In ganz anderer Dimension als noch vor wenigen Jahrzehnten stehen die Gewerkschaften heute vor der Frage, wie sie auf die globalen Krisen des Kapitalismus reagieren sollen und können – dies gilt insbesondere für die Herausforderungen der Klima- und Ökokrise. Zu deren Verursachern gehören Schlüsselbranchen der Industrie in der Bundesrepublik mit ihrem hohen Ressourcenverbrauch und ihren klimaschädigenden Treibhausgasemissionen im Produktionsprozess wie bei den von ihnen hergestellten Gütern. Bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass diese Frage im Grunde im Mittelpunkt heutiger gewerkschaftlicher Betriebs- und Gesellschaftspolitik stehen muss. Die Klimakrise erzwingt in Branchen wie der Energiewirtschaft oder Automobilindustrie – vermittelt über ökonomisch-politische Vorgaben zur „Dekarbonisierung“ – eine massive ökologische Kapitalentwertung. Sie ist damit eine entscheidende Ursache ausgeprägter Strukturkrisen und weitreichender Umbauprogramme des Kapitals. Deren Dynamik und Verwerfungen treffen die Lohnabhängigen mit voller Wucht. Ohne eigenständige, klassenautonome Alternativen werden sie ihre aktuellen Reproduktions- und ihre Zukunftsinteressen aber kaum zur Geltung bringen können – so unsere These. Hans-Jürgen Urban hat in diesem Kontext den ökologischen Umbau der Industrie „eine Schlüsselaufgabe“ genannt, „eine überlebensrelevante Anforderung, an der Gewerkschaften und mit ihnen die Gesellschaft scheitern könnten“ (Urban 2018a, 335). Er hat in diesem Zusammenhang auch auf „verschüttete Diskussionsstände“ in seiner eigenen Gewerkschaft verwiesen, auf die heute zurückzugreifen sei. Diese Anregung wollen wir aufnehmen und einen Rückblick auf Erfahrungen mit Strukturkrisen im Bereich der Metallwirtschaft mit einer nüchternen Bestandsaufnahme aktueller Konfliktfelder in der gegenwärtigen „Transformationskrise“ der Automobilbranche verbinden.
Strukturkrisen und Anforderungen an gesamtgesellschaftliche Politik der Gewerkschaften
Weite Bereiche von Grundstoffindustrien und verarbeitendem Gewerbe sind in den entwickelten kapitalistischen Ländern wie der Bundesrepublik seit Jahren von einschneidenden Strukturkrisen erfasst. Strukturkrisen gehören genauso wie konjunkturelle Krisen zur Normalität des kapitalistischen Akkumulationsprozesses. Betroffen waren in der alten und sind in der jetzigen Bundesrepublik u.a. Kohle und Stahl, Werften, die Kfz-Industrie und deren Zulieferer, aber z.B. auch große Teile der Elektroindustrie, also Schlüsselbranchen mit traditionell stark organisierten Teilen der Lohnabhängigen und ihren Gewerkschaften. Dies gilt gerade auch für die IG Metall. Während konjunkturelle Krisen durch partielle Kapitalentwertung und Rückgang der Produktion gelöst werden bis zu dem Punkt, wo die Nachfrage und damit die Konjunktur wieder anziehen, stellen sich in den großen Strukturkrisen viel weitreichendere, gesamtgesellschaftliche Probleme. Es geht um die Entwertung großer Kapitalmassen und die Neustrukturierung von Schlüsselbereichen der Wirtschaft und Gesellschaft, verbunden mit der Frage, in wessen Interesse, zu wessen Nutzen und nach wessen Vorstellungen dies erfolgen soll. Große Strukturkrisen – wie die Krise des Steinkohlebergbaus, der Eisen- und Stahlindustrie oder der Werftindustrie in den 1980er Jahren oder heute der Umbau der Energiewirtschaft und die sog. „Transformationskrise“ der Automobilindustrie – zeichnen sich zugleich dadurch aus, dass es hier nicht um rein wirtschaftliche Krisen einzelner Unternehmen oder Branchen geht, sondern um Umbruchkrisen mit gesamtgesellschaftlicher Dimension, in denen einzelne Belegschaften oder die Beschäftigten einzelner Branchen verloren sind, wenn sie auf sich allein gestellt bleiben. Die IG Metall hatte in der Vergangenheit für solche Umbrüche und die in ihnen steckenden gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen ein großes Gespür. Zu erinnern