Die Täter – Konzerne, Regierungen, Anwaltsfirmen, Schiedsrichter und ihre Helfer in der Wissenschaft
Wenn das drohende Investitionskapitel im TTIP eine scharfe Waffe zur Bekämpfung von Spielräumen demokratischer Politik ist – wer sind dann die Täter, die diese Waffen in Umlauf bringen oder gar selber nutzen möchten? Die Tätergruppen finden sich a) bei Konzernen und ihren Lobbyverbänden, b) bei Regierungen, in der EU-Kommission und in Parlamenten, c) bei Anwaltsfirmen und Investitionsschiedsrichtern sowie d) bei ‚organischen Intellektuellen‘ (Gramsci) und Helfern in der Wissenschaft. Konzerne und ihre Lobbyverbände: Kein Wunder, dass Unternehmerverbände wie der europäische Arbeitgeberverband BusinessEurope und die American Chamber of Commerce für einen weitreichenden Investitionsschutz im geplanten transatlantischen Freihandelsabkommen mobil machen. Das tun auch einzelne Konzerne wie der US-Energie-Konzern Chevron. Er hat seinen kompletten Beitrag für die US-Konsultation zu den TTIP-Verhandlungen dem Thema Investitionsschutz gewidmet, “einem der global wichtigsten Themen für uns”[1]. Chevron möchte “den größtmöglichen Schutz” vor regulatorischen Eingriffen um “die Risiken von großangelegten, kapitalintensiven und langfristigen Energieprojekten zu mindern”, zum Beispiel bei der Gewinnung von Schiefergas durch Fracking. Aufgrund der Gefahren für Mensch und Umwelt und des wachsenden Widerstands von BürgerInnen haben zahlreiche EU-Regierungen Moratorien beziehungsweise strikte Regulierungen für diese umstrittene Technologie erlassen. Genau diese Moratorien und Regulierungen könnten Chevron & Co. über weitreichende Investitionsschutzklauseln in einem zukünftigen EU-USA-Freihandelsabkommen jedoch angreifen. Regierungen, die EU-Kommission und Parlamente: Es gäbe kein einziges Investitionsschutzabkommen als völkerrechtlich verbindlichen Vertrag und keine Investor-Staat-Klagerechte ohne die Regierungen und Parlamente, die solche Verträge aushandeln und ratifizieren. Im europäischen Kontext ist die Kompetenz zur Aushandlung solcher Abkommen mit dem Lissabon-Vertrag 2009 auf die Europäische Kommission übertragen worden. Dort ist nun die Generaldirektion Handel federführend auch für Investitionsabkommen. Zuvor waren es die EU-Mitgliedstaaten, allen voran Deutschland, welche seit dem ersten Bilateralen Investitionsvertrag 1959 (Deutschland – Pakistan) eine Vielzahl einseitiger und vor allem gegen Entwicklungsländer gerichtete Investitionsabkommen geschaffen haben. Im Fall TTIP waren es eben diese EU-Mitgliedstaaten, die der EU-Kommission den Verhandlungsauftrag (Mandat) gegeben haben, um mit den USA ein Handels- und Investitionsabkommen zu verhandeln. Doch den harten Kern des Investitionsschutzes rührt auch die EU-Kommission nicht an– im Gegenteil. Die deutsche Bundesregierung spielt in dieser Frage stets eine Hardliner-Rolle; sie wehrt sich im EU-internen Streit gegen Präzisierungen und Einschränkungen der Investitionsschutzstandards, gegen mehr Transparenz und erst Recht gegen jedwede Pflichten (statt nur Rechte) für Investoren. Anwaltsfirmen, Schiedsrichter und Prozessfinanzierer: Auch die Rechtsbranche betreibt für weitreichende Investorenrechte im TTIP Lobbyarbeit. Das verwundert nicht: Bei Stundenlöhnen von bis zu 1000 US-Dollar und Rechtskosten von durchschnittlich acht Millionen US-Dollar pro Verfahren sind Investor-Staat-Klagen ein lukratives Geschäft für Anwaltskanzleien. Weltweit betreiben diese Kanzleien Akquise, um Investoren zu Klagen gegen Staaten zu motivieren, beispielsweise gegen die Umschuldungspolitik in Griechenland. Ein Investitionsschutzkapitel im TTIP würde ihr Geschäftsfeld massiv ausweiten. Eine erste kritische Analyse dieser bislang oft noch vernachlässigten Arbitration Industry wurde 2012 mit der Studie „Profiting from Injustice“ (CEO / TNI 2012) vorgelegt. Hierin werden Anwaltskanzleien, Schiedsrichter und Prozessfinanzierer beleuchtet, die massiv an den Investoren-Klagen gegen Staaten verdienen. Sie sind ständig auf der Suche nach Möglichkeiten, Staaten zu verklagen und haben erfolgreich gegen Reformen des internationalen Investitionsregimes gekämpft. Der Boom der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit ist zu einer vom Steuerzahler finanzierten Goldgrube für Fachanwälte des Investitionsrechts geworden. Anwalts- und Schiedsgerichtskosten liegen in manchen Fällen bei über US$30 Millionen. Schiedsrichter bekommen ebenfalls saftige Honorare, an einem Fall verdiente ein Schiedsrichter fast US$1 Million. Dabei wird die Branche von einer kleinen, eng miteinander verflochtenen Gruppe von Anwaltskanzleien und SchiedsrichterInnen aus dem globalen Norden dominiert: Drei Kanzleien – Freshfields (GB), White & Case (US) und King & Spalding (US) – haben 2011 nach eigenen Angaben 130 Investitionsstreitigkeiten bearbeitet. Gerade einmal 15 SchiedsrichterInnen, fast alle aus Europa, den USA oder Kanada, haben 55 Prozent aller bekannten Investitionsschutz-Klagen entschieden. Diese kleine Gruppe von Juristen, von manchen die „innere Mafia“ genannt, sitzt gemeinsam in Schiedsgerichten, fungiert nicht nur als Schiedsrichter, sondern vertritt die Streitparteien nebenher auch als Anwalt und ruft sich in Verfahren gegenseitig als Experten auf. Die Schiedsrichter neigen überwiegend dazu, eher die Rechte von Investoren als das öffentliche Interesse zu verteidigen. Sie offenbaren eine inhärente, einseitige Ausrichtung der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit zugunsten der klagenden Partei. Mehrere prominente Schiedsrichter saßen in Aufsichtsräten großer multinationaler Konzerne, darunter auch solche, die Staaten verklagt haben. Fast alle eint der Glaube an den unbedingten Schutz von Privatgewinnen und -eigentum. Wissenschaftliche Hilfe beim Geschäft mit der Politikbekämpfung: Im akademischen Raum ist der Internationale Investitionsschutz zu einem attraktiven neuen Themenfeld geworden. Das internationale Investitionsschutzrecht gilt als das derzeit wohl am schnellsten wachsende Gebiet des Völkerrechts. Zwar wird durchaus eine Legitimationskrise des Rechtsgebietes und ein gewissen Reformbedarf anerkannt, zumeist aber gehen InvestitionsrechtswissenschaftlerInnen von einem völlig unkritischen Grundverständnis von der segensreichen Wirkung internationaler Investitionen auf Wirtschaft und Gesellschaft aus. Sie ignorieren grundlegende Macht- und Herrschaftsfragen des weitreichenden Eigentumsschutz und empfehlen im politischen Raum entweder die ungestörte Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung des herrschendes Investitionsregimes – oder sie versuchen, über vorsichtige Reformvorschläge die Akzeptanz und Legitimität ihres Rechtsgebiets zu retten.Die Retter – der Widerstand gegen das internationale Investitionsregime wird stärker
Jedoch: der Widerstand gegen exzessive Investorenrechte wächst. Schon kurz nach Beginn der TTIP-Verhandlungen haben sich Umweltorganisationen, OnlineaktivistInnen, Gewerkschaften, Kulturschaffende, VerbraucherInnenschutz-Organisationen und GlobalisierungskritikerInnen beiderseits des Atlantik in breiter Front und ausnahmslos gegen Investor-Staat-Klagerechte ausgesprochen. Europaabgeordnete von SPD, Grünen und der Linken sind ebenfalls dagegen. Bei SPD und Grünen ist dies eine reichlich späte und oft noch zu leise geäußerte Einsicht, nachdem sie jahrelang scharfen Investitionsschutzverträgen in nationalen Parlamenten zugestimmt haben – aber immerhin. In den USA tobt bereits seit Jahren eine kritische Debatte. Als der US-Kongressabgeordnete Alan Grayson sich 2013 in einem öffentlichen Aufruf gegen die Konzern-Klagerechte in TTIP