. Es kommt zu einer Normalisierung eines autoritären Politikmodus, legitimiert durch seinen effizienten Umgang mit den multiplen Krisen, die ab den 2000er-Jahren einsetzten. Es sind diese normalisierten autoritären Instrumente, die ausgebaut werden, um neoliberale Herrschaft angesichts des sterbenden globalisierten Freihandels unter US-Vorherrschaft abzusichern.
Davon ausgehend fragt sich, ob durch die Zunahme autoritärer Tendenzen eine neue Qualität der Krisenbewältigungsmechanismen bürgerlicher Herrschaft herangereift ist, die den faschistischen Bruch obsolet macht, weil die Aushöhlung des demokratischen Inhalts bei Beibehaltung des demokratischen Rahmens problemlos möglich ist. »Der ›autoritäre Etatismus‹ stützt sich [...] auf die [...] ›repressiven Staatsapparate‹. Deren Erweiterung bildet den Kern der autoritären Transformation demokratisch verfasster Staaten, in denen kein Staatsstreich stattfindet, sondern der autoritäre ›Block an der Macht‹ bei Wahlen Mehrheiten gewinnt.« (Deppe 2018, 255) Die oft als Bruch oder Wende charakterisierte Entwicklung lässt sich meines Erachtens besser verstehen als ein Hinüberwachsen der bereits etablierten Autorität in ihre immer offenere Gewaltförmigkeit.
Homonationalismus als Queerpolitik im autoritären Etatismus
Es ist das Ökosystem des sich etablierenden neoliberalen autoritären Etatismus, in dem sich der Homonationalismus in der Bundesrepublik zur dominanten Form der Queerpolitik entwickelt. Gründete sich beispielsweise 1972 die erste bundesrepublikanische schwule Selbstorganisation, die Homosexuelle Aktion Westberlin, noch als kommunistische Gruppe mit dem Ziel, sich am revolutionären Klassenkampf zu beteiligen, wurde sie in ihrer Rolle als Knotenpunkt der sich formierenden westdeutschen LGBTQIA+-Bewegung bald von der liberalen Allgemeinen Homosexuellen Arbeitsgruppe abgelöst. Ähnlich verhielt es sich mit dem linksgerichteten Bundesverband Homo-sexualität, der sich Ende der 1990er-Jahre auflöste, während der Schwulenverband Deutschland (heute LSVD) für die Organisierung von Schwulen und Lesben nicht als Arbeiter*innen, sondern als nach Gleichberechtigung strebende Bürger*innen an Bedeutung gewann. Der Raum für eine klassenkämpferische Praxis wurde enger und Queerpolitik fand zunehmend weniger auf der Straße und im Betrieb statt. Vielmehr kam es zu ihrer Institutionalisierung und Professionalisierung sowie – losgelöst von anderen emanzipatorischen Kämpfen – zu einer Fokussierung auf Forderungen nach staatlicher Anerkennung queerer Bürger*innenrechte. Teile der queeren Bewegung wuchsen immer mehr in die Rolle hinein, die der autoritäre Etatismus für sie vorsah: beratende Zulieferer für den lobbyistisch geprägten politischen Aushandlungsprozess. Unzweifelhaft trug die Herausbildung einer queeren Verbändelandschaft maßgeblich dazu bei, durch anerkennungspolitische Integration in die liberale Demokratie das Überleben der deutschen LGBTQIA+-Bewegung angesichts der AIDS-Krise zu gewährleisten.
Gleichzeitig ging diese Integration mit einer Verengung von Queerpolitik einher. Verdinglicht und fragmentiert in lobbyierbare Einzelbedarfe der Schwulen, der Lesben, der trans* Community usw. appellierte queere Politik affirmativ an den Nationalstaat als Repräsentant seiner queeren Bürger*innen – mitsamt seiner Klassenstruktur. An die Stelle des Angriffs auf die Ehe als Basis für familiäre und vergeschlechtlichte Organisation der Reproduktion trat die Auslebung des bürgerlichen Kernfamilienideals in homo. Darüber hinaus führten interessengruppenpolitische Institutionalisierung und die damit einhergehende Professionalisierung zur Herausbildung einer Art queeren Mittelklasse, die als Quasi-Beamt*innen ihrer Verbände die Funktion der Deliberation übernahm, also die zivilgesellschaftliche Beratung der Politik. Lobbyarbeit muss gelernt sein: Beziehungsarbeit mit Ministeriumsmitarbeiter*innen und Parlamentarier*innen, das Beherrschen von Codes der Respektabilität, legalistisches und juristisches Know-how, all das sind wesentliche Hürden. Die Verbände wurden so tendenziell klüngelhaft entdemokratisiert und in die autoritär etatistische politische Architektur aus Kommissionen, Ministerien, Konsensrunden und Expert*innenbefragungen eingebunden. Es ist fraglich, ob es sich dabei um wirkliche Beteiligung handelt oder nicht eher um ein Mittel der Legitimation der Hinterzimmerpolitik (vgl. Lösch 2004, 256).