ist an die Automations-Konferenzen der IG Metall in den 1960er Jahren (1963, 1965, 1968) oder an die noch von Otto Brenner initiierte Oberhausener Tagung „Aufgabe Zukunft: Verbesserung der Lebensqualität“ von 1972, bei der, wie Eugen Loderer es im Vorwort zur (zehnbändigen) Tagungsdokumentation formulierte, „die Frage nach der gesellschaftspolitischen Struktur von technisch hochentwickelten Ländern“ gestellt und mit internationalen Experten aus den verschiedensten Wissenschafts- und Politikbereichen diskutiert wurde (vgl. IG Metall 1973). Gerade bei dieser Konferenz war das Bemühen unübersehbar, mit Blick auf die Verbesserung der gesellschaftlichen Lebensverhältnisse in solchen Bereichen wie Bildung, Verkehr, Umwelt, Gesundheit, Regionalentwicklung u.a.m. die Interessen der Lohnabhängigen gegen die Zwänge privater Kapitalverwertung zur Geltung zu bringen und nach gesellschaftlich-politischen Koalitionen zu suchen, die für deren Durchsetzung unabdingbar sind. Gerade letzteres – die breite öffentliche Diskussion, die Gewinnung von sachkompetenter Beratung von Expert*innen aus den verschiedensten Gesellschafts- und Wissenschaftsbereichen, die über den Tellerrand privatwirtschaftlicher Kapitalverwertung hinausblicken und damit gesamtgesellschaftliche Vernunft zur Sprache bringen, sowie die Gewinnung von Bündnispartner*innen aus gesellschaftlichen Bewegungen, um Einfluss auf die öffentliche Debatte zu gewinnen, also der Kampf um gesellschaftliche Hegemonie – war ein Hauptziel dieser Veranstaltungen. Das wäre auch mit Blick auf die heutigen Struktur- und Umbruchprobleme notwendig, vor denen die Lohnabhängigen und ihre Gewerkschaften stehen.
Kampfzyklus 1980er Jahre: Vom Widerstand zur Reformbewegung?[1]
Strukturkrisen in mehreren Branchen als Elemente technologischer Veränderungen und eines Nachfragerückgangs bildeten in den 1980er Jahren die Ausgangslage für heftige betriebliche Widerstandsaktionen, aber auch für neue konzeptionelle Impulse aus den Gewerkschaften (vgl. van Bargen et al 1988, ferner Pickshaus/von Randow 1988). Solche Strukturkrisen betrafen seit Ende der 1970er Jahre die Werftindustrie, danach besonders stark die Stahlbranche und waren auch schon sichtbar im Bereich der Automobilproduktion. Im Falle des Ruhrgebiets mündeten sie zugleich in eine Regionalkrise. Im Unterschied zu den gegenwärtigen Transformationskonflikten war der Kampfzyklus der 1980er Jahre durch ein politisiertes Umfeld geprägt. Dazu zählten zum einen die zahlreichen Abwehrkämpfe gegen Arbeitsplatzvernichtung mit militanten Widerstandsaktionen wie zum Beispiel Werftbesetzungen (HDW 1983), aber auch die politische Widerstandsbewegung gegen die Änderung des §116 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG). Zum anderen gehörten dazu mehrere Tarifkämpfe, insbesondere der Arbeitskampf 1984 um die 35-Stunden-Woche, in denen die Gewerkschaften Erfolge erringen konnten (vgl. Pickshaus 1989, 90). Diese vielfältigen Kampferfahrungen erleichterten eine Vernetzung der zeitlich und regional disparaten Widerstandsaktionen gegen Standortschließungen in der Stahlindustrie, die sich in den 1980er Jahren zuerst mit der Maxhütte in der Oberpfalz, danach dann 1987 mit der Henrichshütte in Hattingen und schließlich mit dem Kruppstahl-Werk in Duisburg-Rheinhausen fortsetzten und im ersten Halbjahr 1988 einen Höhepunkt fanden. Auch wenn in keinem Fall eine Standortsicherung erreicht werden konnte, vermittelten die große Dynamik der Aktionen, die Breite der damals schon sichtbaren „mosaiklinken“ Bündnisse sowie die innovative Entwicklung von Alternativkonzepten eine enorme Ausstrahlung auch in die Gewerkschaft, in diesem Fall die IG Metall, hinein. Eine Schlüsselrolle gewannen für Verlauf und Perspektive der Abwehrkämpfe eigene Gegenkonzepte der Belegschaften zur „Sachzwanglogik“ der Konzerne. Solche Alternativkonzepte wurden meist zu einem späten