wandte, schlossen sich binnen 24 Stunden zehntausend wütende US-BürgerInnen seinem Protest an. Auch andernorts ist die Abkehr vom alten Investitionsregime im vollen Gange: Brasilien gilt seit langem als attraktiver Investitionsstandort, hat aber kein einziges Investitionsabkommen mit Konzernklagerechten. Im Frühjahr 2011 verkündete die sozialdemokratische Regierung Australiens, dass sie keine Freihandelsabkommen mehr verhandeln werde, die Konzernen direkte Klagen vor internationalen Schiedsgerichten ermöglichen. Bolivien, Ecuador und Venezuela haben einige BITs aufgekündigt und sich aus dem ICSID-Schiedsgericht der Weltbank zurückgezogen. Argentinien weigert sich, Entschädigungen zu zahlen. Und Südafrika hat beschlossen, seine alten BITs nicht mehr zu verlängern. Im Herbst 2013 hat das Land zahlreiche alte Investitionsverträge gekündigt, darunter auch die Abkommen mit Deutschland, Österreich, Spanien und den Niederlanden. Weitere Schritte dieser Art sollen folgen. Auch in internationalen Organisationen wie der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) vollzieht sich ein Paradigmenwechsel. Während die Organisation in den 90er Jahren noch Entwicklungsländer dazu drängte, Investitionsabkommen zu unterzeichnen, skizziert sie seit ihrem Weltinvestitionsbericht 2012 Optionen zur Reform der gegenwärtigen Investitionspolitiken – in Richtung klar begrenzter Rechte und Pflichten für Investoren. Neben der UNCTAD warnt inzwischen sogar der IWF davor, dass Investitionsabkommen Staaten bei der Bekämpfung von Wirtschafts- und Finanzkrisen stark einschränken können. Vor diesem Hintergrund – und angesichts der EU-internen sowie der EU-US-Meinungsverschiedenheiten beim Thema Investitionsschutz - stehen die Chancen nicht schlecht, das geplante TTIP-Abkommen und das Kapitel zum Investitionsschutz als das zu entlarven, was es ist: eine antidemokratische neoliberale Zwangsjacke. Vor gut 15 Jahren hat diese “Dracula-Strategie” schon einmal zum Erfolg geführt: Ende der neunziger Jahre hatte die globalisierungskritische Bewegung den weitgehend unbekannten MAI-Vertrag ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt, ein Investitionsabkommen, das im Rahmen der OECD verhandelt wurde. Einem Vampir gleich überlebte es nicht lange, sobald das Licht einer kritischen öffentlichen Debatte aufschien. Im Oktober 1998 ließ Frankreich die Verhandlungen platzen. Wir sollten alles daran setzen, dass sich dieser Teil der Geschichte in der Auseinandersetzung um das TTIP wiederholt.----
Dieser Text ist eine gekürzte Fassung eines Beitrags für das Buch Die Freihandelsfalle.Transatlantische Industriepolitik ohne Bürgerbeteiligung – das TTIP (Hrsg: Klimenta/Fisahn et.al.; VSA-Verlag). Mehr Informationen zu dem Buch und weitere Materialien finden sich auf der Homepage von Attac.Literatur:
Bernasconi-Osterwalder, Nathalie / Hoffmann, Rhea Tamara 2012, Der deutsche Atomausstieg auf dem Prüfstand eines internationalen Investitionsschiedsgerichts? Hintergründe zum neuen Streitfall ‚Vattenfall gegen Deutschland (II)‘, hrsg. von PowerShift e.V. & Forum Umwelt & Entwicklung. Download: http://power-shift.de/?p=1005 Corporate Europe Observatory und Transnational Institute 2012, Profiting from Injustice. How law firms, arbitrators and financiers are fuelling an investment arbitration boom, Autorinnen: Pia Eberhardt & Cecilia Olivet, Brüssel und Amsterdam, http://corporateeurope.org/trade/2012/11/profiting-injustice Correa, Carlos M. 2013, Investment Agreements: A New Threat to Health and TRIPS Flexibilities?, SouthViews, No. 64, 27 June 2013, http://www.twnside.org.sg/title2/wto.info/2013/twninfo130612.htm
[1] Chevron Corporation: Comments on Proposed Transatlantic Trade and Investment Partnership, 7.5.2013, http://www.regulations.gov/#!documentDetail;D=USTR-2013-0019-0054 [23-05-2013]