So zeigte sich im Entstehungsprozess des SBGG, wie einfach es ist, Interessenvertretungen über Verbändeanhörungen einzubinden, ihre Beiträge letztlich aber außen vor zu lassen (vgl. Bouvar 2023). Versuche, materielle Verbesserungen zu erringen, bleiben in der ministeriellen Topografie der autoritär etatistischen Politik stecken oder werden reduziert auf Akte nomineller Anerkennung, um Zustimmung zu finden. Die Konstruktion des homonationalistischen queeren staatsbürgerlichen Subjekts mittels derart ausgehandelter Reformen bleibt demnach eine im Wesentlichen selektive.
Homonationalismus raus aus den Köpfen?
Was verändert sich an der Rolle der Anrufung des queeren staatsbürgerlichen Subjekts im krisenhaften späten Neoliberalismus, gekennzeichnet durch zunehmende Queerfeindlichkeit des Staates? Besonders Transfeindlichkeit dient als staatstragendes, populistisches Instrument ideologischer Krisenbewältigung. Der jahrzehntelange Angriff auf den Sozialstaat, die Militarisierung der Grenzregime kapitalistischer Zentren und der Ausbau migrationsfeindlicher Politiken führen zu einer Krise der Reproduktion. Diese soll mittels der reaktionären, vergeschlechtlichten Disziplinierung hin zu erzwungener heterosexueller Zweigeschlechtlichkeit behoben werden – Rettung der bürgerlichen Familie mit dem Knüppel. Die Bomben müssen gebaut, die Panzer gefahren, die Gewehre gehalten sowie die Soldat*innen und Lohnarbeiter*innen geboren werden, die es braucht, um die bröckelnden Machtpositionen im Übergang zur multipolaren Weltordnung zu verteidigen. Ist der Homonationalismus damit am Ende?
Schwerlich. Einerseits ist der Backlash keine generelle Breitseite gegen alle LGBTQIA+ gleichermaßen, sondern eine Vertiefung bestehender Asymmetrien, die sich bereits in der interessengruppenpolitischen Verdinglichung finden. Er richtet sich vorrangig gegen bereits vulnerable Queers, darunter Kinder und Jugendliche, arme transfeminine Personen, BIPoC und migrantisierte Queers, sowie spezifisch gegen körperlich transitionierende Personen. Zeitgleich dient Homonationalismus der Selbstvergewisserung einer linksbürgerlichen Oppositionshaltung gegen derzeit politisch dominante konservative Kräfte, ohne ein wirkliches Gegengewicht zu diesen zu bilden. Mehr noch zeigt sich entlang staatsräsonabler, transmisogyner und antikommunistischer Linien, welche Blüten der autoritär-liberale Versuch der staatsbürgerlichen Integration treiben kann. Weiterhin wird gegen Queerfeindlichkeit auf eine Weise Bezug genommen, die nicht die systemischen Widersprüche als ihre Wurzel benennt, sondern missliebige Staatschefs, die auch den geopolitischen Interessen der EU im Weg stehen. Unter dem Vorwand, Queers und europäische Werte zu verteidigen, werden auch von oppositioneller Seite Rüstungsausgaben mitbeschlossen, die durch Sozialabbau und eben auch die Kürzung queerer Angebote gegenfinanziert werden. Gleichzeitig sollen Queers auf gesetzgeberische Errungenschaften der letzten Koalition eingeschworen werden, unter dem Motto »SBGG verteidigen«, während sich in ebenjenem SBGG die Kontinuität zwischen aktuellen Entwicklungen und Jahrzehnten autoritär-etatistischer Transformation zeigt. Die Einführung von Sonderregistern für Personenstandsänderungen per Verordnung ist nicht alleinige Kopfgeburt von Unionspolitiker*innen, sondern stammt aus dem Gesetzgebungsprozess zum SBGG unter Leitung der Parteien der Ampelregierung. Die in deren Gesetzentwürfen vorgesehene automatisierte Datenweitergabe an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, den Verfassungsschutz und andere Repressionsorgane konnte erst in letzter Minute gekippt werden. Weitere Spuren autoritärer Versicherheitlichung trägt das Gesetz aus der Feder der »Fortschrittskoalition« in Form insbesondere transmisogyner und rassistischer Disziplinarmaßnahmen: Sie leisten einer Segregation transfemininer Personen im Alltag Vorschub, regeln ihre »Zuordnung zum männlichen Geschlechtseintrag im Spannungs- und Verteidigungsfall« für die Erfüllung der Wehrpflicht, schließen Menschen mit Duldungsstatus von der rechtlich verbuchten Selbstbestimmung aus und stellen geflüchtete trans*, inter* und nichtbinäre Personen unter Generalverdacht, sich durch Personenstandsänderung einer Abschiebung entziehen zu wollen.
Einfallstore queerfeindlicher Politiken wurden also nicht trotz, sondern zu einem gewissen Maß gerade durch die Queerpolitik des Homonationalismus geöffnet – ebenso wie die Ampelregierung verantwortlich ist für weitreichenden Sozialabbau und Asylrechtsverschärfungen, auf die Schwarz-Rot derzeit aufbaut.