Zeitpunkt in der Defensivphase vorgelegt, in denen sie keinen bestimmenden Einfluss mehr erlangten. Dies hängt mit dem notwendigen Erarbeitungsprozess zusammen, aber auch damit, dass die Diskussion über Stellenwert, Zielrichtung und Reichweite solcher Alternativkonzepte noch in den Kinderschuhen steckte. Die von der IG Metall damals in die Diskussion gebrachte Idee der „Beschäftigungsgesellschaften“ – vielleicht das wichtigste Resultat des Hattinger Kampfes – ist faktisch eine Forderung nach demokratischer Wirtschaftsprogrammierung (vgl. Bierbaum 1988, 159ff.). Dabei handelt es sich um paritätisch mitbestimmte Unternehmen, die neue Beschäftigungsfelder dort erschließen sollen, wo dominierende Konzerne Produktionsstandorte beseitigen wollen. Die Arbeitsverträge der bisherigen Belegschaften sollen auf die Beschäftigungsgesellschaften übertragen werden. Kapitalausstattung und Know-how sollen von den jeweils verantwortlichen Konzernen kommen. Dieser Prozess wurde Ende der 1980er Jahre durch die völlig veränderte ökonomisch-politische Konstellation im Kontext des DDR-Anschlusses abgebrochen. Die wirtschaftsdemokratischen Konzeptimpulse könnten für die gegenwärtigen Transformationskonflikte aber genutzt werden. Theo Steegmann, der damalige stellvertretende Betriebsratsvorsitzende in Rheinhausen, prognostizierte 1988 in einem Interview mit der Zeitschrift Sozialismus: „Wenn es den Stahlunternehmern – obwohl wir in diesem Bereich die weitestgehenden Mitbestimmungsregeln und sozialen Vereinbarungen haben – gelingt, Standorte einfach plattzumachen, wird es den Automobilarbeitern wohl ähnlich an den Kragen gehen.“ Und, so darf ergänzt werden, alsdann den Belegschaften der Elektroindustrie, der Elektronikindustrie – überall dort, wo neu geordnet und rationalisiert wird, und das ist eben überall. Eingreifendes, veränderndes Handeln beginnt mit dem Widerstand gegen die konservative Modernisierungsstrategie des Kapitals; es erfordert jedoch eigene Vorstellungen für eine ökologische und sozialorientierte Modernisierung und stoffliche Umbauprogramme, mithin die Bündelung der Alternativen in einem Reformentwurf. Hier berühren sich Industrie-, Regional- und Gesellschaftspolitik. Denn die Frage nach neuen Produktionslinien enthält die Bestimmung gesellschaftlichen Bedarfs und sie ist ein normatives Problem. Es zu lösen verlangt, sich über die Interessen Rechenschaft zu geben, entlang derer der gesellschaftliche Bedarf definiert werden soll. Darin liegt zugleich die Chance, den Widerstand gegen die Zerschlagung von Standorten zu einer Bewegung fortzuleiten, die nicht nur die unmittelbar sozial Betroffenen einbezieht: Bewegung für eine neue Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik. Die Bilanz der Widerstandsaktionen in den 1980er Jahren zeigt: Ausweiten, vereinheitlichen, zuspitzen: Die Politisierung der Bewegungen muss der nächste Schritt sein. Dies wäre auch heute angesichts der Transformationskonflikte in der Automobil- und Zulieferindustrie die Aufgabe. Allerdings zeigt die Bilanz auch, dass die Bewegungen in den Krisenregionen weitgehend isoliert voneinander waren. Sie unterschieden sich nicht nur hinsichtlich ihrer Bedingungen, sondern fanden auch ungleichzeitig statt. Sie entwickelten sich nicht zu einer wirkungsmächtigen Reformbewegung. Erst die Werften, dann die Maxhütte, dann Hattingen, dann Rheinhausen – dann Osnabrück, dann Dortmund, und dann die Automobilindustrie? Immerhin haben die Widerstandsaktionen innovative Konzeptdiskussionen ausgelöst. Dies gilt im Übrigen auch im Hinblick auf die Automobilindustrie, deren krisenhafte „Transformation“ heute im Mittelpunkt steht. Im Jahr 1990 veranstaltete die IG Metall gemeinsam mit dem Deutschen Naturschutzring eine verkehrspolitische Konferenz „Auto, Umwelt, Verkehr: umsteuern, bevor es zu spät ist“. Dass danach diese innovative Debatte zum Erliegen kam, ist ein anderes Thema.
Konflikte heute: Auseinandersetzung um sozialökologischen Umbau
Die Notwendigkeit eines gesamtgesellschaftlichen Zugriffs zeigt sich besonders in der aktuellen Umbruchkrise der Automobilindustrie. Das von der Privatmotorisierung dominierte Mobilitätssystem der Bundesrepublik ist mit seinem Ressourcen- und Flächenverbrauch und seinen ökologischen Folgelasten längst an seine Grenzen gestoßen; das war ansatzweise schon 1990 auf der Konferenz von IG Metall und Naturschutzring deutlich zur Sprache gebracht worden. Es muss im Interesse der Gesamtgesellschaft umgebaut werden (vgl. etwa Auhagen et al. 2020). Daraus resultiert ein starker Entwertungsdruck auf das private Automobilkapital. Die Unternehmen versuchen jedoch systematisch, sich diesem Entwertungsdruck zu entziehen, Umweltstandards zu unterlaufen und den Umbau des Mobilitätssystems in ihrem Interesse profitabel zu steuern und zu gestalten. Sie kämpfen darum, ihr Verwertungsmodell – Privatmotorisierung mit weltweiter Ausweitung der Flotte von im Schnitt immer größeren und technisch höherwertigen Kraftfahrzeugen – zu erhalten und sich dessen „ökologische“ Umgestaltung (insbesondere Antriebselektrifizierung) von der Gesellschaft finanzieren zu lassen.[2] Zugleich setzen sie – konkurrenzgetrieben – die Belegschaften ihrer Betriebe mit dem Ziel der Effizienz- und Renditesteigerung unter massiven Druck (Drohung mit Beschäftigungsabbau, internationale Standort-/Lohnkonkurrenz auch im Rahmen der Unternehmen, Erpressung durch Androhung von Standortverlagerung etc.). Dabei nutzen sie ihre ökonomisch-politische Macht (vgl. Sabautzki 2020) und verkaufen die durch ihre privatwirtschaftlichen Verwertungsinteressen geprägten Mobilitätskonzepte als alternativlos im gesamtgesellschaftlichen Interesse („Sachzwanglogik“).[3] In den Betrieben der Automobilbranche stehen die Angst der Belegschaften vor dem Verlust ihrer Arbeitsplätze und Einkommen (vor allem der Stammbelegschaften), die Forderung nach Qualifizierung und das Ringen um Schadensbegrenzung im Mittelpunkt. Dazu nur drei Beispiele:
(1) Daimler: Vor allem die Umstellung vom Verbrennungsmotor auf Elektroantriebe befeuert umfassende Personalabbaupläne des Managements. Im Pkw-Werk Untertürkheim gelten 4.000 von 19.000 Stellen als gefährdet, in Berlin weitere 5.000. In der Lkw-Sparte sieht es ähnlich aus. Die Belegschaft wird erpresst mit angedrohten Produktionsverlagerungen ins Ausland und soll Verschlechterungen in Kauf nehmen. Der Betriebsrat initiierte Protestaktionen unter dem Motto „Transformation fair gestalten“. Konzernbetriebsratsvorsitzender Michael Brecht kündigte an, man werde sich gegen den angedrohten Kahlschlag wehren. Im Handelsblatt vom 23. November 2020 äußerte er die Sorge, das Management setze das sozialpartnerschaftliche Verhältnis im Unternehmen aufs Spiel und erklärte, der Wandel zu einem „klimaneutralen Fahrzeughersteller“ könne „nur im Schulterschluss mit der Belegschaft“ gelingen. Damit solle das Produktionsvolumen früherer Jahre wieder erreicht werden. Selbst wenn das gelänge, wären Arbeitsplatzverluste unvermeidlich.