Wer Verbündete sucht, muss seinen Hauptfeind kennen
Wie kann also eine fortschrittliche trans* politische Organisierung gegen die autoritären Vorstöße im späten Neoliberalismus aussehen? Der Versuch des liberal-homonationalistischen Hegemonieprojekts ist vorerst gescheitert und auch seiner oppositionellen Wendung gelingt keine nennenswerte Abgrenzung zum bundesdeutschen und europäischen Imperialismus. Der queerpolitische Weg, klassenübergreifend auf die Anerkennung als staatsbürgerliches Subjekt zu setzen – der besonders für trans* Personen mit empfindlichen Ausschlüssen gepflastert ist –, ist eine Sackgasse. Gegen Angriffe konservativer und faschistischer Akteur*innen blieb die interessengruppenpolitische Einfallslosigkeit bislang wehrlos und gegenüber dem Ausbau des autoritären Staats erweist sie sich tendenziell eher stabilisierend. Ein Kampf um trans* und queere Befreiung muss daraus die richtigen Schlüsse ziehen. Dazu gehört eben auch die Erkenntnis, dass die liberale Demokratie, deren Verteidigung dieser Tage gern beschworen wird, selbst eine Form bürgerlicher Herrschaft ist, die sich notwendigerweise autoritärer Mittel bedient, um ihr Fundament – die Ausbeutung von Arbeitskraft und die globale wie vergeschlechtlichte Arbeitsteilung – zu erhalten. Der Hauptfeind steht im eigenen, als bürgerlicher Nationalstaat verfassten Land.
Hoffnungen auf linke, regierende Mitverwaltung des Klassenstaates müssen aus fortschrittlicher Perspektive entschieden zurückgewiesen werden. Wer von links in die politische Mitte blinkt, will rechts fahren, wie sich an Zustimmung zu Kriegskrediten und Ermöglichung der Kanzlerwahl aus den Reihen des erklärten politischen Feindes zeigt. Ebenso haben anerkennungspolitische Reformprojekte derzeit kein Momentum. Es wird Zeit, die Anrufung des regenbogenfarbenen staatsbürgerlichen Subjekts hinter sich zu lassen und queere Kämpfe nicht mehr entlang klassenübergreifender Identitäten, sondern entlang konkreter Bedürfnisse zu organisieren, um die Grundlage für eine handlungsfähige, fortschrittliche trans* Bewegung mit politischer Klarheit zu schaffen. Verbände, die in das staatsapparative Gefüge und homonationalistische Politik eingebunden sind, bieten hierfür keine Plattformen.
Lokale queere Zentren, Vereine und ihre Netzwerke, wo Queers bereits jetzt teilweise ihre eigene Versorgung organisieren, sind für alltägliche queere Überlebenskämpfe und die erfolgreiche Verteidigung gegen autoritäre Veränderungen ungemein wichtiger als die institutionalisierte Verbandspolitik. Erwartbare Angriffe auf trans* Gesundheit können hier mit Selbstorganisierung abgefangen werden. Selbstgekochte Hormone können schwer von den Krankenkassen abgelehnt werden. Diese Strukturen aus der Abhängigkeit von der austeritätspolitischen Mühle staatlicher Förderung zu lösen und sie mit Blick auf die konkreten Bedürfnisse arbeitender und armer Queers zu gestalten und, wo nötig, zu demokratisieren, heißt Gegenmacht aufzubauen. Um einen liberal-identitätspolitischen Rückfall zu vermeiden, sollten wir uns nicht nur als trans* Personen organisieren, sondern als arbeitende, Mieten zahlende, prekarisierte Mitglieder unserer Klasse. Statt »Demokratie zu verteidigen« gilt es, die zivilgesellschaftliche Fragmentierung klassenpolitisch zu überwinden, den als »vorpolitisch« abgesteckten Raum zu repolitisieren und zu einem Schauplatz zu machen, auf dem Kämpfe verbunden werden können. Wichtige Impulse hierfür liefern Ansätze der revolutionären Stadtteilarbeit, die den Menschen dort begegnet, wo ihr Alltag stattfindet und politisch geprägt wird, von Mietenpolitik, Reproduktionsarbeit, Gewaltschutz, Gesundheitsberatung und vielen weiteren, um sie dort zu organisieren. Weiter zeigt die Palästinasolidaritätsbewegung seit zwei Jahren, wie kontinuierliche Organisierung Momentum aufrechterhalten und Kämpfe verbinden kann – unter ihrem Banner sammeln sich mittlerweile Keime einer erneuerten Friedens- und internationalistischen Bewegung, die fortschrittlichen Teile der Klimabewegung sowie streikende Arbeiter*innen.
Die Kämpfe transgeschlechtlicher Menschen finden entlang grundlegender systemischer Widersprüche statt. Statt sie mit anerkennungspolitischen Pflastern abzumildern, gilt es, diese Widersprüche deutlich zu machen und sie bis zu ihren Bruchkanten auszuweiten.