(2) Continental: Wie zahlreiche andere Automobilzulieferer reagiert Continental mit einem rigorosen Kurs des Stellenabbaus und des Konzernumbaus. Von derzeit weltweit 240.000 Beschäftigten, davon knapp 60.000 in Deutschland, sollen binnen zehn Jahren 13.000 ihren Job verlieren. Werke sollen geschlossen, Investitionen zurückgestellt und rund eine Milliarde Euro jährlich eingespart werden. Widerstandsaktionen der Belegschaften und der IG Metall konnten bisher einzelne Werksschließungen verhindern oder aufschieben. Die Gesamtproblematik aber bleibt. Gleichzeitig hielt der Konzern daran fest, 600 Millionen Euro Dividende an die Aktionäre auszuschütten. Konzernbetriebsratsvorsitzender Hassan Allak forderte im Handelsblatt vom 1.9.2020 eine „faire Lastenverteilung“, ein „vernünftiges und ausgewogenes Paket für die Transformation und Krisenbewältigung“.
(3) VW Kassel-Baunatal: Das Werk hat 17.000 Beschäftigte und ist nach Wolfsburg das zweitgrößte Werk des Konzerns in Europa. Der Betriebsratsvorsitzende Carsten Bätzold schätzt, dass die Umstellung auf Elektromobilität 5.000 bis 8.000 Arbeitsplätze kosten wird – durch sozialverträglichen Beschäftigungsabbau, jedoch auch mit negativen Auswirkungen auf die Region. Bätzold sieht kritisch, dass jeder Konzern um „seine“ Wettbewerbsvorteile kämpft. Tatsächlich sei die Krisenbewältigung aber eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. „Das Geschäftsmodell, jährlich bis zu 70 Millionen Autos weltweit in den Markt zu schieben, steht am Scheideweg. Ich glaube, dass das nicht mehr so geht.“ Es gebe „zu viele Autos für den Individualverkehr, und zwar weltweit.“ Wenn man die Autoproduktion „über acht oder zwölf Wochen“ herunterfahre, sehe man: „Es ist kein systemrelevantes Produkt.“ Deswegen sollten die „Impulse“ der Krise genutzt werden, um gesellschaftliche, politische Lösungen zu finden. Bätzold nennt Stichworte wie alternative Mobilitätskonzepte und Aufwertung von Berufen im Care-Sektor mit hohem Arbeitskräftebedarf. Dieser Sektor müsse der Profit-Logik entzogen werden. Im gewerblichen Bereich gehe es zukünftig nicht mehr „nur“ um Lohn und Jobs, sondern auch um Qualität und Umfang der Arbeit, um Arbeitszeitverkürzung und Qualifizierung (Bätzold/Lacher 2020). In den betroffenen Betrieben gibt es lebendige Widerstandsaktionen (Warnstreiks, örtliche kleinere Demos, größere Protestkundgebungen, Autokorsos, Mahnwachen und ähnliches) – gemessen am Ausmaß der gegenwärtigen und zu erwartenden Probleme aber erst in Ansätzen. Es überwiegt das Bemühen um Verhandlungen mit den Unternehmer*innen um die Sicherung der jeweiligen Betriebe, von denen jeder im Konkurrenzkampf um Wettbewerbsvorteile ringt. Die Krise drängt viele Betriebsräte und Beschäftigte dazu, alles von der Sorge um den Erhalt „ihres“ Standorts her zu betrachten. Der erste Schritt ist also der Widerstand der Belegschaften mit Unterstützung ihrer Gewerkschaft. Die Dialektik besteht heute aber gerade darin, dass sichere Arbeit und Einkommen für alle auf längere Sicht nur gerettet oder neu geschaffen werden können, wenn ein anderer gesellschaftlicher Entwicklungspfad, ein radikaler sozialökologischer Umbau erkämpft wird. Die Stellungnahme von Carsten Bätzold bringt diesen Zusammenhang zum Ausdruck – neben dem unmittelbaren Kampf um Erhalt von Arbeitsplätzen muss die Suche nach gesamtgesellschaftlich vernünftigen Alternativen der Produktivkraftentwicklung treten, gegen das Bestreben der Kapitalseite, ihre Interessen systematisch durchzusetzen. Hans-Jürgen Urban prognostiziert zu Recht, dass in dieser Auseinandersetzung „beinharte Interessen- und Zielkonflikte … unvermeidbar“ sind (Urban 2019, 103). „Am Ende“, so Urban, „wird über den gesellschaftlichen Entwicklungspfad über machtbasierte Gesellschaftskonflikte entschieden.“ (ebd., 107). Hier steht die Frage nach den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen. Diese haben sich – im Vergleich zu den 1980er Jahren und im Ergebnis mehrerer Jahrzehnte des neoliberalen Rollback – zu Lasten der Arbeit und zu Gunsten des Kapitals verschoben. Die Gewerkschaften stehen nach einem langen Prozess der Erosion ihrer Machtressourcen schwächer da als noch in der alten Bundesrepublik der 1980er Jahre. Ganz besonders der Crash der Jahre 1989/90ff. und der Schwenk der damaligen SPD-Führung unter Schröder auf neoliberale Positionen haben klassenautonome Strömungen in den Gewerkschaften weiter zurückgedrängt. Auch die Krise von 2008ff. hat korporatistischen Positionen des Co-Managements in den Gewerkschaften Auftrieb gegeben (Urban 2018b, 92). So finden sich die bedrängten Belegschaften in den Betrieben der Automobilindustrie heute in einer Situation, in der „Häuserkämpfe“ und die Sorgen um den jeweiligen „Standort“ überwiegen. Dabei werden auch Teilerfolge errungen. Zugleich sind die Gewerkschaften aber herausgefordert, die unmittelbaren Interessen der Beschäftigten in den einzelnen Betrieben zu einer breiteren Bewegung zu verbinden und in eine gesamtgesellschaftliche Reformkonzeption zu integrieren. Dazu existiert in der kritischen Wissenschaft durchaus eine entfaltete Debatte. In die gewerkschaftliche Politik hat sie bisher aber kaum Eingang gefunden. Es zeigt sich in den Strukturkrisen und Transformationskonflikten aber auch, dass die Kapitalseite den Strukturwandel – selbst in der von ihr forcierten Richtung – nicht aus eigener Kraft bewerkstelligen kann. Hierin drückt sich der heutige Vergesellschaftungsgrad der Wirtschaft aus. Sie verlangt nach staatlicher Industriepolitik im Sinne massiver Subventionen („Entlastungen“ der verschiedensten Art, Förderung von Forschung und Entwicklung, Infrastrukturinvestitionen, Absatzförderung usw.), verwahrt sich aber gegen jede demokratische Kontrolle und Einflussnahme auf ihre Entscheidungen – seitens der Belegschaften wie seitens des Staates, also der Öffentlichkeit, die zur Kasse gebeten wird. Urban stellt hierzu fest: „Vieles spricht dafür, dass hier die Stunde der Demokratie schlagen muss“, und er konkretisiert: „(Wirtschafts-)Demokratie (wird) zum archimedischen Punkt von Konversionskonzepten, die eine naturverträgliche Produktions- und Konsumtionsweise mit sozialen und Beschäftigungsinteressen und der Überwindung der Shareholder-Value-Orientierung in den Unternehmen ausbalancieren wollen.“ (ebd., 104). Dies werden die Gewerkschaften laut Urban „alleine nicht bewerkstelligen können. Die Gründung und Stärkung von handlungsfähigen Allianzen, die den Pfadwechsel nach links drängen, wird zur Schlüsselaufgabe.“ (Urban 2021, 44). Auch in den heutigen Struktur- und Transformationskrisen stellen sich für die Gewerkschaften also die Fragen, die schon Ende der 1980er Jahre in den Betrieben und in der Linken diskutiert wurden. Und die Aufgabe, die betrieblichen und gesellschaftlichen Kämpfe auszuweiten, zu vereinheitlichen und zuzuspitzen.
Dieser Text ist dem Sammelband Mosaiklinke Zukunftspfade – Gewerkschaft, Politik, Wissenschaft entnommen, der 2021, anlässlich des 60. Geburtstags des IG-Metall-Vorstands Hans-Jürgen Urban, beim Verlag Westfälisches Dampfboot erschienen ist.